Wie man seine Bezie­hungen garan­tiert zerstört

Immer mehr Privat­per­sonen über­wa­chen heim­lich ihre Ange­hö­rigen – insbe­son­dere (Ex-)Partner*innen und Kinder sind betroffen. Dass dieses Verhalten immer weiter norma­li­siert wird, macht unserer Kolum­ni­stin Angst. 
Mit den entsprechenden Apps und Programmen ist es sehr einfach, Personen digital zu stalken. (Bild: Kira Kynd / Midjourney)

Was hast du heute schon gegoo­gelt? Wo hast du dich aufge­halten? Mit wem hattest du Kontakt? Und: Was wäre, wenn sich eine dir nahe­ste­hende Person heim­lich zu all diesen Infor­ma­tionen zutritt verschaffen hätte?

Ein Gross­teil meiner jour­na­li­sti­schen Arbeit befasst sich mit soge­nannter Stal­ker­ware, kommer­ziell verfüg­bare Programme für Handys, Tablets und Computer, die super einfach und versteckt auf fremden Geräten instal­liert werden können. So können Personen unbe­merkt ihre Opfer – meistens sind es Ange­hö­rige und aller meistens die (Ex-)Partner*innen – mit live GPS-Standort und Zugriff auf alle Nach­richten aus der Ferne überwachen.

Die poli­ti­sche Dimen­sion des Digi­talen ist so gross wie das Netz selbst. Mit einem Mix aus Exper­tise, Spass und sehr viel Wut auf das System schreibt maia arson crimew über Tech­no­logie, Über­wa­chung, Inter­net­kultur und Science Fiction – oder was ihr im digi­talen Raum sonst gerade zwischen die Finger gerät. In ihrer Kolumne cyber_punk nimmt sie uns mit in die Untiefen des Inter­nets und zeigt, wie die physi­sche mit der digi­talen Welt zusam­men­hängt.

maia arson crimew ist eine Luzerner Hack­ti­vi­stin und inve­sti­ga­tive Jour­na­li­stin. Auf ihrem Blog publi­ziert sie Recher­chen über die verschie­denen Auswüchse des Über­wa­chungs­ka­pi­ta­lismus und ist nebenbei auch als DJ unterwegs.

Über die letzten Jahre sind diese Programme in Privat­haus­halten immer beliebter worden. Beson­ders seit Corona sind die Nutzer*innenzahlen stark ange­stiegen. Im euro­päi­schen Vergleich liegt die Schweiz derzeit auf Platz 8 bei den Opfern von Stalkerware.

In der Indu­strie ist es kein Geheimnis, dass die Soft­wares oft miss­bräuch­lich verwendet werden. „Mit [Name der Soft­ware] kannst du die Antworten bekommen, die du brauchst. Setze dem grossen Drama in deiner Bezie­hung ein Ende“, wirbt eine Marke von einem beliebten Anbieter der Über­wa­chungs­soft­wares. Das Marke­ting­kon­zept dieser Hersteller basiert auf der Angst, Unsi­cher­heit und Eifer­sucht ihrer Kund*innen. Ob man so ein grosses Drama beendet? Wohl kaum.

Ein Gross­teil unserer Gesell­schaft findet es völlig legitim, seinen Nach­wuchs unbe­merkt auszuspionieren.

In einem pathe­ti­schen Versuch, Kritik und recht­li­chen Konse­quenzen aus dem Weg zu gehen, haben die Webseiten der Anbie­tern übli­cher­weise einfach ein kleinen Disclaimer im Footer, dass die Verwen­dung ihrer Spyware ohne Einver­ständnis der betrof­fenen Person prak­tisch überall illegal ist und sie dafür nicht haften.

Eine weitere Ziel­gruppe, die mehr und mehr Anbieter von Über­wa­chungs­pro­grammen anvi­sieren, sind Eltern und Erzie­hungs­be­rech­tigte. Die soge­nannten Parental Control oder Kinder­si­che­rungs­apps werden heim­lich auf den Geräten der Kinder instal­liert, womit man ganz bequem aus der Ferne jeden Schritt der Minder­jäh­rigen mitver­folgen kann.

Weil es sich dabei um Kinder handelt, die der Obhut und dem Schutz der Eltern unter­liegen, haben sogar etablierte Kritiker*innen von Stal­ker­ware selten ein Problem mit dieser Form der Über­wa­chung. Im Gegen­teil: Ein Gross­teil unserer Gesell­schaft findet es völlig legitim, seinen Nach­wuchs unbe­merkt auszu­spio­nieren. Privat­sphäre von Kindern? Fehlanzeige!

Wie so oft ist vieles, das wir in allen anderen Bezie­hungen klar als miss­bräuch­lich verstehen würden, plötz­lich ganz okay, wenn wir es unseren eigenen Kindern antun. Das einzig Proble­ma­ti­sche an der Kinder­über­wa­chung ist dann schnell nur noch die Sache mit dem Daten­schutz – und nicht die fälsch­lich norma­li­sierte Über­wa­chung an sich. Und das, obwohl in der Schweiz die Über­wa­chung der eigenen Kinder ab dem Alter von 12 Jahren ohne Einwil­li­gung illegal ist. Dass es bis dahin jedoch recht­lich in Ordnung geht, dürfte die allge­meine gesell­schaft­liche posi­tive Beur­tei­lung von Kinder­über­wa­chung legitimieren.

Stal­ker­ware ist immer ein Versuch, soziale oder inter­per­so­nelle Probleme mit Tech­no­logie zu lösen.

Wie die Überwacher*innen dieses Verhalten vor sich selbst recht­fer­tigen, ist mir schlei­er­haft, denn schluss­end­lich sind die Konse­quenzen von kontrol­lie­rendem Verhalten dieselben, egal ob das Opfer erwachsen ist oder nicht. Stal­ker­ware ist immer ein Versuch, soziale oder inter­per­so­nelle Probleme mit Tech­no­logie zu lösen. Im besten Fall verschiebt es ein wich­tiges Gespräch um ein, zwei Monate – im schlimm­sten Fall zerstört er das Vertrauen des Opfers für immer.

Was mir auch nicht einleuchtet: Wie sollte man denn so ein Gespräch über­haupt führen, wenn man dank der Spyware heraus­ge­funden hat, dass man betrogen wurde oder sein Kind gemobbt wird? „Wir müssen unbe­dingt über etwas reden, von dem ich nur erfahren habe, weil ich dich die letzten Wochen heim­lich ausspio­niert habe?“ Offen­sicht­lich, bringt das absolut nichts und das Spio­nage-Opfer fängt erst recht damit an, Dinge zu verheimlichen.

Alle Menschen, egal wie alt und von welchem Status, haben ein Recht auf Privat­sphäre und alle Kinder verdienen eine Chance, sich selbst kennen­zu­lernen und zu expe­ri­men­tieren, ohne dass ihre Eltern immer alles sofort wissen müssen. Das ist ein gesunder Teil unserer Entwick­lung, auch in unserer digi­talen modernen Welt. 

Beson­ders für queere Kids und Kinder, die sonst schon Miss­brauch erleben, ist es extrem wichtig, unab­hän­gigen Zugriff auf Ressourcen und Commu­ni­ties zu haben.

Wer es trotz allem nicht lassen kann: Seid einfach nicht erstaunt, wenn ihr eure Kinder über­wacht und diese dann, sobald sie voll­jährig sind, nichts mehr mit euch zu tun haben wollen. Oder wenn euch eure Partner*in verlässt oder gar anzeigt – denn dazu hätte die Person jedes Recht.


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