„Das macht dänn 28.50 bitte“, sagt die Frau an der Kasse. Sie will aber kein Geld. Sie will reden. Über das, was ich im Einkaufskorb angeschleppt habe. Denn die 28.50, das sind keine Franken. Nein, die beziffern, wie gut mein Verhältnis zu Mutter Erde ist. Auf einer Skala von 6 bis 36 in sechs Öko- und Fairtrade-Kategorien. In Schulnoten ausgedrückt sind die 28.50 eine 4.8. Was ja eigentlich noch gerade knapp gut ist. Aber welcher Ökofuchs gibt sich in seiner Königsdisziplin schon mit einem Gerade-noch-knapp-gut zufrieden? „Also“, willige ich ein, „lass uns reden.“
Meine Aufgabe war es, ein Nachtessen für vier Personen einzukaufen – ohne Alkohol, dafür mit Dessert. Rund 120 gängige Produkte aus dem Detailhandel standen dafür zur Verfügung. Das Ziel: so ökologisch und fair wie möglich einzukaufen. Ein leichtes Spiel, dachte ich mir, weiss ich doch Flugmangos von Schorfäpfeln und Hummus von Büchsenthunfisch zu unterscheiden. Aber ich bin gestrauchelt. Das Problem: Ich wollte für ein Nacht‑, nicht für ein Knastessen einkaufen. Als Kompromiss zwischen Knast und La Grande Bouffe, dem französischen Ess-Exzessklassiker, habe ich folgendes Menü zusammengestellt:
- Vorspeise: Salat mit Tomaten
- Hauptgang: Älplermagronen (Hörnli, Kartoffeln, Gruyère, Butter) mit Spiegelei und dem vorgezogenen Dessert Bio-Büchsenapfelmus
- Dessert: Kaffee
Alles bio und fairtrade, kein Fleisch, eine petite bouffe halt. Das wird reichen für eine gute Note, dachte ich. Nicht nur bei meinen Gästen, sondern auch bei Mutter Erde. Mitnichten. Während Salat, Tomaten, Kartoffeln (je mit Note 5.8) und Büchsenapfelmus (Note 5.4) sehr gut abschnitten, die Bio-Hörnli mit kanadischem Getreide (Note 4.7) und der Kaffee (Note 4.5) im Mittelfeld lagen, zogen der Bio-Gruyère (Note 3.5), die Bio-Butter (3.7) und die KAG-Eier (3.9) meinen Notenschnitt nach unten. Dass tierische Produkte schlechter abschneiden werden, das wusste ich schon. Aber so schlecht!?
Die Mühe mit den Kühen
Die Verkäuferin erklärt: Für 1 Kilo Greyerzer braucht es 10 Liter und für ein Kilo Butter gar 25 Liter Milch, für 1 Kilo Kartoffeln aber lediglich 1 Kilo Kartoffeln. Damit versteckt sich in einem Mödeli Butter viel mehr Aufwand als in einem Sack Kartoffeln. Aber auch das Huhn verspeist ein Vielfaches dessen an Futter, was hinten als Ei rauskommt. Die Lösung hiesse also: lieber zweimal Kartoffeln statt einmal Kartoffeln mit Butter dran und Ei drüber.
So einfach gebe ich meine Älplermagronen aber nicht preis, und ich ziehe mein ganzes Ökofuchsrepertoire auf, um mein Abendessen zu retten: Nicht überall, wo beispielsweise Kühe weiden, können auch Kartoffeln wachsen. Und Kühe rülpsen nicht nur klimaschädliches Methan, sondern sie unterhalten auch das Ökosystem Weide, das, je nach Umständen, eine ganze Menge CO2 binden kann. Ausserdem sind Bio-Kartoffeln auf die wiederkäuenden Butterproduzentinnen angewiesen, um zu wachsen. Denn in der biologischen Landwirtschaft sind keine mineralischen Dünger erlaubt. Es darf nur mit organischem Dünger, und das heisst hierzulande vor allem mit Kuhdung, gedüngt werden. Idealerweise mit solchem, der von Weiden stammt, die wir selbst nicht nutzen können.
Das ist alles richtig, räumt die Kassierin ein. Allerdings sei es eine Frage der Menge. Die Kuh ist gar nicht so schlimm fürs Klima, aber nur, wenn sie sich ausschliesslich durch Alpweiden, Steppen und Heustöcke frisst. Das Problem dabei: Alpweiden gibt’s bei uns nicht à discretion. Deshalb importiert die Schweiz für ihr Milchvieh jährlich eine Million Tonnen Kraftfutter wie Weizen, Mais und Soja und baut nochmals dieselbe Menge hier an. Immerhin 20 Prozent des Kuhfutters stammt somit vom Acker; unter Bio Suisse sind auch noch 10 Prozent Kraftfutter erlaubt. Ein ökologischer Widersinn: Denn geht das Kraftfutter zuerst durch einen Kuhmagen, gehen rund 90 Prozent der Kalorien verloren. Kalorien, die auch hungrige Menschenmägen füllen könnten, statt krankes Hochleistungsvieh auf noch mehr Leistung zu trimmen.
Wieviel Milch, Fleisch und Ei liegt drin?
Genau diese Frage der Menge liess mich seit meiner Beichte an der CLEVER-Kasse nicht mehr los: Wieviel Butter darf in und wieviel Käse über meine Älplermagronen, um aus einem Haufen Kartoffeln eine petite bouffe zu machen, die dennoch écolo ist – also nicht nur meine Gäste, sondern auch Mutter Erde mitsamt ihrer heutigen und zukünftigen Sprösslinge beglückt?
Bisher lautete die Antwort meist so: Wiederkäuer lassen viel Methan vorne und viel Futter hinten wieder raus, ohne recht Speck anzusetzen – im Gegensatz zu Hühnern und Schweinen, die für wenig Soja viel Fleisch und kein Methan produzieren. Wiederkäuer seien also schlechte Futterverwerter und wahre Klimakiller, weshalb der ökologische Ratschlag lautete: Wenn schon schlemmen, dann lieber zwei Spiegeleier statt Käse über die Älplermagronen. So auch bei CLEVER von Biovision: Meine Eier haben in Sachen Klima immerhin eine 2 von 6 gekriegt, der Käse bloss eine 1.
Wenn man die Kuh auf einen Betonboden stellt und ihr Kraftfutter in den Trog schaufelt, dann schneidet sie tatsächlich viel schlechter ab als ein Huhn. Aber nur, weil man nicht bedenkt, dass die Kuh auch etwas anderes als Kraftfutter essen könnte: nämlich Gras. Dort sind die Wiederkäuer mit ihren vielen Mägen, in denen sie zähe Halme in bekömmliche Bestandteile vergären, einsame Weltspitze. Und das ist ihr entscheidender Vorteil: Sie können essen, was wir nicht essen können. Hühner und Schweine hingegen werden von Gras alleine nie satt. Sie müssen deshalb sehr viel von dem essen, was wir auch selbst essen könnten.
Rather feed a pig than a poor
Und genau hier setzt eine neue Strategie namens „Feed no food (to animals)“ an. Ihre Maxime: Es darf kein Tierfutter mehr auf Äckern wachsen, auf denen auch Essen für Menschen angebaut werden könnte. Das verspricht nichts weniger, als die ökologisch widersinnige und darüber hinaus tödliche Konkurrenz zwischen Tier und hungernden Menschen auf dem Acker abzuschaffen. Ökologisch widersinnig, weil der Anbau von Kraftfutter unnötig Böden verschleisst, Regenwald verwüstet und das Klima anheizt. Tödlich, weil die hohe Nachfrage nach Futtergetreide die Preise für Menschengetreide (ja, es ist dasselbe Getreide!) in die Höhe treibt. Können SchweinehalterInnen mehr zahlen als Hungernde, landet der Weizen statt bei den Bedürftigsten in den Futtertrögen unserer Fleischindustrie.
Eine Gruppe am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FibL) hat diese „Feed no food“-Strategie fürs Jahr 2050 durchgerechnet und festgestellt, dass sie nebst der sozialen zu einer massiven ökologischen Verbesserung der Landwirtschaft führt:
- Die Treibhausgasemissionen sinken trotz vieler Kühe um 18 Prozent.
- Der Einsatz von fossilen Energieträgern (Traktoren, Dünger) sinkt um 36 Prozent.
- Der Pestizideinsatz sinkt um 22 Prozent.
- Der Wasserverbrauch sinkt um 21 Prozent.
- Die Erosion (irreversibler Bodenverlust) sinkt um 12 Prozent.
Und all dies, obwohl diese Landwirtschaft im Jahr 2050 zweieinhalb Milliarden Mäuler mehr stopfen wird als heute!
Petite bouffe écolo 2050
Und nun zur Sache: Was darf bei diesem Szenario noch zwischen Zunge und Gaumen? Der Eier- und Schweinefleischkonsum muss jeweils um satte 90 Prozent gedrosselt werden und der Milch- und Kuhfleischkonsum um 43 Prozent. Diesen Proteinverlust machen Leguminosen wie Kichererbsen, Lupinen und Bohnen wett. Deren Konsum wird nach FibL-Szenario um ganze 317 Prozent steigen.
In konkreten Mengen pro Tag und Person heisst das: statt 2.7 Deziliter Milch gibts noch 1.4 Deziliter (in Hartkäse ausgedrückt: statt 27 Gramm gibts noch 14 Gramm); statt 34 Gramm Rindfleisch gibts noch 19 Gramm; statt 77 Gramm Schweine- oder Pouletfleisch schmale 7 Gramm; statt einem halben Ei täglich gibts noch ein ganzes Ei im Monat. Dafür gibts von den Leguminosen statt 42 Gramm ganze 177 Gramm pro Tag.
Für meine Älplermagronen bedeutet das Folgendes: Es gibt nur noch halb so viel Reibkäse für drüber (magere 14 Gramm pro Nase). Das Spiegelei kann ich ganz vergessen – die 2 Gramm Ei pro Tag spare ich mir für Ostern auf. Weil aber satte 177 Gramm Leguminosen dazukommen und diese auch genutzt werden wollen, schlage ich folgende, begrünte Variation meines ursprünglichen Menüs vor:
- Sättigende Vorspeise: Salat mit Tomate und Kirchererbsen
- Hauptgang: Älplermagronen mit wenig Käse oder 19 Gramm Kuhwurst pro Nase, viel angebratene Zwiebeln und Büchsenapfelmus
- Dessert: Kaffee
Die Grande Bouffe von 1973 ist nicht nur cineastisch, sondern auch kulinarisch nicht mehr zeitgemäss. Dennoch liegt auch mit zehn Milliarden Nasen kulinarisch einiges (gewöhnungsbedürftiges) drin, ohne dass andere hungern oder der Planet von Atlas’ Schultern fallen müsste. Gesetzt, wir fangen mit der Entwöhnung von Spiegelei und Speck schon jetzt an. Denn dann werden uns Älplermagronen mit wenig Käse und viel Zwiebeln bis 2050 besser schmecken.
Der Laden: „CLEVER — spielend intelligent einkaufen“ ist eine interaktive Wanderausstellung, die seit 2011 durch die Schweiz tourt. Nach einer Winterpause geht’s im Frühjahr 2018 weiter. Wo, erfahrt ihr hier. Neben dem konkreten Angefassthaben von guten und weniger guten Produkten hallt vor allem das Geradestehenmüssen für seinen Einkaufskorb an der Kasse lange nach. Nicht nur bei Ökoneophyten, sondern auch bei Ökofüchsen – siehe diesen Artikel – zeigt ein solcher Besuch kognitive und kulinarische Wirkung.
Die FibL-Studie: Anschaulich und (verhältnismässig) wenig technisch rechnet sie die Umweltauswirkungen verschiedener Szenarien vor (von „feed no food at all” über „feed a little food” bis zum heutigen Irrsinn „rather feed a pig than a poor”). Einprägsame Illustrationen und Open Access!
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