Wie wir weitermachen

Letztes Jahr haben wir verkündet, dass das Lamm Ende Dezember dicht­ma­chen müsse, wenn wir unser Finan­zie­rungs­ziel verfehlen. Nun, wir haben unser Finan­zie­rungs­ziel verfehlt. Aber das Lamm ist immer noch da. Wie wir das gemacht haben – und wieso: eine Erklärung. 

Zuge­geben: Wir neigen zu Alar­mismus. Viel­leicht nicht im glei­chen Ausmass wie andere jour­na­li­sti­sche Projekte, aber wir machen unsere Leser*innen doch regel­mässig auf unsere prekäre finan­zi­elle Situa­tion aufmerksam. „Bis im Dezember kannst du das noch lesen, aber dann geht uns das Geld aus”, war am Ende unserer Artikel im letzten Jahr jeweils zu lesen. Falsch war das nicht: das Lamm stand vor dem Aus und tut es immer noch. Unser Vermögen, das noch aus der Zeit stammt, als wir keine Löhne auszahlten, ist fast aufge­braucht. 2019 schlossen wir mit einem Jahres­minus von 37’000 Franken ab.

Der Gross­teil unserer Ausgaben entfällt auf die Löhne. Beim Lamm sind vier Redak­tions- und zwei Geschäfts­stel­len­mit­glieder ange­stellt. Bisher verteilten sich unsere Stel­len­pro­zente so: Die Co-Chef­re­dak­tion teilte sich ein 100%-Pensum, die zwei weiteren Redak­ti­ons­mit­glieder waren zu je 20% ange­stellt; die 60 Stel­len­pro­zente der Geschäfts­stelle verteilten sich eben­falls auf zwei Personen. Für unsere Löhne wendeten wird monat­lich 7314 Franken auf. Zusammen mit den Hono­raren für die freien Mitarbeiter*innen und einigen Fixko­sten verbuchten wir 2019 monat­liche Ausgaben von rund 8000 Franken. Ausgaben, die wir mit unseren Einnahmen nicht decken konnten.

Trotzdem war 2019 ein gutes Jahr für das Lamm. Was wir mit unseren beschei­denen Mitteln erreicht haben, macht uns stolz. Unsere Recher­chen haben teils hohe Wellen geschlagen; mit unseren Analysen und Kommen­taren vermochten wir immer wieder, poli­ti­sche Debatten aus Perspek­tiven zu beleuchten, die in der Medi­en­land­schaft unter­ver­treten sind, und Themen zu setzen, die anderswo keine Erwäh­nung fanden.

Damit erreichten wir mehr Leser*innen als je zuvor: 186’000 Nutzer*innen riefen 2019 unsere Website auf. Fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Inzwi­schen werden wir nicht mehr nur von unseren näch­sten Verwandten auf unsere Artikel ange­spro­chen – sondern auch von entfernten Verwandten. Wenn wir uns bei Pressesprecher*innen als Vertreter*innen des Lamms vorstellen, meint nur noch die Hälfte von ihnen, wir seien Mitglieder einer evan­ge­li­kalen Jugend­gruppe. Und im Verlauf des Jahres wurden auch unsere Einnahmen immer grösser. Im November und im Dezember verzeich­neten wir erst­mals, seit wir Löhne auszahlen, schwarze Zahlen.

In unserem Redak­ti­ons­büro gesellte sich zum Geruch von abge­stan­denem Bier ein Hauch von Start-Up-Euphorie. Als wir uns Ende letzten Jahres zur Krisen­sit­zung trafen, waren wir uns einig, dass wir noch nicht aufhören wollen. Nicht jetzt. Daran, dass wir viel­leicht bald unsere Löhne nicht mehr würden auszahlen können, änderte das frei­lich nichts. Mit Latte Macchiatos in den Händen über Flip­charts brütend fanden wir schliess­lich die Lösung für unser Problem: Prozessoptimierung.

Der Chef­re­dak­tion wurden 40 Stel­len­pro­zent gestri­chen, der Geschäfts­stelle 20. Die Entloh­nung für Beiträge von freien Mitarbeiter*innen wurde um 50 Franken redu­ziert. Vor allem aber sahen wir uns gezwungen, ein ‚flexi­bles Lohn­mo­dell’ einzu­führen: Mit Ausnahme der Chef­re­dak­tion sind die Löhne neu an unsere Einnahmen gekop­pelt. Das Geld, das wir jeden Monat verdienen, wird gemäss Anstel­lungs­pensum auf die Mitarbeiter*innen verteilt. Nur so können wir zurzeit sicher­stellen, dass wir nicht plötz­lich Konkurs gehen.

Bis jetzt hat das gut funk­tio­niert. Auch im Januar haben wir wieder schwarze Zahlen geschrieben. Neu konnten wir sogar eine unserer freien Mitarbeiter*innen mit einem 60%-Pensum zu einem Monats­lohn von 900 Franken einstellen, damit sie ein Prak­tikum im Rahmen ihres Jour­na­lismus-Studiums bei uns absol­vieren kann. Und bis jetzt hat noch kein*e Mitarbeiter*in Lohn­ein­bussen aufgrund der Kopp­lung an die Einnahmen hinnehmen müssen.

Aber natür­lich kotzt uns dieses Troika-Fitness-Programm trotzdem an, und wir werden es nicht ewig fort­führen. Bis Ende April haben wir uns eine Frist gesetzt; dann werden wir unsere Situa­tion erneut evalu­ieren. Fest­steht: Ein linkes Magazin zu betreiben und darin Miss­stände zu kriti­sieren, dafür aber selber so tief in die Trick­kiste des Neoli­be­ra­lismus greifen zu müssen, ist keine lang­fri­stige Lösung.

Aber immerhin erlaubt sie uns kurz­fri­stig weiter­zu­ma­chen. In der Hoff­nung, nach einer Über­brückungs­zeit unsere Prozess­op­ti­mie­rung wieder rück­gängig machen zu können. Die posi­tiven Reak­tionen auf unsere Artikel machen uns Mut; dass uns schon heute so viele Leser*innen finan­ziell unter­stützen, gibt uns Hoff­nung. Wir wollen nicht aufgeben, weil es dank ihnen heute wahr­schein­li­cher denn je ist, dass das Lamm lang­fri­stig über­leben wird.

Vor allem aber wollen wir nicht aufgeben, weil es noch viele Geschichten zu erzählen gibt, die ohne uns niemand erzählen würde. Weil es noch viele Analysen zu schreiben gibt, die den Status Quo nicht affir­mieren, sondern ihn hinter­fragen. Weil wir wütend sind – und das Bedürfnis haben, diese Wut zu arti­ku­lieren. Und weil wir an die Möglich­keit eines jour­na­li­sti­schen Mediums glauben, das sich weder auf grosse Geld­geber noch auf eine Paywall stützt, sondern allein auf Leser*innen, die je nach Budget und Inter­esse einen in ihren Augen ange­mes­senen Beitrag leisten – an ein soli­da­ri­sches, schlecht gelauntes Magazin.