Wieso wir keine Klima­ver­bote wollen

Sie geben immer wieder zu reden: Klima­ver­bote. Die einen sind dagegen, die anderen glauben, es geht nicht ohne. Doch um wirk­lich über Sinn und Unsinn von SUV-Verbot und Co. urteilen zu können, muss erstmal die Alter­na­tive genauer ange­schaut werden: die Eigenverantwortung. 
Illustration: Oger / ogercartoons.com

In Deutsch­land laufen gerade Koali­ti­ons­ver­hand­lungen zwischen den Grünen, der FDP und der SPD. Ein Thema, über das die drei Parteien sicher­lich noch einige Stunden streiten werden, sind Verbote: Soll man benzin­fres­sende SUVs verbieten? Sollte es eine Dead­line für den Verkauf von erdöl­be­trie­benen Autos geben? Braucht es ein Verbot für Inland­flüge oder ein Tempo­limit auf der Autobahn?

Doch nicht nur der FDP stellen sich bei solchen Forde­rungen die Nacken­haare auf. Klima­ver­bote kommen bei vielen Leuten nicht gut an. Auch in der Schweiz schwebt Simo­netta Somma­ruga nach dem „Nein” zum CO2-Gesetz eine neue Vorlage vor, die ohne Verbote und Abgaben auskommt: „Die Bevöl­ke­rung möchte den Klima­schutz. Sie darf aber nicht das Gefühl haben, dass sie bestraft wird oder dass ihr alles verboten wird”, sagt die SP-Bundes­rätin an der Press­kon­fe­renz zu den Eckwerten des neuen CO2-Gesetzes.

Verbote stossen allge­mein auf wenig Sympa­thien. Viel netter findet man hingegen die Eigen­ver­ant­wor­tung. Es ist deshalb wenig verwun­der­lich, dass sich diese im Klima­schutz durch­ge­setzt hat. Die Entschei­dungen, mit dem Nachtzug anstatt mit dem Billig­flieger nach Berlin zu reisen, auf Ökostrom umzu­stellen oder im Winter auf impor­tierte Tomaten zu verzichten und statt­dessen den regio­nalen Rosen­kohl zu essen, werden so zu indi­vi­du­ellen und frei­wil­ligen Ange­le­gen­heiten. Man kann es tun oder eben auch nicht.

Auch für Firmen und Konzerne bleibt Klima­schutz weit­ge­hend frei­willig. Sie dürfen für die Produk­tion von Fleisch, Keksen oder Scho­ko­lade weiterhin Soja­bohnen, Palmöl und Kakao beziehen, für deren Anbau Regen­wald gerodet wird. Dabei bräuchten wir diese Wälder drin­gend für die Neutra­li­sa­tion unserer Klima­gase. Obwohl es der Gesell­schaft eindeutig schadet, wird der Entscheid, es trotzdem zu tun weit­ge­hend geduldet.

Ein anderes Beispiel dafür sind Fast-Food-Ketten: Es wäre ange­sichts der Klima­krise natür­lich hilf­reich, wenn diese den Verschleiss von Plastik­ge­schirr redu­zieren würden. Denn durch deren Verbren­nung landet der darin gespei­cherte Kohlen­stoff in Form von CO2 direkt in der Atmo­sphäre. Es zu tun oder eben nicht zu tun, liegt letzt­lich aber allein bei McDo­nalds und Co. Denn nicht nur klima­freund­lich zu konsu­mieren, sondern auch klima­freund­lich zu produ­zieren, ist freiwillig.

Sogar der inter­na­tio­nale Rahmen des Klima­schutzes, das Pariser Klima­ab­kommen, basiert auf frei­wil­liger Selbst­ver­pflich­tung der Länder. Momentan befinden sich also Menschen, genauso wie Firmen und Staaten, in einer para­doxen Situa­tion: Alle wissen, welches Verhalten einen posi­tiven Einfluss auf die prekäre Situa­tion dieser Welt hätte. Aber gleich­zeitig steht es allen frei, sich klima­schäd­li­cher zu verhalten.

Keine Verbote heisst Eigenverantwortung

Wer wie die FDP in Deutsch­land oder Umwelt­mi­ni­sterin Somma­ruga keine Klima­ver­bote will, kommt nicht darum herum, sich genauer mit der Dynamik dieser Eigen­ver­ant­wor­tung zu beschäf­tigen. Denn wenn wir Bezin­autos, Kurz­strecken­flüge oder SUVs nicht verbieten wollen, bleibt uns nicht viel anderes übrig, als die Menschen aufzu­for­dern ihr Verhalten von sich aus anzu­passen. Doch was aussieht wie Frei­heit und Souve­rä­nität, hat auch eine düstere Seite – dazu später mehr.

Zuerst aber eine einfache Erkenntnis: Nicht alle haben dieselben Möglich­keiten, wenn es darum geht, die Welt vor dem Klima­kol­laps zu bewahren. In minde­stens drei Punkten unter­scheiden wir uns wesent­lich vonein­ander. Erstens: Würden die CEOs der Schweizer Gross­banken Credit Suisse und UBS beschliessen, auf Inve­sti­tionen in die Förde­rung fossiler Ener­gie­träger zu verzichten, fiele diese Entschei­dung um ein Viel­fa­ches stärker ins Gewicht als mein indi­vi­du­eller Entscheid, auf ein Ökostrom-Abo zu wech­seln. Je grösser die Wirkung, die ein einzelner Mensch herbei­führen kann, desto grösser ist die Verant­wor­tung dieser Person.

Zwei­tens haben nicht alle dieselben Möglich­keiten, zum Klima­schutz beizu­tragen. Wer sich bereits um drei Kinder und eine kranke Mutter kümmern muss, kann nicht auch noch jede Woche auf den Markt gehen, um das frische Bioge­müse vom Bauernhof in der Region zu kaufen. Und drit­tens verlangt dasselbe Klima­en­ga­ge­ment den Betrof­fenen je nach Lebens­rea­lität mehr oder weniger ab.

Die Eigen­ver­ant­wor­tung ist flexibel

An diesem dritten Punkt zeigt sich, dass das Konzept der Eigen­ver­ant­wor­tung auch gute Seiten hat. Richtig umge­setzt, ist die Eigen­ver­ant­wor­tung gar sozialer als Verbote und Regeln. Wieso? Die Eigen­ver­ant­wor­tung erlaubt es einem, selbst zu entscheiden, was drin liegt und was nicht.

Einem Menschen mit chro­ni­schen Rücken­schmerzen wird mehr abver­langt, wenn er auf ein klima­schäd­li­ches Auto verzichten soll als einem jungen und sport­li­chen Menschen. Reiche Leute können sich locker Bio-Demeter-Fair­trade Essen leisten, während dies bei Gering­ver­die­nenden viel schneller aufs Budget schlägt. Wer die ganze Familie auf einem anderen Konti­nent hat, kann schwerer auf Flug­reisen verzichten. Beim Konzept Eigen­ver­ant­wor­tung können wir die Einschrän­kungen an die eigenen, indi­vi­du­ellen Lebens­um­stände anpassen. Sie lässt den Menschen einen gewissen Spielraum.

Den Klima­kol­laps müssen wir trotzdem verhindern

Aber Achtung: Eigen­ver­ant­wor­tung heisst nicht, dass einfach alle so viel oder so wenig Klima­schutz betreiben können, wie sie gerade möchten. Denn auch wenn es keine Verbote gibt: Das Problem, die Klima­ka­ta­strophe, muss ja trotzdem gelöst werden. Etwas „machen” müssen wir trotzdem alle – auch ohne Verbote. Der einzige Unter­schied: In der Eigen­ver­ant­wor­tung müssen sich alle selbst über­legen, wie viel man zur Lösung des Problems beitragen soll, kann oder muss.

Und genau das ist gefähr­lich. So besteht nämlich auch die Gefahr, dass alle zusam­men­ge­zählt über die Stränge schlagen. Denn bei der Klima­rech­nung gibt es nicht nur den eigenen Beitrag und den Beitrag der anderen, sondern es gibt auch noch die Erde, die der gesamten Mensch­heit eine klare Ober­grenze setzt: das plane­ta­ri­sche Kompensationspotential.

Die Erde kann der Atmo­sphäre pro Jahr nämlich eine gewisse Menge an Klima­gasen wieder entziehen. Damit die Mensch­heit die Erdat­mo­sphäre lang­fri­stig nicht aus dem Gleich­ge­wicht bringt, dürfen die Klima­gas­emis­sionen von allen zusammen nicht höher sein als dieses Kompen­sa­ti­ons­po­ten­tial. Und das liegt bei 0.6 Tonnen CO2 pro Person und Jahr. So viel haut man bereits mit einem Flug von Zürich nach Istanbul und zurück raus.

Grund­sätz­lich liegen diese 0.6 Tonnen für jede:n drin, ohne dass es zum Kollaps kommt. Alle, die der Meinung sind, dass sie mehr brau­chen, müssten theo­re­tisch einen anderen Menschen finden, der so nett ist und sagt: „Ok, weil Klima­schutz für mich weniger anstren­gend ist, kannst du einen Teil meiner Klima­gase haben.” Passiert das nicht, wird es für uns alle schäd­lich. Denn dann lassen wir alle zusammen mehr Klima­gase raus, als neutra­li­siert werden können. Und das führt zu Über­schwem­mungen, Tornados und Dürren.

Damit die Flexi­bi­lität der Eigen­ver­ant­wor­tung nicht in gefähr­li­chen Egotrips und damit in der gemein­schaft­li­chen Spren­gung der plane­ta­ri­schen Grenzen endet, müssen sich also dauernd alle hinter­fragen, ob sie bereits genug beisteuern oder ob es noch mehr braucht. Wobei Schweizer:innen wohl alle noch drauf­legen müssen bei ihrem Einsatz. Denn der hiesige Durch­schnitt liegt momentan bei 14 Tonnen pro Person und Jahr. Also dem 24-fachen vom dem, was drin liegen würde. Und das muss natür­lich runter.

Ange­sichts dieser Zahlen ist eigent­lich klar, dass die Menschen, die keine Familie in Austra­lien haben, sicher nicht für einen Tauch­trip nach Melbourne fliegen. Es ist auch klar, dass Besser­ver­die­nende sich nichts anderes mehr in den Einkaufs­korb legen sollten als Bio, Demeter und Fair­trade. Und es sollte eigent­lich auch allen einleuchten, dass man auf ein Auto verzichtet, wenn es die Möglich­keit gibt, das Fahrrad zu nehmen.

Wieso?

Nur so bleibt genug übrig, für dieje­nigen, die das Klima­po­ten­tial drin­gender brau­chen. Nicht nur hier in der Schweiz oder in Deutsch­land, sondern vor allem auch in Ländern, die sich noch nicht so viel Wohl­stand und Stabi­lität aufbauen konnten, wie wir Mitteleuropäer:innen.

In der Eigen­ver­ant­wor­tung müssen also alle nicht nur perma­nent abschätzen, was insge­samt drin liegt, sondern auch ob das, was sie sich selber raus­nehmen wollen tatsäch­lich ange­bracht ist. Theo­re­tisch in Absprache mit allen anderen auf diesem Planeten. Das ist nicht nur anstren­gend, sondern natür­lich auch die totale Über­for­de­rung. Und das ist noch nicht einmal das grösste Problem.

Eigen­ver­ant­wor­tung bestraft die Falschen

Denn eine andere Fehl­funk­tion der Eigen­ver­ant­wor­tung ist so offen­sicht­lich, dass man sie glatt über­sehen könnte: Die Eigen­ver­ant­wor­tung belohnt dieje­nigen, die das Falsche machen. Wer mit EasyJet nach Berlin düst, hat mehr Zeit für Sight­seeing in der Haupt­stadt. Wer den Haus­halt oder die Firma nicht mit teurem Ökostrom füttert, hat mehr Geld. Unter­nehmen, die in den klima­zer­stö­renden Kohle­abbau inve­stierten, erzielen hohe Gewinne. Alles ganz normale Klima­sünden, die täglich begangen werden. Und dies, obwohl die Warnungen vor der Klima­ka­ta­strophe schon seit Jahr­zehnten unüber­hörbar sind. Aber eben: Etwas dagegen zu tun, ist freiwillig.

Und wer es nicht tut, hat mehr Geld, mehr Zeit und weniger Stress. Wieso soll man es dann machen? Es ist offen­sicht­lich: Eigen­ver­ant­wor­tung hat das Poten­tial, dieje­nigen zu bestrafen, die das Rich­tige tun.

Das ist nicht nur unfair, sondern führt auch dazu, dass wir in Sachen Klima den Karren gerade ziem­lich an die Wand fahren. Denn unter den momen­tanen Spiel­re­geln profi­tieren dieje­nigen am meisten, die bis zu einem Verbot der Kurz­strecken­flieger nicht auf den Zug umsteigen. Sie sparen am läng­sten und dementspre­chend am meisten. Im aktu­ellen System profi­tieren die Firmen, die weiterhin Soja, Kaffee und Kakao verar­beiten, für deren Herstel­lung Regen­wald gerodet wurde. Und so lange es frei­willig ist, ein Ökostrom-Abo zu machen, werden natür­lich dieje­nigen am meisten sparen, die es nicht abschliessen.

Ein System, in dem man am meisten gewinnt, wenn man am läng­sten das Falsche macht, zemen­tiert logi­scher­weise das falsche Verhalten. Klare und verbind­liche Vorgaben wären deshalb nicht nur fairer, sondern auch ziel­füh­render. Denn wer wählt schon frei­willig die für ihn schlech­tere Variante?

Wer mitmacht, ist für verbind­liche Regeln

Klima­freund­li­ches Leben und Wirt­schaften ist zumin­dest in der momen­tanen Über­gangs­zeit zwischen dem fossilen und dem post­fos­silen Zeit­alter anstren­gend und teuer. Wäre dem nicht so, hätten schon lange alle umge­stellt. Gerade deshalb ist es aber wichtig, dass wir uns gegen­seitig darauf verlassen können, dass alle mitma­chen und alle ihren Teil der Last tragen. Und dass der indi­vi­du­elle Beitrag nicht umsonst gewesen sein wird, weil der Egoismus der anderen das plane­ta­ri­sche Poten­tial trotzdem gesprengt hat.

Ein guter Freund, der nach wie vor nicht auf Flug­reisen verzichtet, hat mir kürz­lich folgendes gesagt: „Weisst du, wenn wir darüber abstimmen würden, ob wir Fliegen verbieten sollen, würde ich ‚Ja’ stimmen. Aber solange es alle anderen machen, habe ich keine Lust alleine einzustecken.”

Genau deshalb wären klare Regeln und Verbote eigent­lich für alle besser als die Eigen­ver­ant­wor­tung. Zumin­dest für alle, die ihren Teil leisten wollen. Für die anderen sind sie natür­lich einschrän­kend. Und das ist wohl auch der Grund, weshalb Klima­ver­bote sowohl in der Schweiz, wie auch in Deutsch­land einen schlechten Stand haben: Wenn alle nach wie vor das tun, was eigent­lich verboten werden müsste, ist es logisch, dass Verbote nicht sonder­lich gut ankommen.


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