Das Lamm: Am 8. Juni 2020 lehnte der Ständerat die Kriegsgeschäfte-Initiative (KGI) wie bereits Bundes- und Nationalrat vor ihm ohne Gegenvorschlag ab. Aber setzen wir früher an. Nadia Kuhn, wie ist die Initiative entstanden?
Nadia Kuhn: Ausgehend von der GSoA sind verschiedene Initiativen entstanden, die immer wieder probiert haben, die Schweizer Rüstungsindustrie einzuschränken. In diesem Kontext kam auch die Frage auf: Wie wird die Kriegswirtschaft eigentlich finanziert? Hier ist die Schweiz ein zentraler Player. Denn Waffenproduktion und Waffenentwicklung müssen finanziert werden und ein Viertel der weltweiten Vermögen werden in der Schweiz gelagert. Ein Viertel! Das ist crazy viel Geld. Dementsprechend hat die Schweiz auch eine grosse Verantwortung, wenn von hier aus Geld in diesen Bereich investiert wird.
So ist zusammen mit den Jungen Grünen die Idee dieser Initiative entstanden. Wir wollen gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, die internationale Waffenproduktion finanziell auszutrocknen. Für die Initiative werden wir von einem breiten Bündnis aus Friedensorganisationen, linken Parteien und sozialen Verbänden unterstützt. So ist etwa auch die VPOD oder die Kirchgemeinde Bern Teil der Initiative.
Die Initiative wurde von allen Instanzen des Bundes ohne Gegenvorschlag abgelehnt. Was bedeutet das für die Zukunft der KGI?
Für die Initiative heisst das nicht besonders viel. Wir haben immer noch den Abstimmungskampf. Vielmehr zeigt dies, dass es die Mehrheit der National- und Ständeräte völlig in Ordnung findet, weiterhin die Finanzierung von Atomwaffen- und Streumunitionsherstellern zu erlauben. Es wurden in beiden Kammern Gegenvorschläge von der SP präsentiert, die genau diese besonders schwerwiegenden Investitionen direkt verboten hätten. Dass nicht einmal dieses Verbot durchkam, ist ziemlich bezeichnend für die Schweizer Politik.
Zur Erinnerung: Beide Räte haben dem Bundesrat 2018 empfohlen, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, welcher die Produktion, Lagerung und Verbreitung von Atomwaffen verbietet. Nun konnten sich dieselben Räte nicht dazu durchringen, die Finanzierung dieser Produktion zu unterbinden. Das ist ein Widerspruch und beschämend für die Schweiz!
Die GSoA schreibt in einem Statement zur Kriegsmaterialfinanzierung, dass alle grossen Banken, die Schweizerische Nationalbank mit eingeschlossen, in Waffenproduzenten investieren. In Zürich wird der Kunsthausanbau eröffnet, gefüllt mit Kunstwerken, die hauptsächlich mit Waffenexporten finanziert worden sind. Sind es die wirtschaftlichen Interessen die hier dominieren oder handelt es sich sogar um eine Schweizer Tradition?
Natürlich, es gibt hierzulande gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen an der Kriegswirtschaft. Doch das eigentlich Interessante ist, dass Investitionen in Kriegstechnik eher kleine Renditen abwerfen. Innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren sind sogenannte sozialethische Investitionen deutlich profitabler. Das heisst: Nicht einmal das Wirtschaftsargument kann überzeugen.
Und zur Tradition: In der Schweiz haben wir zwei sich widersprechende Traditionen. Einerseits beruft man sich ständig auf die humanitäre Schweiz, vermittelt zwischen Konfliktparteien, und dann investiert man andererseits Millionen in Wirtschaftskonzerne, die Gewinn aus Kriegen ziehen.
Zum Beispiel die bereits angesprochenen Atomwaffen: Man setzt sich für eine atomwaffenfreie Welt ein und arbeitet finanziell gleichzeitig dagegen an.
Im Initiativtext heisst es, die Initiative wäre ein Schritt in Richtung der Bekämpfung von Kriegs- und Fluchtursachen. Der Bund bestreitet diese Argumentation und sagt, dass das Verbot der Finanzierung von Waffen weder Kriegs- noch Fluchtursachen bekämpfe. Wie ist das möglich?
Kriege sind komplex. Es geht immer um eine grosse Anzahl verschiedenster Interessen. Uns allen ist bewusst, dass nach Annahme der Initiative Kriege nicht einfach so verschwinden werden und der Weltfrieden etabliert ist. Aber wir müssen ganz klar erkennen, dass die Initiative ein Schritt in die richtige Richtung ist. Waffen werden hergestellt, um Menschen zu töten, das ist ganz banal.
Und wie gesagt, die Schweiz ist ein wichtiger Finanzplatz. Wenn sie jetzt entscheiden würde: Wir investieren nicht mehr in Rüstungsgeschäfte, dann hätte das nicht nur eine Signalwirkung, sondern auch effektive Auswirkungen.
Bei so einer Forderung kommt gerne das Argument auf, dass dadurch der Finanzplatz Schweiz gefährdet würde.
Wie gesagt gibt es zahlreiche nachhaltige Finanzinstrumente, die derzeit sowieso im Vormarsch sind. Die Pensionskassen der Stadt Zürich und Luzern investieren nicht mehr in Unternehmen, die Atomwaffen herstellen. Andere, wie etwa die Alternative Bank Schweiz und die Pensionskasse der Stadt Biel, finanzieren überhaupt keine Produktion von Rüstungsgütern mehr. Ein Verbot der Finanzierung der Kriegswirtschaft bedeutet nicht, dass generell nicht mehr investiert werden kann. Es würde jedoch bedeuten, dass gewisse Unternehmen, deren Produkte für das Leid vieler Menschen verantwortlich sind, von der Finanzierung ausgeschlossen wären.
Was du erwähnst, ist ein allgemeiner Trend verschiedener Banken und Fonds, die sich dazu entscheiden, nicht mehr in Waffen zu investieren. Etwas Ähnliches beobachten wir ja auch beim Thema Umwelt und klimaschädlichen Investitionen. Was hältst du von dieser freiwilligen Form des Wirtschaftens?
Es ist schön zu sehen, dass auch hier in der Schweiz immer mehr Pensionskassen aus der Finanzierung von Atomwaffen aussteigen. Ich glaube, das ist ein wichtiges Zeichen. Der Nachgeschmack dabei ist, dass diese Bemühungen nicht ausreichen. Dasselbe gilt für die Klimadiskussion: Wir müssen politisch verbindliche Leitplanken setzen. Es reicht nicht, alles der Eigenverantwortung und Freiwilligkeit zu überlassen. Als Gesellschaft müssen wir darüber entscheiden können, was für einen Finanzplatz wir haben wollen.
Ihr fordert auch, der Bundesrat solle sich für internationale Regulierungen und Verbote der Kriegsmittelfinanzierung einsetzen. Doch mit Exponenten wie Trump und Putin an der Macht sieht das internationale Klima nicht besonders rosig aus, solche Verbote international durchzusetzen.
Ich beobachte die internationale Lage mit Sorge. Verschiedene Regierungen lassen bestehende Verträge auslaufen. Zuletzt kündigte etwa Trump an, wieder Antipersonenminen einzusetzen. Diese Minen töten vor allem Zivilist*innen und verwandeln ganze Landstriche in eine tödliche Falle. Deswegen braucht es gerade jetzt eine pazifistische Kraft, die für eine Welt ohne Waffen und Krieg einsteht. Unsere Initiative bietet einen guten Ausgangspunkt für diese Diskussion.
Die GSoA hat eine lange Liste abgelehnter Initiativen vorzuweisen. Ihr müsst damit rechnen, dass auch die KGI von der stimmberechtigten Bevölkerung abgelehnt wird. Welche gesellschaftlichen Veränderungen erhoffst du dir dennoch von einer Debatte über die KGI?
Wir konnten bereits beobachten, dass viele Personen und Unternehmen dank der Initiative auf das Thema aufmerksam geworden sind. Viele der vorher genannten Pensionskassen haben erst nach der Lancierung unserer Initiative verkündet, gewisse Rüstungsunternehmen aus ihrem Portfolio auszuschliessen. Diese Diskussion sollte fortgesetzt und vertieft werden. Das Thema ist mittlerweile so weit ins Bewusstsein breiter Teile der Öffentlichkeit vorgedrungen, dass es auch nicht mit einer verlorenen Abstimmung enden wird.
Zuallerletzt möchte ich gerne noch auf die Konzernverantwortungsinitiative eingehen. Welche Parallelen siehst du zwischen den beiden Initiativen?
Bei beiden Initiativen geht es um die Frage, was im Schweizer Finanz- und Wirtschaftsplatz vertretbar ist und was nicht. Darf die Wirtschaft weitermachen wie bisher oder wollen wir ihr als Gesellschaft Grenzen setzen?
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