World Food Programme: Die Hälfte der Essens­ra­tionen muss reichen

In Uganda kürzte die UN über die letzten Jahre die Nahrungs­mit­tel­hilfe für Geflüch­tete. Insbe­son­dere Menschen mit Behin­de­rungen leiden darunter. Schuld sind auch Länder wie die Schweiz, die das Welt­ernäh­rungs­pro­gramm zu wenig unterstützen. 
Das World Food Programme verteilte im Jahr 2015 Säcke mit Mais im Kyangwali Refugee Camp, Uganda. (Foto: Maria-Theres Schuler)

Chri­stine Furaha humpelt zu der kleinen Holz­bank in ihrer Hütte. Mit der linken Hand stützt sie sich auf einen farbig geblümten Besen­stiel, ihr rechter Arm fehlt. Als sie sich hinsetzt, zeigt sich unter ihrem Hüfttuch eine Wunde, die sich über die rechte Wade zieht. Sie ist mit einer braun-weissen Paste bedeckt. “Als ich das siedende Wasser vom Feuer nehmen wollte, ist mir der Topf entglitten”, sagt Furaha. Sie hatte kein Geld, um zu einem Gesund­heits­zen­trum zu gelangen und besorgte sich statt­dessen eine Heil­kräu­ter­salbe. “Das Leben ist hart geworden”, sagt sie. “Ich will nur zurück in den Kongo.”

Furaha lebt in Kyang­wali, einem Lager für Geflüch­tete im Westen Ugandas. Wie die meisten Menschen hier ist sie aus der benach­barten Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo geflohen, weil sie sich in Uganda ein besseres Leben erhoffte. Aber ihr Leben hier ist entbeh­rungs­reich. Vor allem, seit sie monat­lich nur noch fünf anstatt elf Dollar als Nahrungs­mit­tel­hilfe bekommt. “Das ist nicht genug für einen Monat”, sagt sie.

Dabei wird Furaha wegen ihrem fehlenden Arm von den huma­ni­tären Orga­ni­sa­tionen im Lager stärker unter­stützt als andere Geflüch­tete und bekommt etwa mehr Lebens­mit­tel­hilfe. Doch die Essens­ra­tionen werden für alle immer weniger, auch für Furaha. Seit einiger Zeit verteilt das Welt­ernäh­rungs­pro­gramm, kurz WFP, klei­nere Rationen. Denn für mehr fehlt das Geld.

Als welt­weit grösste huma­ni­täre Orga­ni­sa­tion leistet das WFP im Auftrag der United Nations (UN) überall dort Nahrungs­mit­tel­hilfe, wo Hunger und Mangel­er­näh­rung herr­schen; entweder in Form von Lebens­mit­teln oder Bargeld. Wegen noch nie da gewe­sener Finan­zie­rungs­de­fi­ziten hat das WFP aber in bereits 38 der 86 Länder, in denen es aktiv ist, die monat­liche Nahrungs­mit­tel­hilfe gekürzt – etwa in Syrien, Bangla­desch und Tschad. Oder eben in Uganda.

Die Entschei­dungen, die im WFP-Haupt­quar­tier in Rom, aber­tau­sende von Kilo­me­tern nörd­lich von Kyang­wali, sowie in der ugan­di­schen Haupt­stadt Kampala getroffen wurden, haben gravie­rende Folgen. Vor allem für Menschen wie Furaha.

Nur noch zwei Mahl­zeiten am Tag

Das Lager, in dem Chri­stine Furaha lebt, unter­scheidet sich kaum von der Gegend rund­herum. Hütten aus Lehm und Ästen stehen inmitten von Acker­land, manche deckt eine weisse Plane mit dem blauen Logo der UN-Agentur für Geflüch­tete, UNHCR. Lehm­strassen verbinden die Dutzenden von Dörfern im Camp, die Leute sind zu Fuss oder mit Motor- und Fahr­rä­dern unterwegs.

Furaha lebt bereits seit 15 Jahren in Kyang­wali. Als sich im Jahr 2008 die kongo­le­si­sche Armee und die bewaff­nete Gruppe Congrès national pour la défense du peuple (CNDP) im Osten des Landes bekämpften, über­querte sie mit ihrem Mann und Sohn die Grenze nach Uganda. Ihren rechten Arm verlor sie bereits zehn Jahre zuvor, als sie mit einer Gruppe Händler*innen von bewaff­neten Männern über­fallen und in ein Haus gesteckt wurde, das die Männer in Brand setzen. Ihr Arm wurde in einem Kran­ken­haus ampu­tiert, nachdem sie aus der Hütte gerettet wurde. Die Brand­narben im Gesicht und am linken Arm sind heute noch sichtbar.

Uganda nimmt mehr Geflüch­tete auf als jedes andere afri­ka­ni­sche Land und ist mit über 1.5 Millionen Geflüch­teten gar eines der wich­tig­sten Aufnah­me­länder der Welt – nach der Türkei, Iran, Deutsch­land und Paki­stan. Geflüch­tete geniessen in Uganda nicht nur das Recht auf Arbeit, Bewe­gungs­frei­heit oder Bildung, sondern erhalten – schon seit der Unab­hän­gig­keit de Landes in den 60er Jahren – auch ein Stück Land in einem Sied­lungs­ge­biet. Darauf sollen sie Getreide, Mais oder Bohnen anbauen, um möglichst unab­hängig von Hilfs­gü­tern zu leben. Diese Politik Ugandas gilt im inter­na­tio­nalen Vergleich als beson­ders fortschrittlich.

Da die Geflüch­teten Land zum Bebauen erhalten, redu­zierte das WFP seine Essens­ra­tionen schritt­weise über die Jahre hinweg. Aber Menschen, die wie Chri­stine Furaha als beson­ders verletz­lich gelten, weil sie ihre Felder nicht bewirt­schaften können, bekamen auch nach etli­chen Jahren im Camp 100 Prozent der Essensrationen.

Bis im April 2020: Das WFP Uganda kürzte die Essens­ra­tionen um rund einen Drittel, weil das Landes­budget nicht einmal zur Hälfte finan­ziert war. Trotz Aufrufen an die inter­na­tio­nale Gemein­schaft erhielt das WFP Uganda nicht genü­gend Spenden und kürzte die Rationen im folgenden Jahr zunächst auf 60 Prozent der Stan­dard­ra­tion, dann in einigen ugan­di­schen Lagern sogar auf 40 Prozent – so auch in Kyangwali. 

Für Furaha heisst das: Sie bekommt heute nur noch fünf anstatt elf Dollar Lebens­mit­tel­hilfe pro Monat. “Damit kaufe ich mir erst Mani­ok­mehl und Holz­kohle, damit ich über­haupt kochen kann”, sagt sie, während ihr drei­jäh­riger Enkel auf ihrem gesunden Bein herum­klet­tert. “Wenn dann noch etwas übrig­bleibt, kaufe ich mir Mani­ok­blätter, um eine Sauce daraus zu machen.”

Auch Pierre Kare­mera bekommt die Kürzungen der Lebens­mit­tel­hilfe zu spüren. Er parkiert sein Tricycle, ein drei­räd­riges Gefährt mit einer Hand­kurbel, so vor seiner Hütte, dass er auf das kleine Holz­bänk­lein davor gelangt. Mit der Kraft seines Ober­kör­pers hievt er sich auf die Bank und zieht seine Beine hinterher. Sein Gesicht ist einge­fallen, die Augen milchig. Der über 80 Jahre alte Mann aus Burundi sagt: “Als wir die normale Ration erhielten, assen wir noch drei Mal am Tag. Aber seit sie die Rationen gekürzt haben, gibt es nur noch zwei Mahl­zeiten am Tag.”

Kürzungen während Covid

Die ersten Kürzungen im April 2020 trafen die Geflüch­teten zum denkbar schlimm­sten Zeit­punkt. Denn im selben Monat verhängte der ugan­di­sche Präsi­dent Yoweri Muse­veni einen landes­weiten Lock­down: Alle Geschäfte mussten schliessen, das Reisen in öffent­li­chen und privaten Verkehrs­mit­teln wurde verboten. Das bedeu­tete, dass die Geflüch­teten die Essens­ra­tionen eigent­lich noch drin­gender benö­tigten, um ihr Über­leben zu sichern. 

Während der Covid-Pandemie hat das WFP in Kyang­wali fast komplett auf Bargeld­hilfe umge­stellt, um die Zahl der Menschen­an­samm­lungen zu redu­zieren. Bis dahin konnten die Geflüch­teten wählen, ob sie die Hilfe in Form von Bargeld oder als Ration aus Mais­kör­nern, Bohnen, einer Mais-Soja-Mischung für Brei, sowie Öl und Salz beziehen wollen. Heute erhalten sie das Geld einmal im Monat aus einem Bankbus, der durch das Camp fährt, oder direkt auf ein Konto bei einer anderen ugan­di­schen Bank, von der es inzwi­schen in jedem Dorf in minde­stens einem der kleinen Läden ein mobiles ATM-Gerät gibt.

Im Gegen­satz zu den Camps in Nord­uganda hat Kyang­wali frucht­bares Land und gut funk­tio­nie­rende Märkte, die es den Empfänger*innen von Bargeld­hilfe ermög­li­chen, die Lebens­mittel ihrer Wahl zu kaufen. Gleich­zeitig kann das WFP sparen, da die Kosten für Trans­port und Logi­stik bei der Vertei­lung der Lebens­mittel entfallen.

Nachdem ihr Arm ampu­tiert wurde, lernte Chri­stine Furaha mit der linken Hand zu schreiben. (Foto: Maria-Theres Schuler)

“Ich finde Geld besser”, sagt auch Chri­stine Furaha. Als sie vor Jahren noch kein Geld beziehen konnte, bat sie jeweils die Kinder einer Freundin, ihr am Tag der Vertei­lung zu helfen, die Säcke und Schüs­seln mit den Lebens­mit­tel­ra­tion nach Hause zu tragen. Ihr Mann arbei­tete und lebte damals als Fuss­ball­trainer in einer Stadt ausser­halb des Camps, ihr Sohn wohnte an einem nahe gele­genen See, wo er als Fischer etwas Geld verdiente.

“Mit dieser Behin­de­rung hat sich vieles geän­dert”, sagte Furaha bei einem früheren Gespräch, als es in Kyang­wali noch kein Bargeld gab. “Früher habe ich alles selbst gemacht, aber jetzt muss ich andere anflehen, mir zu helfen.” Wenn sie keine Hilfe für den Trans­port bekam, verkaufte sie ihre Lebens­mit­tel­ra­tion direkt vor Ort, um an einem anderen Tag mit dem Geld Lebens­mittel zu kaufen.

Beispiel­lose Finanzierungsdefizite

Dass das WFP ihre Nahrungs­mit­tel­hilfe redu­zieren muss, ist in Uganda nichts Neues – zumin­dest vorüber­ge­hend. Das war etwa 2017 der Fall, als fast eine Million Menschen aus dem Südsudan nach Uganda floh und die Spen­den­gelder zu spät eintrafen. Doch die Lücken hielten früher nur wenige Monate an. Dass das WFP die Essens­ra­tionen über Jahre hinweg stetig weiter redu­ziert, kam noch nie vor.

Doch Uganda ist kein Einzel­fall. In Afgha­ni­stan, Somalia, Syrien oder Haiti sehen die Finan­zie­rungs­lücken ähnlich aus. Wie konnte das geschehen?

Erst war da Covid-19, das die bereits bestehenden Krisen verschärfte. Dann kam zwei Jahre später der Ukraine-Krieg, der die Kosten für Nahrungs­mittel wie Weizen und Mais, aber auch für Treib­stoff und Dünge­mittel, noch weiter in die Höhe trieb. Das hat nicht nur den Hunger, sondern auch die Betriebs­ko­sten des WFP erhöht.

Dabei hat das WFP mit insge­samt 14 Milli­arden Dollar noch nie so viel Geld erhalten wie 2022. Das histo­ri­sche Finan­zie­rungs­de­fizit deutet daher darauf hin, dass dieser Betrag nicht mit dem Bedarf mithalten kann. Denn die Zahl der Menschen, die aufgrund von Konflikten, Dürren und wirt­schaft­li­chen Krisen von akutem Hunger betroffen sind, hat drastisch zuge­nommen. In diesem Jahr ist die Zahl zum vierten Mal in Folge gestiegen. Seit 2020 hat sie sich mehr als verdop­pelt: Welt­weit waren 2022 laut dem Global Report on Food Crises 258 Millionen Menschen von akutem Hunger betroffen. 

Das Problem liegt aber woan­ders – denn niemand ist dazu verpflichtet, diese Situa­tion finan­ziell zu bekämpfen.

Noch nie seit dem Zweiten Welt­krieg waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Davon finden 74 Prozent Zufucht in Ländern des Globalen Südens – also in Ländern, die deut­lich weniger Ressourcen haben als etwa die Schweiz. 

Uganda nimmt mit 1.5 Millionen die meisten Geflüch­teten unter afri­ka­ni­schen Ländern auf; welt­weit liegt das Land an fünfter Stelle. Gleich­zeitig haben huma­ni­täre Orga­ni­sa­tionen zu wenig Geld, um Menschen auf der Flucht zu unter­stützen.

Was bedeutet diese Situa­tion für Menschen, die aufgrund einer Poli­o­er­kran­kung im Roll­stuhl sitzen oder die wegen Kriegs­hand­lungen Glied­massen verloren haben?

In einer drei­tei­ligen Serie geht das Lamm der Frage nach, wie Menschen mit körper­li­chen Beein­träch­ti­gungen – beson­ders verletz­liche Personen unter den Geflüch­teten – die aktu­elle Situa­tion im Kyang­wali Refugee Camp* in Uganda erleben, wo die Zahl der Geflüch­teten stetig steigt, während die Hilfs­gelder schwinden.

Die Recherche wurde finan­ziell durch den Medi­en­fonds „real21 — die Welt verstehen“ unter­stützt. Sie fand im Januar 2023 statt, die Autorin bezieht sich aber auch auf die Jahre 2015 und 2016, als sie zu diesem Thema im Kyang­wali Refugee Camp forschte.

* In Uganda wird zwischen Lagern (Camps) und Sied­lungen für Geflüch­tete unter­schieden: Erstere bieten keinen Zugang zu land­wirt­schaft­li­chen Flächen und in der Regel weniger Bewe­gungs­frei­heit. Da aber beide Struk­turen in der Art und Weise, wie sie Menschen orga­ni­sieren und kontrol­lieren, sehr ähnlich sind, verwenden wir in diesen Arti­keln beide Begriffe.

Poli­tisch-mediale Rele­vanz statt Bedarf

Das WFP wird ebenso wie der UNHCR, UNICEF oder die WHO nicht über Pflicht­bei­träge der UN-Mitglieds­länder finan­ziert, wie das bei den UN-Frie­dens­mis­sionen und dem regu­lären Haus­halt der Vereinten Nationen der Fall ist. Die Agentur ist haupt­säch­lich auf frei­wil­lige Beiträge ange­wiesen – in erster Linie von Regie­rungen der Mitgliedsländer.

Die Mitglied­staaten orien­tieren sich dabei oft nicht am Bedarf, sondern an der poli­tisch-medialen Rele­vanz einzelner Krisen. Deshalb betont das WFP immer wieder die Vorteile von flexi­blen Beiträgen. Das sind Beiträge, die nicht an ein bestimmtes Land oder Projekt gekop­pelt sind und die das WFP einsetzen kann, wo und wann der Bedarf am grössten ist. Trotz der grossen Vorteile der flexi­blen Beiträge machten diese im Jahr 2022 nur 9 Prozent der gesamten Spenden des WFP aus. 

Abge­sehen von der Art der Beiträge ist das Problem, dass sie frei­willig sind: Das macht das WFP stark von einzelnen Geber*innenländern und deren natio­nalen Budget­pla­nung abhängig – ob sie etwa sparen oder in ihre Wirt­schaft inve­stieren, und was dann für die huma­ni­täre Hilfe übrig bleibt. 

„Es gibt eigent­lich genü­gend Ideen, diese Finan­zie­rung zu refor­mieren“, sagt Ulrich Post, der mehr als 20 Jahre lang für die Welt­hun­ger­hilfe in Deutsch­land gear­beitet hat. So könnten die frei­wil­ligen Zahlungen durch Pflicht­bei­träge ersetzt werden oder man könnte eine neue globale UN-Steuer für Entwick­lungs­pro­jekte und huma­ni­täre Hilfe einführen. 

Doch Bemü­hungen in diese Rich­tung stossen auf Ableh­nung. “Die Geber*innenländer und die UN haben unter­schied­liche Inter­essen. Manche Regie­rungen wollen auch die Kontrolle darüber behalten, in welche Krisen inve­stiert wird”, sagt Post. “Sie wollen nicht den Spiel­raum verlieren, ihre Mittel entspre­chend aussen­po­li­ti­scher Inter­essen anstatt streng bedarfs­ge­recht einzu­setzen.” Manchmal, so Ulrich Post, haben Geldgeber*innen unter den Staaten schlicht andere Prio­ri­täten als die Staaten, die auf die Gelder ange­wiesen sind – was etwa im Falle Syriens oder Afgha­ni­stans auch nach­voll­ziehbar sei.

Schweizer Profite statt Schweizer Unterstützung

Die Schweizer Direk­tion für Entwick­lung und Zusam­men­ar­beit (DEZA) unter­stützte das WFP in den letzten drei Jahren mit jeweils um die 100 Millionen Franken – rund 80 Prozent davon länder- und projekt­ge­bunden. Das WFP Uganda wurde dabei nicht unterstützt.

“Die Schweiz führt keinen direkten Austausch mit dem WFP in Uganda und wurde nicht über die Finan­zie­rungs­de­fi­zite infor­miert”, sagt die DEZA auf Anfrage von das Lamm. Die Schweiz habe aber direkte Unter­stüt­zung an andere regio­nale Krisen gelei­stet, etwa in Südsudan oder Äthio­pien, und beab­sich­tige, ab 2025 den Anteil der flexi­blen Beiträge ans WFP zu erhöhen. 

Der finan­zi­elle Beitrag der Schweiz reicht nicht aus, findet Jakob Kern, stell­ver­tre­tender Stabs­chef des WFP in Rom. In einem Inter­view mit dem Tages-Anzeiger sagte er Anfang Jahr: “Von einem so reichen Land wie der Schweiz könnte man tatsäch­lich mehr erwarten.” Die Schweiz gebe für Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit nur 0.3 Prozent ihres Brut­to­in­land­pro­dukts aus, während der Mindest­stan­dard in den meisten Ländern 0.5 Prozent ist.

Hinzu kommt: Während die Nahrungs­mit­tel­preise welt­weit massiv anstiegen, machten Schweizer Rohstoff­firmen histo­risch hohe Gewinne. Denn minde­stens die Hälfte des welt­weit gehan­delten Getreides läuft über in der Schweiz ansäs­sige Handelsfirmen.

So etwa über Cargill mit seinem globalen Handels­sitz in Genf: Der welt­grösste Agrar­händler machte 2021 einen Rekord­ge­winn von knapp 6.7 Milli­arden Dollar. Cargill bemüht sich gemäss seinem Jahres­be­richt darum, “das welt­weite Lebens­mit­tel­sy­stem nach­hal­tiger, wider­stands­fä­higer und für alle zugäng­lich zu machen”. Der Konzern spen­dete 2021 mit 10 Millionen Dollar 0.1 Prozent seines Gewinns an das WFP. Gleich­zeitig ist das Vermögen der Grün­der­fa­milie seit 2020 um 20 Millionen Dollar gewachsen – pro Tag.

Nicht nur zum Über­leben wichtig

Während­dessen bekommen Menschen wie Furaha und Kare­mera die Finan­zie­rungs­de­fi­zite des WFP und den Anstieg der Nahrungs­mit­tel­preise gleich doppelt zu spüren: Sie erhalten weniger Hilfe, während die Lebens­mittel teurer werden, die sie sich mit dem erhal­tenen Geld kaufen müssen.

Laut dem WFP müsste die monat­liche Nahrungs­mit­tel­hilfe 2’100 Kilo­ka­lo­rien pro Tag und damit die zum Über­leben nötigen Fette, Proteine und Kohlen­hy­drate liefern – so ist eine 100-prozen­tige Ration berechnet. Bei einer Kürzung komme es gerade für dieje­nigen, die auf keine andere Weise an Essen gelangen können, zu Unter­ernäh­rung und Blut­armut, schreibt Marcus Prior, stell­ver­tre­tender Direktor des WFP Uganda. 

Es ist ein Teufels­kreis: Die Kürzung der Rationen führt unmit­telbar zu einem tieferen Ener­gie­ni­veau, was es den Geflüch­teten erschwert, alltäg­liche Aufgaben zu erle­digen und sich an Akti­vi­täten zu betei­ligen, um sich selbst zu versorgen. Als Reak­tion darauf lassen die Betrof­fenen Mahl­zeiten ausfallen und greifen auf günsti­gere und weniger nahr­hafte Lebens­mittel zurück. “All das verschlech­tert ihre Gesund­heit noch weiter”, sagt Prior. 

Die fünf Dollar, die Geflüch­tete vom WFP erhalten, sind nicht einmal die Hälfte dessen, was das WFP als über­le­bens­wichtig betrachtet. Für viele Menschen mit Behin­de­rungen sind die Essens­ra­tionen zudem nicht nur ein Mittel zum Über­leben, sondern sie haben auch eine wich­tige soziale Bedeutung. 

Etwa für Pierre Kare­mera. Er lebt im Camp mit einer 13-köpfigen Familie aus seinem Heimat­land Burundi zusammen. Da er wegen einer Poli­o­er­kran­kung seit seiner Kind­heit nicht mehr laufen kann, ist er bei Arbeiten wie Kochen oder Waschen auf Unter­stüt­zung ange­wiesen. Bereits vor vier Jahren, als er noch elf Dollar pro Monat als Nahrungs­mit­tel­hilfe erhielt, kümmerte sich eine Familie im Camp um ihn. “Neun Dollar gab ich monat­lich der Familie, die sich um die Lebens­mittel kümmerte und für mich kochte”, sagt Kare­mera. Er trug seinen Teil zum Haus­halt bei. Mit den fünf Dollar Lebens­mit­tel­hilfe, die er heute erhält, geht das nicht mehr. Damit hat sich seine Posi­tion in der neuen Familie stark verän­dert. “Ich trage der Familie, bei der in nun wohne, viel mehr Verant­wor­tung auf, weil ich selbst fast nichts mehr beitrage”, sagt er.

Die Leute in Kyang­wali benö­tigen das Essens­geld immer wieder für andere Sachen als nur für ihre Ernäh­rung – etwa für Medi­ka­mente, wenn sie krank sind, oder um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Die Kürzung der Lebens­mit­tel­ra­tionen hat also vor allem für dieje­nigen gravie­rende Folgen, die wie Kare­mera und Furaha weder über Ernten von ihren Feldern noch über ein anderes Einkommen verfügen.

Prio­ri­sie­rung der Verletz­lich­sten: Tropfen auf den heissen Stein

Im Februar 2023 deckt die Nahrungs­mit­tel­hilfe in Kyang­wali zwischen 26 und 39 Prozent der empfoh­lenen tägli­chen Kalo­rien­zu­fuhr, wie das WFP Uganda auf Anfrage von das Lamm schrift­lich mitteilt. Das WFP hat die am aller­mei­sten gefähr­deten Haus­halte iden­ti­fi­ziert – zu denen auch Kare­mera und Furaha gehören – und gibt ihnen 1.5 Dollar mehr als anderen Personen. 

Auch chro­nisch Kranke, allein­er­zie­hende Mütter oder unbe­glei­tete Minder­jäh­rige können in die Kate­gorie der beson­ders Verletz­li­chen fallen – in Uganda macht diese Kate­gorie 14 Prozent der Geflüch­teten aus. Weil die fünf Dollar für diese Gruppe aber noch immer zu wenig ist, hat das WFP weitere Anpas­sungen gemacht: Seit Juli 2023 erhalten beson­ders Verletz­liche etwas mehr als sechs Dollar, während vier Prozent der Geflüch­teten in Uganda gar keine Nahrungs­mit­tel­hilfe mehr erhalten.

Diese Prio­ri­sie­rung der Verletz­lich­sten kann Menschen wie Kare­mera und Furaha zwar kurz­fri­stig helfen. Aber das Finan­zie­rungs­pro­blem des WFP löst sie nicht.

Denn die Situa­tion in Uganda wird sich nicht so bald ändern. Seit Anfang des Jahres 2023 hat das Land rund 35’000 neue Geflüch­tete aus dem Kongo und dem Südsudan aufge­nommen. Und die Finan­zie­rungs­lage des WFP sieht nach wie vor düster aus: Die Agentur würde dieses Jahr für ihre Hilfe auf der ganzen Welt 23 Milli­arden Dollar benö­tigen. Trotzdem strebt sie nur zwischen 10 und 14 Milli­arden an – denselben Betrag also, den sie in den letzten Jahren erhalten hat. Bisher hat sie davon erst 6 Millarden Dollar bekommen.

Die Recherche wurde finan­ziell durch den Medi­en­fonds „real21 — die Welt verstehen“ unter­stützt. Wir danken!


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