Zurzeit blüht die ganze Nachbarschaft. Trotzdem importiert die Migros Schnittblumen, die mehrere tausend Kilometer entfernt gepflanzt wurden. Per Flugtransport. Einerseits verursachen solche Flüge viel CO2, andererseits ist es für den orangen Riesen wohl kaum einfach sicherzustellen, dass die Menschen, die zu seinen Gunsten weit entfernt Nelken pflücken, genauso gute Arbeitsbedingungen haben wie die Angestellten hierzulande. Trotzdem fliegt die Migros im Juni Spraynelken mit der Herkunftsdeklaration „Afrika“ in die Schweiz. Wir wollen wissen, warum.
Liebe Migros
In Ihrer Filiale am Burgfelderplatz in Basel gab es vor ein paar Tagen Spraynelken aus Afrika zu kaufen (siehe Fotos). Die kamen mit dem Flugzeug zu uns. Darf ich Sie fragen, wieso Sie das machen? Also weshalb Sie Nelken aus Afrika einfliegen lassen, wenn doch momentan überall in der Region die Blumen blühen? Könnte man dann nicht regionale Ware anbieten?
Es wäre super, wenn Sie mir das erklären könnten.
Vielen Dank und liebe Grüsse
Das Lamm
Die Antwort der Pressestelle lässt nicht lange auf sich warten:
Guten Tag
Besten Dank für Ihre Anfrage.
Spraynelken entsprechen einem grossen Kundenbedürfnis, weil sie durch ihre Blütenpracht in der Vase sehr lange blühen. Weil die kenianische Produktion insbesondere in Bezug auf die Nachhaltigkeit sehr fortschrittlich ist – so stammen die Blumen ganzjährig aus Gewächshäusern ohne Heizung – wird diese Blume in Europa nicht mehr kultiviert. Uns ist gegenwärtig keine Produktion bekannt.
Wir überlassen dem Kunden die Wahlfreiheit, indem wir sämtliche Flugtransporte auf dem Produkt kennzeichnen. Zudem werden alle geflogenen Produkte in der Migros durch Projekte in unseren eigenen Wertschöpfungsketten CO2-kompensiert. […]
Im Weiteren bietet die Migros ein umfassendes Blumen-Sortiment aus der Region an, die für eine bessere Kundenorientierung ebenfalls mit dem Label „Aus der Region“ gekennzeichnet werden.
Ich hoffe Ihnen damit weitergeholfen zu haben.
Freundliche Grüsse
Die Migros stellt die Spraynelken aus Kenia also wegen des „Kundenbedürfnisses“ in die Regale. Doch muss man dieses wirklich zu jedem Preis befriedigen? Also auch, wenn es in so etwas Absurdem mündet, wie Nelken in der blütenreichsten Saison der Schweiz aus Kenia einzufliegen? Ein schwerwiegendes Argument, nämlich der Klimawandel, spricht dagegen. Auch wenn uns die Migros das anders verkaufen will.
Nachhaltiger muss noch nicht nachhaltig sein
„Weil die kenianische Produktion insbesondere in Bezug auf die Nachhaltigkeit sehr fortschrittlich ist“, sieht die Migros kein grosses Problem darin, die Spraynelken einfliegen zu lassen. Ist den Ökobeauftragten der Migros entgangen, dass fliegen nicht sehr nachhaltig ist?
Nein. Und die Aussage ist auch nicht ganz falsch. Denn die Produktion von kenianischen Blumen inklusive Flugtransport nach Kloten verursacht je nach Jahreszeit wirklich weniger CO2 als die Zucht in beheizten Gewächshäusern auf hiesigem Boden. Doch erstens würde man im Juni wohl genug Blumen finden, die gut gedeihen, ohne zusätzliche Energie für das Beheizen der Gewächshäuser aufzuwenden. Und zweitens ist nachhaltiger noch nicht nachhaltig. Denn auch wenn ein Flugtransport ein paar Gramm weniger CO2 verursacht als die Aufzucht im beheizten Gewächshaus, verursacht er immer noch richtig viel CO2. Kenianische Nelken sind also nicht nachhaltig, sondern bezüglich ihrer CO2-Bilanz einfach ein bisschen weniger scheisse als Nelken aus beheizten Gewächshäusern in Holland.
Vielleicht würde es besser zu den Nachhaltigkeitszielen der Migros passen, wenn sie auf solch CO2-intensive Produkte im Sortiment verzichten würde. Vor allem, wenn es wie bei den Blumen in der wärmeren Jahreshälfte gute Alternativen gäbe. Denn die immensen Bemühungen gegen den Klimawandel wirken absurd, wenn gleichzeitig mitten im Sommer CO2 auf den Putz gehauen wird für Nelken aus Kenia. Doch Umweltschutz ist bekanntlich nicht alles.
Nicht jeder Arbeitsplatz ist ein guter Arbeitsplatz
Zieht vielleicht ein soziales Argument die Migros-Blumen aus dem Dreck? Kenia hat mit einer Arbeitslosenquote von 40% zu kämpfen. Arbeitsplätze werden dringend benötigt. Sollte man deshalb den Import von kenianischen Nelken gar fördern?
Naja: Nicht jeder Arbeitsplatz ist ein guter Arbeitsplatz. Es stimmt zwar, dass die Blumenfarmen in Kenia Arbeitsstellen schaffen, allerdings sind die Arbeitsbedingungen bei weitem nicht auf allen Farmen rosig. Auf dieser animierten Seite über den Rosenanbau rund um den Naivashasee vom Geographischen Institut der Universität Bonn erfährt man, dass viele BlumenarbeiterInnen ausgebeutet werden. Sie arbeiten sechs Tage die Woche und bringen doch nicht genug Geld zusammen, um das Schulgeld für ihre Kinder zu bezahlen.
Die Nelken im Migros-Regal am Burgfelderplatz stammen laut der Pressesprecherin Alexandra Kunz von einer Farm namens „Exotic“. Wie stellt die Migros sicher, dass die ArbeiterInnen in Kenia genauso gute Arbeitsbedingungen haben wie in der Schweizer Unternehmen? Die Einhaltung von Sozialstandards in der Lieferkette sei eine Basisanforderung, die alle Unternehmen der Migros-Gruppe umsetzten, schreibt uns Kunz. In diesem Zusammenhang hätte die Migros den Amfori BSCI-Verhaltenskodex mitbegründet, der sich seit über 20 Jahren für sozialverträgliche Arbeitsbedingungen in Risikoländern einsetze. Unter anderem erhielten die ArbeiterInnen eine angemessene Vergütung und zumutbare Arbeitszeiten. Die Lieferanten würden von unabhängigen Spezialistinnen und Spezialisten regelmässig überprüft.
Die BSCI (Business Social Compliance Initiative) ist laut Wikipedia eine wirtschaftsgetriebene Plattform zur Verbesserung der sozialen Standards in einer weltweiten Wertschöpfungskette. Doch auf der Website der NGO Public Eye, die sich gegen Ungerechtigkeiten und für die weltweite Achtung der Menschenrechte einsetzt, liest man folgendes: „Der BSCI-Standard beinhaltet keine Verpflichtung zur Bezahlung eines Existenzlohns und auch keine unabhängigen Verifizierungsmassnahmen. Es gibt keine klare Verpflichtung für die Unternehmen, eine Einkaufspolitik zu definieren, die die Zulieferbetriebe dabei unterstützt, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.“
Immerhin schickte die Migros laut eigenen Angaben unabhängige SpezialistInnen vorbei. Auf die Frage jedoch, ob wir den letzten dieser Berichte für die Firma Exotic anschauen könnten, liess uns die Migros abblitzen. Diese Berichte seien vertraulich. Und da uns die Migros auch keine Mail- oder Postadresse von ihrem Lieferanten geben will, könnten wir nicht einmal mit einem Afrikakorrespondenten vor Ort nachprüfen, wie es sich bei der Firma Exotic arbeiten lässt. Zudem ist der Name „Exotic“ dermassen googleunfreundlich, dass einen die Algorithmen der Suchmaschinen im Stich lassen. Dem Lamm sind also die Hände gebunden. Dabei wäre gerade die journalistische Berichterstattung innerhalb eines Systems, das wie der BSCI-Standard auf Freiwilligkeit und nicht auf Gesetzen beruht, wichtig.
Wenn schon bei einem sympathischen und traditionsreichen Detailhändler wie der Migros so viel im Dunkeln bleibt, liegen die InitiantInnen der Konzernverantwortungsinitiative vielleicht gar nicht so daneben, wenn sie global agierende Konzerne an die kürzere Leine nehmen wollen.
Langfristig bringt es nichts, wenn neue Arbeitsplätze auf Kosten des Klimas entstehen
Klar, die kenianische Wirtschaft freut sich über die Nachfrage aus Europa. Das bringt Geld ins Land und schafft Arbeitsplätze. Aber wäre es nicht schlauer, etwas zu exportieren, das immerhin nicht per Flugzeug transportiert werden muss?
Kenia leidet bereits heute unter den Auswirkungen des Klimawandels. Laut einem Bericht von Human Rights Watch droht der Turkana-See im Norden Kenias zu verschwinden. Damit bräche die Lebensgrundlage für die 300’000 BewohnerInnen der Turkana-Region, wo sich auch das vor Kurzem von Bundespräsident Alain Berset besuchte Flüchtlingscamp Kakuma befindet, zusammen. Ein Grund für das Verschwinden des weltweit grössten Wüstensees ist der Klimawandel. Ein anderer die wasserintensive Landwirtschaft im flussaufwärtsliegenden Omo-Tal. Ob dort vielleicht auch unsere Spraynelken wachsen, weiss leider nur die Migros.
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