Mehr bezahlen für das Netflix-Abo?

Am 15. Mai stimmt die Schweizer Stimm­be­völ­ke­rung über das neue Film­ge­setz ab. Das Argu­ment dagegen: Die Abopreise würden steigen. Aber stimmt das wirk­lich? Wir haben bei Netflix, Prime Video und Disney+ nachgefragt. 
2015, 2017, 2019 und zuletzt 2022 hat Netflix die Preise erhöht. (Illustration: Luca Mondgenast)
2015, 2017, 2019 und zuletzt 2022 hat Netflix die Preise erhöht. (Illustration: Luca Mondgenast)

Es war nicht zu über­sehen. Plötz­lich sind auf den Strea­ming­dien­sten Serien aufge­taucht, die nicht so recht zu dem passen wollen, was bis anhin auf Netflix, Prime Video und Disney+ zu finden war: Lupin, eine moderne Gano­ven­ge­schichte aus Frank­reich, Haus des Geldes aus Spanien oder auch die Myste­rie­serie Dark aus Deutsch­land. Euro­päi­sche Serien und Filme scheinen immer mehr einen wich­tigen Platz in dem von US-Block­bu­ster geprägten Unter­hal­tungs­markt einzu­nehmen – und: Sie sind nicht minder erfolgreich.

Mitver­ant­wort­lich dafür, dass Netflix und Co. vermehrt euro­päi­sche Produk­tionen aufschalten, dürften unter anderem Inve­sti­ti­ons­pflichten sein. Denn mehrere euro­päi­sche Länder haben die Strea­ming­dienste in den letzten Jahren dazu verpflichtet, in einhei­mi­sche Film­pro­duk­tionen zu investieren.

Am 15. Mai kommt die Abstim­mung zum soge­nannten Bundes­ge­setz über Film­pro­duk­tion und Film­kultur an die Urne. Kurz wird die Vorlage auch Film­ge­setz oder „Lex Netflix“ genannt. Laut dem neuen Gesetz müssten Strea­ming­dienste wie Netflix, Prime Video und Disney+ neu vier Prozent des Umsatzes, den sie in der Schweiz erwirt­schaften, in das Schweizer Film­schaffen inve­stieren. Dasselbe würde auch für auslän­di­schen Fern­seh­sender gelten, sofern sie gezielt Werbung für das Schweizer Publikum senden und auf dem Schweizer Werbe­markt Geld verdienen. Für private Schweizer Fern­seh­sender gilt diese Inve­sti­ti­ons­pflicht bereits heute.

Laut dem Bund sollen mittels des neuen Film­ge­setzes 18 Millionen Franken mehr in den Schweizer Film fliessen. Wichtig: Bei diesen 18 Millionen handelt es sich nicht um geschenkte Gelder, sondern um Inve­sti­tionen. Laut eigenen Angaben plant Netflix bis 2023 so oder so 500 Millionen in den deutsch­spra­chigen Raum zu inve­stieren. Mit einer Inve­sti­ti­ons­pflicht könnte die Schweiz sicher­stellen, dass ein Teil des Geldes in die Umset­zung von Schweizer Film­pro­jekten fliesst.

Der Schweizer Film erhält bereits heute Gelder. Laut einem Bericht der Aargauer Zeitung zahlen Bund und Regionen durch­schnitt­lich 39 Millionen pro Jahr. Die SRG und private Sender geben weitere 42 Millionen pro Jahr für den Schweizer Film aus. Über private Finan­zie­rung kommen weitere 24 Millionen Franken hinzu. Das macht 105 Millionen Franken pro Jahr. Die häufig genannten 120 Millionen entsprä­chen laut Aargauer Zeitung dem Finanz­vo­lumen von 2019 und nicht den jähr­li­chen Subven­tionen durch die öffent­liche Hand.

Neben der Inve­sti­ti­ons­pflicht würde es mit dem neuen Gesetz für Strea­ming­dienste eine Mindest­quote von 30 Prozent für euro­päi­sche Produk­tionen geben. Bei privaten Fern­seh­firmen gibt es das bereits heute. Auch andere euro­päi­sche Länder kennen ähnliche Inve­sti­ti­ons­pflichten und Mindestquoten.

Eine solche Inve­sti­ti­ons­pflicht möchte der Bundesrat und das Schweizer Parla­ment nun auch für die hiesige Film­branche einführen. Die Junge SVP, die Junge GLP und die Jung­frei­sin­nigen haben dazu das Refe­rendum ergriffen. Und mit den stei­genden Aboko­sten haben die bürger­li­chen Jung­par­teien ein starkes Argu­ment auf ihrer Seite. Denn Mehr­ko­sten segnen die Schweizer Stimmbürger*innen an der Urne bekannt­lich nicht gerne ab.

Aber: Würden die Streaminganbieter*innen bei einem Ja zum Film­ge­setz tatsäch­lich die Abopreise höher ansetzen? Wir haben bei den drei grössten Anbieter*innen nach­ge­fragt. Disney+ will sich dazu nicht äussern. Prime Video, der Strea­ming­dienst von Amazon, schreibt uns Folgendes:

Prime Video ist die Entschei­dung aus der Diffe­renz­be­rei­ni­gung bekannt und wir verfolgen den weiteren poli­ti­schen Prozess mit grossem Inter­esse, da die anste­hende Entschei­dung des Natio­nal­rats das grund­sätz­liche Inve­sti­ti­ons­klima für inter­na­tio­nale Video-on-Demand-Anbieter beein­flussen wird. Aufgrund der Nach­frage unserer Kunden nach euro­päi­schen Inhalten inve­stiert Prime Video in ganz Europa verstärkt in lokale Produk­tionen. Damit die Schweizer Kreativ- und Produk­ti­ons­land­schaft inter­na­tional wett­be­werbs­fähig bleibt, sollte weiterhin ein posi­tives Inve­sti­ti­ons­klima herr­schen. Dies gelingt nur, wenn mit Augen­mass vorge­gangen und kultu­relle und medi­en­wirt­schaft­liche Inter­essen aller Betei­ligten ausba­lan­ciert werden. Es gilt, auf die Stärke der Branche zu vertrauen. Pauschale gesetz­liche Pflicht­auf­lagen zur Steue­rung von Inve­sti­tionen braucht es unseres Erach­tens nicht. Zu Preis­än­de­rungen hat Prime Video derzeit nichts anzu­kün­digen und betei­ligt sich auch nicht an Spekulationen.

Zuge­geben: Es ist nicht ganz einfach, in all diesem PR-Talk zu erkennen, was Prime Video tatsäch­lich vom neuen Film­ge­setz hält. Dass sich Prime Video „weiterhin ein posi­tives Inve­sti­ti­ons­klima“ wünscht, ist logisch. Damit sagen sie aber auch, dass sie sich eher ungern vorschreiben lassen möchten, ob und wie sie in den Schweizer Film inve­stieren. Dass für ein solches posi­tives Inve­sti­ti­ons­klima „kultu­relle und medi­en­wirt­schaft­liche Inter­essen aller Betei­ligten ausba­lan­ciert“ werden müssten, heisst wohl, dass man bei Prime Video Gewinn immer noch höher gewichtet als kultu­relle Vielfalt.

Kurzum: Prime Video hätte am 15. Mai zum Film­ge­setz lieber ein Nein in der Urne. Ob ein Ja zu höheren Abopreisen führen würde, kommen­tiert Prime Video nicht.

Ähnlich klingt es bei Netflix:

Wir haben höch­sten Respekt vor der demo­kra­ti­schen Entschei­dungs­fin­dung des Schweizer Volkes und warten inso­fern das Ergebnis des Refe­ren­dums ab. Wir waren an der Vorbe­rei­tung und Einrei­chung des Refe­ren­dums­an­trags nicht betei­ligt, verstehen aber, dass sich viele Verbrau­cher fragen, ob eine solche Regu­lie­rung in ihrem Inter­esse ist und eine maxi­male Viel­falt des Medi­en­an­ge­bots fördert. Uns bei Netflix ist es wichtig, unseren Mitglie­dern die besten Geschichten von überall auf der Welt anzu­bieten. Wir werden auch weiterhin in Inhalte aus der Schweiz inve­stieren, wenn wir glauben, dass diese ein inter­es­santes Angebot für unsere Mitglieder sind.

Auch die Antwort von Netflix kommt in einem geschlif­fenen PR-Deutsch daher. Abge­neigt scheint der Strea­ming­dienst grund­sätz­lich nicht zu sein, wenn es um Inve­sti­tionen in den Schweizer Film geht. Er setzt jedoch gleich­zeitig ein klares Aber: Man wolle nur dann in den Schweizer Film inve­stieren, wenn man glaube, dass die geför­derten Inhalte bei den Abonnent*innen auf Inter­esse stossen würden.

Die Beur­tei­lung, ob Inhalte aus der Schweiz für die Netflix-Abonnent*innen inter­es­sant sein könnten oder nicht, bleibt bei einem Nein zum Film­ge­setz aber alleine denje­nigen über­lassen, die vor allem an einem inter­es­siert sind: den maxi­malen Profit aus ihrem Strea­ming­an­gebot heraus­zu­holen. Diese einsei­tige Entschei­dungs­macht dürfte kaum dazu führen, dass die kultu­rellen Inter­essen der Schweiz und die medi­en­wirt­schaft­li­chen Inter­essen der Strea­ming­dienste tatsäch­lich eine opti­male Balance finden.

Unde­mo­kra­ti­sches Schweigen

Was auffällt: Auch Netflix weicht der Frage zu den Abopreisen aus. Damit scheint zumin­dest ein Teil der Antwort voll­ends als PR-Gefasel entlarvt werden zu können. Denn hätte Netflix tatsäch­lich „höch­sten Respekt vor der demo­kra­ti­schen Entschei­dungs­fin­dung des Schweizer Volkes“, würde der Strea­ming­kon­zern mithelfen, die best­mög­liche Infor­ma­ti­ons­basis für die bevor­ste­hende Abstim­mung zu legen.

Denn: Um eine reflek­tierte und gut infor­mierte Entschei­dung treffen zu können, wäre es für die Abstim­menden wichtig zu wissen, ob bei einem Ja die Abopreise tatsäch­lich steigen oder nicht. Disney+, Prime Video und Netflix könnten uns diese Infor­ma­tion liefern und so ihren Teil zu einem demo­kra­ti­schen Entschei­dungs­pro­zess beitragen. Aber: Sie tun es nicht.

Von dieser Geheim­nis­tuerei profi­tieren auch die Initiant*innen des Refe­ren­dums. Denn dadurch kann das von den bürger­li­chen Jung­par­teien entwickelte Schreck­ge­spenst der stei­genden Abopreise in all seinen Unklar­heiten ausge­schmückt werden. Übri­gens: Die letzte Erhö­hung der Abopreise führte Netflix anfangs 2022 durch. Und dies ohne Schweizer Inve­sti­ti­ons­pflicht. Gestört hat das kaum jemanden – am aller­we­nig­sten die bürger­li­chen Jungparteien.


Teil 1: Müssten wir bei einem „Ja“ zum Film­ge­setz mehr bezahlen für das Strea­ming-Abo? Wir haben bei Netflix, Prime Video und Disney+ nachgefragt.


Teil 2: Lex Netflix: Der Profit der Konzerne ist unan­tastbar. Ein Kommentar.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 23 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1456 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel