Pelz: „Ein Natur­pro­dukt“ oder „mit Chemie voll­ge­pumpte Leichen­teile?“ Und spielt das über­haupt eine Rolle?

Unsere Bezie­hung zu Tieren ist seltsam und oft proble­ma­tisch, wider­sprüch­lich und von privaten Erin­ne­rungen durch­tränkt. Da gibt es Nutz- und Haus­tiere und Tiere, die wir an unseren Körpern tragen. Reden wir über Tiere, sind wir nur selten neutral: Gerade Pelz ist ein emotional enorm behaf­tetes Thema. Oft ist eine objek­tive Diskus­sion darüber kaum möglich, denn gewisse Argu­mente scheinen nicht mitein­ander vereinbar zu sein. Liegt es also an jeder und jedem von uns, ob wir unsere Finger vom Pelz lassen oder nicht? Eine persön­liche Suche nach dem Verständnis der Gegen­seite und dem Schei­tern daran. 
Fuchsfelle mit Schnittmustern. Hier entsteht gerade ein Gilet für einen Jäger. (Foto: Natalia Widla)

Seit ich denken kann, war der Fuchs mein Lieb­lings­tier. Alles begann mit Robin Hood. Auch wenn ich den sozi­al­kri­ti­schen Anarcho-Dieb auf kind­liche Art und Weise damals schon ziem­lich gross­artig fand: Die Disney­ver­sion mit Fuchs sagte mir mehr zu als Russell Crowe. Ich wuchs auf dem Land auf, in der Nähe des Waldes, wo ich immer mal wieder einem Fuchs begeg­nete. Mein Vater malte mir mein eigenes Bild von Robin und meine Mutter kaufte eine Fuchs-Guetz­li­form für uns.

Als ich einmal, da war ich viel­leicht acht oder neun Jahre alt, mit meinen Eltern nach Bern fuhr, sah ich ein riesiges Plakat, das mich danach einige Wochen lang nicht schlafen liess. Darauf abge­bildet war eine wunder­schöne Frau im Abend­kleid, die einen gehäu­teten Fuchs in der Hand hielt. Daneben stand: Das ist der Rest von Ihrem Pelz.“ Ich kann mich erin­nern, dass ich im Auto weinte und weinte und mir meine Eltern nichts sagen konnten, was mich hätte beru­higen können.

„Tinte statt Nerz“-Anti-Pelz Plakat der umstrit­tenen Tier­schutz­or­ga­ni­sa­tion Peta. (© Peta.org)

Als ich älter wurde, behängte ich das Innere meines Klei­der­schranks mit „Ink not Mink“- und Nackt statt Pelz“-Peta-Plakaten – eines davon, mit dem verstor­benen Linkin Park-Sänger Chester Bennington, hängt immer noch in meinem Kinder­zimmer. Als ich 18 Jahre alt wurde, liess ich mir mein erstes Tattoo stechen: Wie selbst­ver­ständ­lich war es ein Fuchs­kopf zwischen den Schulterblättern. 

Pelz: ein heimi­sches, natür­li­ches Produkt?

Als ich 18 Jahre alt war, arbei­tete Thomas Aus der Au bereits seit über dreissig Jahren als Kürschner im Fami­li­en­be­trieb Aus der Au im Zürcher Sihl­feld – demselben Betrieb, den bereits sein Vater geleitet hatte. Seit 1956 gibt es den Laden. Thomas Aus der Au pflegt ein Hand­werk, für welches ich bis anhin sehr wenig Verständnis aufbringen konnte: Er kauft Felle von in der Schweiz geschos­senen oder im Ausland in Käfig­hal­tung gezüch­teten Tieren, lässt diese extern aufbe­reiten, manchmal färben und konser­vieren – und vernäht sie dann zu Mänteln, Puls­wär­mern, Kappen und Kragen.

Das wohl kontro­ver­seste Kleidungsstück
Zusammen mit der kalten Jahres­zeit findet auch der Pelz seit einigen Jahren wieder Einzug in die Schweizer Klei­der­schränke. Mit einer kleinen Serie versucht das Lamm dem Phänomen der strit­tigen Tier­felle auf den Grund zu gehen. Folgende Artikel haben wir zu dem Thema verfasst:

Laut seiner Website ist Thomas Aus der Au auf Schweizer Rotfuchs spezia­li­siert, und er kämpft als Vize­prä­si­dent des Schweizer Dach­ver­bandes der Pelz­fach­ge­schäfte Swiss Fur vehe­ment dafür, dass die zwischen 20’000 und 40’000 jähr­lich in der Schweiz geschos­senen Rotfüchse auch weiter­ver­ar­beitet werden. Derzeit werden ledig­lich 10 % der Felle verwertet. Thomas Aus der Au hält diesen Umstand für skan­dalös, zumal er nicht verstehen kann, warum umwelt­schäd­liche und ener­gie­fres­sende Kunst­felle, er nennt sie auch „Öltep­piche“, vermarktet werden, wenn ein „einhei­mi­sches und natür­li­ches Produkt“ im Müll landet.

Die heimi­schen Rotfuchs­pro­dukte von Kürschner Thomas Aus der Au haben ihren Preis. Über 40 Stunden Arbeit stecken in dieser Decke, die mitt­ler­weile verkauft wurde. (© Thomas Aus der Au, Screen­shot der Website)

Thomas Aus der Au ist ein Befür­worter der, wie er sie nennt, „Tier­nut­zung“. Fuchs­jagd, wie sie in der Schweiz statt­findet und offi­ziell mit der Regu­la­tion des Bestandes begründet wird, erachtet er als sinn­voll und notwendig. Die Verwer­tung des geschos­senen Tieres erscheint ihm nicht nur ökono­misch sinn­voll, sondern auch ökolo­gisch – und respekt­voll gegen­über dem Tier. Thomas Aus der Au sagt, er habe grossen Respekt vor den Tieren, die er verar­beitet, und erzählt lachend von einer defor­ma­tion profes­sio­nelle, die ihn dennoch dazu bringe, beim Anblick eines schönen Tieres manchmal daran zu denken, was für einen schönen Pelz dieses abgeben würde.

Aus der Au sagt: „Meine Bezie­hung zum Fuchs ist profes­sio­nell. Aber die Natur und ihre Lebens­räume inter­es­sieren mich sehr. Ich finde, das Wich­tigste ist eben die Erhal­tung von Lebens­räumen. Und hier sind es ja gerade die Jäger, sowohl hier in der Schweiz als auch die Trapper in Nord­ame­rika, die sich für die Erhal­tung dieser Lebens­räume einsetzen – denn sie leben davon.“ Eine inter­es­sante Ansicht, dass nur was monetär verwertbar ist, auch schüt­zens­wert ist. Wohl aber befinden sich die Pelz- und die Jagd­in­du­strie damit in bester Gesellschaft.

Wenn ich heute manchmal abends nach Hause komme und im Zürcher Irchel­park oder am Wald­rand einen Fuchs sehe, bleibe ich jedes Mal stehen und freue mich wie ein kleines Kind. Sind andere dabei, greife ich mit Vorliebe an deren Ärmel und zupfe solange daran, bis sie auch auf den Fuchs, seltener Dachs, aufmerksam werden und immerhin versu­chen, meine uner­klär­bare Freude zu erwi­dern. Ich weiss sehr wohl, dass ich nicht mehr auf dem Land lebe und dass es nicht gut ist, dass sich Wild­tiere in die Städte begeben.

„Die Jagd in der Schweiz hinter­frage ich im Grund­satz nicht“, sagt Aus der Au. „Natür­lich kann man auch die Natur der eigenen Regu­lie­rung über­lassen, aber es stellt sich die Frage: zu welchem Preis? Wenn man die Füchse sich selber über­lässt, dann sind Hunger und Krank­heiten der natür­liche Regulator.“

„Geht es den Tieren schlecht, geht es auch mir schlecht“

Nadja Brod­mann, Geschäfts­lei­tungs­mit­glied des Zürcher Tier­schutzes, sieht das ganz anders, wie sie mir am Tag nach meinem Kürsch­ner­be­such am Telefon erklärt: „Unsere Posi­tion ist viel grund­le­gender: Es braucht gar keine Rotfuchs­jagd in der Schweiz.“

Brod­manns Argu­men­ta­tion ist simpel: „Das Angebot an Nahrung und Unter­schlüpfen, insbe­son­dere geeig­nete Wurf­kessel sowie auch Tages­ver­stecke, sind die popu­la­ti­ons­re­gu­lie­renden Faktoren. Gerade ersteres kann beein­flusst werden, etwa durch verschlos­sene Kompost­be­hälter, richtig entsorgte Haus­halts­ab­fälle in Müll­tonnen sowie weniger Litte­ring im öffent­li­chen Raum.“ Brod­mann ist über­zeugt: „Es braucht Öffent­lich­keits­ar­beit und Sensi­bi­li­sie­rung, keine Rotfuchs­jagd.“ Denn: „Seit Jahr­zehnten schiesst man jedes Jahr 30’000 Füchse und der Bestand wird nicht weniger. Die Jagd ist in diesem Fall ein Perpe­tuum Mobile: Durch das Abschiessen gibt es wieder mehr Nahrung und mehr freie Wurf­kessel, und dadurch steigt die Vermeh­rung wieder an.“ Das Fall­bei­spiel: „Der Kanton Genf hat gar keine Jagd mehr – und es funk­tio­niert seit Jahren ausgezeichnet.“

Im Moment werden in der Schweiz aber noch Tausende von Füchsen jähr­lich geschossen. Sollen die Felle dann entsorgt werden? „Nicht zwin­gend“, sagt Brod­mann und diffe­ren­ziert: „Wir haben nichts gegen die Verwer­tung der Felle. Aber nur für Innen­futter, Matrat­zen­fül­lungen oder andere Isola­ti­ons­zwecke – nichts, was die tier­quä­le­ri­sche Mode unter­stützt. Die Menschen, die Pelze auf der Strasse sehen und den Trend wahr­nehmen, kaufen sich deswegen ja nicht unbe­dingt einen teuren Schweizer Rotfuchs, sondern eher irgendein unter extremen Qualen gewon­nenes, billiges Tier­fell von China oder sonstwo.“

Plakat aus der Anti-Pelz Winter­kam­pagne 17/18 des Zürcher Tier­schutzes und anderer Orga­ni­sa­tionen. (© Zürcher Tierschutz)

Der Pelz, den Aus der Au verkauft, sei er auch eine Schweizer Produk­tion, propa­giere gerade diesen Horror­pelz, Qual­pelz und den „Öltep­pich“ von Kunst­pelz, nämlich indem er zum Verschwinden des Stigmas beitrage – und Pelz stras­sen­taug­lich mache. „Ich würde den Trend für mich umkehren“, sagt Aus der Au selbst­be­wusst. „Wir sind froh, dass wieder mehr Fell auf den Strassen zu sehen ist – denn gerade diese beliebten Pelz­kragen propa­gieren den Schweizer Rotfuchs.“

Diese Argu­men­ta­tion bewegt sich laut Brod­mann aber primär auf der Marke­tin­ge­bene: „Schweizer Kürschner erzählen immer gerne vom heimi­schen Rotfuchs und unter­schlagen die anderen Pelze in ihren Läden. Das ist eine reine Gewissensberuhigung.“

Bei Thomas Aus der Au im Atelier hängen, entgegen den Erwar­tungen, die seine Website aufkommen lässt, zahl­reiche Pelze aus anderen Tieren: Nerze, Bisam­ratten, und auch mit Wasch­bären hat er schon gear­beitet. Die Hasen und die Stein­marder, die Aus der Au verar­beitet, seien auch aus der Schweiz: die Stein­marder von Wild­hü­te­rInnen erlegt, die Hasen von privaten Züch­te­rInnen abgegeben.

Thomas Aus der Au sagt, dass er für jedes Tier bürgen kann, dessen Fell in seinem Atelier landet: „Ich habe keine Felle aus China oder einem anderen ausser­eu­ro­päi­schen Land, ausser Jagd­felle aus Kanada“ und „wenn ich Farm­fell habe, dann sind sie aus Däne­mark oder Finn­land.“ Als Skan­di­na­vi­enfan hat Aus der Au schon so manche Fell­farm besucht – als Tourist und in den Ferien, einfach, weil es ihn „gwun­deret het“ Er sagt: „Auch hier hatte ich keine ethi­schen Bedenken – das ist eben eine Form von Nutz­tier­hal­tung, wie in der Schweiz auch.“

Als ich fünf oder sechs war, besuchten wir Familie in Polen. Ich, der Tier-Fan, wollte alles strei­cheln, was da so rumlief auf den Höfen, und als mich mein Onkel nach meinem Lieb­lings­tier fragte und ich ihm antwor­tete, es sei der Fuchs, nahm er, der mein selt­sames Verhältnis zu diesen „Nutz­tieren“ nicht ganz verstand, mich mit an einen Ort, wo es ganz viele Füchse zu sehen gab: eine Pelz­farm. Obwohl ich nicht wusste, was eine Pelz­farm ist und meine Eltern allen Anwe­senden strikt verboten, in meiner Anwe­sen­heit zu erwähnen, dass diese Tiere bald getötet werden würden, empfand ich es als schreck­lich, grau­en­voll. Es stank und die Tiere waren auf engstem Raum zusam­men­ge­pfercht. Ich kann mich nicht mehr an vieles erin­nern. Aber dass es diesen Tieren nicht gut ging, das weiss ich noch. Aber Polen ist eben nicht Däne­mark oder Finn­land. Eine Gene­ra­li­sie­rung fällt mir deswegen schwer. Ausserdem ist das fast 20 Jahre her.

Aus der Au hat mit den verschie­denen Pelz­far­me­rInnen in Finn­land und Däne­mark gespro­chen, und was diese ihm erzählten, war für ihn zumin­dest wirt­schaft­lich durchaus einleuch­tend: „Wenn ich am Ende des Jahres ein schönes Fell haben will, dann muss ich auch mein Tier gut halten“, sollen diese gesagt haben. Denn: „Nur schönes Fell hat einen guten Preis.“ Zum wirt­schaft­li­chen komme zudem ein mora­li­scher Aspekt, sagt Aus der Au: „Die meisten können gut umgehen mit ihren Tieren, und sie erzählten mir, dass es ihnen auch nicht gut gehe, wenn es ihren Tieren nicht gut geht. Das ist ja dasselbe wie bei uns: Es gibt immer Menschen, die nicht mit ihren Tieren umgehen können. Daraus darf man aber nicht auf die ganze Indu­strie schliessen.“

Langsam, aber sicher bewegt sich unser Gespräch immer mehr in Rich­tung Moral und Ethik. Ich werde unruhig. Aus der Au sagt: „Ich habe grund­sätz­lich keine ethi­schen Bedenken bei meinem Hand­werk.“ Ich frage ihn nach den Ausnahmen: „‚Grund­sätz­lich‘ bedeutet: Ich befür­worte Tier­nut­zung. Aber mit einem ethi­schen Hinter­grund. Das heisst etwa, dass keine Tier­quä­lerei im Spiel sein darf. Es muss Sinn machen, und wenn etwas verwertet wird, dann mit Respekt gegen­über dem Tier.“

Thomas Aus der Au verar­beitet gewisse Tier­arten nicht. Neben bedrohten Tier­arten gehört etwa der soge­nannte „Super­fuchs“ oder „Monster­fuchs“ zu den No-Gos – eine spezi­elle (Über)züchtung mit möglichst viel Haut (und Pelz) auf möglichst wenig Tier. Ähnliche Züch­tungen zur Gewinn­ma­xi­mie­rung gibt es unter anderem auch bei Mast­hüh­nern. (© Zürcher Tier­schutz: Monster­fuchs auf finni­scher Pelzfarm)

Gibt es Tiere, die dem Kürschner nicht auf den Nähtisch kommen? „Ich verwerte keine Super­füchse, Polar­füchse und natür­lich keine bedrohten Arten.“ Dass es sich nicht lohnt, vom Aussterben bedrohte Tiere, etwa gefleckte Gross­katzen, zu Pelzen zu verar­beiten, war eine Einsicht, für die der Main­stream der Pelz­in­du­strie einige Zeit brauchte: „1975 wurde das Washing­toner Arten­schutz­ab­kommen unter­zeichnet“, sagt Aus der Au. „Es macht ja schliess­lich keinen Sinn, eine Tierart zu verar­beiten, die man damit gefährdet. Damit erodiert man sich selber den Markt weg.“

Pelze: „mit Chemie voll­ge­pumpte Leichenteile“

Die öffent­liche Pelz­dis­kus­sion dreht sich immer wieder um das Stich­wort „Natür­lich­keit“. Auch bei Thomas Aus der Au: „Es ist ein Wider­spruch, dass man ein Natur­pro­dukt wegwirft und dann Plastik verar­beitet. Das ist genau dasselbe wie mit der Wolle. Zum Teil wird diese auch entsorgt, und synthe­ti­sche Produkte werden verwendet, die ähnliche Eigen­schaften haben. Das ist doch völliger Unsinn.“

„Das ist die alte Leier der Pelz­in­du­strie“, sagt Nadja Brod­mann. Sie fragt sugge­stiv: „Wie viel Chemie steckt in so einem Pelz?“ Die Antwort gibt sie gleich selbst: „Sehr viel. Pelz ist ein Leichen­teil. Das würde stinken und verfaulen, wenn es nicht massiv chemisch behan­delt würde. Dafür werden verschie­dene hoch giftige, teils karzi­no­gene und äusserst umwelt­be­la­stende Mittel verwendet. Die Masche mit der ‚Natür­lich­keit‘ ist schlichtweg falsch. Gerade in China oder anderen Ländern mit gerin­geren Umwelt­stan­dards gehen diese Gifte dann auf direktem Weg ins Abwasser.“

Daraus abge­leitet führt Brod­mann ein Argu­ment an, das zentral ist, aber bei der emotional geführten Diskus­sion um Pelz oft in den Hinter­grund gerät: „Mit diesen Gift­stoffen müssen Menschen arbeiten. Das ist kein schöner Job – und keiner, den man frei­willig ausübt, wenn sich eine Alter­na­tive bietet. In den Gerbe­reien, auch oder gerade hier in Europa, arbeiten sehr oft Personen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund zu haar­sträu­benden Bedin­gungen.“ Wenn die Kürsch­ne­rInnen mit ihrer Arbeit beginnen, ist dieser dreckige Teil der Fell­pro­duk­tion bereits abgeschlossen.

Thomas Aus der Au betont aller­dings, dass der von ihm verar­bei­tete Pelz sinn­voll und fair herge­stellt wurde. Ganz anders, sagt er, und hier treffen sich die beiden Posi­tionen zum ersten Mal, sehe es mit dem Billig­pelz aus, der momentan das Stras­sen­bild domi­niert. Den Schweizer Tier­schutz mit seinen Bemü­hungen, Pelz von der Strasse zu bringen, findet Aus der Au dennoch proble­ma­tisch: „Diese Kampa­gnen führen meiner Meinung nach nicht dazu, dass die Pelz­tiere in China oder anderswo besser behan­delt werden, sondern schaden viel eher dem tradi­tio­nellen Kürschner Handwerk.“

Derweilen steht Brod­mann offen für eine Abschaf­fung der Pelz­pro­duk­tion und des Pelz­han­dels ein. Bedenken wegen dem Berufs­stand der Kürsch­ne­rInnen hat sie keine: „Unsere Kultur wandelt sich – wie viele Schuh­ma­cher gibt es noch? Einen Beruf mit tier­quä­le­ri­schem Hinter­grund können und müssen wir nicht schützen.“

Rund 40 Kürsch­ne­rInnen gibt es momentan noch in der Schweiz, schätz Aus der Au.

 „Mit Wider­sprü­chen muss man leben“

Thomas Aus der Au zeigt mir am Schluss meines Besuchs, wie ein Fuchs­fell vernäht wird. Ich streiche darüber und entschul­dige mich sehr schnell für mein ‚Mit-den-Händen-schauen‘. Er lacht. „Pelz muss man fühlen“, sagt er. Ich versuche, meine Hände bei mir zu behalten. Zu gross ist die Angst, etwas zu beschä­digen: „Das günstigste, was ich habe, sind Haar­gummis für 25.- aus Resten, dann Puls­wärmer für 175.-, Stirn­bänder für 300.-, Krägen und Mützen so um die 500 Franken. Decken aus 15 Fellen kosten ca. 3’200.-. Ich verkaufte auch schon eine Decke aus 20 Fellen für 6200.-, an dieser hatte ich etwa 45 Stunden gearbeitet.“

Am Boden des Ateliers schläft derweilen Thomas Aus der Aus alte Hündin. Ein wunder­schönes, schnee­weisses Tier. Er bemerkt meinen Blick: „Ja“, sagt Aus der Au, „ich weiss“. Mit Wider­sprü­chen müsse man eben leben, und man dürfe nie aufhören, sich zu reflek­tieren. „Ich weiss, was ich mache, und ich stehe auch dahinter.“

Ich denke an unseren dicken, roten Adop­tiv­kater, der zuhause auf mich wartet. Der fühlt sich auch gut an, wenn ich ihn anfasse. Im Gegen­satz zum mit Schnitt­mu­stern bezeich­neten Fuchs­fell, das vor mir liegt, ist er warm.

Dankend verlasse ich das Atelier. Vor der Verab­schie­dung sage ich Thomas Aus der Au, wie schwer es für mich war, hier zu sein, und dass ich dennoch dankbar bin, dass er sich fast zwei Stunden Zeit für mich genommen hat – trotz des markanten Hasen­tat­toos auf meinem Unterarm und dem „Ich fühle mich sehr unwohl hier“ bei der Begrüssung.

Als ich nach Hause komme, muss ich zuerst einmal meine Gedanken ordnen, Pelz­tier­hal­tung in Skan­di­na­vien googeln und mich über nord­ame­ri­ka­ni­sche Trapper-Fallen infor­mieren. Dann muss ich weinen, sehr lange. Ich fühle mich wie damals, als ich das Plakat in Bern gesehen habe. Irgendwie genügt gerade kein ratio­nales Argu­ment, um mich zu beruhigen.

Pelz ist und bleibt für mich untragbar. Viel­leicht, weil ich es so verin­ner­licht habe. Viel­leicht aber auch, weil die, die am meisten betroffen sind, bei dieser Diskus­sion keine Stel­lung beziehen können. Ich frage mich ganz naiv: Würde ich denn wollen, dass ich, wäre ich auch aus einem guten Grund geschossen worden, zu einem Puls­wärmer werde? Ist das respekt­voll? Ich weiss es nicht. Würde ich aber extra zu diesem Zweck gezüchtet oder einge­fangen werden, wäre das bestimmt nicht respekt­voll, meiner Meinung nach auch nicht sinn­voll – und in unseren Brei­ten­graden irgendwie auch nicht notwendig.

Doch mit dieser Argu­men­ta­ti­ons­weise tut sich zwangs­läufig ein gewisser mora­li­scher Abso­lu­tismus auf. Dieser mora­li­sche Abso­lu­tismus und dessen Ratten­schwanz von Argu­menten – wie: die Textil­pro­duk­tion in Billig­lohn­län­dern ist aber auch schreck­lich, der „Öltep­pich“ von Kunst­fa­sern schadet dem Klima, die an eine Indu­strie geknüpften Arbeits­plätze gehen verloren – droht, auch meine Posi­tion zu Pelz zu entkräften. Ich bleibe dennoch dabei. Viel­leicht hat Thomas Aus der Au recht, wenn er sagt, dass Wider­sprüche zum Leben gehören.


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