Vergleiche im Journalismus sind eine schwierige Sache. Meistens wirken sie konstruiert und selten sind sie wirklich informativ. Ein eher schlechtes Beispiel ist dieser Titel von Watson: „Wie Roger Köppel zur Schweizer Version von Donald Trump wurde“. Auf den ersten Blick hat der Vergleich tatsächlich was. Schliesslich spielt auch Köppel die ewig gleiche Leier der PopulistInnen, die ständig Medienschaffende wegen angeblicher systematischer Fehlinformationen beschuldigen. Und ja, Roger Köppel und Donald Trump spielen sich oftmals beide als die Vertreter des vergessenen, weissen Mannes auf. Skandieren gefährliche Parolen gegen Medienschaffende und Intellektuelle und wittern hinter jedem internationalen Vertrag die nächste Weltverschwörung.
Aber eben: Mit den Vergleichen ist es so eine Sache. Köppel könnte nach diesen Kriterien auch der Viktor Orban, der Andrzej Duda oder der Nigel Farage der Schweiz sein. Wirklich informativ ist aber keiner dieser Vergleiche. Hier wird die Person des Populisten ins Zentrum gestellt – als wäre es diese alleine, die für ihren politischen Erfolg verantwortlich ist. Als wären die PopulistInnen zwar alle durchaus ruchlose und verantwortungslose Stimmungsmacher, die es aber trotzdem geschafft haben, mit ihrem fast schon mystischen, politischen Genie dem Establishment ein Schnippchen zu schlagen. So schwingt in jeder Kritik auch immer ein bisschen Bewunderung mit.
Ohne Vergleiche wäre der Journalismus aber auch um ein wichtiges Stilmittel ärmer. Darum hier trotzdem ein Versuch. Als Roger Köppel gestern zu einer Medienkonferenz zum sehr bildhaften Thema „EU-Geheimplan gegen die Schweiz und die Konsequenzen für meine politische Tätigkeit“ einlud, verhielten sich Tamedia, Ringier und Co. wie ihre amerikanischen Pendants. Seine Ankündigung verlas Roger Köppel gekonnt staatsmännisch inszeniert von einem Podium aus – vor laufenden Kameras und in Anwesenheit aller grossen Medienhäuser. Was bei einer anderen Politikerin vielleicht knapp eine SDA-Meldung in der nächsten Printausgabe wert wäre, ist auf Tagesanzeiger.ch direkt die Topstory – inklusive Liveticker. Blick überträgt den Livefeed sogar auf Facebook – und die Emojis fliegen über den Bildschirm. Der Journalist von Watson lobt in seinem Liveticker die gelungene Inszenierung und das Timing von Roger Köppel – die Ironie seiner Erkenntnis bleibt ihm aber verborgen.
Köppels UnterstützerInnen jubeln – endlich wird die Europapolitik aufgemischt, man freut sich schon mal präventiv; für seine GegnerInnen ist sowieso alles, wo Köppel draufsteht, ein rotes Tuch. Wirklich relevant ist die von Köppel vorgetragene Information zu diesem Zeitpunkt für niemanden. Dass aber bereits vor einem greifbaren Entscheid mit laufenden Kameras, Push-Benachrichtungen und „Breaking News“ berichtet wird, ist nicht nur nicht informativ – es ist schädlich.
Während den parteiinternen Wahlen für die Kandidatur als Präsident der USA bekam Donald Trump ungleich mehr mediale Beachtung als seine MitkonkurrentInnen. Die wohl berühmteste Szene ereignete sich aber während des Wahlkampfs: Anstatt einer Rede von Hillary Clinton, zeigten CNN, MSNBC und FOX News über eine halbe Stunde lang ein leeres Podium, auf dem in grossen Lettern „TRUMP“ stand; nach einem Banner mit „Dauerwerbesendung“ suchte man vergeblich.
Die Komikerin Michelle Wolf kritisierte 2018 am traditionellen White House Correspondents‘ Dinner die anwesenden Medienschaffenden. „Ihr seid vernarrt in Donald Trump. Was keiner hier zugeben möchte, ist die Tatsache, dass Donald Trump euch viel geholfen hat“, rief sie am Ende der Veranstaltung den JournalistInnen ins Gewissen. „Er konnte keine Steaks oder Immobilien verkaufen. Aber ihr habt dieses Monster erschaffen und er hilft euch jetzt, eure Zeitungen und Bücher zu verkaufen!“ Im Raum wurde es still. Nicht, weil die JournalistInnen ihre Arbeit kritisch hinterfragten, sondern weil sie sich durch diese anmassende Kritik in ihrem Selbstverständnis verletzt sahen. Am nächsten Tag hagelte es Kritik an Wolfs Auftritt – aber kaum eineR der JournalistInnen äusserte sich zu der Kritik Wolfs.
Tamedia ist noch nicht CNN und Köppel kein Trump, aber wie sich gestern zeigte, funktioniert auch hierzulande das Aufmerksamkeitsmanagement der PopulistInnen. Davon profitieren indes nur die Medienhäuser selber, dank sicheren Klickzahlen – und Roger Köppel. Mit nur einer Medienkonferenz darf er für einen halben Tag Blattmacher aller Schweizer Medienportale sein.
Anstatt auf der Suche nach dem Schweizer Trump zu sein, sollten wir als Medienschaffende uns fragen, welche Rolle der Journalismus im Erfolgszug des Rechtspopulismus spielt – und was man dagegen tun könnte. Ein Vorschlag: Einfach mal den Liveticker stecken lassen. Lieber lässt man einer Neuigkeit ein bisschen Zeit und Raum, um sie dann einzuordnen und zu analysieren; auch – oder gerade wenn – Köppel draufsteht.
Anmerkung: Wer wissen will, was Roger Köppel Monumentales verkündet hat, muss das leider bei einem anderen Onlineportal tun.
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