Versprich, was du nicht halten willst: Wie Parteien Symbol­po­litik betreiben

Symbol­po­litik ist Politik, die auf rheto­ri­scher Ebene einen ziel­ori­en­tierten Ansatz verfolgt, in Wirk­lich­keit jedoch nichts zu leisten vermag. Sie gras­siert von links bis rechts. 
Nicht alle Parteien, die sagen, dass sie sich gegen den Klimawandel einsetzen, tun das auch. (Foto: Max Kleinen / Unsplash)

„Die Bürger­li­chen haben sich das grüne Mäntel­chen umge­hängt“ und „Jetzt springen alle noch rasch auf den Klima-Zug auf“: Vor den Wahlen waren die Medien voll mit solchen und ähnli­chen Schlag­zeilen. Die erfolg­reiche Klima­be­we­gung scheint die ein oder andere Partei in Angst versetzt zu haben. Doch bereits die auswei­chende Antwort der wieder­ge­wählten Petra Gössi auf die Frage, ob die FDP einen Klima­gipfel unter­stützen würde, hat gezeigt, wie viel Lippen­be­kennt­nisse wert sind.

Rheto­ri­sche Bemü­hungen wie dieje­nigen der Parteien vor den Wahlen sind beispiel­haft für symbo­li­sche Politik. Der von Murray Edelman geprägte Begriff beschreibt im weiteren Sinne eine Politik, die auf rheto­ri­scher Ebene einen ziel­ori­en­tierten Ansatz verfolgt, in Wirk­lich­keit jedoch nichts zu leisten vermag. Zwischen­zeit­lich wird er gerne von Politiker*innen verwendet, um sich gegen­seitig der „Pflä­ster­li­po­litik“ zu bezich­tigen. Die Heraus­for­de­rung bei der Symbol­po­litik liegt darin, sie als solche zu entlarven, denn erst die mess­bare Wirkung einer konkreten poli­ti­schen Mass­nahme weist auf die mögliche Diskre­panz zu den voraus­ge­gan­genen Verspre­chen hin.

Guter Wille allein reicht nicht aus

Die Umwelt­al­lianz, bestehend aus Green­peace, Pro Natura, VCS und WWF, hat analy­siert, ob Politiker*innen, die sich in ihrem Wahl­kampf zu einem klima­freund­li­chen Abstim­mungs­ver­halten bekennen, einst gewählt auch wirk­lich gemäss ihren Verspre­chungen handeln. Die Resul­tate sind ernüch­ternd. Grund­sätz­lich gilt: Je weiter rechts im poli­ti­schen Lager, desto beliebter sind ökolo­gi­sche Lippen­be­kennt­nisse. Die Über­ein­stim­mung von ökolo­gi­schen Wahl­ver­spre­chen und tatsäch­li­chem Verhalten liegt bei der SVP bei mick­rigen 11 %. Bei der FDP sind es 24 %, und die CVP schafft es immerhin, die Hälfte ihrer Verspre­chen zu halten. Einzig die Grünen und die SP setzen sich konse­quent für eine grünere Politik ein und handeln somit im Sinne der jewei­ligen Wahlversprechen.

Der Regio­nale Richt­plan defi­niert, dass pro Einwohner*in 8 m2 Frei­raum und pro Arbeits­platz 5 m2 zu Verfü­gung stehen sollen. Die aus dem Richt­plan hervor­ge­henden Planungs­ziele sind für die Behörden verbind­lich. Im Gegen­satz dazu verstärkt die Gemein­de­ord­nung ledig­lich den Auftrag an Stadt- und Gemein­derat, Grün­räume zu schützen und zu fördern. Somit besitzt der durch die Grünen ange­regte und nun imple­men­tierte Artikel 2.3 viel weniger Schlag­kraft und verkommt zum symbo­li­schen Akt.

Dass besagter Artikel zwar gut gemeint ist, aber leid­lich wenig bringt, hat sich denn auch in vergan­genen Abstim­mungen gezeigt: Am 25. November 2018 haben die Zürcher*innen dem Projekt „Ensemble“ und somit der Über­bauung des Hard­turm­areals zuge­stimmt. Klar, die 174 Genos­sen­schafts­woh­nungen, welche die 600 Wohnungen im mitt­leren Preis­seg­ment ergänzen und das Stimm­volk ruhig stellen, sind löblich und ja, Fuss­ball ist auch wichtig. Aber wie war das noch­mals mit dem Schutz von Grünflächen?

Die Grünen haben den Abstim­mungs­kampf gegen die Über­bauung verloren – und ein etwas genauerer Blick auf das viel gelobte Projekt „Ensemble“ lässt vermuten, dass der von ihnen ange­regte Artikel 2.3 eine Farce ist. So wird der im Projekt einge­plante Frei­raum nicht wirk­lich der in der Gemein­de­ord­nung fest­ge­hal­tenen „Inten­sität der Nutzung“ entspre­chen, wie folgende Rech­nung zeigt: Um den Planungs­richt­werten wie auch den zukünf­tigen ca. 1500 Bewohner*innen gerecht zu werden, müssten auf dem Areal 12’000 m² für Grün- respek­tive Frei­räume einkal­ku­liert werden. Zuzüg­lich Fuss­ball­sta­dion würden somit etwa 4000 m² Baufläche für Wohnungen bleiben. Wie auf diesem knappen Platz Bauten entstehen sollten, bleibt schlei­er­haft. Es ist also anzu­nehmen, dass dort gespart wird, wo ökono­mi­sche Über­le­gungen fehl am Platz sind: an wert­vollem Dreck, der dazu beiträgt, dass sich Kinder in sinn­voller Art und Weise den Hosen­boden schmutzig machen können.

Diskre­panz zwischen Verspre­chen und der Realität

Doch nicht nur in der Umwelt­po­litik sind die Diskre­panzen zwischen verspro­chener und mess­barer Wirkung von Gesetzen augen­schein­lich. Auch die 2017 im Kanton Zürich ange­nom­mene Vorlage „Aufhe­bung der Sozi­al­hil­fe­lei­stungen für vorläufig Aufge­nom­mene“ lässt stark am Wirken der zürche­ri­schen Legis­la­tive zwei­feln. Bis anhin wurden vorläufig aufge­nom­mene Menschen gemäss dem Sozi­al­hil­fe­ge­setz unter­stützt, so dass ihre beruf­liche wie auch soziale Inte­gra­tion besser geför­dert werden konnte. Eine Mehr­heit des Kantons­rats befürch­tete jedoch, dass so falsche Anreize gesetzt würden. Gar von einer „Sogwir­kung für neue Wirt­schafts­mi­gra­tion“ wurde gespro­chen. Deshalb befür­wor­tete die SVP eine Rück­kehr zum System der Asyl­für­sorge. Sie argu­men­tierte, dass durch die Kürzung der finan­zi­ellen Unter­stüt­zung die Erwerbs­tä­tig­keit der Betrof­fenen geför­dert wird und dass Kanton und Gemeinden fünf bis zehn Millionen Franken einsparen können.

Leichter gesagt als getan, wie sich ein Jahr später zeigt. Dabei hat die SVP auf den ersten Blick alles richtig gemacht; in der Gesetz­ge­bung hat sie ihr Partei­pro­gramm konse­quent umge­setzt. Auch die ersten Tendenzen lassen vermuten, dass das imple­men­tierte Gesetz seine Ziele erfüllt, sprich, vorläufig aufge­nom­menen Menschen steht viel weniger Geld zu Verfügung.

Die verspro­chene Entla­stung – in Bezug auf die erfolg­reiche Inte­gra­tion der betrof­fenen Menschen wie auch finan­ziell – lässt jedoch sehr stark an der verfügten Ände­rung zwei­feln, wie der unab­hängig orga­ni­sierte Verein Map‑F in seiner Analyse aufzeigt: Einer­seits führt die Kürzung der Unter­stüt­zungs­lei­stungen entgegen den Erwar­tungen zu länger­fri­stiger Unter­stüt­zungs­ab­hän­gig­keit. Da sich einige Fami­lien ihre Wohnungen nicht mehr leisten können, sehen sie sich gezwungen, in Kollek­tiv­un­ter­künfte zurück­zu­ziehen. Ein anderes Beispiel berichtet von einer jungen Frau, die sich das ÖV-Ticket zum Betrieb, in welchem sie eine Vorlehre absol­viert, nicht mehr leisten kann. Es ist wohl klar, dass solche Situa­tionen in keiner Weise zu einer erfolg­rei­chen Inte­gra­tion beitragen.

Ande­rer­seits entla­stet das neue Gesetz entgegen den voraus­ge­gan­genen Verspre­chen die Gemeinden finan­ziell nicht. Im Gegen­teil: Da die Kantons­bei­träge nicht ausrei­chen, um die tatsäch­li­chen Ausgaben zu decken, fallen sogar Mehr­ko­sten an. Die Stadt Winter­thur vermeldet beispiels­weise, dass der Stadt betreute Kollek­tiv­un­ter­künfte um ein Viel­fa­ches teurer zu stehen kommen, als wenn die betrof­fenen Menschen in Wohnungen leben. De facto werden also gross­zü­gige Gemeinden wie Winter­thur oder Zürich, die mehr Geld spre­chen als vorge­sehen, für ihre Inte­gra­ti­ons­be­mü­hungen bestraft. Einzig Gemeinden wie Stäfa, die geflüch­teten vier­köp­figen Fami­lien noch 1250.- pro Monat zuspre­chen, können ihr Budget vermut­lich entla­sten – auf Kosten der Menschlichkeit.

Von poli­tisch links bis rechts gras­siert sie: die Symbol­po­litik. Als Wähler*in mögen dies ange­sichts von Wahlen und Abstim­mungen düstere Aussichten sein. Wen wählen, wenn der rheto­ri­sche Abstim­mungs­kampf nicht nur Schall, sondern auch Rauch ist? Und vor allem: Wieso sich abmühen mit Volks­ab­stim­mungen, in denen nur ein Ziel verfolgt wird: mediale Aufmerk­sam­keit und somit Profi­lie­rung einer Partei? Was schliess­lich bleibt, ist ein Urver­trauen in und die unge­bro­chene Loya­lität zur Demo­kratie. Denn es kann sein, dass sich Politiker*innen von der symbo­li­schen Politik verab­schieden und plötz­lich einschnei­dende, reali­täts­ver­än­dernde Gesetze erlassen. Und dann sollten Menschen im Parla­ment sitzen, welche Werte und Ideale, die mit der eigenen Grund­hal­tung über­ein­stimmen, vertreten.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 8 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 676 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel