Kennen Sie die Journalistin Patrizia Laeri? Natürlich kennen Sie sie. Und zwar bestimmt nicht erst seit ihrer Wahl zur Wirtschaftsjournalistin des Jahres 2019. Laeri arbeitet beim SRF als Moderatorin und Redaktorin und ist zudem Leiterin des Projekts 50:50, das sich – nach dem BBC-Vorbild – auf die Fahne geschrieben hat, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen. Laeri schreibt ausserdem in ihrer #aufbruch-Kolumne für den Blick wahnsinnig klug, pointiert und feministisch über wissenschaftliche Themen, die vor allem Frauen betreffen.
Und natürlich kennen Sie auch Simone Rau vom Tages-Anzeiger. Der Tagi tut sich zwar manchmal ein bisschen schwer damit, das Lamm korrekt als Quelle bei grossen Geschichten zu bezeichnen, aber er hat mit Rau eine furchtlose Journalistin im Team, die letztes Jahr unter dem Titel #MediaToo eine fundierte Recherche zu sexuellen Übergriffen auf Journalistinnen veröffentlicht hat. Auch Rau wurde dieses Jahr vom Branchenmagazin Schweizer Journalist ausgezeichnet, in der Kategorie „Recherche“.
Und auch Helene Aecherli kennen Sie bestimmt. Sie arbeitet bei der Annabelle und ist eine Reporterin aus dem Bilderbuch: Sie schaut und schreibt mit dem Herzen, mit glasklarem Verstand und mit dem Talent, grauenvolle Verbrechen an Frauen so zu erzählen, dass man die Geschichte trotzdem gerne liest. Wenn ich gross bin, will ich so sein wie Helene Aecherli. Sie wurde übrigens sehr verdient zur Reporterin des Jahres 2019 gekürt. Und die Auszeichnungen an Frauen des Branchenmagazins reissen nicht ab: Doris Kleck und Anna Wanner, die Bundeshaus-Chefinnen der CH-Media, sind Politjournalistinnen des Jahres – in dieser Kategorie waren übrigens ausschliesslich Frauen nominiert. Beide schreiben immer wieder über Themen wie den Vaterschaftsurlaub oder interne Uneinigkeiten linker Parteien.
Journalistin des Jahres wurde Nicoletta Cimmino vom SRF. Sie moderiert die Sendung „Echo der Zeit“, eines der wichtigsten Gefässe im Schweizer Nachrichtenjournalismus, und ist zudem eine unfassbar talentierte Autorin – ihre Geschichten will ich bitte mal als Buch zusammengefasst haben.
Natürlich kennen Sie all diese Frauen. Und natürlich kennen Sie noch ganz viel mehr grossartige Journalistinnen, die sich unermüdlich in einer Branche behaupten, die noch immer vor allem männerdominiert ist. Diese Frauen fürchten sich dennoch nicht davor, immer und immer wieder feministische Themen ins Blatt und ins Netz zu bringen. Auch, wenn das für sie bedeutet, dass sie mit Hasskommentaren bis hin zu Vergewaltigungsdrohungen rechnen müssen.
Vielleicht kennen Sie auch die, sagen wir mal, Kehrseite einer vermehrt feministischen Veränderung im Schweizer Journalismus: Journalisten, die sich verzweifelt an ihre Blättchen klammern, ihre letzte Bastion sozusagen, wo sie ihre Meinung als leises Keuchen wieder und wieder von sich geben dürfen.
Vielleicht kennen Sie in diesem Kontext Kurt W. Zimmermann, der Kolumnen für die Weltwoche schreibt – mit jeweils mehr oder weniger fantasielosen Provokationen. Wobei, so leise wie bei Zimmermann ist dieses Keuchen jeweils gar nicht: weil es nach wie vor genug Männer gibt, die für ihre Kollegen das Sprachrohr halten, egal wie peinlich ihr Gebaren ist. Lukas Bärfuss etwa, nichts gegen Koala, aber irgendwann reichts dann auch mit den 67’231-Zeichen-Interviews, auf die wiederum ein Mann, sagen wir zum Beispiel Jürg Halter, dann noch eine Replik halten darf. Aber auch auf publizistischer Ebene ist der Schweizer Journalismus zu grossen Teilen nach wie vor ein Spielplatz für kleine Männer-Egos: So kann sich etwa Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, erlauben, Trump anlässlich seines WEF-Besuchs ein ganzes Cover zu widmen, das an Peinlichkeiten kaum zu überbieten ist.
Der Blick-Chefredaktor Andreas Dietrich kann auf einem Podium im vollen Ernst sagen, dass es halt schwierig sei, Reporterinnen zu finden, weil Frauen nicht so gerne rausgehen, wenn es regnet (stimmt doch gar nicht, wir fahren einfach lieber S‑Bahn morgens um elf). Und an jeder einzelnen Veranstaltung an jedem einzelnen Reporterforum sind es jedes einzelne Mal vor allem Männer, die am Schluss Fragen stellen. Nicht selten hat man dabei das Gefühl, sie hören sich einfach wahnsinnig gern selber reden.
Es ist nichts Neues, dass Männer vor allem gern mit anderen Männern über Dinge reden, über die vor ihnen schon ganz viele andere Männer ganz lange gesprochen haben und das dann aufschreiben. Neu und spannend wäre, wenn auch Männer anfangen würden, vermehrt über feministische Themen zu schreiben. Aber ich verstehe schon, das ist halt schwierig. Es braucht Mut und Furchtlosigkeit, es braucht einen langen Atem und man bekommt nicht immer gleich Applaus für seine Arbeit. Vielleicht müssen da auch in nächster Zeit halt einfach die Frauen ran.
Um feministischen Journalismus zu machen, braucht man ein bestimmtes Auftreten. Es hilft, zuhören zu können, sich anpassen zu können, in den richtigen Momenten unterschätzt zu werden und trotzdem einen Fick (sorry, Presserat) drauf geben zu können – wie, jetzt einfach als Beispiel, eine schlaue Maus. Es hilft wiederum ganz und gar nicht, in einen Raum zu kommen und ihn an sich zu reissen oder Karriere machen zu wollen mithilfe einer Ellenbogenmentalität, survival of the fittest und wer am lautesten brüllt, gewinnt – ein Gebaren wie ein Löwe, zum Beispiel. Löwenmännchen können sich ein solches Verhalten übrigens nur deshalb erlauben, weil sie eine kleine Armee aus Löwenweibchen um sich herum haben, die ihnen ihr Essen bringen, es sogar jagen für sie und ihnen auch sonst alles Mühsame vom Leib halten. Eine schöne Metapher für solche Letzte-Bastion-Männer – oder das Leben vieler heterosexueller Paare, aber das ist eine andere Geschichte.
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