Mit den Haaren in einem Dutt, dem Gesicht voller Sonnencreme und der Sonnenbrille auf der Nase laufe ich zur Busstation. Die Riemen meiner etwas zu schweren Tasche schneiden mir in die Schulter und die Schweisstropfen laufen meinen Rücken hinab. Ich trage ein eng anliegendes schulterfreies Top und Jeansshorts.
Im Bus starren mir zwei ältere Herren ungeniert auf die Brüste. Ich frage mich, ob ich einen dezenteren BH hätte anziehen sollen. Im Sommer schwellen etliche meiner Körperteile an; allen voran meine Brüste. Ich spüre, wie die rechte Brust über den BH-Rand quillt, und schiebe meine Schultern nach vorne, um mein Dekolleté kleiner wirken zu lassen. Als ich endlich aussteigen kann, hält ein Lieferwagen neben mir an und hupt. Die drei Männer im Auto lachen und schreien mir etwas zu. Ich fühle mich plötzlich, als wäre ich nackt: völlig ungeschützt. Schnell setze ich meine Kopfhörer auf und laufe in die entgegengesetzte Richtung.
Ich hasse diese ungewollte Aufmerksamkeit. Und ich hasse es, dass ich mir Gedanken darüber mache, was ich bei der elenden Sommerhitze anziehen kann, um unsichtbarer zu werden, statt dass ich meinen eigenen Komfort in den Vordergrund stelle. Kurz gesagt: Ich hasse den Sommer.
Richtig hässig
Egal, was ich im Sommer anhabe, egal, wohin ich gehe, ich kriege fast immer irgendwelche Kommentare zu meinem Aussehen. Ungefragt natürlich. Das geht mittlerweile so weit, dass ich mich automatisch unwohl fühle, wenn die Temperaturanzeige über 25 °C klettert. Und ich denke: „Was soll ich bloss anziehen?”
Nicht, dass meine Kleiderwahl wirklich etwas ausmachen würde – Männer, die Frauen sexuell belästigen, tun das unabhängig von ihrer Kleidung. Aber gemäss meiner Erfahrung nehmen die lüsternen Blicke, die sexistischen Kommentare und die unwillkommenen Berührungen im Sommer zu. Als wäre weniger Stoff, mehr Haut, ein Zeichen für mehr Bereitwilligkeit. Und das, obwohl die Frau, die sich aufgrund eines respektlosen Spruchs zu ihrer Figur auf offener Strasse auf spontanen Sex eingelassen hat, wohl erst erfunden werden müsste.
Die Blicke und Zurufe machen mich richtig, richtig hässig. Von Flirten oder der viel beschworenen Bestätigung („Nimm’s als Kompliment!”) ist das weit entfernt; es ist reine Machtausübung. Zudem macht es mir manchmal Angst. Zum Beispiel, wenn es in der Nacht passiert oder weit und breit keine andere Person zu sehen ist. Ich weiss ja nie, wer bereit ist, welche Grenze zu überschreiten. Also fühle ich mich unsicher. Und das ist so ein unangenehmes Gefühl, dass die Wut im Bauch fast ins Unermessliche wächst.
Davor versuche ich mich unter anderem mit meinen grossen Kopfhörern zu schützen. Wenn ich diese aufhabe, kann ich glaubhaft so tun (Musik läuft nämlich keine), als hätte ich das „Hey, Baby!” oder das „Geili Tittä!” nicht gehört. Das ist sicherer, als die Männer mit irgendeiner Reaktion zu würdigen, die sie dann als Bestätigung oder Provokation auffassen könnten.
Denn egal, wie frau reagiert: Sobald klar wird, dass es nicht auf eine heftige Flirterei hinauslaufen wird, kommen die Beschimpfungen. „Schlampe, Bitch, Fotze!” Oder der Klassiker: „Du bist doch eh hässlich.” An diesem Punkt bin ich dann jeweils erleichtert, dass der Typ mich nicht verfolgt.
Die „wohlgemeinten” Tipps
Diese Gaffer, Pfeifer und Schreier sind die Schlimmsten. Aber sie sind nicht die Einzigen, die mich gerade im Sommer zunehmend beurteilen und somit einschränken. Es gibt auch Personen, die „wohlgemeinte” Tipps geben. Und das sind oftmals Frauen. Zum Beispiel als ich mich an einem heissen Sommertag nach einigem Hin und Her für eine lange Jeans und ein T‑Shirt entschieden hatte, und meine Mitbewohnerin mir beim Hauseingang en passant sagte: „Du weisst schon, dass du darin mega heiss haben wirst?”
Wahrscheinlich meinte sie das als „netten Hinweis”; der einzige Effekt war aber, dass meine Laune in den Keller sank. Mir ist sicher auch schon so ein Kommentar rausgerutscht. Aber das muss wirklich aufhören, denn solche Bemerkungen sind nicht nur unnötig, sondern auch herablassend und teils sehr verletzend. Was soll das denn, dass wir im Sommer die Hitzefreundlichkeit der Kleidung anderer Menschen beurteilen und sie dann noch dafür shamen, wenn’s uns nicht passt?
Im Hochsommer ziehe ich gerne T‑Shirts oder Blusen an, um meine Schultern vor der Sonne zu schützen. Von Kleidern und Shorts halte ich mich hingegen fern, weil meine Oberschenkel dann unweigerlich aneinanderreiben und die Haut innert Minuten wundgescheuert ist. Ich habe auch schon durchsichtige Strumpfhosen angezogen, um meinem Problem Abhilfe zu schaffen – und bin prompt von mehreren Personen dafür ausgelacht worden.
Ganz ehrlich: Ich hab’s satt. Ich finde die Sommerhitze schon anstrengend genug und würde sie gerne ohne Scham und Sexualisierung hinter mich bringen. Und so geht es sicher nicht nur mir. Also lasst eure Schwester einen Hoodie, euren Kollegen ein Netz-Tanktop und eure dicke Tante Leggings tragen, wenn sie es denn wollen.
Vor allem aber lasst die Frau im Bus, im Club und auf der anderen Strassenseite einfach den Sommer geniessen. Und erklärt euren übergriffigen Kollegen, was Sache ist.
Ein Beispiel eines Übergriffs hat Madame Phila für uns illustriert:
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