Letzten Freitag erhielt das World Food Programme (WFP) für seinen Kampf gegen den Hunger und die Verbesserung der Friedensbedingungen in Kriegsgebieten den Friedensnobelpreis. Die Entscheidung hat wichtige Signalwirkung: Nachdem der Welthunger über die letzten Jahrzehnte stetig zurückgegangen ist, hungern nun wieder 60 Millionen Menschen mehr als noch vor fünf Jahren.
Durch die Corona-Pandemie sind weitere 132 Millionen Menschen von Hunger bedroht. Mittels Nahrungsmittelhilfe und Bargeldprogrammen hat das WFP Millionen von Armutsbetroffenen durch die Krise geholfen.
„Until the day we have a vaccine, food is the best vaccine against chaos”, hat Berit Reiss-Andersen, Vorsitzende des Norwegischen Nobelkomitees, an der Pressekonferenz die Organisation zitiert. Ein Slogan, der medial breit aufgenommen wurde und nicht zuletzt dazu dient, die Nichtwahl der ebenfalls für den Preis nominierte WHO zu legitimieren.
Diese Preisvergabe und die Argumentation verschleiern aber die strukturellen Gründe für Hunger. Denn es wird nicht etwa zu wenig Essen produziert, sondern die Menschen können es sich in ihrer Armut schlicht nicht leisten.
Nahrungsmittelpreise für Soja und Mais sind gestiegen, weil mehr als die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche für die Produktion von Biodiesel und Futtermittel verwendet wird. Kleinbäuer*innen produzieren zwei Drittel der menschlichen Nahrungsmittel, sind aber selbst der Gefahr einer unausgewogenen Ernährung und Hunger ausgesetzt. Weil sie für ihre Arbeit keine existenzsichernden Löhne erhalten.
Während subventionierte Agrarprodukte aus dem globalen Norden sowie unfaire Handelsbedingungen den Aufbau einer stabilen Nahrungsmittelversorgung im globalen Süden verhindern, kommen strukturell produzierte Überschüsse mitunter dem WFP zugute.
Im Jahr 2005 wurden laut Oxfam 90 Prozent der gesamten Nahrungsmittelhilfe in Form von Waren geleistet – vor allem die USA haben ihre landwirtschaftlichen Überschüsse an Mais und Soja in Empfängerländern deponiert und damit lokale Märkte bedroht. 2017 hat der Bundesrat seine Nahrungsmittelhilfe an das WFP in Form von Schweizer Milchpulver in Krisengebiete gestoppt. Mit dem Aufkauf überschüssiger Schweizer Milch zu diesem Zweck widersprach der Bund mit dieser inländischen Exportsubvention dem Entwicklungsziel, lokale Wirtschaften zu fördern.
Heute erfolgen nur noch rund 20 Prozent aller Spenden in Form von Lebensmitteln, das WFP kauft möglichst lokal ein und setzt zudem vermehrt auf Bargeldprogramme – es händigt die Unterstützung direkt in bar oder als E‑Geld auf Mobiltelefone aus. Die Menschen können dadurch selbst entscheiden, was sie essen möchten, kurbeln durch ihre Kaufkraft die lokalen Märkte an, und die Lebensmittel müssen nicht per Flugzeug, Schiff und Lastwägen verfrachtet werden. Doch auch dieser Ansatz überwindet die strukturellen Probleme nicht.
Transformieren, nicht normalisieren
In Uganda wird in der humanitären Hilfe eine als fortschrittlich gelobte Strategie umgesetzt, indem Geflüchteten ein Stück Land zur Bewirtschaftung zugewiesen wird. Damit kann das WFP ihre Lebensmittelhilfe schrittweise reduzieren und ihre knappen Ressourcen in anderen Katastrophengebieten einsetzen.
Es sind neoliberale Werte, die einer solchen Politik für Geflüchtete zugrunde liegen: Die betroffenen Menschen sollen aktiv Verantwortung übernehmen, es müssen Bedingungen für ihre ökonomische Produktivität geschaffen werden, und der Markt wird den Rest regeln. Klingt eigentlich gut, nur greift dieses neoliberale Versprechen wie meistens für die Ärmsten nicht. Denn diese gelangen trotz ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten selten auf einen sicheren Ast.
Daher lautet das vielgefeierte Schlüsselwort ‚Resilienz’ – ein Eckpfeiler der Aktivitäten des WFP, der etwa durch unternehmerische Initiativen und Schulungen im Agrarmanagement die Widerstandsfähigkeit der Betroffenen stärken soll, damit diese bei Krisen mit einem Minimum an externer Hilfe auskommen.
Wie eine Gruppe von Sozialwissenschaftler*innen für das subsaharische Afrika aber aufzeigen konnte, verlangt dieses Konzept von Menschen und Bevölkerungen, „mit den Instabilitäten eines neoliberalen Ernährungssystems zu leben, ohne die eigentlichen Ursachen sozioökonomischer und politischer Instabilität infrage zu stellen, zu destabilisieren oder sich ihnen zu widersetzen”.
Mit dem Friedensnobelpreis wollte Alfred J. Nobel eigentlich eine Person für ihre Friedensbemühungen würdigen – sei es durch diplomatische Vermittlung, Friedenskongresse oder militärische Abrüstung.
Wenn schon Hunger als eine Quelle von Konflikten angesehen wird, dann hätte der Preis Ansätze würdigen können, welche Ernährungsunsicherheit nicht normalisieren, sondern transformative Ansätze zu deren Bekämpfung verfolgen: mittels Regulierung des Agrarrohstoffhandels, Unterstützung kleinräumiger landwirtschaftlicher Praktiken, Einsatz für faire Handelsverträge oder Konzernverantwortung.
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