Das Jahr 2020 fing für die Schweizer Armee gut an. Endlich ein richtiger Einsatz! Das Milizsystem konnte seine Fähigkeit gegenüber einem eindringenden Feind unter Beweis stellen. Die Armee konnte zum Ernstfall rufen: Soldat:innen wurden einberufen, die Kasernen füllten sich mit Rekrut:innen. So ein richtig schönes Kriegsgefühl, dachten wohl viele Armeefans.
Schnell verschwand der Aktionismus und an seine Stelle trat ein PR-Desaster – ohne dass ein einziger Schuss abgefeuert wurde. Wenn die Soldat:innen nicht auf dem Kasernenhof am Marschieren waren, wurden sie in Krankenhäusern zum Däumchendrehen eingesetzt. Und die WOZ titelte zurecht „Mehr Belastung als Hilfe“. Der Ernstfall wurde zum Reinfall.
Es offenbarte sich schnell: In der ersten wirklichen Notsituation der letzten Jahrzehnte waren sowohl teure Waffen als auch Uniformen und militärisches Gehabe vollkommen nutzlos. Selbst in der Pandemie war das VBS unfähig, angemessen zu reagieren. Nach dem desaströsen Verlauf der Pandemiebekämpfung kam der Maskenskandal ans Tageslicht. Das VBS gab für einen Stückpreis von bis zu 9.90 Franken pro Maske rund 22 Millionen Franken aus. Profiteure waren ausgerechnet zwei SVP-Buben aus Zürich.
Es schien so, als wolle die Armee unter Beweis stellen, dass sie zu etwas fähig ist. Sie scheiterte kläglich. Und auch in ihrem eigentlichen Kerngeschäft hat sie sich eine Reihe von Skandalen geleistet.
Nachrichten über unbrauchbare Waffensysteme der Schweizer Armee häuften sich in den letzten Monaten. Mörserpanzer, die nicht schiessen, und Drohnen, die nicht fliegen können, schaffen ein ungefähres Bild über die Lage der Armee. Kurz: desaströs. Und noch viel schlimmer: Das VBS lügt bei seinen Deklarationen wie gedruckt.
So wurde etwa bei der Anschaffung der Mörserpanzer im Jahr 2016 verkündet, man habe das System „bei scharfem Schuss“ erprobt. Drei Jahre später verzeichnete man in einem internen Bericht, zu dem die NZZ per Öffentlichkeitsgesetz Zugang hatte, dass der Panzer „nicht truppentauglich“ sei. Mörserschüsse unmöglich, da die Munition nass würde. 400 Millionen Franken verdampften im Rauch der ungezündeten Granaten.
Als 2019 die ersten Hermesdrohnen in die Schweiz kamen, verkündete ein stolzer Armeeoffizier, die riesigen Drohnen würden „höher, länger, weiter“ fliegen. Doch statt der Drohnen setzten dann die Rechnungen zum Höhenflug an, wie der Tages-Anzeiger feststellen musste. Seit Eintreffen der Drohnen sind diese nämlich kein einziges Mal geflogen. Zu hohe Luftfeuchtigkeit macht dem Kriegsgerät den Garaus. Und die Kosten übersteigen schon jetzt die ursprünglich eingeplanten 250 Millionen Franken um ein Fünftel des Gesamtwertes. Grosse Klappe, nichts dahinter.
Und zuletzt die Kampfjetbeschaffung: Je näher das Datum der Abstimmung rückte, desto mehr Fragen wurden aufgeworfen. Wozu 40 Kampfjets, wenn bereits 20 für die Aufgaben der Luftpolizei ausreichen? Wozu eine Abstimmung ohne konkretes Modell? Das VBS machte den Eindruck, sich den Gelüsten der Armeegeneräle vollends hingeben zu wollen.
Aber anstatt die Fragen zu beantworten, wurde ein Abstimmungskampf über das Bestimmungsrecht der Luftwaffe geführt. Und dieser wurde nur sehr knapp gewonnen.
Denn die Armee präsentierte sich als zutiefst undemokratisch. So finanzierte das VBS mit eigenen Mitteln Werbung (inklusive Kampfjets) für die Schweizer Luftwaffe auf Facebook und Instagram – und bewegte sich damit auf dünnem Eis. Denn eigentlich darf der Bund mit bezahlter Werbung nicht aktiv in den Abstimmungskampf eingreifen.
Und trotz Werbefotos mit der einzigen Pilotin in der Luftwaffe zeigt sich, dass das Militär den aktuellen gesellschaftlichen Debatten um Jahrzehnte hinterherhinkt. Zeitungsberichte zeigen immer wieder, wie es in der Rekrutenschule intern aussieht.
Witze über Muslim:innen, Frauen oder Judentum – also über alle, die von der patriarchalen, rassistischen Gesellschaft gerne als „Minderheiten“ bezeichnet werden – sind in der Rekrutenschule laut einem Bericht des Tages-Anzeigers an der Tagesordnung. Auch Gewalt soll es laut dem Bericht ständig gegeben haben.
Dass solche und ähnliche Berichte wiederholt zu lesen waren, zeigt zudem: Es wird nichts dagegen unternommen.
Ein neuer Skandal setzte dem Imageschaden des VBS Anfang 2021 das Sahnehäubchen auf: Ganz im Gegensatz zu demjenigen als Rekrut:in lässt sich das Leben in den oberen Rängen anscheinend in vollen Zügen geniessen. Zumindest wenn man von den Ausgaben ausgeht. Die NZZ am Sonntag machte publik, dass der Verteidigungsattaché in New York acht Dienstwagen besitzt und diese auch für private Zwecke nutzt. Das gesamte Botschaftspersonal hat im Gegensatz dazu nur zwei Wagen und darf diese auf keinen Fall für private Zwecke nutzen. Zudem verdient der Verteidigungsattaché mit rund 300’000 Franken gut 50’000 mehr als der Botschafter in Washington.
„Luxus auf Staatskosten“ war daher der einzig passende Titel für das Geschehen. Luxus für eine unfähige Armee, die nichts auf die Reihe kriegt. Das Einzige, das sie kann, sind Zaubertricks. Wie jener mit der Münze, die nach Lust und Laune im Ohr, auf der Handfläche oder im Mund verschwindet – oder in diesem Fall in meist viel zu gross geratenen Spielzeugen für den Krieg.
All dies wäre halb so schlimm, würde nicht ausgerechnet Ueli Maurer, der ehemalige Vorsteher des VBS, heute aus dem Finanzdepartement nach Einsparungen schreien und sich weigern, Geld für die Verlierer:innen der derzeitigen Krise auszugeben. Der erste Ort, an dem Einsparungen stattfinden sollten, ist das VBS. Damit wären wir gleich zwei Probleme los: die Armee und das aufklaffende Finanzloch.