Dieses Jahr findet der feministische Streiktag in Zürich unter dem Motto „Care Streik“ statt. Der Grossteil der (schlecht)bezahlten Care-Arbeit wird nämlich von FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) verrichtet. Sowohl in der Pflege als auch in der schulergänzenden Kinderbetreuung liegt der Frauenanteil bei über 85 Prozent.
Doch Care-Arbeit wird auch im privaten Umfeld auf FINTA abgewälzt. Weiblich sozialisierten Personen wird schon früh beigebracht, dass sie sich um andere zu kümmern haben und dass Multitasking und Organisation wichtige Skills sind.
In der Öffentlichkeit wird dennoch kaum darüber geredet – Familie und Freundschaft sind in der Schweiz Privatsache, ebenso die fehlende Gleichstellung in diesem Bereich. Dieses Ungleichgewicht übt einen immensen Druck auf FINTA aus und raubt ihnen wertvolle Energie.
Um zu konkretisieren, was unbezahlte Care-Arbeit eigentlich bedeutet, folgt eine Liste mit 40 Beispielen aus dem Alltag; gesammelt aus eigener Erfahrung, über die Lamm-Redaktion und im Freund:innenkreis. Der Fokus liegt bewusst auf den „kleinen Sachen“. Sie eignen sich perfekt dazu, bestreikt zu werden. Am 14. Juni und darüber hinaus.
Care-Arbeit in der Freund*innenschaft ist:
- Wenn du dich immer wieder bei einer dir nahestehenden Person meldest, obwohl sie dich selten bis nie von sich aus anschreibt.
- Wenn du deine Woche vorausplanst und dir Zeit freihältst, um eine dir nahestehende Person treffen zu können.
- Wenn du nach einem Streit oder einer Diskussion mit einer dir nahestehenden Person auf sie zugehst, um die Spannung aufzulösen.
- Wenn du Zeit und Platz schaffst, damit eine dir nahestehende Person sich dir öffnen und über etwas erzählen kann, das sie beschäftigt.
- Wenn du nachfragst, was los ist, wenn eine dir nahestehende Person verstimmt/traurig/genervt wirkt.
- Wenn du in einem Gespräch mehrere Fragen stellst, um eine Person besser kennenzulernen.
- Wenn du dir merkst, was eine dir nahestehende Person sehr gerne isst oder macht.
- Wenn du eine dir nahestehende Person unterstützt, sollte es ihr gesundheitlich (psychisch oder physisch) nicht gut gehen.
- Wenn du den Gemütszustand deines Gegenübers abliest, anerkennst und dein Verhalten daran anpasst.
- Wenn du eine Geburtstagsparty für eine dir nahestehenden Person planst.
Care-Arbeit in der Partner*innenschaft ist:
- Wenn du Spannungen in der Beziehung ansprichst.
- Wenn du Gespräche über die gemeinsame Sexualität initiierst.
- Wenn du die gemeinsame Zukunft gestaltest, indem du z.B. eine gemeinsame Wohnung suchst.
- Wenn du an das Beziehungsumfeld der Person denkst und nachfragst, wie es ihnen geht (z.B. „Hat deine Schwester die Prüfung eigentlich bestanden?“).
- Wenn du gemeinsame Aktivitäten oder Ferien organisierst.
- Wenn du die Person auf Haushaltsarbeiten aufmerksam machst.
- Wenn du der Person am Morgen Kaffee ans Bett bringst.
- Wenn du Pläne absagst, um mit der Person Zeit zu verbringen.
- Wenn du dich darum bemühst, Freund:innen und Familie der Person zu treffen und den Kontakt aufrecht zu erhalten.
- Wenn du der Person deine Grenzen kommunizierst.
Am 14. Juni 2021 jährt sich der feministische Streik (auch Frauen*streik) zum dreissigsten Mal. 1991 forderten „Hunderttausende Frauen“ in der ganzen Schweiz ihre Rechte ein – die grösste öffentliche Mobilisierung seit dem Landesstreik 1918.
2019 wurde der „Frauen*streik“ wiederbelebt. Über eine halbe Million FINTA und solidarische cis Männer zogen durch die Strassen, um für die Gleichberechtigung aller Geschlechter einzustehen.
Care-Arbeit in der Familie ist:
- Wenn du auf deine Geschwister oder Cousinen aufpasst, sollten die Eltern unterwegs sein.
- Wenn du den Terminplan deiner Familienmitglieder im Kopf behältst und dafür sorgst, dass sie pünktlich zu einem Termin erscheinen, indem du sie z.B. daran erinnerst oder sie dorthin bringst.
- Wenn du einen Sorgeersatz für deine Kinder organisierst, solltest du keine Zeit für sie haben.
- Wenn du den Wocheneinkauf planst und erledigst.
- Wenn du in einem Streit zwischen deinen Familienmitgliedern vermittelst.
- Wenn du regelmässig bei deinen Grosseltern anrufst, damit sie weniger einsam sind.
- Wenn du deine (Schwieger-)Eltern im Alter pflegst, damit sie nicht in ein Heim ziehen müssen.
- Wenn du die Wohnung einrichtest und regelmässig aufräumst, sodass eine gemütliche Stimmung entsteht.
- Wenn du ein Geburtstagsgeschenk für deine Mutter organisierst, das „von dir und deinen Geschwistern“ ist.
- Wenn du am Esstisch das Gespräch am Laufen hältst und eine gute Stimmung verbreitest.
Care-Arbeit in der WG ist:
- Wenn du ausgewogen kochst, damit deine Mitbewohner*innen nicht nur Fast Food essen.
- Wenn du dich um die Pflanzen im Wohnzimmer kümmerst und sie regelmässig giesst, damit sie nicht verwelken.
- Wenn du Aktivitäten planst, damit alle Mitbewohner*innen Zeit miteinander verbringen und eine Beziehung zueinander aufbauen können.
- Wenn du dir die Aktivitäten im Leben deiner Mitbewohner*innen merkst und regelmässig danach fragst.
- Wenn du deine Mitbewohner*innen mit Süssigkeiten und Kochen unterstützt, weil sie in der Prüfungsphase sind.
Care-Arbeit im Büro ist:
- Wenn du nach der morgendlichen Sitzung das Zimmer aufräumst und die benutzten Kaffeetassen abwäschst oder sie in die Spülmaschine stellst.
- Wenn du Arbeitsaufgaben deiner Kolleg*innen übernimmst, weil sie ansonsten nicht rechtzeitig damit fertig werden würden.
- Wenn du in einer anstrengenden Woche Gebäck oder Kuchen mitbringst, um die Gruppen-Moral zu stärken.
- Wenn du mit Kolleg*innen das Gespräch suchst, weil du Spannungen im Team bemerkst.
- Wenn du deinen Kolleg*innen Komplimente für ihre Arbeit machst, um sie aufzubauen.
Da Care-Arbeit in jedem Bereich unseres Lebens anfällt, überschneiden sich diese vierzig Beispiele teilweise und sind nicht annähernd abschliessend. Doch sie sollen aufzeigen, wie wichtig es ist, sich im Alltag um andere Menschen zu kümmern.
Ohne Care-Arbeit würde unsere heutige Gesellschaft gar nicht existieren. Sich um andere Menschen zu kümmern, ist vor allem etwas sehr Schönes. Doch Care-Arbeit ist auch anstrengend. Es ist wortwörtlich Arbeit, die ironischerweise weder als solche anerkannt noch angemessen bezahlt wird.
Während es wichtig ist, dass wir für faire Löhne für Kindererzieher*innen und Pfleger*innen in Spitälern und Altersheimen kämpfen, dürfen wir die unbezahlte Care-Arbeit nicht vergessen. Wir müssen anfangen, darüber im Alltag zu sprechen und anerkennen, dass diese Arbeit wertvolle Energie kostet. Die Care-Arbeit im privaten Raum muss gleichmässig auf alle Menschen, die Teil dieser Gesellschaft sein wollen, verteilt werden. Denn davon profitieren tun wir alle.