Die radikale Verschärfung des Arbeitsalltags und der Unterbruch der Arbeit während der Pandemie hat Arbeiter:innen weltweit dazu veranlasst, ihr Verhältnis zur Arbeit zu hinterfragen. Ein zentraler Ort, in dem verhandelt wird, welche Bedeutung der Arbeit in unserer Gesellschaft beigemessen werden soll, ist die Diskussionsplattform Reddit. Seit 2013 bietet der Subreddit r/AntiWork Platz für die digitale Anti-Arbeitsbewegung. „Arbeitslosigkeit für alle, nicht nur für die Reichen!“, titelt die Seite. Die Gruppe hat ihre Wurzeln in der anarchistischen und kommunistischen Bewegung, die radikale Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem übt.
In der Pandemie hat die Diskussionsseite starken Zuwachs erhalten: 2021 verzeichnete sie eine Steigerung der Aufrufe um 282 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mittlerweile zählt der Thread mehr als 1.7 Millionen Nutzer:innen verschiedener Gesinnungen, die sich über Arbeitsrechte, ‑alltag und ‑kämpfe austauschen. „Ein Subreddit für alle, die mit der Arbeit aufhören wollen, die neugierig darauf sind, was es bedeuten würde, mit der Arbeit aufzuhören, die das meiste aus einem arbeitsfreien Leben herausholen wollen, die mehr Informationen über Anti-Arbeitsideen suchen und die persönliche Hilfe bei ihren eigenen arbeitsbezogenen Kämpfen suchen“, steht in der Profilbeschreibung.
In der Gruppe tauscht sich die Community über ihre eigenen Erfahrungen aus: von Berichten über unzumutbare Arbeitsbedingungen und Kündigungen über Tipps zur Selbstorganisation und Verhandlung für bessere Löhne bis hin zu Memes und aktuellen Nachrichten. Auch über die Bedeutung von „Anti-Work“ wird debattiert: Für die einen heisst es die radikale Abschaffung des Wirtschaftssystems und der Arbeit, wie wir sie kennen, für andere lediglich eine verbesserte Work-Life-Balance.
„Wir sind nicht gegen Anstrengung, Arbeit oder Produktivsein“, steht in den FAQ des Subreddits. Und weiter. „Wir sind gegen Arbeitsplätze, wie sie im Kapitalismus und im Staat strukturiert sind: gegen ausbeuterische Wirtschaftsbeziehungen, gegen hierarchische Beziehungen am Arbeitsplatz.“ Am modernen Arbeitsplatz würde von Arbeitnehmenden erwartet, dass wir ungeachtet unserer individuellen Bedürfnisse oder Wünsche arbeiten. Arbeit stelle die Bedürfnisse und Wünsche von Manager:innen und Unternehmen über die der Arbeitnehmer:innen, oft bis hin zum Missbrauch durch Überlastung und Unterbezahlung. „Der Sinn von r/AntiWork ist es, ein Gespräch zu beginnen, um die Arbeit, wie wir sie heute kennen, zu problematisieren“, heisst es weiter.
Interview mit Fox News
Mit dem kometenhaften Erfolg kam auch das öffentliche Interesse. Ende Januar 2022 wurde eine der Moderator:innen des Subreddits, Doreen Ford, vom rechts-konservativen amerikanischen Sender Fox News eingeladen. Das Gespräch mit Ford führte Jesse Watters, der unter anderem für seine rassistischen und sexistischen Interviews bekannt ist.
„Ermutigst du Leute dazu, faul zu sein?“, ist eine der ersten Fragen, die Watters Ford stellt. Ford überlegt einen Moment. Dann kommt der erste Knall, der alle mit neoliberalen Ideologien gefüllten Köpfe zum Platzen bringt: „Ich glaube, dass Faulheit eine Tugend ist, in einer Gesellschaft, in der wir rund um die Uhr produktiv sein sollen“, antwortet Doreen und schaut dabei nicht in die Kamera. In diesem Moment sieht man das Leuchten in den Augen von Watters, er freut sich offensichtlich sehr über die für ihn absurde Antwort Fords.
Gleich darauf folgt der zweite Strike, als Watters Ford fragt: „Wie viele Stunden sind ein Arbeitstag für dich, in einer idealen Gesellschaft?“ Worauf Ford antwortet: „So viel, wie die Leute arbeiten wollen.“ Watters lächelt zufrieden und unterbricht Ford in ihrer Antwort, um die nächste Frage zu stellen, worauf der dritte Strike folgt.
Auf die Frage, wie sich Ford ihre berufliche Zukunft vorstellen könne, antwortet sie, dass sie gerne Philosophie unterrichten würde. Watters‘ Lächeln verwandelt sich in ein Grinsen und man erwartet, dass er sich gleich vor Freude auf den Schenkel klopft. „Ich würde deinen Kurs wirklich gern besuchen“, antwortet der Fox-News-Moderator und kann sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Ein Reddit-User wird später schreiben, dass man Watters die Freude ansehen konnte, in drei Minuten eine ganze soziale Bewegung versenkt zu haben.
Watters beendet das Interview mit dem Satz: We got to pay the bills. Wir müssen unsere Rechnungen zahlen.
Neue Perspektiven
Was für Watters die einzig logische Realität ist – fast alle Menschen sind abhängig von einem Lohn, den sie durch Arbeit erwerben müssen, um ihre Rechnungen zahlen zu können –, hinterfragt die Anti-Arbeitsbewegung. Watters verbucht die theoretische Möglichkeit, einen Job wechseln zu können, als Freiheit. Dabei befinden sich Arbeiter:innen sehr wohl in einem Zwang: Denn, wie Watters korrekt anmerkte, die Rechnungen müssen bezahlt werden.
Ist der Status quo vorausgesetzt, lässt sich erklären, wieso alle Ideen, die Ford in dem Interview hervorbringt, für Watters wie der grösste Irrsinn aller Zeiten erscheinen. In Watters‘ Augen – und in den Augen vieler Menschen, die sich keine andere Welt als die jetzige vorzustellen trauen – ist es nicht nur notwendig, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Für Leute wie Watters ist es erstrebenswert, eine karrieristische Arbeitsmoral zu verfolgen
Doch Watters belächelnde Verachtung für die Anti-Arbeitsbewegung rührt nicht nur von seiner eigenen Idealvorstellung von Arbeit. Denn auch er weiss, dass in den Händen derjenigen, die Arbeit nehmen, die Möglichkeit liegt, das Funktionieren eines Betriebes zu stören oder ihn lahmzulegen.
So zum Beispiel in den „langen 70er-Jahren“, eine Zeit der Inflation und wirtschaftlichen Rezession in den USA, die viele Gewerkschafter:innen und Streikende dazu veranlasste, die Arbeit niederzulegen und von den Arbeitgebern mehr als nur Lohnerhöhungen zu fordern.
In dieser Tradition sieht sich die Anti-Arbeitsbewegung von heute. So trugen Mitglieder des Subreddits im Dezember 2021 dazu bei, das Bewerbungsportal von Kellogg’s zu überschwemmen, als das Unternehmen die Verhandlungen mit streikenden und gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern abbrach und erklärte, es wolle neue Arbeiter:innen einstellen, die sich nicht gewerkschaftlich organisierten.
Das alles zeigt uns, dass Bewegungen wie die der Anti-Arbeit Teil einer vielschichtigen und generationsübergreifenden Veränderung sein können.
Die Folgen des Interviews
Die Situation nach dem missglückten Fernsehinterview war allerdings ein Trauerspiel: Die Community war nachvollziehbar enttäuscht über den Auftritt Fords, der nicht demokratisch beschlossen wurde. User:innen hatten sich mehrfach dagegen ausgesprochen, öffentliche Interviews zu geben. Bei einem Gespräch mit einem rechts-konservativen Sender liegt es nahe, dass man in die Pfanne gehauen wird. Es stellt sich die Frage, wie sinnvoll es überhaupt ist, sich auf einen solchen Austausch einzulassen.
Nach dem Interview musste Ford ihre Position als Moderatorin des Subreddits aufgeben. Die Community kritisierte, die Moderator:innen des Subreddits hätten ihre Macht ausgenutzt und sich als Köpfe der Bewegung aufgespielt. „Moderator:innen sind keine Anführer:innen und sollten sich niemals wie solche verhalten“, schreibt ein User. Weiter kritisieren User:innen, dass die Moderator:innen der Gruppe selbst berechtigte Kritik aus den eigenen Reihen zensierten und Beiträge im grossen Stil löschten. Kurz nach dem Interview wurde der Subreddit sogar für einige Zeit von den Moderator:innen geschlossen.
Die Folge des Fox-News-Interviews ist die Zersplitterung des Subreddits: Neu erfährt unter anderem der darauf gegründete Subreddit r/WorkReform am meisten Zuwachs. „r/WorkReform ist eine Bewegung, die für eine gute und gesunde Lebensqualität für alle kämpft, die ihre Arbeit verkaufen“, steht in der Beschreibung der neuen Gruppe. Viele Arbeiter:innen und User:innen fühlten sich aus den eigenen Reihen hintergangen und können sich nicht mit den radikalen und teilweise abstrakten Idealen des r/AntiWork-Threads identifizieren. Zu gross ist die derzeitige Belastung durch drohende Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne und steigenden Leistungsdruck im amerikanischen und internationalen Arbeitsalltag.
Es ist bedauerlich, dass ein Fernsehinterview ein solches Chaos anrichten konnte. Natürlich war Fox News nie an einem fairen Austausch mit den Arbeitsaktivist:innen interessiert. Falls sich dieser Vorfall in Zukunft wiederholen sollte, würde es der Bewegung vielleicht mehr dienen, sich der rhetorischen und ästhetischen Mittel der Gegner:innen zu bedienen: Wieso nicht mal in Anzug, gegelten Haaren und überlegenem Dauerlächeln von den 20 Jahren in einer Führungsposition sprechen, die einen kaputt gemacht haben?
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