Mit zwei bis drei neuen Reservekraftwerken will der Bund eine mögliche Stromknappheit abfedern. Bis anhin existierte der Bau eines Gaskraftwerks lediglich in der bundesrätlichen Theorie. Seit ein paar Wochen ist mit der Perlen Papier AG aber eine handfeste Interessentin auf den Plan getreten. Laut Tagesanzeiger hat der Chef der Papierfabrik, Peter Schildknecht, im luzernischen Perlen „sehr grosses Interesse“, eines der geplanten Kraftwerke zu bauen und zu betreiben.
Laufen soll ein solches Gaskraftwerk mit Erdgas. Laut einem SRF-Bericht geht der Verband schweizerischer Elektrizitätsunternehmen davon aus, dass ein Gaskraftwerk rentabel betrieben werden kann. Aber: Auf den Verbrauch von fossilen Brennstoffen, also auch auf Erdgas, zahlt man in der Schweiz eigentlich eine Abgabe von 120 Franken pro Tonne emittiertes CO2. Diese Abgabe soll fossile Brennstoffe verteuern, damit ihr Einsatz eben gerade nicht mehr rentabel ist.
Wir haben deshalb bei der Perlen Papier AG nachgefragt, wieso man an einer fossil betriebenen Anlage interessiert sei, obwohl das Verbrennen von fossilen Brennstoffen jetzt schon einiges kostet und in Zukunft wohl noch teurer wird. Eine Antwort erhielten wir von der Chemie + Papier Holding AG, zu welcher auch die Perlen Papier AG gehört:
Sehr geehrtes Lamm
Besten Dank für Ihre Anfrage. In den Wintermonaten droht in Zukunft ein Stromlücke und der Bundesrat plant deshalb den Bau von zwei bis drei Gaskraftwerken in der Schweiz. Der Industriestandort in Perlen ist für ein Gaskraftwerk ideal gelegen. Eine Pipeline zur Versorgung mit Gas besteht in unmittelbarer Nähe und der Strom kann im nahe gelegenen Unterwerk Mettlen ins Hochspannungsnetz eingespeist werden.
Auf dem Industriegelände produziert die Kehrichtverbrennungsanlage Renergia bereits Energie in grossem Umfang und liefert dabei auch Dampf für Perlen Papier. Die Papierfabrik ist als einzige Produzentin von Zeitungsdruckpapier in der Schweiz systemrelevant und auf eine verlässliche Energieversorgung angewiesen.
Die Chemie + Papier Holding AG hat deshalb ihr Interesse bekundet, am Standort ein Gaskraftwerk zu betreiben. Da es noch kein Projekt gibt, können auch keine Angaben gemacht werden, wie ein wirtschaftlicher Betrieb aussehen könnte.
Freundliche Grüsse
Head of Corporate Communications
Diese Antwort wirft Fragen auf, denn auch wenn es in der Schweiz noch keine vergleichbare Anlage gibt: Dass die Kommunikationsabteilung noch gar keine Angaben über die Rentabilität machen könne, ist nur schwer nachvollziehbar. Denn die Perlen Papier AG ist im Umgang mit den CO2-Regeln für Industrieanlagen ein alter Hase. Man sollte also abschätzen können, wie die zukünftigen CO2-Regeln für ein Gaskraftwerk aussehen könnten.
Denn um zu verstehen, warum der Verband schweizerischer Elektrizitätsunternehmen trotz 120 Franken CO2-Abgabe zum Schluss kommt, dass sich ein fossil betriebenes Gaskraftwerk lohnen könnte und warum sich die Perlen Papier AG dementsprechend für den Betrieb eins solchen Werks interessiert, braucht es einen genauen Blick auf die CO2-Regeln, die hierzulande für die Industrie gelten. Eines ist nämlich bereits jetzt klar: Ein Gaskraftwerk wäre nicht einfach der CO2-Abgabe unterstellt, sondern würde bezüglich Emissionen Spezialregeln bekommen.
Nicht alle zahlen die CO2-Abgabe
Zahlen müssen die CO2-Abgabe grob gesagt zwei Gruppen: Private Haushalte, die fossil heizen und Unternehmen, die fossile Brennstoffe in der Produktion einsetzen. Bei den Unternehmen gibt es aber Ausnahmen: Konzerne, die ihre Klimarechnung im Rahmen des Emissionshandelssystems (EHS) begleichen, zahlen zum Beispiel keine CO2-Abgabe (das Lamm berichtete).
Anstelle der CO2-Abgabe bezahlen diese Firmen beim Bund mit sogenannten CO2-Zertifikaten für ihre Emissionen. Für jedes abgegebene Zertifikat dürfen sie eine Tonne Klimagas ausstossen. Die Zertifikate werden zum Teil mit einem bestimmten Verteilschlüssel vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) kostenlos an die Firmen abgegeben. Was den Firmen dann noch fehlt, müssen sie auf dem CO2-Markt dazu kaufen. Im Moment sind rund 100 Unternehmen im EHS eingebunden. Die Perlen Papier AG ist eine davon.
Absurderweise erhalten nicht wenige Konzerne im Schweizer EHS mehr Zertifikate kostenlos zugeteilt, als sie tatsächlich verbrauchen. In der Handelsperiode von 2013 bis 2020 waren rund 50 Firmen mit total 56 Anlagen im EHS. Von diesen 56 Anlagen erhielten 23 mehr Zertifikate als benötigt. Bei den Firmen, die diese Anlagen betreiben, blieb deshalb Jahr für Jahr ein Überschuss an Zertifikaten liegen, ohne dass sie einen Rappen für den Kauf von Emissionsrechten ausgeben mussten. Eine dieser Firmen ist die Perlen Papier AG.
CO2-Zertifikate bei der Perlen Papier AG |
Vom BAFU gratis zugeteilte Zertifikate | Vom Bund eingeforderte Zertifikate, entsprechend den tatsächlich emittierten Tonnen Klimagase | Überschüssige Zertifikate, die verkauft werden können auf dem CO2-Markt | |
2013 | 167’533 | 86’339 | 81’194 |
2014 | 165’249 | 83’156 | 82’093 |
2015 | 162’943 | 35’907 | 127’036 |
2016 | 160’614 | 20’895 | 139’719 |
2017 | 158’263 | 12’893 | 145’370 |
2018 | 155’888 | 9’727 | 146’161 |
2019 | 153’491 | 9’749 | 143’742 |
2020 | 151’069 | 7’946 | 143’123 |
Total | 1’275’050 | 266’612 | 1’008’438 |
Laut dem Schweizer Emissionshandelsregister bekam die Perlen Papier Fabrik von 2013 bis 2020 rund eine Million mehr Zertifikate zugeteilt, als sie für ihre Emissionen abgeben musste. Deshalb hat das Lamm bei der Papierfabrik nachgefragt, was man mit den überschüssigen Zertifikaten gemacht habe und ob man damit rechne, dass ein neues Reservegaskraftwerk weitere EHS-Zertifikate einbringen würde? Die Antwort kam postwendend:
Guten Tag
Da Perlen Papier aufgrund von gezielten Nachhaltigkeitsmassnahmen rund 75% weniger CO2 ausstösst als der Durchschnitt der europäischen Papierindustrie, verfügten wir in der Vergangenheit über einen Überschuss von zugeteilten CO2-Zertifikaten, welche verkauft werden können. Insgesamt wurden im Geschäftsjahr 2021 330‘000 CO2-Zertifikate verkauft.
Wie der Betrieb eines Gaskraftwerkes aussehen könnte, ist zum heutigen Zeitpunkt noch völlig offen.
Freundliche Grüsse
Die Perlen Papier AG hat im vergangenen Jahr also rund einen Drittel der angestauten Zertifikate auf dem CO2-Markt verkauft und damit laut eigenen Angaben 18.1 Millionen verdient. Über alle Geschäftsbereiche hinweg machte die Chemie + Papier Holding AG 2021 einen Gesamtgewinn von 25.7 Millionen. Im Bereich Papier habe man jedoch mit einem negativen Resultat abgeschlossen und ohne die Erträge aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten wäre das Ergebnis noch tiefer ausgefallen, schreibt uns die Papierfabrik auf Anfrage.
Emissionen runter, Gewinn rauf
Als Begründung für diesen rentablen Zertifikatsüberfluss gibt die Papierfabrik ihre tiefen CO2-Emissionen an. Und tatsächlich konnte die Papierfabrik ihren Klimagasausstoss in den letzten zehn Jahren sehr stark senken – seit 2013 von über 80’000 auf rund 8’000 Tonnen Klimagase pro Jahr.
Trotz dieser Reduktion blieb die Anzahl vom Bund zugeteilter Gratiszertifikate, die bei Perlen auf dem Emissionskonto gutgeschrieben wurden, aber mehr oder weniger konstant – denn die zugeteilten Verschmutzungsrechte sind nicht von den tatsächlich emittierten Tonnen abhängig, sondern einerseits davon, wie gut der Konzern bezüglich Emissionen im Vergleich mit dem europäischen Durchschnitt abschneidet und anderseits davon, wie hoch die Gefahr ist, dass der Konzern bei zu hoher CO2-Abgabelast seine Produktion und die damit verbundenen Emissionen ins Ausland verlegt. Konzerne, bei denen diese Gefahr besteht, fallen in die Kategorie „Carbon-Leakage-gefährdet“.
Die Perlen Papier AG hat also nicht nur deswegen einen so hohen Zertifikatsüberschuss, weil sie in den letzten Jahren gezielt in die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmassnahmen investiert hat, sondern auch, weil sie vom Bund laut eigenen Angaben zu den „Carbon-Leakage-gefährdet“ Unternehmen gezählt wird. Die Papierfabrik erhält dadurch rund drei Mal so viele Zertifikate, wie wenn sie nicht als „Carbon-Leakage-gefährdet“ eingestuft wäre (CO2-Verordnung, Anhang 9 Ziffer 3).
Doch würde die einzige Zeitungspapierfabrik der Schweiz ihre Produktion tatsächlich ins Ausland verlagern, wenn der Bund den Zertifikatssegen einstellen würde? Die Papierfabrik verneint: „Perlen Papier produziert seit 1873 Papier am Standort und eine allfällige Zuteilung von CO2-Zertifikaten hat keinen Einfluss auf die strategische Ausrichtung“, schreibt man uns dazu auf Anfrage. Eine Verlagerung ins Ausland sei kein Thema. Die Papierproduktion sei standortabhängig und könne nicht einfach verlagert werden.
Das Schweizer EHS ist seit 2020 mit dem europäischen EHS zusammengeschlossen. Die Einstufung als „Carbon-Leakage-gefährdet“ basiert deshalb auf einer Liste aus der EU-Gesetzgebung. Diese scheint jedoch nicht die realen Zwänge abzubilden.
Die CO2-Abgabe bestraft, das EHS belohnt
Wäre die Perlen Papierfabrik nicht im EHS, müsste sie heute 120 Franken pro Tonne CO2 bezahlen. Das würde sie auch bei 8’000 Tonnen Klimagase noch rund eine Million pro Jahr kosten. Die Problematik, dass Firmen mit hohen CO2-Emissionen durch die Teilnahme am EHS nichts für ihr CO2 bezahlen, sondern gar noch Zertifikate gewinnbringend verkaufen können, liegt also auf der Hand.
Noch problematischer ist jedoch, dass der Emissionshandel durch die überschüssig zugeteilten Zertifikate in seiner Wirkung umgedreht wird. Der Preis für Emissionsrechte hat sich im letzten Jahr verdreifacht. Was sich nach einer Erhöhung der Klimaabgaben anhört, wird, wenn man genauer hinschaut zum Profitgeschäft für gewisse EHS-Firmen. Denn dadurch können sie ihre überschüssigen Zertifikate zu einem höheren Preis verkaufen und somit zusätzliche Gewinne generieren.
Wieso verteilt das BAFU so viele Zertifikate? Machen auch andere Schweizer Unternehmen auf diese Weise Gewinn? Wie rechtfertigen die EHS-Firmen den Zertifikatssegen? Und plant die EU Gesetzesanpassungen, die dieser Praxis einen Riegel schieben werden. Antworten auf diese Fragen werden wir euch in einer Serie zum EHS geben. Unsere Recherchen haben begonnen. Unterstützen kannst du sie hier.
Dies zeigt: Das Prinzip Emissionshandel und das Prinzip CO2-Abgabe unterscheiden sich wesentlich in ihrer Funktionsweise. Während die CO2-Abgabe die bestraft, die mehr emittieren, wird im EHS belohnt, wer weniger emittiert. Auf den ersten Blick mag das auf dasselbe hinauslaufen. Nur: Beim Prinzip EHS ist es möglich, dass ein Unternehmen regelkonform hohe CO2-Profite macht, obwohl es noch weit davon entfernt ist, wirklich klimaneutral zu wirtschaften. Beim Prinzip CO2-Abgabe ist das nicht möglich. Das EHS ist falsch skaliert.
Die CO2-Regeln für ein Gaskraftwerk sind komplex
Doch was bedeutet das Ganze nun für den Bau von neuen Gaskraftwerken, wovon eines dereinst auf dem Areal von Perlen Papier stehen könnte? Normalerweise ist eine Anlage entweder im EHS oder sie zahlt die CO2-Abgabe. Die CO2-Regeln für ein künftiges Gaskraftwerk wären aber ein Mix aus beiden Systemen.
Zwar würde ein Gaskraftwerk genauso wie eine Papierfabrik, ein Zement- oder ein Stahlwerk seine CO2-Schuld im Emissionshandelssystem begleichen. Laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) bekäme ein Gaskraftwerk aber keine Gratiszertifikate zugeteilt. Die Betreiber:in eines Gaskraftwerkes müsste die Zertifikate vollumfänglich und auf eigene Kosten auf dem CO2-Zertifikatsmarkt erwerben, so das BAFU.
Die CO2-Regeln für ein Gaskraftwerk wären also voraussichtlich strenger als für eine Papierfabrik. Aber: Gemäss Artikel 19, Absatz 4 des aktuell geltenden CO2-Gesetzes könnte der Bundesrat über eine Ausnahmeregelung den Reservegaskraftwerken trotzdem Gratiszertifikate zukommen lassen.
Wie die CO2-Regeln für ein Gaskraftwerk genau ausschauen werden, kann deshalb tatsächlich noch nicht abschliessend gesagt werden. Zwei Punkte sind aber bereits heute klar. Erstens: Mit der Perlen Papierfabrik hat sich eine Interessentin gemeldet, die die Regeln des Emissionshandels gut genug kennt, um zu wissen, wie sich der Betrieb eines Gaskraftwerkes lohnen kann – trotz oder gerade wegen der geltenden Klimagesetzgebung. Zweitens: Ob mit dem Betrieb eines Gaskraftwerkes auch in Zeiten der Klimakrise noch Rendite erwirtschaftet werden kann oder nicht, ist schlussendlich ein politischer Entscheid.
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