Die nächste Ölpest?

Wenn nicht schnell gehan­delt wird, droht vor der Küste Jemens eine Umwelt­ka­ta­strophe. Ein Öltanker könnte zerbre­chen oder explo­dieren. Dies hätte schwere Folgen für das kriegs­ge­plagte Land. 
Gelangen die 1.14 Millionen Barrel Öl der FSO-Safer ins Wasser, würde das Rote Meer grossflächig und auf Jahrzehnte hinaus verseucht werden. (Symbolbild: Unsplash / Shaah Shahidh)

Auf dem Roten Meer kündigt sich ein Unglück an: Ein ehema­liger Super­tanker namens FSO Safer, der zur Ölver­la­de­platt­form umfunk­tio­niert wurde, droht zu zerbre­chen oder zu explo­dieren. Und das inmitten einer der wich­tig­sten Schiff­fahrts­strassen der Welt zwischen Suez­kanal und Indi­schem Ozean.

Über eine Million Barrel Rohöl könnten Schät­zungen zufolge ins Meer fliessen – ausge­rechnet ein paar Meilen vor der Küste einer der heis­se­sten Konflikt­zonen der Welt. Im Jemen tobt seit acht Jahren ein Krieg, der laut dem United Nations Popu­la­tion Fund (UNPFA) die gegen­wärtig welt­weit schlimmste huma­ni­täre Krise verur­sacht hat.

Im Jahr 2011 flammen die Proteste im Zug des Arabi­schen Früh­lings nach Jahren der Diktatur, Korrup­tion und Miss­wirt­schaft auch im Jemen auf. Nach Gewalt­aus­brü­chen durch das Regime muss schliess­lich der im Volk verhasste und auto­ri­täre Präsi­dent Ali Abdallah Salih zurücktreten.

Salih hatte während seiner Herr­schaft andere Grup­pie­rungen rigoros unter­drückt. Gegen die Huthis – eine schii­ti­sche Gruppe namens Ansar Allah (Anhänger*innen Gottes) – führte er mehrere Kriege.

2014 kommt es mit der Einnahme der Haupt­stadt Sana´as durch Huthi-Rebell*innen erneut zum Krieg. Sie fordern den Rück­tritt der Regie­rung von Salihs Nach­folger, Rabbu Mansour Hadi. Verhand­lungen schei­tern. 2015 stürmen die Huthis den Präsi­den­ten­pa­last; die Regie­rung tritt zurück.

Im März 2015 beginnt eine Koali­tion von Golf­staaten unter der Führung von Saudi-Arabien mit Luft­an­griffen gegen die Huthis, logi­stisch unter­stützt – unter anderem von den USA und Gross­bri­tan­nien. Weitere Verhand­lungen zwischen den Huthis und der Regie­rung von Hadi unter der Führung der UN schei­tern 2016. Hadi flieht ins Exil nach Saudi-Arabien.

Seitdem stehen sich die Huthis, die vom Iran unter­stützt werden, und eine Anti-Huthi-Koali­tion gegen­über. Diese Koali­tion besteht aus der (Exil-) Regie­rung von Hadi, zahl­rei­chen Milizen und Stammesführer*innen, dem im Süden des Landes einfluss­rei­chen Südüber­gangsrat sowie Saudi-Arabien und den Verei­nigten Arabi­schen Emiraten (VAE).

Der Krieg hat Hundert­tau­sende Opfer gefor­dert. Nicht nur durch Kampf­hand­lungen, sondern auch durch Hunger und mangelnde medi­zi­ni­sche Versor­gung. Über 4 Millionen Menschen sind laut UNHCR Binnen­ver­trie­bene geworden.

Die unter­schied­li­chen Inter­essen und Macht­an­sprüche mehrerer Akteur*innen stehen sich in diesem Krieg unver­söhn­lich gegen­über. Bedeutsam ist das auch für die Kontrolle der FSO Safer, die in einer Region liegt, die von der Hauptrebell*innengruppe des Jemens – den Huthis – kontrol­liert wird. Sie bekämpfen die legi­time Regie­rung um Präsi­dent Hadi. Dieser wird vor allem von Saudi-Arabien und einer Mili­tär­ko­ali­tion befreun­deter Staaten unter­stützt. Deren Luft­schläge haben laut der NGO Yemen Data Project Tausende Todes­opfer und Verletzte gefor­dert. Aber auch den Huthis werden Menschen­rechts­ver­let­zungen vorge­worfen. Sie werden von Saudi-Arabiens Erzfeind Iran unter­stützt. Beide Staaten führen einen Stell­ver­tre­ter­krieg im Jemen und ringen um Einfluss in der Region.

Dazwi­schen steht die Zivil­be­völ­ke­rung, die im Zug des Arabi­schen Früh­lings vor Kriegs­be­ginn noch Hoff­nungen auf Demo­kratie und Entwick­lung hatte, und ein Ende der Korrup­tion herbei­sehnte. Hoff­nungen, die in den letzten Jahren grund­le­gend zerstört worden sind, jetzt aber zöger­lich wieder aufkeimen. Denn recht­zeitig zum Ramadan im April dieses Jahres hatten sich die Kriegs­par­teien unter Vermitt­lung der UN auf einen Waffen­still­stand geei­nigt, der bisher eini­ger­massen hält. Anfang August wurde er um zwei Monate verlän­gert.

Nach jahre­langen schlep­penden Verhand­lungen hatten die UN auch endlich grünes Licht von den Huthi-Auto­ri­täten bekommen, um eine Kata­strophe durch die FSO Safer abzu­wenden. Diese hatten seit 2015 keine unab­hän­gigen Sicher­heits­kon­trollen mehr zuge­lassen, obwohl ein Unfall ein direkt von ihnen kontrol­liertes Gebiet treffen würde. Das Öl soll nun abge­pumpt und die FSO verschrottet werden. Die UN haben dafür einen Opera­ti­ons­plan erstellt.

Und die Zeit drängt. Seit Jahren wird der Tanker nicht mehr gewartet, die Sicher­heit vernach­läs­sigt. Laut Berichten rostet das Schiff notdürftig zusam­men­ge­flickt vor sich hin. Einst war die 1976 gebaute Safer einer der grössten Tanker der Welt, laut der Webseite Vessel­tracker ist sie 403 Meter lang und 70 Meter breit. Ende der 1980er-Jahre wurde die Safer zur Floa­ting Storage and Offloa­ding Vessel (FSO) umge­baut. Seitdem liegt sie dauer­haft im Roten Meer, um aus dem Jemen geför­dertes Öl zwischen­zu­la­gern, bevor es auf Tanker umge­la­gert wird.

Momentan wird das Schiff nur noch von einer Rumpf­mann­schaft aus sieben Männern betreut. Es fehlen die Mittel, das Schiff zu warten und zu repa­rieren. Häufig müssen sie impro­vi­sieren, um Schäden zu besei­tigen. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die FSO Safer ausein­an­der­bricht oder in die Luft fliegt“, sagt David Gressly, ober­ster huma­ni­tärer Koor­di­nator für den Jemen, der die Rettungs­mass­nahmen der UN für die FSO Safer koordiniert.

Kata­stro­phen­sze­nario

„Eine Ölpest hätte massive Folgen – die Umwelt würde verschmutzt, Millionen Menschen wären davon betroffen, nicht nur im Jemen, sondern auch in Saudi-Arabien, Dschi­buti oder Eritrea“, sagt David Gressly im Inter­view. Die FSO Safer hat insge­samt 1.14 Millionen Barrel Öl geladen. Zum Vergleich: Bei der Havarie der Exxon Valdez 1989 vor der Küste Alaskas verseuchten rund 258’000 Barrel Öl das Meer – mit jahr­zehn­te­langen Folgen für die Menschen und die Umwelt. Es war einer der grössten Ölun­fälle der Geschichte.

Viermal so viel Öl ist nun an Bord der FSO Safer geladen. Gelangt es ins Wasser, würde das Rote Meer gross­flä­chig und auf Jahr­zehnte hinaus verseucht werden. Die Lebens­grund­lage von Millionen Menschen würden vernichtet. Fisch­be­stände wären über Jahr­zehnte beein­träch­tigt. Das sensible Ökosy­stem des Roten Meeres und sein Arten­reichtum wären geschädigt.

Laut UN würde es rund 20 Milli­arden US-Dollar kosten, die direkten Folgen dieser Ölpest zu besei­tigen, fast dreimal so viel, wie es bei der Exxon Valdez geko­stet hat (7 Milli­arden US-Dollar).

Hinzu kommt, dass sich die huma­ni­täre Situa­tion im Jemen schlag­artig verschärfen würde. Die Häfen von Hode­idah und Salif – über sie kommen ein Gross­teil der Nahrungs­mit­tel­hilfe sowie Treib­stoff und Medi­ka­mente ins Land – müssten geschlossen werden. Zudem könnte der Betrieb von Meer­was­ser­ent­sal­zungs­an­lagen, die für die Trink­was­ser­ver­sor­gung von 10 Millionen Menschen notwendig sind, nicht aufrecht­erhalten werden.

Auch die globale Wirt­schaft wäre betroffen, wie David Gressly ausführt: „Zwischen Suez­kanal und der Meeres­strasse Bab-al-Mandab verläuft eine der wich­tig­sten Schiff­fahrts­routen der Welt. Der Verkehr wäre im Falle einer Ölpest stark beein­träch­tigt, was hohe finan­zi­ellen Kosten verur­sa­chen würde“, sagt er.

Das Beispiel des Contai­ner­schiffes Ever Given verdeut­licht dies: Im März 2021 stellte es sich quer, blockierte sechs Tage lang den Suez­kanal. Täglich soll es dadurch laut der mari­timen Analy­se­platt­form Lloyd’s List zu einem Trans­port­aus­fall von Gütern im Wert von 9.6 Milli­arden US-Dollar gekommen sein.

Zahlungs­un­fähig

Der US-Ameri­kaner David Gressly sorgt sich momentan vor allem darum, das Geld für die Rettung der FSO Safer zusam­men­zu­be­kommen. Es fehlen noch 14 Millionen US-Dollar, bis die UN mit der Umset­zung ihres Planes beginnen können. Doch das Öl müsste möglichst schnell abge­pumpt werden. Und zwar bevor im Roten Meer die Herbst­stürme beginnen. Diese würden eine Havarie wahr­schein­li­cher sowie Rettungs- und Aufräum­ar­beiten schwie­riger machen.

Laut eines Opera­ti­ons­plans der UN werden zunächst rund 80 Millionen US-Dollar benö­tigt, um das Öl von der FSO Safer abzu­pumpen und auf einem tempo­rären Ersatz­schiff zu sichern. Weitere 60 Millionen sollen dann ausge­geben werden, um einen Ersatz­tanker zu einer neuen FSO umzufunktionieren.

Auf einer Geber­kon­fe­renz in Den Haag im Mai 2022 baten die UN die inter­na­tio­nale Staa­ten­ge­mein­schaft erst­malig um finan­zi­elle Hilfe für die erste Phase ihres Planes. Die Nieder­lande sagten 8 Millionen US-Dollar zu, Deutsch­land 8.4 Millionen, Gross­bri­tan­nien 5 Millionen und die Schweiz 300’000 US-Dollar. Schliess­lich legten die USA und Saudi-Arabien jeweils 10 Millionen US-Dollar drauf. Insge­samt sind etwas mehr als 40 Millionen US-Dollar zusam­men­ge­kommen. Aufgrund der schwie­rigen finan­zi­ellen Lage haben die UN sogar eine Crowd­fun­ding-Kampagne gestartet, durch die bisher laut Angaben der UN 144’000 US-Dollar gesam­melt wurden.

Momentan fehlen nur noch 14 Millionen US-Dollar, damit die UN die erste Phase ihres Plans umsetzen können. Bisher erklärt sich aller­dings niemand bereit, dieses Geld aufzu­bringen. Wie so oft gestaltet es sich schwierig, präventiv zu handeln – bevor ein Unglück geschieht. Dabei wäre es jetzt vergleichs­weise günstig.

„Das Problem ist, dass viele Staaten gewillt sind, die UN zu unter­stützen, ihre Budget­li­nien dies aber nicht zulassen. Ironi­scher­weise können sie eher das Geld aufbringen, um die Folgen einer Ölpest zu bekämpfen, als jetzt präventiv zu handeln“, sagt Gressly dazu.

Ein struk­tu­relles Problem. Aber kommt es nicht einem Schei­tern gleich, wenn die inter­na­tio­nale Staa­ten­ge­mein­schaft – ange­sichts einer der mögli­cher­weise grössten Ölpest der Geschichte – das Geld nicht zusam­men­be­kommt? Ist es nicht unge­wöhn­lich, dass die UN auf eine Crowd­fun­ding-Kampagne zurück­greifen muss und nun um Spenden von Privat­per­sonen bittet?

„Erschreckend und absurd ist das“, sagt Julien Jreis­sati. Er ist Programm­di­rektor bei Green­peace MENA, zuständig für den Mitt­leren Osten und Nord­afrika. Jreis­sati beob­achtet seit Langem die Gefahr, die von der FSO Safer ausgeht. Green­peace hat Ende 2021 einen Bericht zu den mögli­chen Folgen eines Unfalls heraus­geben und appel­liert an alle Staaten, das Problem drin­gend anzugehen.

Aller­dings ist es laut Jreis­sati wichtig, dass Gross­kon­zerne mitein­ge­spannt werden. Er meint damit vor allem die Ölin­du­strie: „14 Millionen US-Dollar sind Peanuts, vergli­chen mit den Milli­ar­den­pro­fiten, die Ölfirmen jähr­lich machen. Sie stehen eigent­lich in der Verant­wor­tung, sie haben jahre­lang von Jemens Öl profi­tiert“, sagt er.

Die Crowd­fun­ding-Kampagne lässt seiner Meinung nach tief blicken: „Die UN sammelt das Klein­geld von Privat­per­sonen über Spenden ein. Das zeigt doch, dass den Staaten das Schicksal Jemens nicht wichtig genug ist“, sagt Jreis­sati. „Ein Fehler“, wie er meint. „Denn eine Ölpest würde sie und die globale Wirt­schaft treffen.“

Kriegs­müde

Tatsäch­lich bekommt der Krieg im Jemen wenig Aufmerk­sam­keit – sowohl in den Medien als auch von der Staa­ten­ge­mein­schaft. Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen kriti­sieren seit Langem, es werde viel zu wenig huma­ni­täre Hilfe für das Land geleistet.

Said AlDai­lami beob­achtet die Situa­tion seit Langem. Der aus dem Jemen stam­mende Staats- und Poli­tik­wis­sen­schaftler hat ein Buch über den Konflikt geschrieben, das den Titel „Jemen: Der verges­sene Krieg“ trägt.

„Die Lage im Jemen ist kompli­ziert. Sehr viele Akteur*innen ringen um Einfluss, seit Jahr­zehnten werden hier Konflikte gewaltsam ausge­tragen. Zudem wird die stra­te­gi­sche Rolle des Jemen unter­schätzt, deshalb findet der Krieg kaum Beach­tung“, sagt er.

Mitt­ler­weile sei ein Patt zwischen den Kriegs­par­teien einge­treten. „Die Huthis und die Saudis haben ihre mili­tä­ri­schen Ziele erreicht. Nun gilt es, die Beute zu sichern“, sagt AlDailami.

Das habe die Bedin­gungen für Verhand­lungen günstig gemacht, was auch für die Diskus­sion um die FSO Safer gilt. Obwohl die UN den Fall strikt von den poli­ti­schen Verhand­lungen getrennt sehen will. Trotzdem: „Im Jemen werden die Waffen die näch­sten 20 Jahre nicht schweigen“, sagt AlDai­lami. „Der inter­na­tio­nale Stell­ver­tre­ter­krieg wird beendet werden, auch weil Saudi-Arabien unbe­dingt aussteigen will. Inner­je­me­ni­tisch jedoch werden die Konflikte weiter­gehen“, sagt er. Die Inter­essen der Huthis und der alten, legi­timen Regie­rung sowie mehrerer anderer Grup­pie­rungen seien einfach zu gegensätzlich.

Reem Jarhum, Social Media Lead eines Yemen Discus­sion Board und Teil der jeme­ni­ti­schen Zivil­ge­sell­schaft, ist hingegen opti­mi­stisch. „Die Menschen sind müde vom Krieg. Sie hoffen auf Frieden“, sagt sie. Aller­dings fügt sie hinzu: „Diese Hoff­nung würde durch ein Unglück durch die Safer erheb­lich getrübt, die Folgen für die Menschen und für die Umwelt wären verheerend.“

Eine Ölpest wäre tatsäch­lich das Letzte, was die Bevöl­ke­rung jetzt noch schul­tern könnte. „Eine so grosse Kata­strophe würde den Jemen wahr­schein­lich erneut zerreissen. Die Bevöl­ke­rung hat nicht nur unter Krieg gelitten: Die wirt­schaft­li­chen Grund­lagen sind zerstört, auch wegen stark gestie­genen Nahrungs­mittel- und Treib­stoff­preisen“, sagt Jarhum.

Trotzdem bietet der Waffen­still­stand einen günstigen Ausgangs­punkt, um zumin­dest die Ladung der FSO Safer zu sichern, auch wenn die Zeit äusserst knapp wird. David Gressly ist zuver­sicht­lich, das Geld noch recht­zeitig zusam­men­zu­be­kommen. „Die gemein­same Aktion verschie­dener Staaten könnte ein starkes Signal für Frieden in der Region werden, zumin­dest würde es gegen­sei­tiges Vertrauen zwischen den Verhandlungspartner*innen aufbauen“, sagt er. Aller­dings stimmt er zu: „Es ein Wett­lauf mit der Zeit. Es wäre gut, wenn auch die Schweiz ihren Beitrag erhöhen würde.“


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