Mental Load: Über­nehmt endlich Verantwortung

Eine wich­tige, aber unsicht­bare Aufgabe in jeder Bezie­hung nennt sich Mental Load – das Orga­ni­sieren, Koor­di­nieren und Dran-Denken. Sie wird über­wie­gend von weib­lich sozia­li­sierten Personen über­nommen und das ist ein Problem. 
Wer die gesamte Mental Load in einer Beziehung trägt, hat eine undankbare Aufgabe. (Foto: Unsplash / Joshua Fuller)

Das neue Jahr hat ange­fangen, die Feier­tage sind vorbei und ich bin… müde. Mein Dezember bestand aus: Geschenke orga­ni­sieren, Menüs planen, Einkaufs­li­sten schreiben, Zeit- und Reise­plan fixieren, Feiern mit Familie, Schwie­ger­fa­milie und Freund*innen koor­di­nieren, Aufgaben dele­gieren, Befind­lich­keiten abchecken, Geschenk­ideen vermit­teln, Personen daran erin­nern, besagte Geschenk­ideen umzu­setzen – die Liste könnte ins Unend­liche weiter­ge­führt werden.

All diese kleinen Aufgaben, die sich an Feier­tagen übli­cher­weise häufen, bezeichnet man als Mental Load. Anders gesagt ist es die Orga­ni­sa­ti­ons­ar­beit, die in und rund um Bezie­hungen anfällt.

In den Medien wird Mental Load beson­ders oft anhand von Fami­lien thema­ti­siert, weil da Haushalts‑, Erzie­hungs- und sonstige Care-Arbeit zusam­men­kommt. Doch natür­lich fällt Mental Load auch in Partner*innenschaften ohne Kindern, Freund*innenschaften, Kollek­tiven, Vereinen und sonstigen Grup­pie­rungen an.

Die Krux an der Sache: Mental Load ist unsichtbar und wird darum oft kaum wert­ge­schätzt, und wird – ihr ahnt es – über­wie­gend von Frauen getragen. In der von Sotomo und anna­belle durch­ge­führten „Frau­en­be­fra­gung“ gaben 81 Prozent der befragten Personen an, dass sie wesent­lich mehr leisten als ihr Partner, wenn es um die Orga­ni­sa­tion, die Planung und das Dran­denken in Haus­halt und Familie geht.

Wer privat die Mental Load über­nimmt, ist Beziehungsverantwortliche*r, ohne dafür Lohn oder Aner­ken­nung zu erhalten – eine omni­prä­sente und undank­bare Zusatzaufgabe.

Grund dafür sind mitunter die vorherr­schenden Rollen­bilder: Weib­lich sozia­li­sierte Personen lernen früh, dass sie für die Bedürf­nisse ihres Umfelds zuständig sind und dass Haus­halt und Familie in ihren Aufga­ben­be­reich gehören. Wir kümmern uns vermeint­lich beson­ders gut und gerne um andere Menschen, weil wir eben „Frauen“ sind.

Das stimmt natür­lich genauso wenig wie die „Pink ist für Mädchen, blau für Jungs“-Trope. Es ist einfach eine Aufgabe, die weib­lich sozia­li­sierten Personen von Anfang an zuge­wiesen wird.

In der Lohn­ar­beit nennt sich diese Aufgabe „Manage­ment“. Meistens sind das gut bezahlte Führungs­po­si­tionen, in denen sich eine Person ausschliess­lich der Orga­ni­sa­tion und Dele­gie­rung von Arbeits­auf­gaben widmet. Ironi­scher­weise sind in der Schweiz diese Posi­tionen mit über 60 Prozent vor allem von stati­stisch als Männer erfassten Personen besetzt.

Wer privat jedoch die Mental Load über­nimmt, ist Beziehungsverantwortliche*r, ohne dafür Lohn oder Aner­ken­nung zu erhalten – eine omni­prä­sente und undank­bare Zusatz­auf­gabe. Patricia Camma­rata, die Autorin des Buchs „Raus aus der Mental Load Falle“, warnt gar davor, dass Frauen, die den Mental Load allein tragen, langsam Rich­tung Burn-out rutschen können.

Bei mir zeigt sich das, indem ich nicht nur alle „To Do’s“ im Kopf behalte, sondern dann auch die meisten Aufgaben selbst erle­dige. Statt meinen Partner zum dritten Mal daran zu erin­nern, dass wir noch nicht entschieden haben, was wir zu Abend essen möchten, wir noch eine Einkaufs­liste schreiben und dann tatsäch­lich einkaufen müssen, mache ich es schluss­end­lich selbst. Und bin dann müde, gestresst und frustriert.

Weil ich mich schon seit einiger Zeit mit Mental Load ausein­an­der­setze, finde ich es mitt­ler­weile komplett lächer­lich, meinem poten­ziell gleich­ge­stellten Partner wie eine Chefin – oder schlimmer: Mutter – Aufgaben zuzu­teilen. Neben der ganzen Arbeit raubt mir also auch noch die Wut darüber, dass ich alles selbst machen muss, meine Energie.

Wer jetzt „Mental Load“ googelt, findet schnell Tipps, wie Frauen das Gespräch mit ihrem Partner suchen können oder wie sie sich verhalten sollen, damit der Mann über­haupt die Chance hat, die Verant­wor­tung zu über­nehmen. Einer der wenigen Texte zum Thema, der von einem Mann verfasst wurde, endet mit drei Tipps für eine gerechte Auftei­lung des Mental Loads – gerichtet an seine Frau.

Es ist an der Zeit, dass ihr, liebe Männer, euch mit dem Thema ausein­an­der­setzt. Über­nehmt endlich Verant­wor­tung in euren Bezie­hungen, eurer Familie und eurem Haushalt.

Weib­lich sozia­li­sierte Personen, die zusätz­lich zur Lohn- und unbe­zahlten Care-Arbeit das Bezie­hungs­ma­nage­ment über­nehmen, sollen also auch noch dafür arbeiten, dass der männ­lich sozia­li­sierte Mensch in ihrem Leben endlich seinen Teil macht? Und dabei sollen sie nett kommu­ni­zieren, empa­thisch reagieren und mit viel Geduld an die Sache rangehen?

Vergiss es.

Was in einem solchen Gespräch nämlich erstaun­lich oft als Antwort kommt, ist: „Du hättest halt etwas sagen müssen“. Das ist an Dreist­heit kaum zu über­treffen. Die fran­zö­si­sche Blog­gerin Emma enttarnt diese Aussage in ihrem Comic „Fallait demander“ („Du hättest mich fragen müssen“ auf Deutsch): Männer sagen damit eigent­lich nur, dass sie sich weigern, ihren Teil des Mental Loads zu tragen. Und das ist inakzeptabel.

Es ist an der Zeit, dass ihr, liebe Männer, euch mit dem Thema ausein­an­der­setzt. Über­nehmt endlich Verant­wor­tung in euren Bezie­hungen, eurer Familie und eurem Haus­halt. Ihr seid halt nicht so orga­ni­siert? Ihr denkt selten so weit voraus? Euch fällt planen schwierig? Dann übt es.

Fragt eure weib­lich sozia­li­sierten Bezugs­per­sonen aus, macht euch eine Liste von typi­schen Mental Load-Aufgaben, schafft euch Zeit dafür, erle­digt sie und fühlt euch vor allem dafür verant­wort­lich, dass es wirk­lich klappt.


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