Das neue Schweizer Klima­schutz­ge­setz: Maximal das Minimum

Eine Revo­lu­tion wäre das Klima­schutz­ge­setz, über das wir in Kürze abstimmen, bei weitem nicht. Die darin veran­kerten Ziele sind höch­stens das Minimum dessen, was die Schweiz mit der Unter­zeich­nung des Pariser Klima­ab­kom­mens zuge­si­chert hat. 
Kaum ein anderes Land verursacht so viele Emissionen im Ausland wie die Schweiz. (Illustration: Oger / @ogercartoon)
Kaum ein anderes Land verursacht so viele Emissionen im Ausland wie die Schweiz. (Illustration: Oger / @ogercartoon)

Beschei­dene fünf­zehn Artikel umfasst das Klima­schutz­ge­setz, das am 18. Juni vors Volk kommt. Als Vergleich: Das CO2-Gesetz, dessen Revi­sion die Schweizer Stimmbürger*innen im Juni 2021 an der Urne abge­lehnt haben, umfasste 87 Artikel.

Der Grund: Während das CO2-Gesetz voll ist mit komplexen Mecha­nismen und Instru­menten zur Bekämp­fung der Treib­haus­gas­emis­sionen, geht es im Klima­schutz­ge­setz vor allem darum fest­zu­legen, welche Ziele sich die Schweiz im Kampf gegen die Klima­krise steckt. Mit welchen Mass­nahmen diese erreicht werden sollen, schreibt es dagegen nicht wirk­lich vor.

Doch die Klima­ziele, die sich die Schweiz mit diesem neuen Gesetz stecken würde, sind maximal die Mini­mal­va­ri­ante dessen, wozu wir uns im Pariser Klima­ab­kom­mens verpflichtet haben. Dies aus drei Gründen.

Das Klima­schutz­ge­setz erfasst nicht alle Schweizer Emissionen

Erstens: Zwölf Tonnen Klima­gase. Das ist die durch­schnitt­liche Menge, die ein in der Schweiz wohn­hafter Mensch pro Jahr mit seinem Konsum verur­sacht. Vom Pariser Klima­ab­kommen erfasst und dementspre­chend in der Reduk­ti­ons­ver­ant­wor­tung der Schweiz liegen jedoch nur fünf Tonnen pro Person und Jahr.

Denn das inter­na­tional gültige Pariser Klima­ab­kommen basiert auf dem soge­nannten Terri­to­ri­al­prinzip, das auch Produk­ti­ons­prinzip genannt wird. Sprich: Ein Land ist für all dieje­nigen Emis­sionen zuständig, die auf seinem Terri­to­rium ausge­stossen werden.

Da wir aber auch noch einen Haufen an Zeugs impor­tieren, für dessen Herstel­lung Emis­sionen ausser­halb der Landes­grenze verur­sacht werden, gene­riert jede in der Schweiz wohn­hafte Person mit ihrem Konsum im Schnitt zwölf Tonnen Emis­sionen, aber nur fünf auf hiesigem Boden.

Kaum ein anderes Land profi­tiert mehr davon, dass das Pariser Klima­ab­kommen die Treib­haus­gastonnen und damit die Reduk­ti­ons­ver­ant­wor­tungen der 195 Vertrags­länder nicht über das Konsumations‑, sondern anhand des Produk­ti­ons­prin­zips berechnet.

Daran würde auch das Klima­schutz­ge­setz nicht viel ändern. Aber immerhin müssten wir laut Klima­schutz­ge­setz in Zukunft wenig­stens für einen anderen Teil unserer Emis­sionen, die über das Pariser Abkommen bis anhin unver­teilt blieben, Verant­wor­tung über­nehmen: die Flugemissionen.

Die Vertrags­par­teien des Pariser Klima­ab­kom­mens haben es nämlich bis heute nicht geschafft, sich auf einen Verteil­schlüssel zu einigen, mit dem die inter­na­tio­nalen Emis­sionen aus dem Flug­ver­kehr den verschie­denen Vertrags­staaten zuge­ordnet werden könnten. Der Grund: Wenn ein Mensch wohn­haft in Portugal von Paris über Deutsch­land nach Warschau fliegt – welchem Land sollen dann diese Emis­sionen ange­rechnet werden? Das Klima­schutz­ge­setz würde neu fest­legen, dass sich die Schweiz immerhin für die Emis­sionen von Flug­reisen verant­wort­lich zeigen muss, die auf Schweizer Boden starten.

Das Klima­schutz­ge­setz will verbind­liche Vermin­de­rungs­ziele für Treib­haus­gas­emis­sionen defi­nieren. Dafür setzt es nicht nur das Endziel Netto-Null bis 2050 fest, sondern benennt – getrennt nach den Sektoren Gebäude, Verkehr und Indu­strie – auch Zwischen­ziele für 2040. Anders als das Pariser Klima­ab­kommen schliesst das Klima­schutz­ge­setz auch Emis­sionen mit ein, die durch den Flug­ver­kehr verur­sacht werden. Zu den Instru­menten, mit welchen diese Ziele erreicht werden sollen, macht das Klima­schutz­ge­setz keine Angaben.

Auffal­lend ist, dass der Indu­strie­sektor seine Emis­sionen laut Klima­schutz­ge­setz bis ins Jahr 2050 um ledig­lich 90 Prozent redu­zieren müsste. Die rest­li­chen 10 Prozent Indu­strie­emis­sionen gelten als unver­meid­lich und sollen mit soge­nannten Nega­tive­mis­si­ons­tech­no­lo­gien (NETs) wieder aus der Luft entfernt werden. Bei den NETs handelt es sich um verschie­dene Methoden, mit denen CO2 aus der Luft gefil­tert und abge­la­gert werden kann. Bei all diesen Methoden bestehen jedoch bisweilen grosse Wissens­lücken und Unsi­cher­heiten bezüg­lich ihrer Umsetzbarkeit.

Das Klima­schutz­ge­setz würde deshalb fest­schreiben, dass die Anwen­dung solcher Tech­no­lo­gien auf die Besei­ti­gung der unver­meid­baren Emis­sionen begrenzt bleiben muss und dass die Anwen­dung von NETSs die Treib­haus­gas­re­duk­tionen nicht beein­träch­tigen werden dürfen. Nur für die unver­meid­baren Rest­emis­sionen – zum Beispiel aus den Kehricht­ver­bren­nungs­an­lagen, aus der Land­wirt­schaft oder aus der Beton­her­stel­lung – dürften NETs zukünftig zum Einsatz kommen. Zudem regelt das Klima­schutz­ge­setz, dass das CO2, das der Luft mit NETs dereinst entzogen werden soll, sowohl in der Schweiz als auch ausser­halb der Staats­grenzen endge­la­gert werden dürfte.

Auch für Firmen und Verwal­tungen legt das Klima­schutz­ge­setz Reduk­ti­ons­pflichten fest. Die Bundes­ver­wal­tung etwa muss Netto-Null bereits 2040 errei­chen. Und dies nicht nur für die von ihr direkt verur­sachten Emis­sionen, sondern auch für die Emis­sionen, die sie im Ausland verur­sacht, zum Beispiel durch den Import von Baum­wolle zur Herstel­lung von Mili­tär­uni­formen. Auch für kanto­nale Verwal­tungen und bundes­nahe Betriebe wie die Post oder die SBB gilt das Ziel Netto-Null bis 2040. Ob hier jedoch neben den direkt verur­sachten auch die impor­tierten Emis­sionen gemeint sind, lässt das Gesetz offen.

Zudem verpflichtet das Klima­schutz­ge­setz Bund und Kantone dazu, Mass­nahmen zum Schutz gegen die nega­tiven Auswir­kungen des sich ändernden Klimas zu ergreifen und Gelder für Klima­in­ve­sti­tionen bereit­zu­stellen. Diese Gelder braucht es unter anderem für den Ersatz von fossilen und elek­tri­schen Heiz­sy­stemen (200 Millionen pro Jahr über zehn Jahre) und für die Entwick­lung von neuen Tech­no­lo­gien (200 Millionen über sechs Jahre). Ersteres dürfte jedoch bereits heute über das durch die CO2-Abgabe finan­zierte Gebäu­de­pro­gramm gedeckt sein.

Anders als das CO2-Gesetz würde das Klima­schutz­ge­setz erst­mals auch die Grund­lagen dafür schaffen, dass der Finanz­platz in die Pflicht genommen werden kann. Artikel neun des neuen Gesetzes beauf­tragt den Bund dafür zu sorgen, dass der Schweizer Finanz­platz einen effek­tiven Beitrag zur Bekämp­fung der Klima­krise leistet.

Mit Projekten im Ausland noch mehr auslagern

Zwei­tens: Die Schweiz mit ihren sieben Tonnen Auslands­emis­sionen hätte durchaus gute Gründe, auch ausser­halb ihrer Landes­grenzen im Klima­schutz aktiv zu werden. Und das tut sie auch: Als welt­weit erstes Land hatte die Schweiz mit Peru ein soge­nanntes Abkommen für den Klima­schutz unter­zeichnet. Mitt­ler­weile sind weitere solche Verträge hinzu­ge­kommen – mit Ghana, Vanuatu, Senegal, Geor­gien, Domi­nica, Thai­land, der Ukraine und Marokko.

Wer nun aber denkt, mit diesen Verträgen will die Schweiz Peru und Co. dabei helfen, die von uns im Ausland verur­sachten Emis­sionen zu bekämpfen, liegt weit daneben. Denn die Schweiz will sich die im Ausland finan­zierten Projekte an die Tilgung der inlän­di­schen CO2-Tonnen anrechnen lassen. Anders ausge­drückt: Die Schweiz bezahlt ärmere Länder dafür, dass sie in ihrem Namen Emis­sionen redu­zieren. Genauso titelte jüngst gar die New York Times.

Beson­ders brisant an dem Ganzen ist, dass diese Auslands­kom­pen­sa­tionen nach jahre­langen Diskus­sionen erstaun­lich leise an der Stimm­be­völ­ke­rung vorbei einge­führt wurden. Und zwar vom Schweizer Parla­ment mit der Beschlies­sung des CO2-Über­gangs­ge­setzes nach dem „Nein“ zur Revi­sion des CO2-Gesetzes. Dies, obwohl mit dem Volks-Nein im Juni 2021 eigent­lich auch die Einfüh­rung solcher Auslands­kom­pen­sa­tionen abge­lehnt wurde.

Am 18. Juni kommt das Klima­schutz­ge­setz an die Urne. Was da genau drin­steht, wieso es höch­stens das Minimum dessen sein kann, was die Schweiz im Kampf gegen die Klima­krise leisten muss und wieso es trotzdem ein erster kleiner Schritt aus dem globalen Klima­di­lemma ist, erfährt ihr in dieser zwei­tei­ligen Serie.

Teil 1: Klima­schutz­ge­setz: Wir sind alle gefangen in einem globalen Dilemma

Teil 2: Das neue Schweizer Klima­schutz­ge­setz: Maximal das Minimum

Es ist unklar, ob das Klima­schutz­ge­setz diesem verant­wor­tungs­losen Umgang mit der eigenen Klima­ver­schmut­zung ein Ende setzen würde. Artikel vier verlangt zwar, dass die Emis­si­ons­ver­min­de­rungen wenn möglich in der Schweiz erreicht werden müssen, gleich­zeitig legt derselbe Artikel aber auch fest, dass die Vermin­de­rungs­ziele „wirt­schaft­lich tragbar“ sein sollen.

Ob wir unter dem Klima­schutz­ge­setz weiterhin unsere Vermin­de­rungs­an­stren­gungen nach Peru verla­gern können oder nicht, wird also wohl davon abhängig sein, was als „wirt­schaft­lich tragbar“ bewertet wird und was nicht. Fakt ist: In Peru ist die Vermin­de­rungs­tonne momentan noch deut­lich günstiger als in der Schweiz. Fakt ist aber auch, dass die Kritik an solchen offset­tings immer lauter wird. Nur schon weil eine fehler­freie Kalku­la­tion der vermeint­lich einge­sparten Emis­si­ons­tonnen alles andere als einfach ist.

Pariser Abkommen eigent­lich nicht erfüllt

Einen zentralen Grund­satz des Pariser Klima­ab­kom­mens erfüllt das Klima­schutz­ge­setz letzt­end­lich schlichtweg nicht: das Prinzip der gemein­samen, aber unter­schied­li­chen Verant­wor­tung. „Dieses Abkommen wird so umge­setzt, dass es Gerech­tig­keit und den Grund­satz der gemein­samen, aber unter­schied­li­chen Verant­wort­lich­keiten wider­spie­gelt“, ist dazu im Artikel zwei des Pariser Abkom­mens zu lesen.

Sprich: Zwar müssen die Schweiz, Togo, Frank­reich, Brasi­lien, China, die USA und alle anderen Länder die Klima­krise gemeinsam angehen – aber: Nicht alle Länder tragen dabei dieselbe Verant­wor­tung. Je reicher ein Land ist und je mehr die Einwohner*innen und Firmen eines Landes in der Vergan­gen­heit dazu beigetragen haben, dass wir heute mitten in der Klima­krise stecken, desto mehr Verant­wor­tung trägt dieses Land, wenn es darum geht, der schäd­li­chen Entwick­lung ein Ende zu setzen.

Dass die Schweiz reich ist, dürfte unum­stritten sein. Und dass sie mit ihren zwölf Tonnen pro Person und einem Banken­platz, der noch­mals für ein Viel­fa­ches dieser Emis­sionen verant­wort­lich ist, zu den Ländern zählt, die über­durch­schnitt­lich viel zur heutigen Klima­krise beigetragen haben, eigent­lich auch.

Was das Klima­schutz­ge­setz nun aber auf natio­naler Ebene verbind­lich fest­legen will, entspricht nur gerade dem, was sowieso alle Länder errei­chen müssen: Netto-Null bis 2050. Würde die Schweiz das Prinzip der gemein­samen, aber unter­schied­li­chen Verant­wor­tung ernst nehmen, müsste sie darum bemüht sein, einiges früher bei Netto-Null zu landen. Das Klima­schutz­ge­setz ist deshalb maximal das Minimum dessen, was wir unseren inter­na­tio­nalen Vertragspartner*innen in Paris verspro­chen haben.

Dennoch ist es ein wich­tiger Anfang, um im Kampf gegen den Klima­kol­laps Vertrauen und Planungs­si­cher­heit aufzu­bauen. Im Kleinen und im Grossen. Denn eine klare Klima­ge­setz­ge­bung sorgt nicht nur dafür, dass sich Person und Konzerne, die auf klima­ver­träg­lich umstellen, darauf verlassen können, dass es ihnen die anderen gleichtun werden. Sie signa­li­siert der inter­na­tio­nalen Staa­ten­ge­mein­schaft auch, dass wir es ernst meinen mit dem, was wir 2015 in Paris unter­schrieben haben. Zumin­dest ein bisschen.


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