Das Bundesamt für Umwelt hat die Vernichtung von zwölf kompletten Wolfsrudeln gutgeheissen, gestützt auf die neue Jagdverordnung. Zwölf von insgesamt 32 Rudeln in der Schweiz. Der Status von Canis Lupus als geschützte Art ist damit so gut wie aufgehoben.
Der Hauptgrund: Die Wölfe könnten Schafe und Ziegen reissen, die Menschen bereits selber reissen wollen. Es geht im Wesentlichen darum, dass auch auf der hinterletzten Alp noch Fleisch, Milch und Wolle produziert werden müssen. „Das Schlimmste wäre, wenn Alpen wegen des Wolfs nicht mehr bewirtschaftet werden“, meinte Bundesrat Rösti zum SRF. Eine ungenutzte Fläche – was für ein Horror!
Auf die Schussfreigabe folgte erst mal ein Chaos. In mehreren Kantonen wurde schon geschossen, da legte der Naturschutz Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein. Konkret geht es um sieben der zwölf Rudel, deren Auslöschung aus Sicht der Organisationen nicht rechtens ist. Die Kantone Graubünden und Wallis stoppten daraufhin einen Teil der Erschiessungsaktionen. Die betreffenden Rudel dürften ein Jahr sicher sein, bis die Verfahren abgeschlossen sind – natürlich bis auf die Tiere, die bereits tot sind.
So weit der Stand bis Redaktionsschluss für diese Kolumne. Wie sich die Lage weiter entwickelt, kann man in den Leitmedien nachlesen. Sie dokumentieren den Streit um die Wölfe recht gründlich. Aber es ist interessant, in welcher Sprache sie das tun.
Proaktive Beschönigung
„Pro Natura, WWF Schweiz und Birdlife Schweiz gehen rechtlich gegen die proaktive Wolfsregulierung vor“, schrieb das SRF. Das ist doch spannend: Tiere töten ist „proaktiv“, sie leben lassen ist „gegen etwas vorgehen“.
Von „proaktiver Regulierung“ sprachen auch die Engadiner Post, die Südostschweiz, der Walliser Bote, zentralplus und Nau.ch, Watson, der Blick und Tamedia-Zeitungen wie der Tages-Anzeiger stellten die „proaktive Regulierung“ zwar in Anführungszeichen, kommentierten den Ausdruck aber nicht weiter.
Warum schreiben die alle so? Womöglich aus Konvention. Übers Jagen spricht man traditionell in einem Spezialjargon. Geschossen wird zum Beispiel auf „den Wolf“, „den Hirsch“ oder noch allgemeiner „das Wild“. Man nennt also ganze Spezies oder Gruppen von Spezies – also etwas, was das Erschiessen überlebt. Die Einzeltiere, die ihr Leben verlieren, werden dadurch unsichtbar gemacht.
Und man sagt auch nicht „Erschiessen“ oder „Töten“, wie ich das tue, obwohl es sachlich korrekt ist. Ernstzunehmende Medienschaffende sagen nur „Abschuss“, „Erlegen“ oder „Bejagen“. Das klingt schon fast wie „Abschluss“, „Erledigen“ und „Bearbeiten“ – etwas Schnelles, Unproblematisches und Harmloses. Das ist natürlich beschönigend. Sprachliche Camouflage. Aber alle erwähnten Artikel schreiben so.
Eigentlich müssten Journalist*innen fähig sein, Euphemismen zu durchschauen. Es ist zum Beispiel klar, warum der Angriff Russlands auf die Ukraine nicht bloss eine „militärische Sonderoperation“ war. Wer den Jargon eines Regimes nachplappert, vermittelt seine Perspektive und immunisiert es gegen Kritik. Gegen eine „Sonderoperation“ protestiert es sich viel schwerer als gegen einen „Angriffskrieg“.
Auch das Vokabular der „proaktiven Regulierung“ haben Journalist*innen von einer politischen Obrigkeit. Die meisten der genannten Artikel bezogen sich auf eine Medienmitteilung der Bündner Regierung, in der das Konstrukt „proaktive Regulierung/Regulation“ alle paar Zeilen auftaucht. Auch der Bundesrat spricht von „präventiver Rudelregulierung“. Entweder haben Journalist*innen da gedankenlos abgeschrieben oder sie beschönigen bewusst. Bedenklich ist beides.
Aber es geht nicht nur um Euphemismen, sondern auch darum, wer überhaupt am Gespräch beteiligt ist.
Mangelnde Meinungsvielfalt
Am 28. November 2023 veröffentlichte die Gruppe Avenir Loup Lynx einen offenen Brief gegen die Erschiessung der Schweizer Wölfe, unterzeichnet von 158 Tierschutzorganisationen. Das Ergebnis? Null Berichte. Ihre Perspektive interessiert nicht. Das ist bei Tierthemen immer wieder ein Problem.
Zum Beispiel dürfen Zoorepräsentant*innen in regelmässigen Abständen ihre Institutionen lobpreisen, ohne dass eine Gegenstimme reagieren kann. „Sind Zoos für Tiere nicht einfach Freiheitsberaubung?“, fragte das SRF pseudokritisch im August. Und liess nur den Zürcher Zoodirektor und seine Partnerin sprechen. Die NZZ titelte im Oktober: „Ein Leben im Zoo ist für Elefanten keine Qual – eher wie ein etwas langweiliger Urlaub.“ Der Zoodirektor beantwortete darin Einwände, die von allerlei Webseiten zusammengekleistert waren, und behielt das letzte Wort. Man spricht über Tierrechtler*innen, nicht mit ihnen.
Ebenso dürfen Metzger*innen und Bäuer*innen oft ohne Gegenstimme übers Tierwohl referieren. Ein Klassiker ist das Thema Hoftötung, in letzter Zeit zum Beispiel bei TopOnline, in der Zürichsee-Zeitung und im Schweizer Bauer. Man könnte viel Kritisches über die Hoftötung sagen: Die Dezentralisierung der Tötung macht Tierschutzvorschriften unkontrollierbar, der Ansatz ist ohnehin nicht skalierbar und er löst allgemein kein Problem, das pflanzliche Ernährung nicht besser löst. Aber Kritiker*innen befragt man bei diesem Thema in aller Regel nicht.
Eigentlich wäre die Meinungsvielfalt sogar besonders wichtig, wenn es um Tiere geht. Bei anderen sozialen Themen kann man immerhin sagen: Lasst die Betroffenen selbst zu Wort kommen! Wenn die Betroffenen aber keine menschliche Sprache sprechen, bleibt uns nichts anderes übrig, als verschiedene Menschenperspektiven einzubeziehen.
Kein Mensch kann alleine für Tiere sprechen. Erst recht keiner, der mit ihnen Geld verdient. Blöd nur, dass auch Medienhäuser selbst ihr Geld teilweise mit Tieren verdienen.
Follow the money
Praktisch jedes private Medienhaus in der Schweiz schaltet sponsored content für die Marke „Schweizer Fleisch“. Die Beiträge sind im Nachhinein nicht immer einfach zu finden, denn im Gegensatz zu echten Artikeln werden sie nach einer bestimmten Zeit oft wieder offline genommen.
Immer noch online ist aber zum Beispiel „Fleischnährstoffe: Einwandfreie Produktion und Zubereitung sind essenziell“ in der NZZ. Mit einem winzigen Vermerk: „Erstellt im Auftrag von Schweizer Fleisch.“ Nach der NZZ-Preisliste zu schliessen, muss der Beitrag 44’100 Franken gekostet haben. Die NZZ Bellevue schrieb auch schon „Bitte zu Tisch – das Rinderherz wird serviert“ und machte eine „kulinarische Reise durch die Schweiz“, Kälberschwanz-Ravioli inklusive. Alles im Auftrag der Marke „Schweizer Fleisch“.
Derweil schwärmt 20 Minuten von „Essen mit Genuss und gutem Gewissen“ und titelt ein andermal: „Darum ist Schweizer Fleisch die bessere Wahl.“ Der letztere Beitrag verwendet lustigerweise das gleiche kostenlose Bild wie meine Weihnachtskolumne vom letzten Jahr. Im Unterschied zu mir dürfte 20 Minuten dafür aber einen fünfstelligen Betrag kassiert haben, soweit man das der etwas obskuren Preisliste entnehmen kann.
Bei Watson ist währenddessen die Rubrik „Gute News“ voller Swissmilk-Spam. Ungefähr alle zwei Wochen erscheint ein neuer Artikel. Bei dieser Content-Flut gibt es womöglich Mengenrabatt – normalerweise kostet so ein Beitrag jedenfalls 8’500 Franken pro Stück.
Wohlgemerkt: Da stecken Steuergelder drin. Denn die Werbung der Fleisch- und Milchlobby wird vom Bund mit Millionenbeträgen unterstützt, wie ich schon vor einem Jahr erwähnte.
Wir bezahlen für unsere eigene Propagandisierung. Und machen dabei die Presse abhängig von Tierindustrien, die sie eigentlich kritisch betrachten müsste.
Das Resultat ist eine kooptierte Presse. Der Blick stellte neulich zum Beispiel den ungebrochen hohen Fleischkonsum in der Schweiz als etwas Gutes dar – „trotz aller Unkenrufe“. Das hätte gerade so gut sponsored content sein können, war es aber nicht. Es ist einfach die unkritische Berichterstattung, die man gratis dazubekommt, wenn man regelmässig sponsored content schaltet (im Blick zum Beispiel hier, hier und hier).
Wie kommen wir da je zu Medien, die fair über Tiere schreiben?
Gut gemeinte Richtlinien
Vermeidung von Euphemismen, Meinungsvielfalt, Unabhängigkeit… Das gehört doch in die Richtlinien des Schweizer Presserats!
In der Tat mahnt der Presserat zur Unabhängigkeit (9.1), zum Meinungspluralismus (2.2) und zur Trennung zwischen Fakten und Bewertung (2.3), die durch beschönigendes Vokabular natürlich verwischt wird. Eigentlich gibt es auch die Richtlinie, dass man über Gewaltopfer besonders vorsichtig schreiben sollte, um sie nicht zu degradieren oder weiter zu gefährden (8.3).
Die Frage ist natürlich, welche Interessenbindung als gefährlich gilt, welche Meinung als relevant, welche Sprache als beschönigend und welche Gewalt als Gewalt.
Schaut einmal zum Fenster raus, wahrscheinlich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehrheit der Bevölkerung. Doch in der Schweizer Medienlandschaft werden sie meist ignoriert. „Animal Politique“ gibt Gegensteuer. Nico Müller schreibt über Machtsysteme, Medien, Forschung und Lobbyismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unterdrückung hängt oft mit der Unterdrückung von Menschen zusammen. „Animal Politique“, geschrieben von Tierethiker Nico Müller macht das sichtbar.
Selbst der „objektivste“ Journalismus findet deshalb nie im Vakuum statt, sondern beruht immer auf Werten. Und die Werte vieler Medienschaffenden besagen zurzeit, dass die Fleisch- und Milchlobby ein unproblematischer Geldgeber ist, dass die Meinung von Tierrechtler*innen irrelevant ist, dass „proaktive Regulierung“ sachlich ist und dass die Erschiessung von Tieren keine Gewalt ist. Da helfen die Richtlinien des Presserats nicht weiter.
Das amerikanische Projekt „Animals and Media“ versucht es mit freiwilligen Guidelines. Zum Beispiel: „Wähle angemessenes Vokabular“, „lass auch gemeinnützige Stimmen zu Wort kommen“ und „vermeide Voreingenommenheit“. Dazu gibt es jeweils Ausführungen.
Es ist eine nette Idee. Mein Verein hat ähnliche Empfehlungen für die Schweiz erarbeitet. Nur leider werden sie genau von denen nicht ernst genommen, die sie am dringendsten bräuchten. Das ist der Nachteil der Freiwilligkeit.
Wie weiter?
Ich fürchte, die Presse wird das Problem nie von sich aus lösen. Sie wird erst dann ausgewogen über Tiere schreiben, wenn sich Tierrechtler*innen schon einen prominenteren Platz in Politik und Gesellschaft erkämpft haben. Unabhängig wird sie erst, wenn die Industrien und Lobbys nicht mehr zahlen können. Euphemismen für Gewalt an Tieren verschwinden erst aus den Zeitungen, wenn sie aus den Köpfen verschwinden.
In der Zwischenzeit ist es schon ein Fortschritt, wenn mehr Menschen bei Tierthemen kritisch mitlesen. Und sich zwischendurch mal über die unfaire Berichterstattung beschweren, zum Beispiel mit Leser*innenbriefen oder freundlichen Nachrichten an den SRF-Kundendienst.
Diesen Winter wird das keinem Wolf das Leben retten. Aber vielleicht hilft es unserer Gesellschaft dabei, etwas schneller mit dem Reissen von Tieren aufzuhören.
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