Weih­nachten gleich Genuss gleich Fleisch

Im Advent pusht die Fleisch­branche ihre Weih­nachts­re­zepte. Mit dabei sind steu­er­fi­nan­zierte Lobbys. Kolum­nist Nico Müller hat sich ihre Menü­vor­schläge ange­sehen – und ist entsetzt. 
Das Fleisch in das Zentrum stellen, das empfiehlt die Fleischlobby-Organisation Proviande für das Weihnachtsmahl – und darüber hinaus für jedes Menu. (Foto: Jed Owen / Unsplash)

Gibt es bei euch noch Fleisch zu Weih­nachten? Für die meisten Leute in der Schweiz ist das selbst­ver­ständ­lich. Fondue Chinoise gehört einfach dazu, oder Pastetli, oder Filet im Teig.

Oder man macht es wie über 70 Prozent der Welschen: Für sie gehört zu den Feier­tagen einfach Foie Gras. Das ist die Leber von Enten oder Gänsen, die durch gezieltes Über­füt­tern („Stopfen“) verfettet ist. Herstel­lung nach Schweizer Tier­schutz­ge­setz illegal, Import legal.

Für die Fleisch­branche ist der Advent einer der zwei Verkaufs­hö­he­punkte des Jahres. Der andere ist der Grill­sommer, wie mir ein freund­li­cher Mitar­beiter der Fleisch­lobby-Orga­ni­sa­tion Provi­ande am Telefon erklärte. Er dachte zuerst, ich schreibe für ein Magazin der Lammfleisch-Industrie.

Schaut einmal zum Fenster raus, wahr­schein­lich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung. Doch in der Schweizer Medi­en­land­schaft werden sie meist igno­riert. Animal Poli­tique gibt Gegen­steuer. Nico Müller schreibt über Macht­sy­steme, Medien, Forschung und Lobby­ismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unter­drückung hängt oft mit der Unter­drückung von Menschen zusammen. Animal Poli­tique macht das sichtbar.

Nico Müller hat den Doktor in Tier­ethik gemacht und arbeitet an der Uni Basel. Daneben setzt er sich poli­tisch für Tier­schutz und ‑rechte ein, beson­ders mit dem Verein Animal Rights Switzerland.

Damit es weiterhin so gut läuft, gibt es Werbung für fleisch­la­stige Fest­tags­menüs. Der Wort­laut und Inhalt dieser Empfeh­lungen sagen viel darüber aus, wie kuli­na­ri­sche Propa­ganda funktioniert.

Hier sind drei Menüvorschläge.

„Quick Kalbs­züngli“

Bell ist das grösste Schlacht­un­ter­nehmen der Schweiz. Sein Rinder­schlachthof in Oensingen im Kanton Solo­thurn wird gerade ausge­baut. Bald sterben dort pro Tag nicht mehr 750 Tiere, sondern 1100.

Die Weih­nachts­seite des Unter­neh­mens schwärmt von Produkten wie „Quick Schwei­ne­hals“, „Quick Kalbs­züngli“ und „Poulet Partymix“. Eines für jeden Dezem­bertag. Quasi eine Mischung aus Advents­ka­lender und Kadaversammelstelle.

Dazu schreibt Bell: „Das grosse Fest­tags-Menü an den Weih­nachts­tagen gehört einfach dazu. Aber wieso diese kuli­na­ri­sche Zeit nur an den Weih­nachts­tage [sic] erleben? Mit Bell erlebst du in der ganzen Weih­nachts­zeit das beste Essen – genau wie an Weih­nachten, einfach nur davor, oder danach. WARUM WARTEN?“

Die Message des Vier-Milli­arden-Konzerns ist viel­leicht nicht fehler­frei getippt. Aber clever ist sie: Iss immer wie an Weih­nachten! Auch davor und danach.

Bei Bell hat man etwas Entschei­dendes begriffen: Über die Feier­tage gönnen wir uns nicht nur was. Wir essen nicht nur gut. Wir defi­nieren auch für uns selbst die Bedeu­tung von „sich was gönnen“ und „gut essen“.

Geht es nach Bell, heisst „sich was gönnen“: Fleisch essen. Quick Kalbs­züngli und Poulet Partymix zum Beispiel. Das gilt dann nicht nur an Weih­nachten, sondern auch für den Rest des Jahres. Das Fest­tags­menü ist kuli­na­ri­sche Propa­ganda, die wir uns selbst auftischen.

„¡Vamos! Südame­rika – exoti­sches Fleischfondue“

Provi­ande wird als Lobby­or­ga­ni­sa­tion von der Schweizer Fleisch­branche finan­ziert. Aber sie erhält auch über zehn Millionen pro Jahr vom Bund, fünf bis sechs Millionen davon gehen direkt in die Werbekasse.

Auf ihrer Webseite gibt es 28 fleisch­la­stige Rezepte für die Fest­tage. Das ist nur ein kleiner Baustein der Dauer­kam­pa­gnen für Fleisch, die Provi­ande über Plakate, Werbe­spots und Inter­net­an­zeigen schaltet.

Klein­bauern-Präsi­dent Kilian Baumann hat den Bundesrat einmal gefragt: Warum unter­stützt der Bund so etwas über­haupt? Ange­sichts der schäd­li­chen Auswir­kungen des Fleisch­kon­sums wider­spreche das doch allen Umwelt- und Gesundheitszielen.

Die Antwort des Bundes­rats: Die Absatz­för­de­rung für Fleisch sei „nicht konsum­trei­bend“. Es gehe nur darum, Schweizer Fleisch von auslän­di­schem abzu­grenzen. Man wolle den Einkaufs­tou­rismus bremsen, nicht den Fleisch­konsum ankurbeln.

Genau das Gleiche hatte man schon Natio­nalrat Balthasar Glättli gesagt. Der wollte 2019 die Steu­er­gelder für Provi­ande-Werbung strei­chen. Doch im Parla­ment wurde seine Motion gar nicht erst diskutiert.

Provi­ande gibt während­dessen den Fest­tagstipp: „Rücke das Fleisch immer ins Zentrum des Tellers.“ Die Symbolik ist etwa so sanft wie der Bolzen­schuss im Schlachthof: Rücke das Fleisch ins Zentrum deiner Ernäh­rung. Zum Beispiel „¡Vamos! Südame­rika – exoti­sches Fleisch­fondue“.

Glaubt der Bundesrat, das sei effek­tive Werbung gegen auslän­di­sches Fleisch? Glaubt er, das sei nicht konsum­trei­bend? Da kann er gerade so gut ans Christ­kind glauben.

„Party­filet“

Über­ra­schend fleisch­la­stig gibt sich Swiss­milk, die Marke­ting­ab­tei­lung der Schweizer Milch­pro­du­zenten. Auch an sie zahlt der Bund sechs bis acht Steu­er­mil­lionen pro Jahr („rund ein Sech­stel“ der Jahres­ein­nahmen von über 40 Millionen).

Auf der Weih­nachts­seite von Swiss­milk steht:

„Klingt etwas abge­dro­schen, aber ja: An Fest­tagen darf man sich ruhig mal was gönnen. Für uns gilt das z. B. fürs Fleisch: Wir sind grosse Fans eines redu­zierten und bewussten Fleisch­kon­sums im Alltag. Beim Weih­nachts­essen darf es ruhig mal ein Filet sein, aber bewusst kann dein Konsum trotzdem sein: Denn das Wie, also z. B. Herkunft und Qualität, macht den grossen Unterschied.“

Das sind viele Wohl­fühl­flos­keln. Dahinter versteckt sich die gleiche Botschaft wie bei Bell und Provi­ande: An Weih­nachten gönnt man sich was, und „sich was gönnen“ heisst „Fleisch essen“. Swiss­milk hat recht: Das klingt abgedroschen.

Man könnte sich auch fragen, warum Swiss­milk nicht etwa Käse­fondue und Raclette als Schweizer Weih­nachts­essen par excel­lence propa­giert. Das käme ja den Milch­pro­dukten zugute, für die sie werben.

Aber die Soli­da­rität zwischen Milch und Fleisch macht schon Sinn. Die beiden Indu­strien sind untrennbar mitein­ander verbunden. Irgendwo müssen die ganzen Kälber hin, die man züchtet, damit bei ihren Müttern die Milch einschiesst. Und wer weiss: Verschwindet das Fleisch vom Weih­nachts­teller, folgen viel­leicht schon bald die Milchprodukte.

Swiss­milk handelt klug und käut die immer glei­chen Fleisch­ge­richte wieder. Die Fantasie reicht hier im Wesent­li­chen von Fleisch-umhüllt-mit-Fleisch („Party­filet“) bis Fleisch-in-irgendeinem-Teig.

Viel­leicht ist dir bei den obigen Menü­vor­schlägen von Bell, Provi­ande und Swiss­milk direkt das Wasser im Mund zusam­men­ge­laufen. Falls nicht, holst du dir deine Rezepte besser woan­ders. Ich habe zum Beispiel gute Erfah­rungen mit „Zucker & Jagd­wurst“ gemacht.

Und viel­leicht über­legen wir uns fürs nächste Jahr, ob wir uns die Steu­er­mil­lionen für Weih­nachts­re­zepte nicht lieber schenken.


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