What do you meme??

Unan­ge­nehme Wahr­heiten werden nicht mehr „durch die Blume” ausge­spro­chen, sondern mittels Memes. Die kleinen Humor­häpp­chen erfüllen aber noch mehr soziale Funktionen. 
Ein Meme sagt mehr als tausend Worte. (Bild: Lea Knutti)

Die Theorie der Love Languages kennt fünf Arten, wie Menschen Liebe ausdrücken und empfangen: Worte der Bestä­ti­gung, Taten, Geschenke, Quality Time und Berüh­rungen. Doch ich bin über­zeugt, dass es noch eine sechste gibt: das Schicken und Empfangen von Memes. 

Was gibt es Inti­meres als ein perfekt getimtes Meme, das ein komplexes Gefühl, einen flüch­tigen Gedanken oder Situa­tion in einem Frame und wenigen Zeilen auf den Punkt bringt? 

Ein Meme sagt mehr als tausend Worte und vermit­telt neben dem witzigen, tief­grün­digen oder bescheu­erten Inhalt eine wich­tige Meta-Nach­richt auf der Bezie­hungs­ebene: Ich kenne dich. I see you und die schrul­ligen Seiten, die genau dieses Meme vermittelt.

Ein Beitrag geteilt von Real boy (@plakiplakiboy)

Ich erin­nere mich an einen Moment vor ein paar Jahren, als ich einem Love Inte­rest ein sehr passendes Spon­gebob-Meme schickte. Damals lief es zwischen uns etwas kompli­zierter und die Lösung war simpel. Doch anstatt direkt ein „Räum deinen Scheiss auf” zu formu­lieren, brachte das Meme mit seiner eleganten Mischung aus Kritik und Galgen­humor die Sache auf den Punkt, ohne vorwurfs­voll zu wirken.

Ich stelle mir Memes gerne als Insider-Witze für das Internet vor.

Es ist wie bei der Rede­wen­dung, „etwas durch die Blume zu sagen” – das vorsich­tige, freund­liche Üben von Kritik, ohne allzu direkt zu sein. Durch Memes hat sie aller­dings ein zeit­ge­mässes Update erfahren; „etwas durch ein Meme zu sagen” bedeutet nicht allzu konfron­tativ, immer ein wenig selbst­iro­nisch und emotional indi­rekt zu kommu­ni­zieren – Digital Natives in a nuts­hell.

Ein Beitrag geteilt von Intro­vert Life Memes (@talesofintrovert)

Was ist über­haupt ein Meme?

Der Duden defi­niert ein Meme als „(inter­es­santes oder witziges) Bild, Video o. Ä., das in sozialen Netz­werken schnell und weit verbreitet wird”. 

Ich stelle mir Memes gerne als Insider-Witze für das Internet vor, meist für eine Gruppe von Menschen mit gemein­samen Erfah­rungen. Wie vielen anderen Autor*innen und Journalist*innen ich bereits das Bild geschickt habe, das die Quint­essenz aus Zeit­druck, Prokra­sti­na­tion (und Reue) sowie Prag­ma­tismus zusam­men­fasst, die viele Schrei­bende nur zu gut kennen. 

Mit der stei­genden Bedeu­tung der Social-Media-Platt­formen in den späten 00er-Jahren wurden Memes präsenter in der digi­talen Land­schaft. LOLcats (Bilder von Katzen mit fehler­haft unbe­hol­fenen Captions) oder Troll­faces (eine schwarz-weisse Zeich­nung eines Trolls mit einem breiten Grinsen im Gesicht) waren der Anfang der digi­talen Welle, die in Inter­net­foren oder Platt­formen wie Reddit und später dann Insta­gram und Twitter aufkamen, viral gingen und sich abge­wan­delt verbreiteten. 

Was mich jedoch über­raschte, als ich anfing, mehr über Memes zu lesen, war die Tatsache, dass ihre Geschichte nicht erst mit dem Internet beginnt. Der Begriff wurde erst­mals 1976 von dem briti­schen Evolu­ti­ons­bio­logen Richard Dawkins in seinem Buch „The Selfish Gene” geprägt. Dawkins beschrieb damit die Idee, dass kultu­relle Infor­ma­tionen ähnlich wie Gene weiter­ge­geben werden. Memes sind dabei eigen­stän­dige kultu­relle Einheiten, die durch Nach­ah­mung, Repli­ka­tion und Verän­de­rung weiter­ver­mit­telt werden. Dabei kann es sich um Ideen, Bräuche oder Verhal­tens­weisen handeln, wie zum Beispiel eine bestimmte Art des Kopf­nickens, die sich – ähnlich der gene­ti­schen Verer­bung – in verschie­denen Gesell­schaften verbreiten und im kollek­tiven Bewusst­sein oder Verhalten verankern.

Längst sind die Zeiten vorbei, in denen das Wissen der Welt zwischen zwei Buch­deckel passen musste. Gut so, denn statt in verstaubten Enzy­klo­pä­dien im unter­sten Regal­fach kann Wissen in ganz unter­schied­li­chen Formen kommen. 

Doch was zählt über­haupt als Wissen? Wer bestimmt darüber und wer hat Zugang dazu? In der Annzy­klo­pädie widmet sich Ann Mbuti den Wissens­formen unserer Zeit. Mit kriti­schem Blick und einer gesunden Skepsis nimmt sie unsere indi­vi­du­ellen Perspek­tiven und Erfah­rungen unter die Lupe, die die Art und Weise prägen, wie Wissen gesam­melt und inter­pre­tiert wird.

Ann Mbuti ist unab­hän­gige Autorin mit Schwer­punkt auf zeit­ge­nös­si­scher Kunst und Popkultur. Ihre Arbeit konzen­triert sich auf künst­le­ri­sche Projekte, die das Poten­zial für soziale, poli­ti­sche oder ökolo­gi­sche Verän­de­rungen haben. Derzeit beschäf­tigt sie sich mit Mytho­lo­gien, münd­li­cher Geschichte, Science Fiction und der Verschmel­zung von Fakten und Fiktion. Seit 2024 ist sie Profes­sorin für Prozess­ge­stal­tung am Hyper­Werk der Hoch­schule für Gestal­tung und Kunst in Basel.

In diesem Sinne konnte man bis zum Aufkommen des Inter­nets auch Sprich­wörter, Weis­heiten, Apho­rismen oder Fabeln als Memes – also als Träger kultu­reller Iden­tität und Inhalte – bezeichnen. Doch was früher durch münd­liche Über­lie­fe­rung oder dem Fest­schreiben von Geschichten passierte, geschieht im Internet durch Likes, Retweets und Shares in einem viel schnel­leren Tempo. Digi­tale Memes verbreiten sich mit einer Geschwin­dig­keit, die sich Dawkins wohl nie hätte träumen lassen. Und sie verän­dern sich dabei ständig, denn jedes neue Meme bringt Tausende von Varia­tionen mit sich – beispiels­weise bei Klas­si­kern wie dem „Woman yelling at Cat” oder dem zeit­losen „Distracted Boyfriend”.

Memes sind ein effek­tives Mittel zur Meinungs­ver­brei­tung, da sie gezielt Emotionen ansprechen.

Memes wie diese sind tausend­fach auf die verschie­den­sten Situa­tionen ange­wendet worden und weit mehr als nur flüch­tige Inter­net­trends, denn digi­tale Medien haben nicht nur unsere Art zu kommu­ni­zieren verän­dert, sondern auch die Art, wie wir Wissen und Kultur weiter­geben. Was einst als ein einfa­ches Bild begann, wird durch Remix-Kultur und kollek­tive Krea­ti­vität zu einem popkul­tu­rellen Phänomen. Früher waren Bücher, Zeitungen oder münd­liche Über­lie­fe­rungen die Haupt­quellen des kollek­tiven Wissens. Heute ergänzen Memes und virale Videos sie als digi­tale Pendants.

Die dunkle Seite der Memes

Doch ganz ohne Neben­wir­kungen ist die Meme-Kultur nicht. Eine Unter­su­chung der Univer­sity of Toronto fand heraus, dass Memes ein effek­tives Mittel zur Meinungs­ver­brei­tung sind, da sie gezielt Emotionen anspre­chen und oft in sozialen Netz­werken unge­fil­tert verbreitet werden. Kriti­sche Refle­xion geht da oft unter. Klingt harmlos? 

Im Wahl­kampf der Präsi­dent­schafts­wahl 2016 in den USA wurden Memes bewusst einge­setzt, um pola­ri­sti­sche Meinungen zu verstärken. Memes sind nicht zwangs­läufig böse, doch die Unter­su­chung zeigt, dass ihr schneller, zugäng­li­cher Charakter es begün­stigt, dass sich Desin­for­ma­tion oder verzerrte Darstel­lungen schnell und effektiv verbreiten.

Hier knüpft Legacy Russell in ihrem Buch „Black Meme” an, das im Mai 2024 herauskam. Es analy­siert die Bedeu­tung und Folgen von Memes für margi­na­li­sierte Gruppen. Die Meme-Kultur ist nicht nur ein modernes Kommu­ni­ka­ti­ons­mittel, sondern auch ein Werk­zeug zur Repro­duk­tion rassi­sti­scher Stereo­type, heisst es darin. Sie argu­men­tiert, dass insbe­son­dere Schwarze Körper und Schwarze Kultur über­pro­por­tional oft in Memes darge­stellt werden – und dabei meist in einer Weise, die bestehende Macht­struk­turen festigt, anstatt sie zu hinter­fragen. Die Folge: Das kolo­niale Erbe wird digital weitergeführt.

Für mich bleibt das Senden von Memes trotzdem eine Love Language. Doch wie bei jeder Form der Kommu­ni­ka­tion verbirgt sich hinter dem Ausdruck digi­taler Zunei­gung immer auch eine tiefere gesell­schaft­liche und poli­ti­sche Ebene. Und manchmal auch eine Botschaft, die unsere Vorstel­lungen von Iden­tität, Macht und Wahr­heit prägt. 

Memes beein­flussen unser kollek­tives Wissen und die Art, wie wir die Welt um uns herum wahr­nehmen, schon jetzt. Unsere digi­tale Kompe­tenz muss mit den Entwick­lungen noch Schritt halten lernen, so viel Bezie­hungs­ar­beit sind wir uns alle schuldig.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 18 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1196 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel

Berühmt und brotlos

Unsere Kolumnistin maia arson crimew ist "die berühmteste Hackerin der Schweiz". Ihre aktivistische und journalistische Arbeit schlug international grosse Wellen. Trotzdem lebt sie am Existenzminimum – und so wie ihr geht es vielen Berühmtheiten heutzutage.