„Wir sind fest davon über­zeugt, dass Frieden möglich ist“

Der Podcast „Unapo­lo­getic – The Third Narrativ“ von Ibrahim Abu Ahmad und Amira Mohammed bietet palä­sti­nen­si­schen und israe­li­schen Perspek­tiven Raum. Im Inter­view spricht Abu Ahmad über seine Vision eines dritten Narra­tivs, das den Frieden stärkt, um diesen Krieg zum letzten zu machen. 
Mit dem Podcast "Unapologetic – The Third Narrative" will der palästinensische Israeli Ibrahim Ahmud alle stärken, die um Frieden sowohl für Palästinenser*innen als auch für Israelis bemüht sind. (Bild: Screenshots von @thirdnarrative)

Ibrahim Abu Ahmad ist palä­sti­nen­si­scher Israeli. Im Oktober 2023 star­tete er gemeinsam mit Amira Mohammed den englisch­spra­chigen Podcast „Unapo­lo­getic – The Third Narra­tive“. Im Podcast spre­chen die beiden Aktivist*innen über den Krieg* in Gaza, die Geschichte Israels und Palä­stinas und ihre eigenen Biogra­fien. Sie laden zudem Gäste ein. Zum Beispiel Maoz Inan, dessen Eltern am 7. Oktober ermordet wurden und der einen Waffen­still­stand und Geisel­deal fordert. Oder Ahmed Fouad Alkhatib, dessen Familie in Gaza ermordet wurde und der scharfe Kritik an der Hamas übt.

Das Gespräch fand am 2. Oktober 2024 statt. In diesen Tagen bombar­dierte die israe­li­sche Armee eine Schule und ein Waisen­haus in Gaza-Stadt, flog die ersten Luft­schläge auf Südbeirut und marschierte in den Libanon ein. In denselben Tagen gab es in Jaffa ein tödli­ches Attentat und feuerte der Iran Raketen auf Israel ab.

Das Lamm: Ibrahim Abu Ahmad, es ist nun fast ein Jahr vergangen seit dem Angriff der Hamas auf Israel und dem darauf­fol­genden Beginn des Kriegs in Gaza, der bis heute andauert. Seit Oktober 2023 machen Sie und Amira Mohammed den Unapo­lo­getic-Podcast. Was bewog Sie damals dazu, ihn zu starten?

Ibrahim Abu Ahmad: Wir dachten: jetzt oder nie. Ich enga­giere mich in der Frie­dens­ar­beit, spreche mit Schüler*innen, Journalist*innen, Parlamentarier*innen. Meistens geht es dabei um uns, die palä­sti­nen­si­schen Bürger*innen Israels und unsere Perspek­tiven. Denn meiner Meinung nach können gerade wir die entschei­dende Rolle spielen, um diesen jahr­zehn­te­alten Konflikt zu beenden. Deswegen will ich unsere Perspek­tive auch nicht mehr nur mit kleinen Gruppen in Semi­nar­räumen, sondern mit der ganzen Welt teilen. Nach dem 7. Oktober erschien uns das dring­li­cher denn je.

Zudem hatten wir beide das Gefühl, es gebe keinen Platz für palä­sti­nen­si­sche Stimmen inner­halb der israe­li­schen Frie­dens­be­we­gung. Die meisten Gruppen sind jüdisch-israe­lisch geprägt. Wir wollten uns diesen Platz nehmen.

Oft ist die Rede von den arabi­schen Bürger*innen Israels oder von arabi­schen Israelis. Sie aber iden­ti­fi­zieren sich als palä­sti­nen­si­sche Israelis. Warum ist es euch wichtig, diesen Begriff zu verwenden?

Weil diese Selbst­be­zeich­nung sich immer auf den Konflikt bezieht. Ich bin israe­li­scher Staats­bürger, ich lebe in der israe­li­schen Gesell­schaft. Und ich bin gleich­zeitig Teil der palä­sti­nen­si­schen Gesell­schaft, sie prägt meine Kultur, meine Geschichte, meine Realität. Für andere mag das wider­sprüch­lich sein, aber es ist so. Es gab Zeiten, da war mal der eine, mal der andere Teil dieser Iden­tität wich­tiger für mich, aber beides gehört zu mir. Deswegen glaube ich auch, dass wir palä­sti­nen­si­schen Israelis eine wich­tige Rolle spielen. Wir sind die einzige Gruppe, die sowohl Hebrä­isch als auch Arabisch spricht. Wir haben einen Blick auf beide Reali­täten, kennen beide Gesellschaften.

„Wir wollen unseren Hörer*innen die viel­fäl­tigen Reali­täten in Israel und Palä­stina näherbringen.“

Sie haben sich aber entschieden, den Podcast weder auf Hebrä­isch noch auf Arabisch zu machen, sondern auf Englisch. Warum?

Schon in der ersten Woche nach dem Angriff der Hamas und dem Kriegs­be­ginn in Gaza gab es überall auf der Welt isla­mo­phobe und anti­se­mi­ti­sche Ausfälle – in unserem Namen als Palästinenser*innen und Israelis. Die Debatte pola­ri­sierte schnell. Das ist genauso gefähr­lich für die Menschen im Westen wie für uns hier. Wir wollten dem etwas entge­gen­setzen und Komple­xität in den Diskurs tragen. Und zwar indem wir unsere Sicht teilen und den Menschen die viel­fäl­tigen Reali­täten in Israel und Palä­stina näher bringen.

Rich­tete sich der Podcast also vor allem an die inter­na­tio­nale englisch­spra­chige Gemein­schaft, nicht an Menschen in Israel und Palästina?

Direkt nach dem 7. Oktober und dem Kriegs­be­ginn in Gaza wäre das gar nicht anders möglich gewesen. Die Wunden waren zu frisch. Es war für keine der betrof­fenen Gruppen möglich, über die schmerz­haften Erfah­rungen der „Anderen“ zu spre­chen. Daher entschieden wir uns dazu, unsere Message zunächst an die Menschen in den west­li­chen Ländern zu richten.

Ihr Podcast heisst „Unapo­lo­getic – The Third Narra­tive“, das lässt sich viel­leicht als „Kompro­misslos – das dritte Narrativ“ über­setzen. Warum haben Sie ihn so getauft?

Wir sind kompro­misslos in der Ansicht, dass Frieden möglich ist. Und wir sahen, dass zwei Narra­tive im Westen am stärk­sten waren: Du bist „pro-israe­lisch“ oder „pro-palä­sti­nen­sisch“. Und wenn du in einer der beiden Gruppen bist, dann bist du gegen die anderen. Wir finden aber: Du musst dich nicht kompro­misslos für die eine oder andere „Seite“ entscheiden – vor allem wenn du nicht betroffen bist. Es gibt viele Menschen, die nicht einseitig denken und sich gegen­seitig nicht dämo­ni­sieren. Diese Menschen sind aber viel weniger laut. Mit unserem Podcast wollen wir ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind und ihre Stimmen stärken.

Woher kommt das, diese zwei sich unver­einbar gegen­über­ste­henden Pole?

Es scheint im Westen die Vorstel­lung zu geben, es gehe in diesem Konflikt um das pure Gute gegen das pure Böse. Mir scheint, nach dem 7. Oktober wurden die Diskus­sionen zudem sehr persön­lich. Unbe­tei­ligte Leute hatten das Gefühl, sie müssten ständig beweisen, dass sie die rich­tige Seite unter­stützen. Und am Ende drehen sich dabei alle um sich selbst. Sie wollen sich selbst beweisen, dass sie auf der rich­tigen Seite der Geschichte stehen. Aber für uns, die wir hier leben, ist die rich­tige Seite der Geschichte jene, auf der dazu beigetragen wird, die Kriege und das Sterben zu beenden, das seit Jahr­zehnten andauert.

Warum ist es über­haupt wichtig, wie Menschen Tausende Kilo­meter entfernt, in Europa und den USA, über den Konflikt in Israel und Palä­stina denken und sprechen?

Zum einen, weil er sich bis in eure Strassen ausge­breitet hat. Wir wollen nicht, dass in unserem Namen Isla­mo­phobie und Anti­se­mi­tismus um sich greifen. Zum anderen glauben wir, dass der Westen eine Rolle in diesem Konflikt spielen muss. Bisher war Frieden leider immer nur ein freund­li­cher Vorschlag der west­li­chen Regie­rungen. Aber er muss eine Forde­rung sein. Und deswegen brau­chen wir die Menschen dort, um Druck auf ihre Regie­rungen aufzu­bauen damit diese helfen, eine lang­fri­stige Lösung zu finden.

„Die Welt starrt uns an und sagt: Wir unter­stützen die Palästinenser*innen! Wie genau hilft uns das?“

Was bisher versäumt wurde…

Ja, das sehen wir jetzt im Libanon. Seit dem letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah 2006 wissen wir, dass dieser Konflikt erneut eska­lieren wird. Die israe­li­sche Regie­rung unter Benjamin Netan­yahu hat immer nur versucht, die Ober­hand zu behalten, die Kontrolle nicht zu verlieren, den Konflikt zu managen. Es ging nicht mehr darum, eine Lösung zu finden.

Auch Frank­reich, Deutsch­land und die EU, die eng mit Israel und Libanon verbunden sind, haben in den letzten 20 Jahren nie etwas unter­nommen, um einen neuen Krieg zu verhin­dern. Nun ist es zu spät. Wir haben Politiker*innen in Frank­reich und Deutsch­land persön­lich getroffen. Ihnen sagten wir: Wir kommen nicht weiter, solange poli­ti­sche Führungs­per­sonen die Verhand­lungen führen und dabei haupt­säch­lich ihre eigenen Inter­essen verfolgen. Statt­dessen muss auch die Zivil­be­völ­ke­rung mit am Tisch sitzen.

Was wäre eine Forde­rung an die west­li­chen Regie­rungen, die Sie am Verhand­lungs­tisch aufstellen würden?

Ich nenne nur zwei Beispiele, es gibt aber viele weitere. Die Unter­stüt­zung west­li­cher Staaten für beide Parteien ist oft kaum an Bedin­gungen geknüpft. Die USA sagen immer, sie setzen sich für eine Zwei­staa­ten­lö­sung ein und seien daher gegen den Ausbau von Sied­lungen in der West­bank. Aber die rechten und rechts­extremen Regie­rungen in Israel, die in den vergan­genen 15 Jahren an der Macht waren, haben den Ausbau der Sied­lungen dennoch geför­dert. Die USA haben zwar gesagt: Das finden wir nicht gut und auch radi­kale Siedler*innen sank­tio­niert. Aber sie hätten eigent­lich einen viel längeren Hebel um Druck auszu­üben. Wenn der Ausbau der Sied­lungen weiter voran­ge­trieben wird, dann ist eine Zwei­staa­ten­lö­sung schon sehr bald nicht mehr möglich. 

Und das zweite Beispiel?

Auf der anderen Seite erhält die Palä­sti­nen­si­sche Auto­no­mie­be­hörde (PA), die das Sagen in Teilen der West­bank hat, eben­falls bedin­gungs­lose finan­zi­elle Unter­stüt­zung aus der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft, etwa von der EU. Aber niemand schaut, wo das Geld landet. Wir aber wissen, dass es in die Taschen der Beamten von der Fatah wandert. Die PA dient nicht dem Wohl der Palästinenser*innen. Im Gegen­teil: Der Akti­vist Nizar Banat etwa hat die Korrup­tion der PA öffent­lich kriti­siert – und wurde von ihr ermordet. Wir hätten schon vor sehr langer Zeit Wahlen gebraucht, die letzten liegen fast 20 Jahre zurück. Aber niemand aus der inter­na­tio­nalen Gemein­schaft hat diese Bedin­gung an die finan­zi­elle Unter­stüt­zung für die PA geknüpft.

Die PA-Beamt*innen werden sich nicht für eine Zwei­staa­ten­lö­sung einsetzen. Warum auch? Sie kriegen Geld und können sich gleich­zeitig aus der Verant­wor­tung stehlen. Egal, was wir fordern, sie sagen immer: Was wollt ihr? Wir können nichts verän­dern. Wir sind unter einer Besat­zung. Aber das stimmt nicht, sie könnten etwas tun. Die west­li­chen Länder hätten also beide Seiten stärker unter Druck setzen müssen, damit diese gemeinsam an einer Lösung arbeiten – und das schon lange.

Gibt es auch Proteste gegen die PA?

Die Menschen in der West­bank prote­stieren nicht, weil sie gebro­chen sind. Wir brau­chen Unter­stüt­zung, um uns zu wehren. Aber die Welt starrt uns nur an und sagt: Wir lieben euch und wir unter­stützen die Palästinenser*innen! Toll, und wie genau hilft uns das? 

„Wir müssen zeigen, dass es auf beiden ‚Seiten‘ Menschen gibt, die Frieden wollen.“

Wie viele Kriege wir in Gaza bereits hatten: 2008 und 2012 und 2018 und 2021. Und jedes Mal waren Menschen auf der Welt empört und gingen auf die Strasse. Bis der Krieg vorbei war. Wir machen das immer und immer und immer wieder. Es reicht nicht, wenn Leute im Westen nur während Kriegen hinter den Menschen in Gaza stehen. Wenn sie helfen wollen, müssen sie sich dafür einsetzen, eine lang­fri­stige Lösung zu finden. Sonst werden sie beim näch­sten Krieg wieder prote­stieren um sich gut zu fühlen und sich zu versi­chern, dass sie auf der rich­tigen Seite stehen, und es werden wieder Menschen sterben und es wird sich wieder nichts ändern. Dieser Krieg muss der letzte sein.

Haben Sie manchmal Angst Ihre Meinung öffent­lich zu sagen?

Nein. Warum sollte ich mich um meine eigene Sicher­heit scheren, wenn das Leben aller Menschen hier auf dem Spiel steht? Amira und ich kriegen manchmal Drohungen in den sozialen Medien. Aber ich schenke diesen keine Aufmerksamkeit.

Gab es Momente in Ihrem Leben, die Sie Ihre poli­ti­sche Sicht geformt haben?

Sehr prägend war, dass meine Cousins in den 1990ern in einer jüdi­schen Gemein­schaft aufge­wachsen sind. Ihre erste Sprache war Hebrä­isch. Über sie hatte ich schon mit vier oder fünf Jahren jüdi­sche Freund*innen. Und so lernte ich auch Hebrä­isch, weil ich mitreden wollte. Ich habe diese Freund­schaften geschlossen, noch bevor ich poli­ti­siert wurde – das war mein Glück. Die grosse Mehr­heit der palä­sti­nen­si­schen Israelis trifft erst nach der Ober­stufe zum ersten Mal eine jüdi­sche Person, etwa an der Uni. Und zu diesem Zeit­punkt hat man schon eine poli­ti­sierte Sicht auf das Gegen­über, sieht nur den Konflikt und nicht den Menschen. 

Später habe ich in Kairo an der American Univer­sity studiert. Ich war dort, als 2011 und 2012 die Menschen während des soge­nannten Arabi­schen Früh­lings auf die Strasse gingen. Ich habe gesehen, wie die Menschen einen Diktator gestürzt haben, der 30 Jahre an der Macht war. Das hat mich sehr beein­druckt. Nach diesen Ereig­nissen brach ich mein Psycho­lo­gie­stu­dium ab und wech­selte zu inter­na­tio­nale Bezie­hungen. Ich kam zum Schluss, dass solche radi­kalen Ände­rungen wie in Ägypten auch bei uns möglich sein müssen.

Was wollen Sie mit Ihrem Podcast in Israel und Palä­stina bewirken?

Manche Palästinenser*innen sagen mir: Was redest du, es gibt niemanden in Israel, der Frieden will. Aber das stimmt nicht. Auch Israelis sagen oft: Es gibt keine Verhandlungspartner*innen für Frieden auf der anderen Seite. Aber wenn beide das sagen, dann heisst das ja, dass sie sich jeweils selbst für die Verhand­lungs­partner halten. Wir müssen also zeigen, dass es auf beiden „Seiten“ Menschen gibt, die Frieden wollen. 

„Israelis und Palästinenser*innen werden sich nie einig werden über die Vergan­gen­heit. Aber wir müssen uns auf eine Zukunft einigen.“

Deswegen spra­chen wir im Podcast über die Nakba, also die Vertrei­bungen von Palästinenser*innen im Zuge der israe­li­schen Staats­grün­dung, genauso wie über die Geschichte der äthio­pi­schen Juden in Israel, die Beset­zung der West­bank, die Hamas-Atten­tate, die Geiseln und die Blockade des Gaza­strei­fens. Die Eltern unseres Gasts, Maoz Inon, wurden von der Hamas am 7. Oktober ermordet. Trotzdem fordert er Frieden und einen Geisel­deal und spricht sich gegen die Kriegs­füh­rung der israe­li­schen Armee in Gaza aus. Er sagt, er werde nicht zulassen, dass Krieg in seinem Namen geführt wird. Palästinenser*innen müssen das hören.

Ist es Ihrer Meinung nach also mitt­ler­weile möglich, über das Leid des jeweils „Anderen“ zu sprechen?

Es gibt Menschen, die uns fragen, warum wir über den Schmerz der Israelis spre­chen würden, wo er bei den Palästinenser*innen so viel grösser sei. Wir sagen aber: Wenn du den Schmerz der „Anderen“ aner­kennst, dann ermög­lichst du, dass sie auch deinen sehen. Wenn ich nur über mich spreche, dann werde ich bewun­dert von meinen eigenen Leuten und fühle mich gut. Aber das bringt uns nicht weiter. Wir kriegen Hunderte von Nach­richten von jüdi­schen Israelis, die sagen, wie viel sie über die palä­sti­nen­si­sche Geschichte und Iden­tität gelernt haben mit unserem Podcast. Und gleich­zeitig machen wir Platz für ihre Geschichten, zeigen, dass wir auch ihr Leid sehen.

Sie spre­chen im Podcast auch über Debatten inner­halb der palä­sti­nen­si­schen Gesell­schaften. Sind sie geeinter seit dem 7. Oktober 2023 oder ist das Gegen­teil der Fall?

Wir sind vereint im Schmerz. Aber wir sind uns nicht immer einig über unsere Zukunft und den Weg dorthin. Wir, die hier in Israel leben, sehen Dinge, die etwa die palä­sti­nen­si­sche Diaspora nicht sieht. Sie haben nicht dieselbe Realität wie Menschen in Israel, aber auch nicht wie Palästinenser*innen in der West­bank oder in Gaza. Es bricht mir das Herz, wenn ich etwa höre, wir müssten kompro­misslos kämpfen und Wider­stand leisten. Denn das sagen oft Menschen, die im Westen leben und die heutige Realität hier nicht erfahren. Für die Menschen hier ist das anders.

Anders inwie­fern?

Die ganze Familie eines Freundes von mir aus Gaza wurde umge­bracht im Krieg, alle ausser seiner Tochter, die er aus den Trüm­mern zog. Er sagte mir: „Mir ist es egal, wo die Landes­grenze zwischen Israel und Palä­stina verläuft. Macht sie hier hin oder da drüben, es inter­es­siert mich nicht. Aber was ich sicher weiss, ist, dass meine Tochter ein besseres Leben verdient hat – und die poli­ti­schen Akteure eine Lösung aushan­deln und uns in Frieden lassen müssen.“ Wie in jeder Gesell­schaft, gibt es unter Palästinenser*innen sehr unter­schied­liche Vorstel­lungen davon, wie wir zu einem Leben in Frieden und Würde gelangen können. Einige wünschen sich zwei Staaten, andere wollen eine Konfö­de­ra­tion, wieder andere wollen Nationen ganz abschaffen...

Auch die Gäste in Ihrem Podcast haben sehr unter­schied­liche biogra­fi­sche und poli­ti­sche Hinter­gründe. In mehreren Folgen disku­tieren Sie mit ihnen etwa, was Zionismus bedeutet. Die Antwort ist bei jedem der Gäste völlig anders. Warum finden Sie es wichtig, diese Viel­falt in den Podcast zu holen?

Wir sind bereit mit jedem*jeder zu spre­chen. Jede*r, der nicht versucht mich umzu­bringen, ist ein Gespräch wert. Wir müssen uns aber eine Sache klar machen: Israelis und Palästinenser*innen werden sich nie einig werden über die Vergan­gen­heit. Wir sind uns oft nicht einmal über die Gegen­wart einig. Aber wir müssen uns auf eine Zukunft einigen. Wir haben keine andere Wahl. Deswegen finden wir es wichtig, unter­schied­liche Menschen im Podcast zu Wort kommen zu lassen. Wir haben mit Menschen aus der West­bank und mit Menschen aus Gaza gespro­chen, mit säku­laren und reli­giösen Juden. Was sie verbindet, ist, dass sie sich gegen­seitig nicht dämo­ni­sieren und dass sie eine bessere Zukunft aufbauen wollen.


*Anmer­kung der Redak­tion: Von verschie­denen Seiten wird Israel vorge­worfen, in Gaza einen Genozid zu begehen. Etwa vom Staat Südafrika, der Israel deswegen vor dem Inter­na­tio­nalen Gerichtshof ange­klagt hat. Oder von Amnesty Inter­na­tional in einem neuen Bericht. Die beiden Podcaster*innen des Unapo­lo­getic-Podcasts benutzen diesen Begriff nicht. Warum, erklären sie etwa in Folge 5 „Let’s Talk Termi­no­lo­gies“.


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