Am 18. März 2025 verhaftete die US-amerikanische Deportationstruppe ICE Virginia Basora-Gonzales. Eine mutmassliche Fentanyl-Dealerin, die angeblich aus der Dominikanischen Republik stammte. Bei ihrer Verhaftung brach die Frau in Tränen aus.
Das Weisse Haus veröffentlichte zunächst ein Foto der weinenden Frau in Handschellen auf Twitter. Noch am selben Tag veröffentlichte das Weisse Haus kommentarlos einen weiteren Tweet: ein KI-generiertes Bild im Artstyle des japanischen Animationsstudios Ghibli. Darauf zu sehen: eine Karrikatur der weinenden Virginia Basora-Gonzales. Ein ICE-Agent legt ihr mit strenger Miene Handschellen an.
Durch die KI wird Basora-Gonzales zum Feindbild einer kriminellen, drogenabhängigen Ausländerin stilisiert.
Diese entsetzliche Kombination ist an Zynismus kaum zu übertrumpfen. Nicht nur, weil ein offizieller Social-Media-Account der US-Regierung solch performativ-sadistische Züge annimmt, sondern auch, weil sie ihren Hass im Stil des humanistisch ausgerichteten Filmstudios Ghibli ausdrücken.

Maskottchen des Faschismus
Die rechten Online-Bubbles feierten den Tweet mehrheitlich, das demokratische Establishment kritisierte den Sadismus (nicht aber die Deportation, versteht sich). Ob kritisch oder begeistert – etwas hatten fast alle Reaktionen auf den Tweet gemeinsam: Niemand sah darin Virginia Barora-Gonzales. Auf dem echten Bild ihrer Verhaftung ist sie noch immer ein Mensch, auch wenn sie dabei entwürdigt wird. Auf dem KI-generierten Bild wird sie zu einem Schatten ihrer selbst, ein animierter Stereotyp einer Person, der man das Menschsein nimmt. Sie ist nichts mehr als das Feindbild einer kriminellen, drogenabhängigen Ausländerin, sie wird zu einem Maskottchen des faschistischen Terrors in den USA.
Wer sich gegen faschistische Kontrolle auflehnt, gilt es um jeden Preis zu vernichten, verstecken oder zu instrumentalisieren.
Wie jeder Faschismus leidet auch der in den USA an einem extremen Kontrollzwang. Er ist eine Herrschaftsform, die darauf abzielt, jedes Individuum einem totalen Ganzen zu unterwerfen. Dieses totale Ganze ist Teil der Grundlogik von Faschismus. Im Fall der USA wird es durch eine fiktive Vorstellung einer weissen und patriarchal geprägten Rasse repräsentiert. In dieser Logik versteht sich das Individuum nicht mehr als autonomes Wesen, sondern als Teil des Ganzen.
Wer sich gegen diese Kontrolle auflehnt oder ihr einzig durch seine Existenz – etwa als Person mit Behinderung, als queerer Mensch oder Migrant*in – widerspricht, gilt es um jeden Preis zu vernichten, verstecken oder instrumentalisieren.
Es gibt da aber etwas, das sich weder zerstören noch kontrollieren lässt: und zwar die Kunst.
Wie Reproduktion die Aura zerstört
Für Faschist*innen war der Umgang mit Kunst schon immer schwierig. Sie ist zu allgegenwärtig, um sie zu verbieten. Sie ist abhängig von autonomen Individuen, die sie erschaffen und betrachten. Innerhalb der faschistischen Kontrolle lässt sie sich dadurch nur schwer instrumentalisieren.
Und doch ist sie eine enorm mächtige Waffe der Propaganda.
Schon 1935 fragte sich der exildeutsche Marxist Walter Benjamin, wie es Faschist*innen gelingt, die Kunst zu instrumentalisieren. Er führt dafür den Begriff der Aura ein. Die Aura beschreibt laut Benjamin eine besondere Ausstrahlung, die einem Kunstwerk innewohnt – geprägt durch seine Einmaligkeit, Echtheit und Unnahbarkeit. Sie entsteht durch die Einmaligkeit des Werks, seine Geschichte, seinen Ort in Raum und Zeit – durch das, was keine Kopie haben kann. Die Erfahrung der Aura ist ein besonderer ästhetischer Moment, in dem das Kunstwerk etwas Persönliches für die Betrachtenden wird.
KI-Bildgenerierung ist nichts anderes als eine kalte Reproduktion einer gigantischen Festplatte.
Sobald Kunst massenhaft reproduziert wird, verliert sie diese Aura. Sie wird austauschbar, anonym, zu einer Ware. Nach Benjamin bewegt der Verlust an Aura unsere Wahrnehmung von einer individuellen Erfahrung zur Gleichförmigkeit.
KI: Das Ende der Aura
Waren zur Zeit Benjamins Fotografie und Film die neuen Technologien der Reproduzierbarkeit, sind es heute KI-Algorithmen. Diese kann man als oberste Form der Reproduktion verstehen. Die Bilder, die sie generieren, werden mit komplizierten Mustern aus unüberschaubaren Datensätzen zusammengeschustert. Sie haben keinen physischen Körper und durch Abwesenheit einer*eines Künstler*in auch keinen Bezug zu den Betrachtenden. Also kann kein Dialog zwischen Schaffer*in und Betrachter*in, keine Interpretation des Werkes, stattfinden.
Da die Datensätze der Bildgenerierung von aus bereits existierenden und von gesellschaftlich hegemonialen Vorstellungen geprägt sind, folgen sie zwangsläufig tradierten Vorurteilen. Die Logik des Algorithmus verstärkt das Muster der Sterotypisierung extra, weil Wiedererkennbarkeit gegenüber der Abweichung gewinnt. So entsteht eine gleichförmige, normierende Bildsprache.
Die Massen werden mobilisiert, bestehende Machtverhältnisse bleiben aber erhalten.
KI-Bildgenerierung ist nichts anderes als eine mathematische und kalte Reproduktion einer gigantischen Festplatte. Damit ist sie das endgültige Ende der Aura.
An sich ist die Reproduzierbarkeit der Kunst nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Sie kann ein Mittel zur Demokratisierung und zur Politisierung der Kunst sein. Letztlich kann sie sogar Menschen befreien. Der Buchdruck, der Literatur für viele zugänglich machte, oder die Filme aus dem Hause Ghibli, die Millionen von Menschen bewegen konnten, sind Beweise dafür.
Wie Politik ästhetisiert wird
Faschist*innen aber nutzen die Reproduktion nicht zur Befreiung, sondern zur Ästhetisierung der Politik. Statt die durch Massenproduktion entstehenden Möglichkeiten für mehr Teilhabe zu nutzen, organisieren sie die Massen, ohne ihre Forderung an Teilhabe der Produktionsmittel zu erfüllen. Also ohne den Menschen echte Mitbestimmung zu geben.
Faschist*innen ersetzen die verlorene Aura durch neue Rituale: Führerkult, Massenaufmärsche, Militärparaden oder grössenwahnsinnige Architektur. Alles wird sorgfältig inszeniert, um ein überwältigendes Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Die Massen werden mobilisiert, bestehende Machtverhältnisse bleiben aber erhalten. Politik wird ästhetisiert. Das heisst: Sie wird selbst zur Kunstform, zum Spektakel, das gleichzeitig fasziniert und diszipliniert.
Dabei helfen gerade die neuen, auraarmen Formen der Reproduktion besonders gut: Sie schaffen Distanz zum Subjekt und spiegeln das faschistische Gesellschaftsmodell wider. So wurden etwa die nationalsozialistischen Aufmärsche im dritten Reich durch die Filme von Leni Riefenstahl massenhaft verbreitet. Sie entfalteten eine enorme propagandistische Wirkung – heute ist es die KI.
Neofaschistische Gruppierungen wie die AfD, die Republikanische Partei Amerikas oder der französische RN haben das Potenzial der KI-Bildgenerierung teilweise bereits im Frühjahr 2023 für sich entdeckt.
Wir müssen davon ausgehen, dass Faschist*innen diese Technologie in Zukunft noch mehr verwenden werden. Immerhin ist sie eine perfektionierte Waffe der faschistischen Propaganda: ohne Aufwand, effizient und gleichschaltend.
Aufhalten oder ignorieren können wir, die uns als antifaschistisch verstehen, diese Entwicklung nicht. Doch wir können und sollten uns darauf vorbereiten.
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