«Du bist keine Genossin» oder «und sowas will links sein» lese ich in regelmässiger Häufigkeit auf Instagram, bei X oder YouTube. Insbesondere, wenn ich anti-deutsche oder israelsolidarische Linke für ihre Haltung zum Gaza Genozid kritisiere, wollen diese Leute klarstellen: Jetzt bist du raus. Mit dieser unsolidarischen Kritik gehörst du nicht mehr zu uns Linken. Denn wie kann ich es wagen, Kritik zu üben – als Linke muss man doch solidarisch mit anderen Linken sein. Also: Maul halten!
Ums mal ganz deutlich zu sagen: Nichts geht mir mehr am Arsch vorbei als dieser alberne Exklusionsversuch. Warum sollte mich ein Ausschluss durch Leute kümmern, deren politische Zwecke ich nicht teile oder sogar klar ablehne? Ausschluss woraus eigentlich? Mich hat mit diesen Leuten nie irgendetwas verbunden und die Absage an eine «Genossenschaft», die es nie gab und die ich nie wollte, ist nun wirklich nichts, das mich irgendwie kümmert.

Müssen Linke zusammenhalten? Unsere Kolumnistin Helena Gorski meint: nein. Wenn das Einzige, was Linke verbindet, das abstrakte Label «links» ist – und dazu vielleicht noch das vage Gefühl, moralisch integer zu handeln oder auf der Seite des Guten zu stehen –, dann lohnt es sich nicht, daran festzuhalten. Statt Einigkeit um jeden Preis braucht es kritische Auseinandersetzung – den Mut, Widersprüche offen zu benennen und politische Konflikte auszutragen. Denn nur so lassen sich gemeinsame Zwecke jenseits leerer Zuschreibungen finden. In ihrer Kolumne Rote Linien nimmt Helena Gorski die Dogmen und Bruchlinien der sogenannten Linken unter die Lupe.
Helena Gorski träumt von nichts Geringerem als der sozialistischen Revolution. Bis es so weit ist, agitiert sie als „Prolentin” im Netz und ist regelmässig im Podcast 99zueins zu hören. Sie beschäftigt sich mit marxistischer Theorie und schreibt Texte, die mit Ironie und Biss auf eine Realität reagieren, die selten Anlass zur Entspannung gibt.
Die Idee hinter dieser Position ist ja: Da sei ein gemeinsamer Konsens unter sogenannten Linken, der uns automatisch zu Genoss*innen macht, und auf Basis dessen man zusammenhalten und solidarisch miteinander sein müsse.
Nichts davon ist wahr.
Es gibt keinen gemeinsamen Konsens in «der Linken» (wer soll das überhaupt sein?), keine geteilten Analysen und Zwecke und erst recht keine daraus erwachsende irgendwie geartete Solidarität. Letztere stellen diese Sittenwächter «der Linken» sich dann so vor: bloss keine Kritik aneinander üben, unbedingt «ZUSAMMENHALTEN» und sich auf den Kampf gegen sogenannte gemeinsame Feinde konzentrieren.
Wer das sein soll, das hat Veronika Kracher in ihrem Vortrag in der Roten Flora in Hamburg neulich deutlich gemacht: «Faschos». Deutsche Nazis, Judenfeinde und Rassisten. Alles andere sei quasi Nebenwiderspruch, also zum Beispiel wie man das genozidale Handeln eines Staates bewertet. Oder was Faschismus ist. Oder Antisemtismus. Kolonialismus. Widerspricht sich? Egal!
Und hey, gegen Nazis, Antisemiten und Rassisten hab ich ja auch was. Stimmt ja. Nur weiss ich mit Sicherheit auch, dass sich mein Begriff von Faschismus, Antisemitismus und Rassismus gravierend von dem unterscheidet, den Kracher und andere linke Gesinnungsprüfer*innen zu Grunde legen.
Diese Begriffe müsste man halt mal klären. Selbst die sehr einfache Zwecksetzung von «Alerta, Alerta, Antifascista» – Hauptsache gegen Faschos –, die ich mir nicht zu eigen machen möchte, geht nicht auf, wenn in «der Linken» so viele unterschiedliche Ideen wie Kleinstgruppen existieren, was Faschismus ist und wie er entsteht.
Wer künftig mit mir diskutieren will, lasse bitte jedes Seitenverhältnis aussen vor.
Wie passend, dass der Ausschluss aus einer «Genossenschaft», die es nie gab, ohnehin alles andere als sachlich daherkommt, sondern nicht mehr ist als der Versuch einer moralischen Ausgrenzung kritischer Querulant*innen aus einer angeblich homogenen, linken Gemeinschaft. Der Rauswurf aus jeder nervigen Hausgemeinschafts-WhatsApp-Gruppe würde mich härter treffen als die patzige Aberkennung einer ja so edlen Gesinnung durch Leute, deren politische Position dem Wahnsinn nähersteht als jeder Vernunft.
Wer nicht in der Lage ist, sich sachlich mit meinen Argumenten auseinanderzusetzen und stattdessen nur versucht, mich mit moralischem Geschrei zum Schweigen zu bringen – «du bist ja gar nicht links, keine Genossin mehr!» – dem mache ich es fortan leicht: Fein, bin ich eben nicht.
Und so möchte ich an dieser Stelle ebenso patzig zurückgeben: Bitte, schliesst mich aus! Nichts käme mir gelegener als der Rauswurf aus eurer heiligen «Linken», die im Grunde nur durch die selbstzufriedene Vorstellung zusammengehalten wird, für «Gerechtigkeit» oder «das Gute» zu streiten. Beides ist eh nicht so mein Ding. Wer künftig mit mir diskutieren will, lasse bitte jedes Seitenverhältnis aussen vor. Nimm mich für das, was ich sage – oder lass es komplett.
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