Bitte, schliesst mich aus!

«Und du willst eine Linke sein?!» Unsere Kolum­ni­stin erhält regel­mässig Gegen­wind aufgrund poli­ti­scher Aussagen. Warum Links­sein nicht verbindet und sie frei­willig das Etikett «links» abgibt, schreibt sie in ihrer ersten Kolumne. 
Wer soll «die Linke» überhaupt sein? (Bild: Luca Mondgenast und Lea Knutti)

«Du bist keine Genossin» oder «und sowas will links sein» lese ich in regel­mäs­siger Häufig­keit auf Insta­gram, bei X oder YouTube. Insbe­son­dere, wenn ich anti-deut­sche oder isra­els­o­li­da­ri­sche Linke für ihre Haltung zum Gaza Genozid kriti­siere, wollen diese Leute klar­stellen: Jetzt bist du raus. Mit dieser unso­li­da­ri­schen Kritik gehörst du nicht mehr zu uns Linken. Denn wie kann ich es wagen, Kritik zu üben – als Linke muss man doch soli­da­risch mit anderen Linken sein. Also: Maul halten!

Ums mal ganz deut­lich zu sagen: Nichts geht mir mehr am Arsch vorbei als dieser alberne Exklu­si­ons­ver­such. Warum sollte mich ein Ausschluss durch Leute kümmern, deren poli­ti­sche Zwecke ich nicht teile oder sogar klar ablehne? Ausschluss woraus eigent­lich? Mich hat mit diesen Leuten nie irgend­etwas verbunden und die Absage an eine «Genos­sen­schaft», die es nie gab und die ich nie wollte, ist nun wirk­lich nichts, das mich irgendwie kümmert.

Müssen Linke zusam­men­halten? Unsere Kolum­ni­stin Helena Gorski meint: nein. Wenn das Einzige, was Linke verbindet, das abstrakte Label «links» ist – und dazu viel­leicht noch das vage Gefühl, mora­lisch integer zu handeln oder auf der Seite des Guten zu stehen –, dann lohnt es sich nicht, daran fest­zu­halten. Statt Einig­keit um jeden Preis braucht es kriti­sche Ausein­an­der­set­zung – den Mut, Wider­sprüche offen zu benennen und poli­ti­sche Konflikte auszu­tragen. Denn nur so lassen sich gemein­same Zwecke jenseits leerer Zuschrei­bungen finden. In ihrer Kolumne Rote Linien nimmt Helena Gorski die Dogmen und Bruch­li­nien der soge­nannten Linken unter die Lupe.

Helena Gorski träumt von nichts Gerin­gerem als der sozia­li­sti­schen Revo­lu­tion. Bis es so weit ist, agitiert sie als „Prolentin” im Netz und ist regel­mässig im Podcast 99zueins zu hören. Sie beschäf­tigt sich mit marxi­sti­scher Theorie und schreibt Texte, die mit Ironie und Biss auf eine Realität reagieren, die selten Anlass zur Entspan­nung gibt.

Die Idee hinter dieser Posi­tion ist ja: Da sei ein gemein­samer Konsens unter soge­nannten Linken, der uns auto­ma­tisch zu Genoss*innen macht, und auf Basis dessen man zusam­men­halten und soli­da­risch mitein­ander sein müsse.

Nichts davon ist wahr. 

Es gibt keinen gemein­samen Konsens in «der Linken» (wer soll das über­haupt sein?), keine geteilten Analysen und Zwecke und erst recht keine daraus erwach­sende irgendwie gear­tete Soli­da­rität. Letz­tere stellen diese Sitten­wächter «der Linken» sich dann so vor: bloss keine Kritik anein­ander üben, unbe­dingt «ZUSAM­MEN­HALTEN» und sich auf den Kampf gegen soge­nannte gemein­same Feinde konzentrieren.

Wer das sein soll, das hat Vero­nika Kracher in ihrem Vortrag in der Roten Flora in Hamburg neulich deut­lich gemacht: «Faschos». Deut­sche Nazis, Juden­feinde und Rassi­sten. Alles andere sei quasi Neben­wi­der­spruch, also zum Beispiel wie man das geno­zi­dale Handeln eines Staates bewertet. Oder was Faschismus ist. Oder Anti­sem­tismus. Kolo­nia­lismus. Wider­spricht sich? Egal! 

Und hey, gegen Nazis, Anti­se­miten und Rassi­sten hab ich ja auch was. Stimmt ja. Nur weiss ich mit Sicher­heit auch, dass sich mein Begriff von Faschismus, Anti­se­mi­tismus und Rassismus gravie­rend von dem unter­scheidet, den Kracher und andere linke Gesinnungsprüfer*innen zu Grunde legen. 

Diese Begriffe müsste man halt mal klären. Selbst die sehr einfache Zweck­set­zung von «Alerta, Alerta, Anti­fa­scista» – Haupt­sache gegen Faschos –, die ich mir nicht zu eigen machen möchte, geht nicht auf, wenn in «der Linken» so viele unter­schied­liche Ideen wie Kleinst­gruppen existieren, was Faschismus ist und wie er entsteht.

Wer künftig mit mir disku­tieren will, lasse bitte jedes Seiten­ver­hältnis aussen vor.

Wie passend, dass der Ausschluss aus einer «Genos­sen­schaft», die es nie gab, ohnehin alles andere als sach­lich daher­kommt, sondern nicht mehr ist als der Versuch einer mora­li­schen Ausgren­zung kriti­scher Querulant*innen aus einer angeb­lich homo­genen, linken Gemein­schaft. Der Raus­wurf aus jeder nervigen Haus­ge­mein­schafts-WhatsApp-Gruppe würde mich härter treffen als die patzige Aberken­nung einer ja so edlen Gesin­nung durch Leute, deren poli­ti­sche Posi­tion dem Wahn­sinn näher­steht als jeder Vernunft.

Wer nicht in der Lage ist, sich sach­lich mit meinen Argu­menten ausein­an­der­zu­setzen und statt­dessen nur versucht, mich mit mora­li­schem Geschrei zum Schweigen zu bringen – «du bist ja gar nicht links, keine Genossin mehr!» – dem mache ich es fortan leicht: Fein, bin ich eben nicht.

Und so möchte ich an dieser Stelle ebenso patzig zurück­geben: Bitte, schliesst mich aus! Nichts käme mir gele­gener als der Raus­wurf aus eurer heiligen «Linken», die im Grunde nur durch die selbst­zu­frie­dene Vorstel­lung zusam­men­ge­halten wird, für «Gerech­tig­keit» oder «das Gute» zu streiten. Beides ist eh nicht so mein Ding. Wer künftig mit mir disku­tieren will, lasse bitte jedes Seiten­ver­hältnis aussen vor. Nimm mich für das, was ich sage – oder lass es komplett.


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Berühmt und brotlos

Unsere Kolumnistin maia arson crimew ist "die berühmteste Hackerin der Schweiz". Ihre aktivistische und journalistische Arbeit schlug international grosse Wellen. Trotzdem lebt sie am Existenzminimum – und so wie ihr geht es vielen Berühmtheiten heutzutage.