Hier­zu­lande darf Geld alles

In kaum einem Land sind Parteien so abhängig von privaten Geldern wie in der Schweiz – und kaum irgendwo dürfen Inter­es­sen­gruppen die Politik so unge­hemmt finan­zieren. Ist poli­ti­scher Einfluss in der Schweiz käuf­lich? Eine Datenanalyse. 
Die Schweizer Transparenzregeln sind so löchrig, dass am Schluss niemand weiss, welche politischen Akteur*innen finanziell stark oder schwach dastehen. (Illustration: Jan Pulfer)

Fast sieben Millionen inve­stiert der Haus­ei­gen­tü­mer­ver­band (HEV), um den Eigen­miet­wert am kommenden 28. September abzu­schaffen. Fast sieben Millionen für eine einzige Abstim­mung. Das entspricht den kompletten Jahres­ein­nahmen der SVP, der Mitte und der Grünen im Jahr 2024.

Seit im Jahr 2023 die neuen Trans­pa­renz­re­geln bei der Poli­tik­fi­nan­zie­rung in Kraft traten, müssen Kampa­gnen und Parteien ihre Budgets und Finan­ciers offen­legen. Deshalb wissen wir jetzt: Der HEV hat dicke Taschen und er will den Eigen­miet­wert unbe­dingt loswerden. 

Mitt­ler­weile kennen wir bei zwei Drit­teln des Geldes, das in der Schweiz in den Abstim­mungs­kampf fliesst, den Absender. Doch ist das im inter­na­tio­nalen Vergleich gut oder schlecht?

Das WAV Recher­che­kol­lektiv und das Lamm erhielten exklusiv Einblick in Daten des nieder­län­di­schen Online­por­tals Follow the Money (FTM). FTM hat 2024 in ganz Europa recher­chiert, wie sich Parteien finan­zieren und woher ihre Spenden stammen (siehe Box «The Trans­pa­rency Gap»). 

Dieser erst­ma­lige Vergleich entblösst den Eisberg unter der neuen Schweizer Trans­pa­renz: Nicht nur bleibt ein Drittel der Spenden weiterhin anonym – mangelnde staat­liche Partei­en­fi­nan­zie­rung, hohe Schwel­len­werte und fehlende Ober­grenzen erlauben zudem, dass Geld in der Schweizer Politik über­durch­schnitt­lich viel Macht hat. 

Im euro­päi­schen Mittelfeld

Zuerst aber die guten Nach­richten: Im EU-Vergleich befinden wir uns in Sachen Trans­pa­renz im Mittel­feld. Dies zeigt ein Vergleich mit den Zahlen von Follow the Money, der den Anteil Spenden mit bekannter Herkunft am gesamten veröf­fent­lichten Spen­den­vo­lumen misst. Bei zwei Drit­teln aller Partei­spenden kennen wir die Spender*in, bei Abstim­mungs­kam­pa­gnen sind es etwas mehr als die Hälfte. Von den 24 Ländern, für welche Daten existieren, rangiert die Schweiz auf Platz 13 bei den Abstim­mungs­bud­gets, respek­tive auf Platz 11 bei den Parteienbudgets.

Dem Urteil «mittel­mässig» schliesst sich auch Toine Paulissen an. Paulissen ist Poli­tik­wis­sen­schaftler an der belgi­schen Univer­sität Leuven und hat sich auf die Finan­zie­rung von Abstim­mungs­kam­pa­gnen spezia­li­siert. Entgegen der verbrei­teten Wahr­neh­mung kennt längst nicht mehr nur die Schweiz regel­mäs­sige direkt­de­mo­kra­ti­sche Abstim­mungen. Die Daten zu den Abstim­mungs­kam­pa­gnen würden zeigen, wem was wirk­lich wichtig ist, findet Paulissen – auch wenn Parteien bei Abstim­mungen eigent­lich weniger zu gewinnen hätten als bei Wahlen. «Hohe Ausgaben in Abstim­mungs­kämpfen verraten Prio­ri­täten.» Denn während Wahl­ver­spre­chen nichts kosten, seien Abstim­mungs­kämpfe teuer. 

Hier­zu­lande dürfen alle spenden – und zwar so viel, wie sie wollen. 

Dass aber Spenden in der Schweiz erst ab 15’000 Franken und Kampa­gnen erst ab 50’000 Franken publi­ziert werden, schmä­lere die Aussa­ge­kraft, so Paulissen. Die realen Budgets und damit auch die tatsäch­li­chen Kräf­te­ver­hält­nisse blieben unbe­kannt. Gemäss einer EU-Studie liegt der Schwel­len­wert bei Spenden im EU-Schnitt bei 2’400 Euro, rund sechsmal tiefer als in der Schweiz. Als posi­tives Beispiel gilt etwa Tsche­chien: Kampa­gnen müssen alle Ausgaben von einem spezi­ellen Bank­konto tätigen, und diese Konten sind öffent­lich einsehbar.

Das Problem sei, so Paulissen, dass Trans­pa­renz noch eine weitere Funk­tion habe, als nur die Herkunft der Gelder offen­zu­legen: «Sie soll das Vertrauen in das poli­ti­sche System stärken». Und hier schei­terten die Schweizer Regeln. Dieser Artikel stützt sich auf Gespräche mit fünf Poli­tik­wis­sen­schaft­lern, alle spezia­li­siert auf Partei­fi­nan­zie­rung. Der Tenor ist klar: Die Schweizer Regeln sind ein guter erster Schritt, aber damit Trans­pa­renz auch mehr Vertrauen schafft, fehlt der nötige Biss.

Im Recher­che­pro­jekt «The Trans­pa­rency Gap» hat das nieder­län­di­sche Online­portal «Follow the Money» (FTM) zusammen mit 22 Medien in Europa die Budgets und Spenden aller Parteien recher­chiert, die an den Euro­pa­wahlen 2024 antraten. Daraus entstand ein Daten­satz aller Budgets und Spenden von 2019 bis und mit 2022. FTM hat die Daten dem WAV Recher­che­kol­lektiv und das Lamm für den Schweizer Vergleich zur Verfü­gung gestellt. Die Daten­lage ist für jedes Land unter­schied­lich. Die Daten der Schweiz beziehen sich auf die Jahre 2023 und 2024.

Die Auto­bahn­bauer, die Ener­gie­un­ter­nehmen und die UBS

Der Verband der Tief­bau­un­ter­nehmen Infra Suisse spen­dete letztes Jahr 142’507 Franken an die Kampagne «Ja zur Siche­rung der Natio­nal­strassen». Die Axpo Holding AG, ein Unter­nehmen der öffent­li­chen Hand, unter­stützte im selben Jahr die «Allianz für eine sichere Strom­ver­sor­gung» mit einer Vier­tel­mil­lion. Und über das ganze Jahr 2024 verteilt stammte jeder sechste Spen­den­franken, den Parteien im Bundes­haus erhielten, von der UBS.

Ever­ything goes, so scheint es. Der Verband der Auto­bahn­bauer spendet, damit wir mehr Auto­bahnen bauen. Die öffent­lich-recht­li­chen Strom­ver­sorger spenden für den Ausbau der heimi­schen Strom­pro­duk­tion. Und eine einzige Bank über­weist 16 Prozent aller Parteispenden. 

Hier­zu­lande dürfen alle spenden – und zwar so viel, wie sie wollen. Nur anonyme Spenden und solche aus dem Ausland sind verboten.

Diese Beispiele sind keine Einzel­fälle. Die gesamte Schweizer Politik baut auf das Geld von Orga­ni­sa­tionen mit wirt­schaft­li­chen – oder zumin­dest ideellen – Inter­essen. Nur gerade zehn Prozent aller offen­ge­legten Partei­spenden und ledig­lich zwei Prozent der Spenden an Kampa­gnen stammten 2024 von Privat­per­sonen. Alle anderen: Unter­nehmen, Berufs­ver­bände, Gewerk­schaften, NGOs.

Diese Orga­ni­sa­tionen sind in der Schweizer Politik wich­tiger als in jedem anderen euro­päi­schen Land. Der Vergleich mit den Daten von Follow the Money ist aber mit Vorsicht zu geniessen, denn jedes Land erfasst und kate­go­ri­siert anders. Trotzdem ist der Unter­schied frap­pant: In Europa spenden primär Privat­per­sonen, während in der Schweiz am meisten Geld von Orga­ni­sa­tionen stammt.

Das über­ra­sche ihn nicht, erklärt Fernando Casal Bértoa, denn hier liege der Schwach­punkt der Schweizer Regeln. Casal Bértoa lehrt Verglei­chende Poli­tik­wis­sen­schaft an der Univer­sität Nottingham. Das Schweizer Gesetz erlaube Spenden von allen denk­baren Orga­ni­sa­tionen – und ohne Ober­grenze. Der Euro­parat empfehle hingegen, so Casal Bértoa, etwa Zuwen­dungen von Unter­nehmen ganz zu verbieten.

Als eines der wenigen Länder kennt die Schweiz keine staat­liche Parteienfinanzierung.

«Unter­nehmen haben defi­ni­ti­ons­ge­mäss kein öffent­li­ches Inter­esse», erläu­tert der Poli­tik­wis­sen­schaftler. Bei Unter­nehmen, die Staats­auf­träge erhalten, sei der Inter­es­sen­kon­flikt umso klarer. Damit die Trans­pa­renz das Vertrauen in die Politik stärke, müsste man dem Einfluss von Geld Schranken setzen und ein finan­zi­elles Wett­rü­sten verhin­dern, so Casal Bértoa. «Wer unbe­grenzte Ausgaben erlaubt, provo­ziert unbe­grenzte Einnahmen. Die Frage ist, woher?» 

Ein ganz anderes Regime herrscht im Euro­päi­schen Parla­ment – auch aufgrund diverser Skan­dale: Spenden sind bei 18’000 Euro gedeckelt, und werden bereits ab 1’500 Euro veröf­fent­licht. Wer sich nicht daran hält, dem drohen hohe Strafen bis zum Strei­chen der staat­li­chen Partei­en­fi­nan­zie­rung. Spenden dürfen zudem nicht mehr als 40 Prozent des Budgets einer Partei ausma­chen. Die Spende der Axpo Holding AG, als öffent­lich-kontrol­liertes Unter­nehmen, für den Ausbau der erneu­er­baren Ener­gien wäre ausdrück­lich verboten.

Die neuen Regeln zur Trans­pa­renz bei der Poli­tik­fi­nan­zie­rung in der Schweiz sind seit Herbst 2023 in Kraft. Davor gab es in der Schweiz keinerlei Trans­pa­renz darüber, wo das Geld der Politik herkommt. Die Schweiz war das letzte Mitglied des Euro­pa­rates, das entspre­chende Regeln einführte. Neu müssen die Abstim­mungs- und Wahl­kam­pa­gnen, die mehr als 50’000 Franken ausgeben, das Total ihrer Einnahmen sowie Einzelspender*innen, die mehr als 15’000 Franken spenden, der Eidge­nös­si­schen Finanz­kon­trolle melden. Diese veröf­fent­licht die Angaben in einem Regi­ster

Die neuen Trans­pa­renz­re­geln werden immer wieder kriti­siert. Moniert werden die hohen Schwel­len­werte oder auch die Möglich­keit, Spenden zu anony­mi­sieren, indem diese über Dritt­ver­eine kana­li­siert werden. Dieses Jahr evalu­iert das Bundesamt für Justiz, wie gut die Regeln tatsäch­lich funk­tio­nieren. Die Ergeb­nisse werden noch dieses Jahr erwartet. 

Die Zahlen zur Schweizer Poli­tik­fi­nan­zie­rung für diesen Vergleich stammen aus dem Regi­ster der Eidge­nös­si­schen Finanz­kon­trolle. Das Trans­pa­renz­tool «das Geld+die Politik» hat sie berei­nigt und aufbe­reitet. Einbe­zogen wurden Partei­spenden der Jahre 2023/24 und Abstim­mungs­gelder seit Herbst 2023.

Parteien von Spenden abhängig

Für Wouter Wolfs ist das Fehlen von Spen­den­be­schrän­kungen in der Schweiz noch aus einem anderen Grund proble­ma­tisch. Wolfs forscht und lehrt an der Univer­sität Leuven, sein Spezi­al­ge­biet ist die Partei­en­fi­nan­zie­rung. «Am Ende müssen Argu­mente zählen, nicht Werbe­bud­gets», sagt er. Der Eindruck, poli­ti­scher Einfluss sei käuf­lich, dürfe nicht entstehen. Brisant ist das vor allem, weil die Schweiz als eines der wenigen Länder keine staat­liche Partei­en­fi­nan­zie­rung kennt.

«Trans­pa­renz schafft nur dann Vertrauen, wenn sie zeigt, dass die Spiesse für alle in etwa gleich lang sind.» 

Wouter Wolfs, Poli­tik­wis­sen­schaftler an der Univer­sität Leuven

Tatsäch­lich sind Parteien hier­zu­lande normale Vereine, getragen von Spenden und Mitglie­der­bei­trägen. Nur die Frak­tionen im Parla­ment erhalten Gelder für ihre Sekre­ta­riate – 2024 waren es insge­samt 7.4 Millionen Franken.

Damit ist die Schweiz ein inter­na­tio­naler Sonder­fall: Laut Follow the Money verzichtet neben der Schweiz nur noch Malta auf staat­liche Partei­en­fi­nan­zie­rung. In den meisten Ländern stammt dagegen weit mehr als die Hälfte der Partei­bud­gets aus öffent­li­chen Mitteln.

Und hier hackt Wolfs ein. Trans­pa­renz schaffe nur dann Vertrauen, wenn sie zeige, dass die Spiesse für alle in etwa gleich lang sind. «Parteien dürfen weder Staats­ma­rio­netten noch Spiel­bälle reicher Spender*innen werden.» Es benö­tige daher eine Balance zwischen staat­li­cher Partei­en­fi­nan­zie­rung und privaten Spenden. 

Wolfs nennt das Beispiel von Deutsch­land oder den Nieder­landen. In Deutsch­land erhält jede Partei pro Euro Privat­spende vom Staat 45 Cent. Und in den Nieder­landen ist neben der Sitz­zahl im Parla­ment auch die Anzahl der Partei­mit­glieder ausschlag­ge­bend für die Höhe der staat­li­chen Parteienfinanzierung. 

Nicht einmal die Kontroll­be­hörde glaubt an die Daten

Ende August publi­zierte die Eidge­nös­si­sche Finanz­kon­trolle zum zweiten Mal die Einnahmen der natio­nalen Parteien. 22,4 Millionen haben die Bundes­haus-Parteien 2024 einge­nommen. Doch die EFK fügte in der Medi­en­mit­tei­lung an: Die Daten erlauben «kein Gesamt­bild über die Poli­tik­fi­nan­zie­rung». Sie seien nicht vergleichbar und zeigten nur den Einnah­menmix einzelner Parteien. Das Einge­ständnis ist klar: Die Schweizer Trans­pa­renz­re­geln sind so löchrig, dass am Schluss niemand weiss, wer finan­ziell stark oder schwach dasteht.

Trans­pa­renz soll laut Lehr­mei­nung zeigen, wer die Politik finan­ziert, und dadurch das Vertrauen in die Demo­kratie stärken. Doch was, wenn die Daten kein Gesamt­bild geben? Wenn Spenden ohne Limits fliessen, während Parteien vom Geld Dritter abhängig sind? Dann droht die Trans­pa­renz mehr zu verschleiern, als sie enthüllt.

Mitar­beit: Jennifer Steiner und Luca Obertüfer.

Balz Oertli ist Teil des WAV Recher­che­kol­lek­tivs. WAV betreibt gemeinsam mit anderen Akteur*innen das Online-Trans­pa­renz­portal Moneyinpolitics.ch, das die Poli­tik­fi­nan­zie­rungs­daten berei­nigt und durch­suchbar aufbereitet.

Dieser Artikel wurde durch den Prix Média Newcomer finan­ziert. Der Preis ermög­licht mehrere Recher­chen. Nach deren Publi­ka­tion findet ein öffent­li­ches Voting statt. Am 24.10. wird der Sieger­ar­tikel in Bern prämiert.


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