Berlin vs. Zürich, Teil I: Abfall­tren­nung deluxe in Berlin

Seit einem halben Jahr lebe ich nun in Berlin — genug, um meine alte mit der neuen Heimat zu verglei­chen. Wo lässt sich einfa­cher ein nach­hal­tiges Leben führen? Was können meine beiden Lieb­lings­städte vonein­ander lernen? Fünf Kate­go­rien nehme ich in einem kleinen Städ­te­duell genauer unter die Lupe. Den Anfang macht die Abfallentsorgung. 
Alles, was das Recyclingherz begehrt, steht in Berlin an einem Ort beisammen: dem Innenhof. (Foto: Alex Tiefenbacher)

Um meine Abfälle in die rich­tigen Recy­cling­kreis­läufe zurück­zu­führen, musste ich in Zürich einiges an Energie aufbringen. Plastik­fla­schen und Dosen brachte ich regel­mässig zu zwei verschie­denen Sammel­stellen. Das Papier und den Karton musste ich abwech­selnd jede zweite Woche akkurat gebün­delt vor die Türe stellen. Und für meinen Biomüll unter­hielt ich einen eigenen Wurm­kom­po­ster, weil man in der Limmat­stadt die Biotonne in den meisten Sied­lungen verge­bens sucht.

Das kleine Recy­cling­pa­ra­dies im Innenhof

In meinem neuen Zuhause in Berlin-Neukölln ist das ein wenig einfa­cher. Hier steht alles, was man für eine anstän­dige Abfall­tren­nung braucht, in unserem Innenhof. Um Biomüll, Papier, Glas und Wert­stoffe wie Metall, Plastik und Tetra­packs so zu entsorgen, dass daraus wieder etwas Neues herge­stellt werden kann, muss ich ledig­lich ein paar Trep­pen­stufen nach unten gehen. Zudem kann ich die Wert­stoff­tonne nicht wie in der Schweiz nur mit PET und PE füttern, sondern gleich mit allen Plastik­ver­packungen. Rest­müll, also nicht wieder­ver­wert­baren Abfall, gibt es so gut wie keinen. Genial!

Leider scheint nicht allen Berli­nern und Berli­ne­rinnen klar zu sein, wie verwöhnt sie mit diesem Entsor­gungs­sy­stem sind. Der Aufwand, um verant­wor­tungs­be­wusst mit seinen Abfällen umzu­gehen, würde sich echt in Grenzen halten. Und trotzdem kriegen es viele nicht hin. Oft ist die Rest­müll­tonne voll mit Verpackungen, und in der Biotonne tummeln sich die Plastiksäcke.

Deshalb sortieren die Leute von der Berliner Stadt­rei­ni­gung (BSR) die Biotonne, das Papier und die Wert­stoff­samm­lung nach, erklärt mir Sabine Thümler von der BSR. Die Rest­müll­tonne werde jedoch nicht noch­mals durch­wühlt. Deren Inhalt wandere – genau wie die Abfälle aus den öffent­li­chen Abfall­kü­beln – direkt in die Müll­ver­bren­nung. Das Erdöl in Form von Plastik, das dort landet, geht dem Kreis­lauf der Wieder­ver­wer­tung unwi­der­ruf­lich verloren. Immerhin werde aus der Schlacke, die nach der Verbren­nung übrig bleibt, das Metall zur Wieder­ver­wer­tung heraus­ge­fil­tert. Der Aufwand und die Kosten für all dieses Nach­sor­tieren seien erheb­lich, meint Thümler. Mit dem Abfall­un­ter­richt für die klein­sten Berli­ne­rInnen wolle man nun dafür sorgen, dass dies bald nicht mehr nötig ist.

Die Pfand­samm­le­rInnen leisten einen wich­tigen Beitrag

Doch ganz alles lässt sich auch in den Berliner Innen­höfen nicht entsorgen: Pfand­fla­schen müssen zu den Verkaufs­stellen zurück­ge­bracht werden. So hat Faul­heit in Deutsch­land einen ganzen Beschäf­ti­gungs­zweig entstehen lassen: das Pfandsam­meln. Zwischen 8 und 25 Cent Pfand zahlt man für jede Flasche oder Dose. Wer auf diesen Betrag pfeift, lässt seine leere Bier­fla­sche auf der Strasse stehen oder verschenkt sein über die Monate ange­sam­meltes Leergut übers Internet.

Während ich in Zürich nach einem gemüt­li­chen Abend am Oberen Letten jeweils mit einer Tasche voll leerer Bier­dosen nach Hause oder an die nächste Party-Loca­tion radeln musste, wenn ich das Alu wieder­ver­wertet sehen wollte, kann ich mein Leergut hier ruhigen Ökoge­wis­sens im Park stehen lassen. Der nächste Pfand­sammler wird es sach­ge­recht für mich entsorgen. Die paar Cents, die ich dafür „bezahle“, sind es mir allemal wert. Sehr geil für mich!

Doch sehen das die Pfand­samm­le­rInnen genauso? Ich weiss es nicht, denn persön­lich gefragt habe ich bisher noch niemanden. Einer­seits werden sie wohl froh sein, dass es diese einfache und unbü­ro­kra­ti­sche Möglich­keit gibt, sich etwas dazu­zu­ver­dienen. Ander­seits arbeiten diese Menschen ohne Mindest­lohn, Alters­vor­sorge oder Unfall­ver­si­che­rung. Und dies, obwohl sie eine für die Gesell­schaft echt wich­tige Arbeit erle­digen. Sie bewahren nicht nur die Parks davor, in den leeren Bier­fla­schen zu ersticken. Nein, sie sorgen auch dafür, dass die Rohstoffe, die in den Flaschen und Dosen stecken, wieder­ver­wertet werden. Ich für mich nehme die Arbeit der Pfand­samm­le­rInnen als geniale Dienst­lei­stung wahr – für die sie viel mehr Wert­schät­zung und anstän­dige Arbeits­be­din­gungen verdient hätten.

Eines ist nämlich sicher: Ohne die Pfand­samm­le­rInnen würden wohl die meisten fritz-kolas und Stern­burger, die im Park oder am Kanal­ufer getrunken werden, im öffent­li­chen Abfall und somit in der Kehricht­ver­bren­nungs­an­lage landen. Und weil es halt schon nicht jeder­manns Ding ist, einen Beutel voll mit leeren Feld­schlöss­chen­dosen ins Hive zu schleppen, geht an einem sonnigen Frei­tag­abend in Zürich wohl einiges mehr an wert­vollem Alumi­nium, Plastik und Glas verloren als in Berlin.

Eins zu null für Berlin

Wohl auch deshalb schneidet Deutsch­land im direkten Vergleich bezüg­lich Müll am Ende doch ein wenig besser ab als die Schweiz, wie eine OECD-Studie aus dem Jahr 2013 zeigt. Nicht nur, weil die Deut­schen pro Kopf etwa 100kg weniger Abfall produ­zieren, sondern auch, weil der Anteil des Abfalls, der richtig rezy­kliert wird, um einiges höher liegt.

Eines muss man den Zürche­rinnen und Zürchern aber zugu­te­halten: Dass die Müll­tren­nung trotz des kompli­zierten Entsor­gungs­sy­stems so gut funk­tio­niert, ist beein­druckend! Denn obwohl man seinen Abfall an vier verschie­dene Orte bringen muss, lagen die Sammel­quoten laut dem Bundesamt für Umwelt­schutz (BAFU) im Jahr 2015 für Papier, Glas, PET-Geträn­ke­fla­schen und Alu alle über 80 Prozent. Das mag an einer besseren Sensi­bi­li­sie­rung, aber viel­leicht auch einfach an den hohen Gebühren liegen, die Herr und Frau Zürcher für jeden vollen Abfall­sack zu berappen haben.

Auf jeden Fall könnten meine zwei Lieb­lings­städte hier echt noch etwas vonein­ander lernen. Denn wirk­lich genial wäre es, wenn sich die Ausstat­tung der Berliner Innen­höfe mit dem Zürcher Ehrgeiz, korrekt zu entsorgen, kombi­nieren liesse.


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