Ich bin auf eine Babyshower eingeladen. Women only. Sehr aufregend. Es ist fünfzehn Jahre her, seit ich das letzte Mal auf eine Party eingeladen wurde, wo nur Frauen waren. Im Zug lege ich mir Antworten auf mögliche Fragen zurecht:
- Was machst du beruflich? — Ich schreibe.
- Und wie verdienst du dein Geld? — Mit Schreiben.
- Bist du in einer Beziehung? — Puh, ja. Obwohl! Ja doch. Hm. Jein. Obwohl. Ach!
- Also hast du keinen festen Partner? – Doch, irgendwie schon.
- Ihr wohnt nicht zusammen? — Um Himmels Willen, nein! // Besser: Im Moment (noch?!) nicht.
- Möchtest du Kinder? — Auf keinen Fall! // Besser: Ich habe einen bezaubernden Göttibueb!
- Aber ein eigenes Kind? — Auf keinen Fall!
- Bist du glücklich? — Ist das die logische Anschlussfrage nach meiner Antwort auf Frage Nr. 7?
- Das Schreiben macht dich aber glücklich? — Warum aber?
- Du hast ja mit 30ig noch viel Zeit! — Und wie! Ich habe meine Eier mit 27ig einfrieren lassen.
Als ich auf der Party ankomme, werden Ballone aufgeblasen, Girlanden in die Bäume gehängt und Sekt kaltgestellt. Es gibt keine dreistöckige Windeltorte, dafür Schokoladenkuchen. Die Freundin, für die wir die Party veranstalten, weiss von nichts. Darauf freue ich mich, den Moment, wenn sie kommt und wir sie überraschen. Nicht, dass frühzeitige Wehen provoziert werden. Dann stelle ich mir vor, wie wir das Kind im Garten zur Welt bringen. Die Plazenta würden wir vergraben.
Sie kommt! Zu Tränen gerührt, als ihr die Augenbinde abgenommen wird. Das ist doch das Schönste, wenn man begreift, dass Freundinnen soviel organisiert haben und niemand etwas verraten hat.
Geschenke! Kinderkleider. So ein Strampler hat schon was. Fingerlein und Füsslein eines Neugeborenen sind was vom absolut Irrsten überhaupt, alles ist schon dran.
Jetzt sitzen wir um den hübsch dekorierten Tisch und snacken Gemüsesticks, tunken Cracker in den Humus und trinken Sekt oder Bier. Ich bin damit beschäftig, ständig einen vollen Mund zu haben, aber die einzige Frage, die mir gestellt wurde an diesem Nachmittag, war Nr. eins. Und auf meine Antwort dann grosse Begeisterung. Ich schäme mich für meine Vorurteile.
Ich fühle mich zwischen den Girlanden und der ganzen Freude nur als halbe Frau. Allein der Gedanke, dass in mir ein Mensch wächst, finde ich creepy, ganz abgesehen von den Stimmungen, die bei mir so schon schwanken. Es kommt mir nicht einmal was Schönes in den Sinn, wenn ich an mich mit einem Kind denke. Obwohl. Wenn ich mit einem Kind noch einmal die Welt neu begreifen könnte, das fände ich schön. Ein Laubblatt! Der erste Schnee! Essiggurken — yummi! Das muss sich doch wie ein LSD-Trip anfühlen, als kleiner Mensch in der Welt alles zum ersten Mal wahrzunehmen. Aber das kann ich mit meinem Göttibueb genauso machen. Oder ein Kind adoptieren? Nein, das ist nicht das Gleiche. Nicht ganz eben. Nicht so richtig eben. Das verstehe ich nicht. Warum es denn mein eigen gezeugt und ausgetragenes Kind sein muss, damit es die wirkliche Mutterliebe ist, die alles in den Schatten stellt, alles relativiert, mich nochmals ganz anders werden lässt. Und wenn ich jetzt sage, dass ich das nicht will, was spreche ich mir ab?
Schokoladenkuchen! Davon kann ich kein Stück essen, weil ich direkt an Mutterkuchen denke. Die Frau neben mir erzählt gerade, dass ihr Freund sagte: „Seit heute weiss ich, eine Babyshower bedeutet nicht, dass zehn Frauen zusammen duschen!“ — ich verschlucke mich an einem Grissini.
Und dann geht’s los: Fast jede erzählt von einer schwierigen Geburt aus ihrem Umfeld. Nabelschnur um den Hals. Füsse voraus. Dammriss. Ohnmacht. Als würde man auf einer Beerdigung mit spektakuläreren Toden auftrumpfen.
Ich werde ganz still. Falle in mich hinein. Mein Unterleib zieht sich zusammen. Eisprung. Vermutlich. Was fehlt mir denn, dass ich mich nicht nach einem – also meinem – Kind sehne? Da ist eine Leere und eine beachtliche Angst. Vor der Verantwortung und vor dem Verlust meiner Autonomie, was ich bereits fürchte, wenn ich mich in eine verbindlichere Paarbeziehung hineingebe. Oder ist es die Erinnerung an eine Abtreibung in der Jugend? Das Kind wäre heute acht. Oder doch die Myome an meiner Gebärmutter, die man mir rausnehmen musste? Die Konfrontation mit meiner Fruchtbarkeit auf einer völlig unromantischen Ebene, wo man mir zu meinem Alter gratuliert, wo medizinisch noch alles möglich sei.
Natürlich habe ich ab und an die Phantasie, wenn ich einen Mann treffe, den ich gut finde, wie der wohl so als Vater wäre. Aber da geht es mir ja eigentlich darum, ob ein Mann bei sich ist. Natürlich schmelze ich beim Anblick von Vätern mit Kindern in den Armen. Das finde ich sogar ausgesprochen attraktiv. Apropos: Es hat sich auch schon eine Liebschaft von mir verabschiedet, als er nach der zweiten Nacht fragte, ob ich Kinder will. Und ich nein sagte.
Aber öfters ist es eben doch so, wenn ich einen Kinderwagen sehe, ärgere ich mich darüber, dass er im Weg steht (auch wenn er von einem attraktiven Mann geschoben wird). Wenn ich aber den Kinderwagen meines Göttibuebs durch die Gegend stosse, platze ich vor Stolz. Schön auch, wenn ich Menschen treffe, die sich dann irritiert nach mir umdrehen und sich den Kopf zerbrechen: Woher hat die Zukker ein Kind? Wer hat ihr das gemacht? Hat sie es entführt? Das geniesse ich ausgesprochen.
Drei kleine Bier später und mit einem Gemüsegarten im Magen sitze ich im Zug nach Hause. Mir gegenüber ein Mädchen mit ihrem Vater. Sie hält sich einen Kühlschrankmagnet ans Ohr und spricht eine mir unbekannte Sprache. Phantasiesprache, lacht mich ihr Vater an. Das Mädchen nimmt den Kühlschrankmagnet vom Ohr, verdreht die Augen und sagt dann: „Könnt ihr beide sofort still sein? Ich telefoniere gerade mit Amerika.“ Kurz stelle ich mir vor, wie wir zu dritt als Familie aus dem Zug steigen. Aber das ist jetzt vielleicht auch mein Eisprung in Kombination mit dem Bier.
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 6 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 572 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 210 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 102 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?