Berlin vs. Zürich, Teil II: Schwach­strom-Bio gibt’s überall. Aber wo gibt’s mehr davon?

Seit einem halben Jahr lebe ich nun in Berlin – genug, um meine alte mit der neuen Heimat zu verglei­chen. Wo lässt sich einfa­cher ein nach­hal­tiges Leben führen? Was können meine beiden Lieb­lings­städte vonein­ander lernen? Im zweiten Teil finde ich heraus, welche Stadt in der Kate­gorie „Essen“ die Nase vorne hat. 
Veganes Curry - eine von vielen Möglichkeiten sich nachhaltig zu ernähren in Berlin. (Foto: Alexandra Tiefenbacher)

In den ersten Wochen in Berlin war ich ziem­lich über­for­dert beim Einkaufen. In den Zürcher Super­märkten kannte ich mich langsam gut aus mit den verschie­denen Bio-Label. Und nun stand ich bei REWE, Edeka, Lidl oder Aldi vor den Regalen und wusste nicht, wonach ich greifen sollte.

Das Gesetz ist leider nicht genug

In der Schweiz seien die Vorgaben für Biopro­dukte strenger, habe ich immer wieder gehört. Aber stimmt das wirk­lich? Erhält man beim Griff ins Biosor­ti­ment der Zürcher Läden wirk­lich Lebens­mittel, deren Herstel­lung weniger Kolla­te­ral­schäden hinter­lassen als ihre Pendants in den Berliner Läden?

Sowohl in der EU, wie auch in der Schweiz ist der Ausdruck „bio“ geschützt. Wer etwas als „bio“ verkaufen will, muss die Öko-Verord­nung der EU bezie­hungs­weise die Schweizer Bio-Verord­nung einhalten. Die darin enthal­tenen Bestim­mungen sind laut Bio Suisse in etwa gleich – leider gleich lasch.

Gesetz­lich gere­gelt werden in diesen zwei Verord­nungen ledig­lich die Verwen­dung von chemi­schen Düngern und Pesti­ziden und die Mini­mal­an­for­de­rungen an die Tier­hal­tung. Das ist sicher nicht verkehrt: Die Kühe liegen dadurch nicht durch­ge­hend in ihrem eigenen Dreck herum, und wir vergiften uns beim Verzehr des Salates nicht schlei­chend selbst mit Pesti­zid­rück­ständen. Doch eine Biopro­duk­tion, die diesen Namen wirk­lich verdient hat, beinhaltet weit mehr.

Echte Biole­bens­mittel sollten so herge­stellt werden, dass ihre Produk­tion lang­fri­stig funk­tio­niert, ohne die natür­li­chen Ressourcen zu über­nutzen. Zudem sollten sie bei ihrer Herstel­lung keine Schäden an der Umwelt hinter­lassen, die entweder über öffent­liche Gelder oder von zukünf­tigen Gene­ra­tionen begli­chen werden müssen. Alles andere sind keine echten Biopro­dukte, sondern Schwach­strom-Bio. Auch wenn sie sich in der EU per Gesetz als „biolo­gisch” bezeichnen dürfen.

Wer sicher sein will, dass seine Bioto­maten nicht bereits im Früh­ling mit Kohle­strom beheizt wurden oder in einer drei­fa­chen Plastik­ver­packung im Super­markt­regal landen, der sollte sich nicht mit dem gesetz­lich fest­ge­legten EU- oder CH-Biostan­dard zufrieden geben, sondern zu einem stren­geren Biolabel greifen. Die gibt es sowohl in der Schweiz als auch in Deutsch­land. Sie heissen Bio Suisse Knospe, Coop Natu­ra­plan, Demeter Schweiz, Migros Bio, Natur­land, Demeter Deutsch­land oder Bioland.

Lasche Bio-Labels gibt es überall — aber nicht überall gleich viele

Während die grossen Schweizer Detail­händler Coop und Migros vorwie­gend auf strenge Biola­bels setzen, findet man bei den markt­be­herr­schenden deut­schen Detail­händ­lern einen bunten Mix. Die Labels der grossen Discounter Aldi und Lidl erfüllen nur gerade die EU-Norm. Genauso das haus­ei­gene Biolabel von EDEKA. Die Alna­tura-Produkte, die man zudem seit 2015 bei EDEKA findet, tragen zwar oft auch ein stren­geres Label — aber halt nicht immer. Und die Biopro­dukte bei REWE zieren sich auch nur zum Teil mit dem stren­geren Naturland-Signet.

In Deutsch­land ist es also wahr­schein­li­cher, dass man bei den Grossen ein lasches Biopro­dukt antrifft als bei den zwei Schweizer Detail­riesen. Auch wenn man leider auch bei Migros und Coop immer öfters Produkte findet, die nur das EU-Biosiegel tragen.

Doch in der Spree­stadt gibt es Alternativen

Doch eigent­lich bin ich hier in Berlin gar nicht unbe­dingt darauf ange­wiesen, bei den grossen Lebens­mit­tel­händ­lern einzu­kaufen. Es gibt genü­gend Ausweich­mög­lich­keiten. Die Dichte an Biosuper­märkten wie Bio Company, LPG Biomarkt oder Denns ist echt gross. Da können die drei Alna­tura-Läden und die leider oftmals ein wenig verstaubten Reform­häuser in der Schweiz nicht mithalten.

Zudem muss man ja nicht immer selber kochen, und in Neukölln findet man echt viele Restau­rants, die meinen Ansprü­chen genügen. Hier gibt es nicht nur vegane Viet­na­mesen, Crepe­rien und Burger­läden. Sondern auch Restau­rants, die Lebens­mittel vor dem Wegwerfen bewahren.

Fazit: Schwach­strom-Labels findet man überall. Aber bei den markt­be­herr­schenden Lebens­mit­tel­händ­lern in Deutsch­land leider öfter als in der Schweiz. Auf der anderen Seite gibt es in Berlin echt gute Ausweich­mög­lich­keiten. Welche Stadt hat nun die Nach­hal­tig­keits­nase vorn, wenn es ums Essen geht? Unent­schieden, würde ich sagen.

Gesamt­haft steht es nun also 2 : 1 für Berlin, denn in der Kate­gorie Abfall gingen der Sieg ans dicke B. Doch das Duell geht weiter. Mal schauen, ob die Limmat­stadt noch aufholen kann. Viel­leicht kann Zürich ja in der näch­sten Kate­gorie, bei der Fort­be­we­gung, punkten.

Hier noch ein paar inter­es­sante Links zu Biolabels:

  • Ob bio wirk­lich gesünder ist als normale Lebens­mittel, ist umstritten. Aber das ist eigent­lich auch sowas von egal. Denn bio kann viel, wirk­lich verdammt viel mehr als gesund sein. Das Forschungs­in­stitut für Biolandbau (FiBL) hat 100 Gründe zusam­men­ge­stellt, warum bio besser ist. Unter anderem schützt der Biolandbau vor Hoch­wasser, stabi­li­sieren Bioacker­böden das Klima, spart der Biolandbau Energie, lassen Bioböden eine grösser Arten­viel­falt zu und schont die Bioland­wirt­schaft unsere Flüsse und Seen.
  • Für alle, die für den Einkauf in den Schweizer Läden noch ein wenig Orien­tie­rung brau­chen, hat der WWF zusammen mit PUSCH einen echt guten Label­führer zusam­men­ge­stellt. Das Ganze gibt es auch als App. Dann hast du die Infos direkt bei jedem Einkauf dabei. Auch ein Besuch auf labelinfo.ch lohnt sich auf jeden Fall
  • In Deutsch­land hilft einem die Seite siegelklarheit.de durch den Labeldschungel.

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