Ganz schön voll hier, nicht? Und tatsächlich: Die Flächenversiegelung in der Schweiz hat innerhalb von 24 Jahren um 29% zugenommen. Trotzdem hat der Bundesrat im Januar die Zersiedelungsinitiative abgelehnt. Die „Galerie des Schreckens“ auf der Website der Initiative belegt jedoch eindrücklich, wie einfallslose Neubauten immer weiter in die Landschaft vordringen. Doch muss Bevölkerungswachstum nicht automatisch auch Flächenversiegelung und Zersiedelung bedeuten. Wir schlagen sechs Möglichkeiten für Politik und Bürger, Konsumentinnen, Mieter oder Eigentümerinnen vor:
1. Leerstehende Wohnungen nutzen
Laut Bundesamt für Statistik standen 2016 insgesamt 56’518 Wohnungen in der Schweiz leer. Das sind immerhin 1,3% aller Wohnungen in der Schweiz. Dabei handelt es sich laut Statistik meist um Wohnungen mit drei oder vier Zimmern, ein grosser Teil im Luxussegment. Die Wohnungen finden sich teilweise auch in den Gemeinden, in denen weiter gebaut wird. Denn bei den tiefen Zinsen ist es momentan klüger, sein Geld in eine Immobilie zu verbauen und diese leer stehen zu lassen, als das Kapital auf der Bank zu deponieren. Zum Vergleich: In allen leerstehenden Wohnungen liesse sich (rein rechnerisch) der Bevölkerungszuwachs eines Jahres unterbringen. Zwischen 2015 und 2016 waren das 90‘600 Personen.
Erfolge zur Nutzung leerstehender Wohnungen werden aus dem Norden gemeldet: Aufgrund von Wohnungsknappheit und der Zunahme von Ferienwohnungen wurden in verschiedenen Metropolen in Deutschland sogenannte Zweckentfremdungsverbote eingeführt. Diese untersagen die Gewerbenutzung, die Vermietung als Feriendomizil, einen Leerstand von mehr als 6 Monaten oder einen Abriss von Liegenschaften. In München, einer Stadt mit ähnlich grossem Wohnungsmangel wie Zürich, konnten so immerhin 240 Wohnungen wieder in den regulären Wohnungsmarkt zurückgeführt werden.
2. Büros zu Wohnungen!
Wenn selbst die Handelszeitung schreibt, dass die Anzahl leerstehender Bürogebäude in der Schweiz dramatisch ansteige, gibt es wohl ein Überangebot auf dem Immobilienmarkt. Doch leerstehende Büros müssten eigentlich nicht lange auf das nächste mietwillige Unternehmen warten — man könnte sie auch einfach in Wohnungen umwandeln. Dies würde nicht nur die vielen Suchenden und die Schweizer Landschaft freuen, sondern auch Bau- und Handwerksunternehmen, die notwendige Umbaumassnahmen durchführen dürften.
Doch ein temporärer Leerstand lohnt sich häufig für die Vermieter: Für Gewerberäume kann ein höherer Mietzins verlangt werden als für Wohnungen. Und die Verträge werden häufig für mehrere Jahre abgeschlossen. Zudem würden bei einer Umnutzung Kosten für die Umbauarbeiten anfallen. Auch dies könnte durch ein Zweckentfremdungs- oder Leerstandsverbot gelöst werden: Würden Leerstände von mehr als 6 Monaten mit einer Busse belegt, wäre es attraktiver für die Vermieter, ihre Immobilien anderweitig zu nutzen.
3. Nur bei nachweislichem Bedarf bauen
Wohnen in Stadt und Umgebung boomt. Die Einwohner und Einwohnerinnen der Schweiz möchten vor allem in zentral gelegenen, an das ÖV-Netz angeschlossenen Wohnungen und Häusern wohnen. Neubauprojekte auf dem Land dagegen stehen häufig lange leer. Das heisst, immer mehr Fläche wird sinnlos und auf Halde zugebaut. Es wäre also sinnvoll, die Genehmigung grösserer Neubauprojekte vom Bedarf abhängig zu machen. Also beispielsweise erst die Bewilligung zu erteilen, wenn der Bauherr nachweisen kann, für mindestens 50% der Wohnungen im Objekt Interessentinnen oder Interessenten zu haben.
4. Steuer auf neue Ferienwohnungen
Schön: Neben der Wohnung in der Stadt noch ein Wochenendhäuschen auf dem Lande besitzen. Nicht so schön: Immer mehr Fläche für Wohnungen zubauen, die den grössten Teil des Jahres leer stehen. Die Zweitwohnungsinitiative geht hier bereits in die richtige Richtung. Sie verbietet den Bau neuer Zweitwohnungen in Gemeinden, die bereits mehr als 20% Zweitwohnungen haben. Damit wird das Bau- und Spekulationsfieber in Ferienorten zwar eingedämmt, doch verlagert sich das Problem nur in andere Gemeinden.
Daher unsere Forderung: Der Bau von Zweitwohnsitzen soll finanziell unattraktiver werden. Das kann zum Beispiel durch eine Steuer auf den Bau oder Besitz solcher Neubauwohnungen geschehen. Dies gilt nicht für existierende Gebäude. Chalets, Rustici oder Scheunen dürften dann immer noch umgebaut oder renoviert werden, aber keine Gebäude hinzugefügt werden.
5. Gemeinschaftlich genutzte Fläche
Die meisten, die schon einmal längere Zeit ausserhalb Europas gelebt haben, kennen es: Während es für uns selbstverständlich ist im Park zu grillieren, im See zu baden oder im Wald spazieren zu gehen, fehlen diese Optionen in vielen Ländern. In der Schweiz mit ihren vielen öffentlichen Seen, Flüssen, Parks, Wäldern und Bergen sind wir privilegiert. Es fehlen jedoch die Optionen für schlechtes Wetter. Damit steigt das Bedürfnis, in jedem Haus ein Arbeitszimmer, Kinozimmer, Spielzimmer oder einen Hobbyraum zu haben. Und das wiederum führt zu einem erhöhten Flächenverbrauch.
Wir brauchen also mehr Gemeinschafts- und Nutzfläche für erwachsene Menschen. Die Gemeinschaftszentren in Zürich sind ein guter Anlaufpunkt für Kinder und Kurse Besonders schön sind aber Initiativen wie das Unternehmen Mitte in Basel. Hier kann man in einem coolen Café Zeit verbringen, ohne konsumieren zu müssen.
6. Flexibel dazubuchen
Wer nicht ins Café oder ins Gemeinschaftszentrum gehen will, kann andere Optionen nutzen: Warum nicht flexibel Räume hinzubuchen? Die Zürcher Wohngenossenschaft Kalkbreite macht es vor: In der Kalkbreite können Hausbewohnerinnen und ‑bewohner, aber auch Externe Gästezimmer oder die sogenannten ‚Flexzimmer‘ für Arbeit und Freizeit mieten. Diese bieten viel Platz für Besuch, Sitzungen, Seminare, Versammlungen oder Sport. Das wäre doch ein gutes Modell für alle grösseren Wohnprojekte. So verringert sich die benötigte Fläche pro Haushalt, gleichzeitig erhöht sich aber der Komfort und die Flexibilität für alle.
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