Ab ins Säckli: Warum Zürich Plastik­re­cy­cling braucht

Nur 11 Prozent der Schweizer Kunst­stoff­ab­fälle werden recy­celt. Das hat vor allem wirt­schaft­liche Gründe. 
Symbolbild (Foto: Artur Konik)

Für einmal muss Zürich aner­kennen, dass die Ostschweiz die Nase vorn hat: Dank inno­va­tiver Unter­nehmen wie Inno­re­cy­cling ist die Region führend im Plastik­re­cy­cling. Verschie­dene Initia­tiven wie www.kuh-bag.ch oder www.sammelsack.ch bieten gebüh­ren­pflich­tige Abfall­säcke für Plastik als Ergän­zung zum Kehricht­sack an und haben eine flächen­deckende Kunst­stoff­samm­lung etabliert. In 245 Schweizer Gemeinden gibt es bereits die Möglich­keit, Kunst­stoffe in eigenen Säcken zu sammeln. Würden die rest­li­chen 2010 Gemeinden diesem Beispiel folgen, könnten insge­samt 270‘000 Tonnen CO2eq pro Jahr einspart werden – das ist immerhin der jähr­liche Gesamt­aus­stoss von 22‘000 Einwoh­ne­rInnen der Schweiz.

Insge­samt werden in der Schweiz 54 Prozent der Sied­lungs­ab­fälle recy­celt. Laut offi­zi­eller Defi­ni­tion gehören dazu „brenn­bare und separat gesam­melte Abfälle aus Haus­halten sowie Abfälle aus Unter­nehmen mit weniger als 250 Voll­zeit­stellen, deren Zusam­men­set­zung betref­fend Inhalts­stoffen und Mengen­ver­hält­nissen mit Abfällen aus Haus­halten vergleichbar sind“. Das ist ein Spit­zen­wert im euro­päi­schen Vergleich.

Ausruhen sollte sich die Schweiz jedoch nicht: Die EU plant, bis 2030 ganze 65 Prozent der Sied­lungs­ab­fälle und 75 Prozent aller Verpackungen stoff­lich zu verwerten. Und schon heute liegt die Schweiz bei dem Recy­cling von Kunst­stoffen zurück: Laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) produ­zieren wir in der Schweiz jähr­lich etwa 780‘000 Tonnen Kunst­stoff­ab­fälle. Davon werden über 80 Prozent in Kehricht­ver­wer­tungs­an­lagen und gut sechs Prozent in Zement­werken ener­ge­tisch verwertet, also verbrannt. Nur 80‘000 Tonnen – 11 Prozent — werden recy­celt. Laut Umwelt­bun­desamt sind es in Deutsch­land bereits 45 Prozent. Der Druck auf die Schweiz wird also steigen, einen grös­seren Teil der Sied­lungs- und Verpackungs­ab­fälle in den Wert­stoff­kreis­lauf zurückzuführen.

Doch das Kunst­stoff­re­cy­cling ist hier­zu­lande umstritten. Verbände, Forschungs­ein­rich­tungen und Firmen wett­ei­fern mit Studien um die besseren Zahlen und Argu­mente. Laut PET-Recy­cling Schweiz und Swiss Recy­cling sei der ökolo­gi­sche Nutzen von Kunst­stoff­re­cy­cling im Verhältnis zu den Kosten vernach­läs­sigbar. PET-Recy­cling geht sogar soweit, in einer Medi­en­mit­tei­lung zu verlaut­baren: „Und Umwelt­schutz heisst auch nicht, Geld zum Fenster hinaus­werfen.“ Das sind über­ra­schend pole­mi­sche Worte für eine Medi­en­mit­tei­lung. Etwas neutraler schreibt Swiss­re­cy­cling: „Eine komplette Samm­lung der Kunststoffabfälle aus den Haus­halten ist nicht anstrebenswert.“

Während die Entsor­gungs­ver­eine sich gegen eine Auswei­tung der Kunst­stoff­samm­lungen stark machen, haben die Jungen Grünen in Zürich eine Peti­tion für das Plastik­re­cy­cling gestartet. Selina Walgis, Mitglied der Geschäfts­lei­tung, sagt zum Kosten­faktor: „Wir gehen von 8,30 Franken pro Einwohner und Jahr aus. Das ist ein sehr gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis.“

Doch sind diese Annahmen reali­stisch? Laut der Studie „Kunst­stoff Recy­cling und Verwer­tung“ (KuRVe) von Carbo­tech und UMTEC aus dem Jahr 2017 betragen die Kosten einer neuen Kunst­stoff­samm­lung und Verwer­tung 750 Franken. Das sind 500 Franken mehr, als die Entsor­gung von Kehricht­säcken durch Verbren­nung pro Tonne kostet. Rechnet man aller­dings die Kosten auf den Durch­schnitts­ver­brauch herunter, rela­ti­viert sich die Summe: 14kg Kunst­stoffe pro Kopf könnten zusätz­lich verwertet werden. Damit würden die Kosten des Kunst­stoff­re­cy­clings 7 Franken pro Person und Jahr betragen. Zum Vergleich: Laut BAFU gibt ein durch­schnitt­li­cher Schweizer Haus­halt pro Jahr 114 Franken für den Kehricht aus.

Kompli­zierter ist es, den Nutzen zu berechnen. Die KuRVe-Studie spricht von einem poten­zi­ellen ökolo­gi­schen Nutzen pro Person und Jahr, der einer Auto­fahrt von 30 Kilo­me­tern entspricht. Berechnet man nur die klima­re­le­vanten Emis­sionen, so ergibt sich aller­dings ein Klima­nutzen von umge­rechnet 100 Kilo­me­tern Auto­fahrt pro Person (bzw. der eingangs erwähnte Jahres­ver­brauch einer gesamten Kleinstadt).

Das ist, wenn auch nur ein kleiner Schritt, so doch einer in die rich­tige Rich­tung. Und für Zürich ein Grund mehr, es der Ostschweiz gleich­zutun und ein gutes Beispiel für den Rest der Schweiz zu setzen.


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