Für einmal muss Zürich anerkennen, dass die Ostschweiz die Nase vorn hat: Dank innovativer Unternehmen wie Innorecycling ist die Region führend im Plastikrecycling. Verschiedene Initiativen wie www.kuh-bag.ch oder www.sammelsack.ch bieten gebührenpflichtige Abfallsäcke für Plastik als Ergänzung zum Kehrichtsack an und haben eine flächendeckende Kunststoffsammlung etabliert. In 245 Schweizer Gemeinden gibt es bereits die Möglichkeit, Kunststoffe in eigenen Säcken zu sammeln. Würden die restlichen 2010 Gemeinden diesem Beispiel folgen, könnten insgesamt 270‘000 Tonnen CO2eq pro Jahr einspart werden – das ist immerhin der jährliche Gesamtausstoss von 22‘000 EinwohnerInnen der Schweiz.
Insgesamt werden in der Schweiz 54 Prozent der Siedlungsabfälle recycelt. Laut offizieller Definition gehören dazu „brennbare und separat gesammelte Abfälle aus Haushalten sowie Abfälle aus Unternehmen mit weniger als 250 Vollzeitstellen, deren Zusammensetzung betreffend Inhaltsstoffen und Mengenverhältnissen mit Abfällen aus Haushalten vergleichbar sind“. Das ist ein Spitzenwert im europäischen Vergleich.
Ausruhen sollte sich die Schweiz jedoch nicht: Die EU plant, bis 2030 ganze 65 Prozent der Siedlungsabfälle und 75 Prozent aller Verpackungen stofflich zu verwerten. Und schon heute liegt die Schweiz bei dem Recycling von Kunststoffen zurück: Laut Bundesamt für Umwelt (BAFU) produzieren wir in der Schweiz jährlich etwa 780‘000 Tonnen Kunststoffabfälle. Davon werden über 80 Prozent in Kehrichtverwertungsanlagen und gut sechs Prozent in Zementwerken energetisch verwertet, also verbrannt. Nur 80‘000 Tonnen – 11 Prozent — werden recycelt. Laut Umweltbundesamt sind es in Deutschland bereits 45 Prozent. Der Druck auf die Schweiz wird also steigen, einen grösseren Teil der Siedlungs- und Verpackungsabfälle in den Wertstoffkreislauf zurückzuführen.
Doch das Kunststoffrecycling ist hierzulande umstritten. Verbände, Forschungseinrichtungen und Firmen wetteifern mit Studien um die besseren Zahlen und Argumente. Laut PET-Recycling Schweiz und Swiss Recycling sei der ökologische Nutzen von Kunststoffrecycling im Verhältnis zu den Kosten vernachlässigbar. PET-Recycling geht sogar soweit, in einer Medienmitteilung zu verlautbaren: „Und Umweltschutz heisst auch nicht, Geld zum Fenster hinauswerfen.“ Das sind überraschend polemische Worte für eine Medienmitteilung. Etwas neutraler schreibt Swissrecycling: „Eine komplette Sammlung der Kunststoffabfälle aus den Haushalten ist nicht anstrebenswert.“
Während die Entsorgungsvereine sich gegen eine Ausweitung der Kunststoffsammlungen stark machen, haben die Jungen Grünen in Zürich eine Petition für das Plastikrecycling gestartet. Selina Walgis, Mitglied der Geschäftsleitung, sagt zum Kostenfaktor: „Wir gehen von 8,30 Franken pro Einwohner und Jahr aus. Das ist ein sehr gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis.“
Doch sind diese Annahmen realistisch? Laut der Studie „Kunststoff Recycling und Verwertung“ (KuRVe) von Carbotech und UMTEC aus dem Jahr 2017 betragen die Kosten einer neuen Kunststoffsammlung und Verwertung 750 Franken. Das sind 500 Franken mehr, als die Entsorgung von Kehrichtsäcken durch Verbrennung pro Tonne kostet. Rechnet man allerdings die Kosten auf den Durchschnittsverbrauch herunter, relativiert sich die Summe: 14kg Kunststoffe pro Kopf könnten zusätzlich verwertet werden. Damit würden die Kosten des Kunststoffrecyclings 7 Franken pro Person und Jahr betragen. Zum Vergleich: Laut BAFU gibt ein durchschnittlicher Schweizer Haushalt pro Jahr 114 Franken für den Kehricht aus.
Komplizierter ist es, den Nutzen zu berechnen. Die KuRVe-Studie spricht von einem potenziellen ökologischen Nutzen pro Person und Jahr, der einer Autofahrt von 30 Kilometern entspricht. Berechnet man nur die klimarelevanten Emissionen, so ergibt sich allerdings ein Klimanutzen von umgerechnet 100 Kilometern Autofahrt pro Person (bzw. der eingangs erwähnte Jahresverbrauch einer gesamten Kleinstadt).
Das ist, wenn auch nur ein kleiner Schritt, so doch einer in die richtige Richtung. Und für Zürich ein Grund mehr, es der Ostschweiz gleichzutun und ein gutes Beispiel für den Rest der Schweiz zu setzen.
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