Mindestens 2.7 Millionen Afghan:innen sind zur Zeit auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Naturkatastrophen. Nach Syrien und Venezuela sind sie die drittgrösste Gruppe von Menschen, die auf ein besseres Leben ausserhalb ihrer Heimat hofft. Alleine im Nachbarland Pakistan wohnen 1.4 Millionen Afghan:innen. Auch in Europa suchen geschätzt 200’000 Geflüchtete aus Afghanistan Zuflucht und harren seit Monaten an den europäischen Aussengrenzen in Griechenland und Bosnien in menschenunwürdigen Zuständen aus.
„Afghan Refugee“ nennt Pfister auch einige ihrer Teppiche. Wie kommt das Möbelhaus zu derart zynischen Namen für seine Waren? Am Freitag begründet die Pfister-Pressestelle gegenüber der Berner Zeitung, dass es sich dabei um den „offiziellen Handelsnamen“ der Teppiche handle, die von Afghan:innen in Pakistan geknüpft würden. Mediensprecher Alfredo Schilirò bestätigt das auch gegenüber das Lamm und fügt an, dass der Namen inzwischen in „Afghan Kazak“ abgeändert wurde, weil er „erklärungsbedürftig“ gewesen sei und immer wieder zu Missverständnissen geführt habe. Im Januar 2019 sei es deswegen schon einmal zu mehreren Anfragen von Pressevertreter:innen gekommen, wie Schilirò sagt.
Die Begründung hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Denn wenn diese plausibel wäre, würden dann ja H&M und Co. ihre Pullis wohl „Kinderhände“ oder „Bangladeshi-Mädchen“ nennen. Und um eine politische Aktion vonseiten Pfisters – zur Sensibilisierung der Leute –, scheint es sich auch nicht zu handeln. Auch wenn Schilirò erwähnt, dass Pfister mit ihrem Label STEP diese einzige Einnahmequelle der Betroffenen unterstütze. Zudem sollte sich Pfister die Frage stellen, wieso der Name erst geändert wurde, nachdem es bereits im Januar vor zwei Jahren einen Aufschrei gegeben hatte.
Der auf öffentlichen Druck abgeänderte Name macht möglicherweise auch marketingtechnisch mehr Sinn, da vermutlich niemand einen Teppich kaufen möchte, der nach dem Leid anderer Menschen benannt ist. Dies ist vielleicht auch einer der Gründe, wieso der Preis für den Teppich zudem schon vorher um fast 800 Franken reduziert wurde.
Es besteht in diesem Fall noch ein weiteres Problem:
Im Internet werden die Teppiche zwar jetzt nicht mehr „Afghan Refugee“ genannt, aber nach wie vor als „klassische Orientteppiche“ angepriesen. Der „Orient“ aber wurde vom Westen konstruiert und hat keine geografische Bedeutung. Der „Orient“ (aus dem lateinischen sol oriens, also „aufgehende Sonne“) wurde später auch „Morgenland“ genannt. In diesem Fall könnte Pfister die Knüpfarbeiten ebenso gut „fliegende Teppiche“ nennen, denn diese existieren genau so wenig wie der „Orient“ selbst.
Der «Orient» ist aus postkolonialer Perspektive ein eurozentrischer Begriff, konstruiert von Menschen aus dem Westen zur Vereinheitlichung und Generalisierung einer Weltregion. Er diente westlichen Intellektuellen dazu, alle muslimischen Länder mit einem Begriff zusammenzufassen und den «Orient» immer wieder dem überlegenen «Okzident» (der globale Westen) unterzuordnen. Wenn Teppiche von Afghan:innen somit «klassische Orientteppiche» genannt werden, wird impliziert, dass afghanische Teppiche sich nicht von anderen «orientalischen» Teppichen unterscheiden und somit kein einzigartiges Handwerk darstellen. Denn das repräsentieren «Orientteppiche».
Da der Begriff des «Orients» selbst ein kolonialer Begriff ist, ist die gesamte Bezeichung insgesamt problematisch. Und nur weil das Marketing von Pfister nicht auf postkoloniale Sprache sensibilisiert ist, ist es nicht weniger rassistisch.
Auch wenn man in der Schweiz inzwischen über Rassismus spricht, wird er, wenn es um die Vermarktung von Konsumgütern geht immer noch reproduziert und toleriert. Schweizer Wutbürger berufen sich oftmals auf Tradition und beispielsweise auf ihr «existenzielles» Grundrecht einen Schokokuss auf rassistische Art verzehren zu können. So ist es auch nicht sonderlich überraschend, kann Pfister einer seiner Teppiche jahrelang «Afghan Refugee» nennen, ohne öffentlich Stellung beziehen zu müssen. Umso besser heissen die Teppiche jetzt anders. Gut wäre, wenn das Möbelhaus auch noch auf rassistische Narrative wie den Orientalismus verzichten würde.
Unterstützung: Meret Wälti