Auch wenn er nicht mehr „Afghan Refugee“ heisst: Warum es keinen „klas­si­schen Orient­tep­pich“ geben sollte

Das Schweizer Möbel­haus Pfister AG nennt einen ihrer Teppiche „Afghan Refugee“, was zum zweiten Mal inner­halb von zwei Jahren zu einem Aufschrei führt. Nun hat Pfister die Bezeich­nung ihrer Teppiche zu „Afghan Kazak“ abge­än­dert. Doch die Knüpf­ar­beiten werden immer noch als „klas­si­sche Orient­tep­piche“ ange­priesen. Wir erklären, wieso die Firma auch auf diese Beschrei­bung verzichten sollte. 
Screenshot Facebook (Markus Müller)

Minde­stens 2.7 Millionen Afghan:innen sind zur Zeit auf der Flucht vor Krieg, Verfol­gung und Natur­ka­ta­stro­phen. Nach Syrien und Vene­zuela sind sie die dritt­grösste Gruppe von Menschen, die auf ein besseres Leben ausser­halb ihrer Heimat hofft. Alleine im Nach­bar­land Paki­stan wohnen 1.4 Millionen Afghan:innen. Auch in Europa suchen geschätzt 200’000 Geflüch­tete aus Afgha­ni­stan Zuflucht und harren seit Monaten an den euro­päi­schen Aussen­grenzen in Grie­chen­land und Bosnien in menschen­un­wür­digen Zuständen aus.

„Afghan Refugee“ nennt Pfister auch einige ihrer Teppiche. Wie kommt das Möbel­haus zu derart zyni­schen Namen für seine Waren? Am Freitag begründet die Pfister-Pres­se­stelle gegen­über der Berner Zeitung, dass es sich dabei um den „offi­zi­ellen Handels­namen“ der Teppiche handle, die von Afghan:innen in Paki­stan geknüpft würden. Medi­en­spre­cher Alfredo Schi­lirò bestä­tigt das auch gegen­über das Lamm und fügt an, dass der Namen inzwi­schen in „Afghan Kazak“ abge­än­dert wurde, weil er „erklä­rungs­be­dürftig“ gewesen sei und immer wieder zu Miss­ver­ständ­nissen geführt habe. Im Januar 2019 sei es deswegen schon einmal zu mehreren Anfragen von Pressevertreter:innen gekommen, wie Schi­lirò sagt.

Die Begrün­dung hinter­lässt einen bitteren Nach­ge­schmack. Denn wenn diese plau­sibel wäre, würden dann ja H&M und Co. ihre Pullis wohl „Kinder­hände“ oder „Bangla­deshi-Mädchen“ nennen. Und um eine poli­ti­sche Aktion vonseiten Pfisters – zur Sensi­bi­li­sie­rung der Leute –, scheint es sich auch nicht zu handeln. Auch wenn Schi­lirò erwähnt, dass Pfister mit ihrem Label STEP diese einzige Einnah­me­quelle der Betrof­fenen unter­stütze. Zudem sollte sich Pfister die Frage stellen, wieso der Name erst geän­dert wurde, nachdem es bereits im Januar vor zwei Jahren einen Aufschrei gegeben hatte.

Der auf öffent­li­chen Druck abge­än­derte Name macht mögli­cher­weise auch marke­ting­tech­nisch mehr Sinn, da vermut­lich niemand einen Teppich kaufen möchte, der nach dem Leid anderer Menschen benannt ist. Dies ist viel­leicht auch einer der Gründe, wieso der Preis für den Teppich zudem schon vorher um fast 800 Franken redu­ziert wurde.

Es besteht in diesem Fall noch ein weiteres Problem:

Im Internet werden die Teppiche zwar jetzt nicht mehr „Afghan Refugee“ genannt, aber nach wie vor als „klas­si­sche Orient­tep­piche“ ange­priesen. Der „Orient“ aber wurde vom Westen konstru­iert und hat keine geogra­fi­sche Bedeu­tung. Der „Orient“ (aus dem latei­ni­schen sol oriens, also „aufge­hende Sonne“) wurde später auch „Morgen­land“ genannt. In diesem Fall könnte Pfister die Knüpf­ar­beiten ebenso gut „flie­gende Teppiche“ nennen, denn diese existieren genau so wenig wie der „Orient“ selbst.

Der «Orient» ist aus post­ko­lo­nialer Perspek­tive ein euro­zen­tri­scher Begriff, konstru­iert von Menschen aus dem Westen zur Verein­heit­li­chung und Gene­ra­li­sie­rung einer Welt­re­gion. Er diente west­li­chen Intel­lek­tu­ellen dazu, alle musli­mi­schen Länder mit einem Begriff zusam­men­zu­fassen und den «Orient» immer wieder dem über­le­genen «Okzi­dent» (der globale Westen) unter­zu­ordnen. Wenn Teppiche von Afghan:innen somit «klas­si­sche Orient­tep­piche» genannt werden, wird impli­ziert, dass afgha­ni­sche Teppiche sich nicht von anderen «orien­ta­li­schen» Teppi­chen unter­scheiden und somit kein einzig­ar­tiges Hand­werk darstellen. Denn das reprä­sen­tieren «Orient­tep­piche».

Da der Begriff des «Orients» selbst ein kolo­nialer Begriff ist, ist die gesamte Bezei­chung insge­samt proble­ma­tisch. Und nur weil das Marke­ting von Pfister nicht auf post­ko­lo­niale Sprache sensi­bi­li­siert ist, ist es nicht weniger rassistisch.

Auch wenn man in der Schweiz inzwi­schen über Rassismus spricht, wird er, wenn es um die Vermark­tung von Konsum­gü­tern geht immer noch repro­du­ziert und tole­riert. Schweizer Wutbürger berufen sich oftmals auf Tradi­tion und beispiels­weise auf ihr «existen­zi­elles» Grund­recht einen Scho­ko­kuss auf rassi­sti­sche Art verzehren zu können. So ist es auch nicht sonder­lich über­ra­schend, kann Pfister einer seiner Teppiche jahre­lang «Afghan Refugee» nennen, ohne öffent­lich Stel­lung beziehen zu müssen. Umso besser heissen die Teppiche jetzt anders. Gut wäre, wenn das Möbel­haus auch noch auf rassi­sti­sche Narra­tive wie den Orien­ta­lismus verzichten würde.

Unter­stüt­zung: Meret Wälti

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