#Anti­Work: Arbeits­lo­sig­keit für alle

Seit 2013 finden sich Menschen auf der Platt­form Reddit zusammen, um über eine mögliche Abschaf­fung der Arbeit, wie wir sie kennen, zu disku­tieren. Durch die Pandemie erhielt die Gruppe starken Zuwachs. Nach einem Inter­view bei Fox News ist sie jedoch zersplittert. 
Fox-News-Moderator Jesse Watters amüsierte sich sichtlich während des Interviews mit Doreen Ford. (Modifizierter Screenshot: Luca Mondgenast)

Die radi­kale Verschär­fung des Arbeits­all­tags und der Unter­bruch der Arbeit während der Pandemie hat Arbeiter:innen welt­weit dazu veran­lasst, ihr Verhältnis zur Arbeit zu hinter­fragen. Ein zentraler Ort, in dem verhan­delt wird, welche Bedeu­tung der Arbeit in unserer Gesell­schaft beigemessen werden soll, ist die Diskus­si­ons­platt­form Reddit. Seit 2013 bietet der Subreddit r/AntiWork Platz für die digi­tale Anti-Arbeits­be­we­gung. „Arbeits­lo­sig­keit für alle, nicht nur für die Reichen!“, titelt die Seite. Die Gruppe hat ihre Wurzeln in der anar­chi­sti­schen und kommu­ni­sti­schen Bewe­gung, die radi­kale Kritik am herr­schenden Wirt­schafts­sy­stem übt.

In der Pandemie hat die Diskus­si­ons­seite starken Zuwachs erhalten: 2021 verzeich­nete sie eine Stei­ge­rung der Aufrufe um 282 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mitt­ler­weile zählt der Thread mehr als 1.7 Millionen Nutzer:innen verschie­dener Gesin­nungen, die sich über Arbeits­rechte, ‑alltag und ‑kämpfe austau­schen. „Ein Subreddit für alle, die mit der Arbeit aufhören wollen, die neugierig darauf sind, was es bedeuten würde, mit der Arbeit aufzu­hören, die das meiste aus einem arbeits­freien Leben heraus­holen wollen, die mehr Infor­ma­tionen über Anti-Arbeits­ideen suchen und die persön­liche Hilfe bei ihren eigenen arbeits­be­zo­genen Kämpfen suchen“, steht in der Profilbeschreibung.

In der Gruppe tauscht sich die Commu­nity über ihre eigenen Erfah­rungen aus: von Berichten über unzu­mut­bare Arbeits­be­din­gungen und Kündi­gungen über Tipps zur Selbst­or­ga­ni­sa­tion und Verhand­lung für bessere Löhne bis hin zu Memes und aktu­ellen Nach­richten. Auch über die Bedeu­tung von „Anti-Work“ wird debat­tiert: Für die einen heisst es die radi­kale Abschaf­fung des Wirt­schafts­sy­stems und der Arbeit, wie wir sie kennen, für andere ledig­lich eine verbes­serte Work-Life-Balance.

„Wir sind nicht gegen Anstren­gung, Arbeit oder Produk­tiv­sein“, steht in den FAQ des Subred­dits. Und weiter. „Wir sind gegen Arbeits­plätze, wie sie im Kapi­ta­lismus und im Staat struk­tu­riert sind: gegen ausbeu­te­ri­sche Wirt­schafts­be­zie­hungen, gegen hier­ar­chi­sche Bezie­hungen am Arbeits­platz.“ Am modernen Arbeits­platz würde von Arbeit­neh­menden erwartet, dass wir unge­achtet unserer indi­vi­du­ellen Bedürf­nisse oder Wünsche arbeiten. Arbeit stelle die Bedürf­nisse und Wünsche von Manager:innen und Unter­nehmen über die der Arbeitnehmer:innen, oft bis hin zum Miss­brauch durch Über­la­stung und Unter­be­zah­lung. „Der Sinn von r/AntiWork ist es, ein Gespräch zu beginnen, um die Arbeit, wie wir sie heute kennen, zu proble­ma­ti­sieren“, heisst es weiter.

Inter­view mit Fox News

Mit dem kome­ten­haften Erfolg kam auch das öffent­liche Inter­esse. Ende Januar 2022 wurde eine der Moderator:innen des Subred­dits, Doreen Ford, vom rechts-konser­va­tiven ameri­ka­ni­schen Sender Fox News einge­laden. Das Gespräch mit Ford führte Jesse Watters, der unter anderem für seine rassi­sti­schen und sexi­sti­schen Inter­views bekannt ist.

„Ermu­tigst du Leute dazu, faul zu sein?“, ist eine der ersten Fragen, die Watters Ford stellt. Ford über­legt einen Moment. Dann kommt der erste Knall, der alle mit neoli­be­ralen Ideo­lo­gien gefüllten Köpfe zum Platzen bringt: „Ich glaube, dass Faul­heit eine Tugend ist, in einer Gesell­schaft, in der wir rund um die Uhr produktiv sein sollen“, antwortet Doreen und schaut dabei nicht in die Kamera. In diesem Moment sieht man das Leuchten in den Augen von Watters, er freut sich offen­sicht­lich sehr über die für ihn absurde Antwort Fords.

Gleich darauf folgt der zweite Strike, als Watters Ford fragt: „Wie viele Stunden sind ein Arbeitstag für dich, in einer idealen Gesell­schaft?“ Worauf Ford antwortet: „So viel, wie die Leute arbeiten wollen.“ Watters lächelt zufrieden und unter­bricht Ford in ihrer Antwort, um die nächste Frage zu stellen, worauf der dritte Strike folgt.

Auf die Frage, wie sich Ford ihre beruf­liche Zukunft vorstellen könne, antwortet sie, dass sie gerne Philo­so­phie unter­richten würde. Watters‘ Lächeln verwan­delt sich in ein Grinsen und man erwartet, dass er sich gleich vor Freude auf den Schenkel klopft. „Ich würde deinen Kurs wirk­lich gern besu­chen“, antwortet der Fox-News-Mode­rator und kann sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Ein Reddit-User wird später schreiben, dass man Watters die Freude ansehen konnte, in drei Minuten eine ganze soziale Bewe­gung versenkt zu haben.

Watters beendet das Inter­view mit dem Satz: We got to pay the bills. Wir müssen unsere Rech­nungen zahlen.

Neue Perspek­tiven

Was für Watters die einzig logi­sche Realität ist – fast alle Menschen sind abhängig von einem Lohn, den sie durch Arbeit erwerben müssen, um ihre Rech­nungen zahlen zu können –, hinter­fragt die Anti-Arbeits­be­we­gung. Watters verbucht die theo­re­ti­sche Möglich­keit, einen Job wech­seln zu können, als Frei­heit. Dabei befinden sich Arbeiter:innen sehr wohl in einem Zwang: Denn, wie Watters korrekt anmerkte, die Rech­nungen müssen bezahlt werden.

Ist der Status quo voraus­ge­setzt, lässt sich erklären, wieso alle Ideen, die Ford in dem Inter­view hervor­bringt, für Watters wie der grösste Irrsinn aller Zeiten erscheinen. In Watters‘ Augen – und in den Augen vieler Menschen, die sich keine andere Welt als die jetzige vorzu­stellen trauen – ist es nicht nur notwendig, einer bezahlten Arbeit nach­zu­gehen. Für Leute wie Watters ist es erstre­bens­wert, eine karrie­ri­sti­sche Arbeits­moral zu verfolgen

Doch Watters belä­chelnde Verach­tung für die Anti-Arbeits­be­we­gung rührt nicht nur von seiner eigenen Ideal­vor­stel­lung von Arbeit. Denn auch er weiss, dass in den Händen derje­nigen, die Arbeit nehmen, die Möglich­keit liegt, das Funk­tio­nieren eines Betriebes zu stören oder ihn lahmzulegen.

So zum Beispiel in den „langen 70er-Jahren“, eine Zeit der Infla­tion und wirt­schaft­li­chen Rezes­sion in den USA, die viele Gewerkschafter:innen und Strei­kende dazu veran­lasste, die Arbeit nieder­zu­legen und von den Arbeit­ge­bern mehr als nur Lohn­er­hö­hungen zu fordern.

In dieser Tradi­tion sieht sich die Anti-Arbeits­be­we­gung von heute. So trugen Mitglieder des Subred­dits im Dezember 2021 dazu bei, das Bewer­bungs­portal von Kellogg’s zu über­schwemmen, als das Unter­nehmen die Verhand­lungen mit strei­kenden und gewerk­schaft­lich orga­ni­sierten Arbeit­neh­mern abbrach und erklärte, es wolle neue Arbeiter:innen einstellen, die sich nicht gewerk­schaft­lich organisierten.

Das alles zeigt uns, dass Bewe­gungen wie die der Anti-Arbeit Teil einer viel­schich­tigen und gene­ra­ti­ons­über­grei­fenden Verän­de­rung sein können.

Die Folgen des Interviews

Die Situa­tion nach dem miss­glückten Fern­seh­in­ter­view war aller­dings ein Trau­er­spiel: Die Commu­nity war nach­voll­ziehbar enttäuscht über den Auftritt Fords, der nicht demo­kra­tisch beschlossen wurde. User:innen hatten sich mehr­fach dagegen ausge­spro­chen, öffent­liche Inter­views zu geben. Bei einem Gespräch mit einem rechts-konser­va­tiven Sender liegt es nahe, dass man in die Pfanne gehauen wird. Es stellt sich die Frage, wie sinn­voll es über­haupt ist, sich auf einen solchen Austausch einzulassen. 

Nach dem Inter­view musste Ford ihre Posi­tion als Mode­ra­torin des Subred­dits aufgeben. Die Commu­nity kriti­sierte, die Moderator:innen des Subred­dits hätten ihre Macht ausge­nutzt und sich als Köpfe der Bewe­gung aufge­spielt. „Moderator:innen sind keine Anführer:innen und sollten sich niemals wie solche verhalten“, schreibt ein User. Weiter kriti­sieren User:innen, dass die Moderator:innen der Gruppe selbst berech­tigte Kritik aus den eigenen Reihen zensierten und Beiträge im grossen Stil löschten. Kurz nach dem Inter­view wurde der Subreddit sogar für einige Zeit von den Moderator:innen geschlossen.

Die Folge des Fox-News-Inter­views ist die Zersplit­te­rung des Subred­dits: Neu erfährt unter anderem der darauf gegrün­dete Subreddit r/WorkReform am meisten Zuwachs. „r/WorkReform ist eine Bewe­gung, die für eine gute und gesunde Lebens­qua­lität für alle kämpft, die ihre Arbeit verkaufen“, steht in der Beschrei­bung der neuen Gruppe. Viele Arbeiter:innen und User:innen fühlten sich aus den eigenen Reihen hinter­gangen und können sich nicht mit den radi­kalen und teil­weise abstrakten Idealen des r/An­ti­Work-Threads iden­ti­fi­zieren. Zu gross ist die derzei­tige Bela­stung durch drohende Arbeits­lo­sig­keit, sinkende Löhne und stei­genden Leistungs­druck im ameri­ka­ni­schen und inter­na­tio­nalen Arbeitsalltag. 

Es ist bedau­er­lich, dass ein Fern­seh­in­ter­view ein solches Chaos anrichten konnte. Natür­lich war Fox News nie an einem fairen Austausch mit den Arbeitsaktivist:innen inter­es­siert. Falls sich dieser Vorfall in Zukunft wieder­holen sollte, würde es der Bewe­gung viel­leicht mehr dienen, sich der rheto­ri­schen und ästhe­ti­schen Mittel der Gegner:innen zu bedienen: Wieso nicht mal in Anzug, gegelten Haaren und über­le­genem Dauer­lä­cheln von den 20 Jahren in einer Führungs­po­si­tion spre­chen, die einen kaputt gemacht haben? 


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