Berg-Kara­bach: „Alles ist verloren“

Die Jour­na­li­stin Andrea Jeska und der Foto­graf Stanislav Krupar waren während und nach dem Krieg um Berg-Kara­bach vor Ort. Der Krieg sei ein Zustand, der sich Worten und Bildern entziehe; man könne ihm nur Augen­blicke abringen, schreibt Jeska im Foto-Essay, den sie gemeinsam mit Krupar für das Lamm zusam­men­ge­stellt hat. 
(c) Stanislav Krupar

Fotos von Stanislav Krupar

Der Krieg um Berg-Kara­bach hat die Region auf ihren Rumpf redu­ziert, das Mutter­land Arme­nien ist seither von poli­ti­schen Unruhen zerrissen. Im sieg­rei­chen Aser­bai­dschan feiern die Regie­rung, das Volk und der türki­sche Präsi­dent Erdogan ihren Triumph. Auf jeder Seite hat es nach offi­zi­ellen Angaben fast 3’000 Tote gegeben. Zehn­tau­sende von Menschen wurden heimatlos.

Es war ein Krieg der vielen Wahr­heiten und jede von ihnen war unter­wan­dert von Lügen, Hass und Selbst­ge­rech­tig­keit. Die Brille der jewei­ligen Propa­ganda war nicht rosarot, sie war dunkel von der Verach­tung für die anderen, von dem Schmerz unbe­zahlter Rech­nungen, beschlagen vom Atem­dunst der Gross­spu­rig­keit. Die Toten der Vergan­gen­heit stiegen aus ihren Gräbern, die Verlet­zungen, die Verluste eines ganzen Jahr­hun­derts krochen aus ihren Schatten. Die Lügen verbanden sich mit dem Natio­na­lismus, der Natio­na­lismus sich mit Hass, der Hass sich mit dem Tod.

Dieser Krieg wurde nicht nur mit neuen, in ihrer Zerstö­rungs­kraft entsetz­li­chen Waffen gekämpft, sondern auch, viel­leicht sogar vor allem, mit der Macht des Inter­nets. Es wurde gehetzt, diffa­miert, mani­pu­liert. Kriegs­ver­bre­chen, für deren Beweis man bislang Zeugen und Spuren brauchte, wurden gefilmt und öffent­lich auf Tele­gram und Twitter ausge­stellt. Die Ermor­dung eines alten arme­ni­schen Mannes, die Enthaup­tung eines arme­ni­schen Soldaten, das Erste­chen eines aser­bai­dscha­ni­schen Soldaten. Diese Videos werden bleiben als Beweis der Miss­ach­tung von Kriegs­re­geln. Doch ob diese je geahndet wird, ob den Toten und ihren Hinter­blie­benen Gerech­tig­keit wider­fahren wird, ist zweifelhaft.

Dieser Krieg wäre nicht möglich gewesen ohne den Ölreichtum, der Aser­bai­dschan die Möglich­keit gab, hoch­ef­fi­zi­ente Waffen zu kaufen, und ohne die Unter­stüt­zung der Türkei und die Taten­lo­sig­keit der EU. Aber er hätte auch keine 44 Tage gedauert ohne die unbe­dingte Opfer­be­reit­schaft der arme­ni­schen Soldaten und ihre an Reali­täts­ver­leug­nung gren­zende Über­zeu­gung, unbe­siegbar zu sein. Er wäre zu verhin­dern gewesen, wenn die Option, die Region und ihre weiten Land­flä­chen, ihre Schön­heit und Frucht­bar­keit zu teilen, die Politik und die Gedanken der Menschen bestimmt hätte.

Stanislav Krupar und ich waren während des Krieges im Land und dann wieder zwei Wochen nach der Kapi­tu­la­tion. Die Kluft zwischen der Sieges­pro­pa­ganda aus Yerewan und der Realität einer Region unter Beschuss war gross. Luft­an­griffe, Todes­mel­dungen, leer­ge­fegte Strassen, veräng­stigte Menschen in düsteren Kellern, verzwei­felte Mütter, deren Söhne an der Front kämpften und sich seit Tagen nicht gemeldet hatten, Eltern, die ihre 18-Jährigen begruben.

Die Nach­kriegs­zeit ist ein ganz eigener Albtraum für die Bevöl­ke­rung. Alles ist verloren: Land, Heimat, Häuser, Wälder, Berge. Die Opfer, die man im Krieg zu bringen noch bereit war, scheinen nun umsonst, aus dem Rausch wurde eine Depres­sion. Dieje­nigen, die gestern noch helden­hafte Soldaten waren, sind heute verloren, ohne Arbeit, ohne Geld und vielen scheint es: auch ohne Ehre. Mancher von ihnen ertränkt die Schmach im Alkohol oder phan­ta­siert von Rache.

Es dauerte lange, bis die Toten geborgen sind. Noch heute werden viele vermisst und werden es wohl bleiben, weil von ihnen nichts Iden­ti­fi­zier­bares mehr übrig ist. Dort, wo die Schlachten statt­fanden, liegen über viele Kilo­meter ausge­brannte Panzer und Armee­fahr­zeuge, Ruck­säcke, Schlaf­säcke, Socken, Helme, verbo­gene Gewehre und schuss­si­chere Westen. In einigen steckt noch ein Rumpf; Arme, Beine, Köpfe, Einge­weide sind verstreut.

Ob der Krieg um Kara­bach wirk­lich vorbei ist, weiss niemand. Im Dezember wurde der Waffen­still­stand gebro­chen. Beide Seiten beschul­digten das Gegen­über. Es ist möglich, dass unter den jungen Männern Berg-Kara­bachs solche sind, die Vergel­tung wollen, die den Waffen­still­stand als Verrat empfinden und sich von der Regie­rung betrogen und verkauft fühlen. Weiter zu kämpfen, zu töten, ist nicht schwer.

Dichter der Vernich­tung, Jamal Tade­vo­sian, Stepanakert

Der Krieg ist ein Zustand, der sich Worten und Bildern entzieht. Man kann ihm Augen­blicke abringen, doch alle Bilder, alle Worte zusammen erfassen nicht die ding­liche und seeli­sche Vernich­tung. Auf Hunderten von Seiten, in Tausenden von Zeilen hat Jamal Tade­vo­sian, 83-jährig, dieser Vernich­tung nach­ge­spürt. Seit er als junger Mann begann, Gedichte zu schreiben, hat er den Krieg mal als Vertei­di­gung der Heimat gepriesen, mal als Toten­gräber der Mensch­lich­keit verflucht. Als im September das Haus der Familie von einer Rakete getroffen wurde, schrieb Tade­vo­sian ein Gedicht über den Wind, der unbarm­herzig nun dort weht, wo vorher schüt­zende Mauern standen.

Blinde Augen, Lusik Vanjan, Stepanakert

Als eine Rakete ihr Haus traf, lag Lusik Vanjan, 89 Jahre alt und seit vielen Jahren blind, in ihrem Bett. Niemand weiss, wie sie über­lebte. Auch nicht, wie lange es dauerte, bis jemand auf der Strasse ihre brüchigen Hilfe­rufe hörte. Man kann Lusik nicht mehr fragen, denn die Deto­na­tion nahm ihr das Hörver­mögen. Nach ihrer Rettung sass sie die verblei­benden Wochen des Kriegs in einem Keller, den sie nicht sehen konnte und stellte weinend Fragen nach ihrem Zuhause, ohne die Antworten hören zu können. Die Summe der Nach­richten von Kriegen und Kata­stro­phen, die diese Welt erschüt­tern, über­for­dert unser Empa­thie­ver­mögen, die Komple­xität der Konflikte verwischt die Linie zwischen Täter und Opfer.

Die Propa­ganda, die beide Kriegs­par­teien mit den Bildern der Opfer verbrei­teten, machte es auch für uns unmög­lich, zu wissen, was Wahr­heit und was Lüge war. Und doch gab es Begeg­nungen wie diese, die zeigten, dass es egal ist, welche Seite ange­fangen hat und aus welchem Grund ein Krieg geführt wird – am Ende ist er ein Verbre­chen gegen die Menschlichkeit.

Arme­ni­scher Soldat mit Hund, Martuni

Die, die nun die Front­linie bewa­chen, jene bislang nur auf dem Papier fest­ge­setzten Grenzen, sind junge Männer, kaum der Kind­heit entwachsen. Nur wenige Hundert Meter von ihnen entfernt stehen junge Soldaten der aser­bai­dscha­ni­schen Armee. In einer anderen Zeit, unter anderen Bedin­gungen, würden sie ihre Ziga­retten und viel­leicht ihre Lebens­träume teilen. In dieser Zeit hat man ihnen gesagt, die anderen seien die Feinde, sei weniger wert als sie. Nur der Hund, den jemand bei der Flucht zurück­ge­lassen hatte, inter­es­siert sich weder für die Feind­bilder noch für die Grenzen. Er wandert von einer Seite zur anderen und lässt sich von jeder Hand streicheln.

Verloren im Frieden, Martuni

„Wahre Männer tun alles, um ihr Vater­land zu vertei­digen“ — mit solchem Männer­bild beor­derte die arme­ni­sche Regie­rung im Krieg um Kara­bach nicht nur junge Wehr­pflich­tige an die Front, sie rekru­tierte auch Tausende von Frei­wil­ligen, die ihre alter­tüm­li­chen Kalasch­ni­kows aus dem Schrank nahmen und loszogen gegen eine Gegen­partei, die hoch­mo­derne Waffen einsetzte. In den 44 Tagen des Krieges hörte man immer wieder diesen Satz: Wir werden bis zum Letzten kämpfen. Gemeint war nicht bis zum Sieg. Gemeint war bis zum Tod.

Als die Kämpfe vorbei waren, war es die Sehn­sucht danach, Opfer zu bringen, lange nicht. Die Schmach der Nieder­lage, die Lange­weile der Nach­kriegs­zeit, das Gefühl, versagt zu haben – sie halten die Kriegs­rhe­torik weiter am Leben. Dieser junge Mann, der als Frei­wil­liger in den Krieg zog, steht Wochen nach Kriegs­ende weiterhin dort, wo die Front verlief. Nicht, weil er muss. Sondern weil er mit dem Frieden nichts anzu­fangen weiss.

Brand­stif­tung und Plün­de­rung, Kalbajar

Am letzten Tag vor der Über­gabe der Region Kalbajar an Aser­bai­dschan stehen die meisten Häuser in Flammen, ange­zündet von ihren Bewohner*innen. Plün­dernde fahren durch die Dörfer und rauben, was ihnen noch Geld einbringen kann: Kupfer­teile, Maschen­draht, Well­blech. In den Gärten sind die Bäume gefällt, die Gemü­se­pflanzen ausge­rissen, selbst die letzten Kartof­feln wurden ausge­graben und verbrannt.

Die Logik des Hasses verbietet es, den Feinden zu über­lassen, was einem lieb und teuer ist. Die Zerstö­rung dessen, was den anderen nun in die Hände fällt, mag die Demü­ti­gung der Besiegten abschwä­chen, doch sie entwertet auch den Sieg. 26 Jahre zuvor waren aus dieser Region die Aserbaidschaner*innen geflohen, auch sie hatten ihre Häuser ange­zündet, auch sie hatten Heimat und Wurzeln verloren. Es gehört zu den Selt­sam­keiten von Kriegen, dass man den anderen antut, woran das eigene Herz bricht. Im Höllen­kreis der Gewalt gibt es keine gemein­same Erfah­rung des Leids, doch in der Nieder­lage der Geschla­genen und im Triumph des Sieges liegt dieselbe Verlorenheit.

Seelen­tränen, Martin Dschal­umjan, Kalbajar

Martins Verständnis von Männ­lich­keit erlaubt keine Tränen. Ein Mann weine nur in seiner Seele. Als wir ihn trafen, blieben ihm wenige Stunden, um die Marmor­treppen, die Fenster, die Holz­dielen in seinem Haus zu entfernen, die letzten Habse­lig­keiten auf einen Laster zu laden und für immer Abschied zu nehmen von dem, was 35 Jahre lang seine Heimat gewesen war.

Eine Stadt, male­risch an Hängen gelegen, dahinter die Gipfel eines Gebirgs­zugs. Granat­apfel- und Birnen­bäume in den Gärten, Rosen­stöcke an den Häuser­wänden. An diesem Tag stehen dunkle Rauch­wolken über den bren­nenden Häusern, Fenster­scheiben zerber­sten, Dach­stühle brechen krachend ein. Nur die Männer sind noch geblieben. Rauchend, fluchend verladen sie, was sie noch retten wollen.

Das letzte Wort sei noch nicht gespro­chen, sagt Martin, bevor die Sonne hinter den Bergen versinkt und sie fahren müssen. „Wir holen uns alles Verlo­rene wieder.“ Und wenn nicht er, dann seine Söhne. Hilft es den Geschla­genen, auf Rache zu sinnen? Werden die Aserbaidschaner*innen, die man vor 26 Jahren aus Kalbajar vertrieb, zurück­kehren und dann ebenso gleich­gültig auf die zerfal­lenden Häuser der Armenier*innen blicken, wie diese es umge­kehrt taten?

Letzte Gebete, Dadi­wank, Kalbajar

Die Bilder der letzten Gottes­dienste, die im Kloster Dadi­wank abge­halten wurden, gingen um die Welt, zusammen mit dem drama­ti­schen Appell, die Zerstö­rung des Bauwerks zu verhin­dern. Während im Kloster die letzten Hoch­zeiten gefeiert, die letzten Gebete gespro­chen, die letzten Kerzen entzündet wurden, fuhren draussen russi­sche Panzer vor und russi­sche Soldaten, die künftig das Kloster schützen sollen, schlen­derten rauchend um die alten Mauern.

Wieder war die Macht der Bilder – die weinenden Gläu­bigen, die fest­li­chen Braut­paare, die Kriegs­fahr­zeuge – so über­wäl­ti­gend, dass von der mögli­chen Zerstö­rung des Klosters durch das sieg­reiche Aser­bai­dschan berichtet wurde wie von einer unum­stöss­li­chen Tatsache, und von Dadi­wank wie von einem Bauwerk, dessen Entste­hung und Ursprung allein im Chri­stentum begründet liegt. Im Funda­ment des jahr­hun­der­te­alten Hauses steht der Satz: Alles unseres, denn wir waren als erste hier.

Der Frie­dens­pre­diger, Georgi Vanyan, Goris, Armenien

In einem anderen, glück­li­chen, aber schwei­gendem Leben war er Direktor des Thea­ters in Yerewan. Dann begann Georgi Vanyan sich gegen Hass, Natio­na­lismus, Über­le­gen­heits­pro­pa­ganda und Feind­bilder auszu­spre­chen. Er dachte, er habe eine Mehr­heit auf seiner Seite und Frieden sei möglich, wenn die Völker des Kaukasus nur in einen Dialog mitein­ander treten würden. Erst wurde er entlassen, dann beschimpft, dann bedroht. Er floh aufs Land, doch auch dort fand er keine Ruhe. Jemand zerstörte seinen Garten, jemand tötete seinen Hund. Dann kam der Krieg um Kara­bach und Georgi Vanyan schlief nicht mehr und rauchte Kette. Als der Krieg verloren war, twit­terte Vanyan: „Der Berg kreiste und gebar eine Maus.“

Bedzor, Latschin-Korridor

Die einzige Strasse, die von der Rumpf­re­pu­blik Berg-Kara­bach noch ins arme­ni­sche Mutter­land führt, verläuft durch den Latschin-Korridor, eine fünf Kilo­meter breite Sonder­sta­tus­zone, die nun von russi­schen Soldaten beschützt wird. Viele Tage lang war unklar, ob die Bewohner*innen der in diesem Korridor liegenden Städte und Dörfer bleiben dürfen.

Am Ende mussten sie ebenso wie die Bewohner*innen von über 100 anderen Dörfern und Städten ihre Häuser räumen. Die Verzweif­lung in den letzten Tagen war gross, denn niemand war darauf vorbe­reitet, den Bewohner*innen fehlten Trans­port­mög­lich­keiten, Benzin, sie wussten nicht, wohin sie nun gehen sollten. Die Mitar­bei­tenden der Mili­tär­ver­wal­tung von Bedzor verbrannten Akten im Garten, der beis­sende Rauch der Plasti­k­ordner stand über dem Gebäude und mischte sich mit dem ersten Schnee des Jahres.

Fami­li­en­foto am Savavan-Moun­tain-Pass, Armenien

Das ikoni­sche Foto des Kara­bach-Kriegs schoss ein Reuters-Foto­graf. Es ist die Aufnahme eines Soldaten am Geschütz, das Gesicht geschwärzt vom Russ, hinter ihm eine gelb­lo­dernde Feuer­wand. Das Bild ist so makaber ästhe­tisch wie schreck­lich faszi­nie­rend. Man kann die Hitze des Feuers spüren, die Kraft erahnen, die es kostet, dieser Hitze stand­zu­halten, mit ein wenig Phan­tasie den Schweiss und den Schmutz eines Lebens an der Front wahr­nehmen. Einem Soldaten, der solchem stand­hält, wünscht man eine glück­liche Heim­kehr und Heldenehre.

In Arme­nien warb man mit diesem Foto für Frei­wil­lige, es hing überall im Land, auch dann noch, als der Mann auf dem Bild schon unter der Erde lag. Er soll wenige Tage nach der Aufnahme gefallen sein, einer von minde­stens 3’000 Soldaten, die Arme­nien verlor. Die Werbe­tafel am Savavan-Moun­tain-Pass war in den Tagen des Krieges ein beliebter Hinter­grund für Fami­li­en­fotos. Hier posiert der 11-jährige Gor Ayre­pe­tyna für seinen Vater.

Salut für die toten Soldaten, Ararat Balayan, Mili­tär­friedhof Yerablur, Yerewan

Krieg folgt stets der Über­zeu­gung, er sei das einzige Mittel der Konflikt­lö­sung. 26 Jahre lang hatten Arme­nien und Aser­bai­dschan Zeit, eine andere Lösung in der Kara­bach-Frage als Gewalt zu finden. Wer wann und warum welche Chancen vertan hatte, darüber mögen die Historiker*innen entscheiden. Und auch darüber, ob Verzweif­lung oder Grös­sen­wahn der Grund war, der die arme­ni­sche Regie­rung und die Menschen von Kara­bach bis zum Ende glauben liess, sie könnten diesen Krieg gewinnen.

Viele junge Männer haben für diese Fehl­ein­schät­zung bezahlt. Und noch bevor die letzten Toten unter der Erde sind, werden neue Krieger gross­ge­zogen. Der 8‑jährige Ararat möchte auf alle Fälle auch Soldat werden. „Wer glaubt, der Krieg liesse sich abschaffen?“, fragte einmal die Schrift­stel­lerin Susan Sontag und gab gleich die Antwort: „Niemand. Nicht einmal die Pazifisten.“

Reine Verwal­tungs­sache, Yerewan

Für uns, die wir von aussen kommen, haben die Toten als Menschen keine Bedeu­tung, die Verluste drücken wir in Zahlen aus. In den Medien gilt die Regel: je mehr Tote, desto wich­tiger die Nach­richt. Manchmal geben wir auch unbe­deu­tenden Toten einen Namen, erzählen ihr Schicksal. Dann, wenn ihr Tod beson­ders hero­isch war oder stell­ver­tre­tend steht für all die anderen Gestorbenen.

Doch in den Tagen des Krieges, als die Kran­ken­häuser in Yerewan über­füllt waren mit Schwer­ver­wun­deten, mit Männern, denen die Beine und die Arme fehlten, deren Körper schwer verbrannt waren, als es nicht genü­gend Betten, genü­gend Ärzt*innen gab, wurde auch dort der Tod zu einer reinen Verwal­tungs­sache. Wichtig war, die Ange­hö­rigen so bald wie möglich zu benach­rich­tigen, so schnell wie möglich neue Gräber auszu­heben. Tod, Beer­di­gung, Trauer verliefen im Eiltempo, gehetzt vom Nach­schub der näch­sten Toten.

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