Berlin vs. Zürich: In welcher Stadt gibt’s mehr Natur?

Seit einem Jahr lebe ich nun in Berlin – genug, um die alte Heimat Zürich mit meinem neuen Zuhause zu verglei­chen. Eines ist klar: Eine der zwei Städte kümmert sich besser um die Stadt­natur. Und das spüren nicht nur die Pflanzen und die Tiere inner­halb der Stadt­mauern, sondern auch die Stadt­men­schen selbst. 
Schon seit den achtziger Jahren sät Maurice Maggi in den Zürcher Baumscheiben Wildblumen an. Er war wohl einer der ersten urbanen Guerilla-Gärtner (Foto: Maurice Maggi)

Berlin vs. Zürich: Die Lamm-Serie

Grün ist es in beiden Städten. Die Strassen werden in Zürich wie auch in Berlin von Bäumen gesäumt. Und über einen Mangel an Park­flä­chen kann man sich weder hier noch da beklagen. Die Rich­tung ist klar: Sowohl im dicken B wie auch in der Zwing­li­stadt will man nicht nur dem Beton sondern auch der Natur ihren Platz gewähren. Deshalb findet man sowohl bei Grün Stadt Zürich als auch bei der Senats­ver­wal­tung für Umwelt, Verkehr und Klima­schutz der Stadt Berlin eine Stra­tegie zur Förde­rung der biolo­gi­schen Viel­falt und Erhal­tung der Lebens­räume. Und das zahlt sich aus. Beide Städte können mit einer hohen Biodi­ver­sität und seltenen Tier- und Pflan­zen­arten auftrumpfen.

Beispiels­weise hört man in Berlin mehr Nach­ti­gal­len­ge­sang als in ganz Bayern. Und Zürich behei­matet eine beacht­liche Kolonie von Alpen­seg­lern. Die über und über mit Wild­blumen bestückten Baum­scheiden in Zürich sind jedes Jahr wieder ein Augen­schmaus. Und auf dem Tempel­hofer Feld, gleich neben meinem Zuhause in Berlin-Neukölln, gedeihen 13 Pflan­zen­arten, die entweder auf der roten Liste gefähr­deter Arten oder auf der Vorwarn­liste stehen.

Doch leider musste ich fest­stellen, dass die Berliner Verwal­tung einen Lebens­raum trotz der bereits im Jahr 2012 veröf­fent­lichten Stra­tegie zur Biolo­gi­schen Viel­falt arg vernach­läs­sigt hat. Und das kriegt nicht nur die Stadt­natur, sondern auch der Stadt­mensch zu spüren.

Wollen wir noch schnell in den Fluss springen?

Feier­abend! Nichts wie los zur näch­sten Bade­stelle und ab ins kühle Nass, um sich danach bei einem gemüt­li­chen Bier­chen den Bauch von der Sommer­sonne trocknen lassen. Was während des Zürcher Sommers gang und gäbe ist, macht in Berlin niemand. Nicht etwa mangels Gewässer. Die Spree und der Land­wehr­kanal fliessen mitten durch die Stadt. Nein, die inner­städ­ti­schen Gewässer sollen in Berlin so stark verschmutzt sein, dass man nach einem Feier­abend­schwumm inklu­sive Bier­chen Gefahr läuft, am näch­sten Tag nicht nur mit einem dröh­nenden Kater, sondern auch mit einer juckenden Krätze aufzu­wa­chen. Die inner­städ­ti­schen Gewässer Berlins seien so verschmutzt, dass das Baden gar verboten sei. So jeden­falls die Erzäh­lungen aus meinem Berliner Freundeskreis.

Da ich nicht richtig glauben wollte, dass eine sonst so natu­raf­fine Stadt eine so schlechte Wasser­qua­lität in ihren Gewäs­sern duldet, habe ich bei der zustän­digen Senats­ver­wal­tung nach­ge­fragt. Denn eine gute Wasser­qua­lität ist nicht nur für den erfri­schung­su­chenden Stadt­men­schen wichtig, sondern auch für eine viel­fäl­tige, aqua­ti­sche Flora und Fauna. Die Antwort war ernüchternd:

Das Baden in der Innen­stadt­spree wie auch im Land­wehr­kanal ist sowohl wasser­recht­lich als auch schiff­fahrts­recht­lich nicht erlaubt. Gründe hierfür sind einer­seits gesund­heit­liche Aspekte (nicht bade­taug­liche Gewäs­ser­qua­lität der durch Berlin flie­ßenden Flüsse und Kanäle), ande­rer­seits die Verkehrs­si­cher­heit auf den engen Wasserstraßen. 

Die Innen­stadt­fließ­ge­wässer sind viel­be­fah­rene (Bundes)Wasserstraßen mit Berufs‑, Ausflugs- und Frei­zeit­ver­kehr, im Sommer fahren die Schiffe in einigen Abschnitten sogar im Minutentakt.

Selbst wenn es gelänge, die Gewäs­ser­qua­lität in den Innen­stadt­fließ­ge­wäs­sern bedeu­tend und nach­haltig zu verbes­sern, bliebe immer noch die Verpflich­tung, für Verkehrs­si­cher­heit zu sorgen.

Laut der Senats­ver­wal­tung ist das Baden also nicht nur wegen des dreckigen Wassers verboten, sondern auch wegen des regen Schiffs­ver­kehrs. Dass es aber nicht auf allen inner­städ­ti­schen Gewäs­sern regel­mässig zu Schiffsstaus kommt, weiss man späte­stens nach einem Abend auf dem Elsen­steg am Land­wehr­kanal. Mit grosser Wahr­schein­lich­keit wird nämlich bis zum Sonnen­un­ter­gang ledig­lich ein Schiff unter dem Brück­chen durch­tuckern: Die Rudolf Kloos.

Viele Gewässer müssen künst­lich belüftet werden — in Deutsch­land und in der Schweiz

Dieses Spezi­al­schiff bläst Sauer­stoff ins Wasser, um damit den Abbau von orga­ni­schem Mate­rial wie Blät­tern, Hundekot, Pollen aber auch mensch­li­chen Abfällen, die in den Kanal fallen, zu beschleu­nigen und damit die Wasser­qua­lität zu verbes­sern. Doch trotz dieser künst­li­chen Beatmung erreicht der Land­wehr­kanal noch keine Wasser­güte, die ein sorgen­loses Plant­schen zulassen würde. Und deshalb sitzt man in Berlin zwar gerne auf den Brücken über die Stadt­ge­wässer, aber springt nicht rein. Ein Leben ohne Feier­abend­schwumm. Das kann man sich in Zürich kaum vorstellen. Zum Glück sind unsere Gewässer sauberer.

Doch allzu voreilig sollten sich die Schwei­ze­rinnen und Schweizer nun doch nicht auf die Schulter klopfen. Noch in den sieb­ziger und acht­ziger Jahren waren die meisten Schweizer Seen stin­kende Gift­kloaken und niemand dachte daran, in ihnen ein erfri­schendes Bad zu nehmen. Haupt­schuldig daran war das Phos­phat in den Wasch­mit­teln. Deshalb wurde es vor 30 Jahren verboten, was schnell zu einer Verbes­se­rung der Wasser­qua­lität führte. Aber auch heute noch werden der Sempa­chersee, der Grei­fensee und viele andere klei­nere Seen künst­lich belüftet, um den orga­ni­schen Stoffen, die nun vorwie­gend aus der umlie­genden Land­wirt­schaft kommen, Herr zu werden und eine für Tiere, Pflanzen und Menschen annehm­bare Wasser­qua­lität zu garantieren.

Der Zürichsee und die Limmat weisen aber auch ohne solche Mass­nahmen eine gute Wasser­qua­lität auf. Auch mitten in der Stadt. So gut, dass es nicht nur den Stadt­men­schen im kalten Nass gefällt, sondern auch dem auf Wasser­ver­schmut­zung sehr empfind­lich reagie­renden Süss­was­ser­schwamm.

Natür­lich hat es rund um Berlin krass hübsche Bade­seen, an welche man am Wochen­ende wunder­schöne Ausflüge machen kann. Nur ersetzen diese den direkten Sprung ins Wasser nach einem heissen Tag im Büro leider nicht. Wer einmal die Zürcher Bade­kultur erlebt hat, weiss, was einem bei nicht beschwimm­baren Stadt­ge­wäs­sern flöten geht. Die schlechte Wasser­qua­lität der inner­ber­li­ne­ri­schen Gewässer ist jammer­schade. Für die Menschen und die Natur. Dieser Punkt geht darum an Zürich.


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