Berlin vs. Zürich: Die Lamm-Serie
- Teil I: Abfalltrennung deluxe in Berlin
- Teil II: Schwachstrom-Bio gibt’s überall. Aber wo gibt’s mehr davon?
- Teil III: Wo kommt man besser voran, ohne die Luft zu verpesten?
Grün ist es in beiden Städten. Die Strassen werden in Zürich wie auch in Berlin von Bäumen gesäumt. Und über einen Mangel an Parkflächen kann man sich weder hier noch da beklagen. Die Richtung ist klar: Sowohl im dicken B wie auch in der Zwinglistadt will man nicht nur dem Beton sondern auch der Natur ihren Platz gewähren. Deshalb findet man sowohl bei Grün Stadt Zürich als auch bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz der Stadt Berlin eine Strategie zur Förderung der biologischen Vielfalt und Erhaltung der Lebensräume. Und das zahlt sich aus. Beide Städte können mit einer hohen Biodiversität und seltenen Tier- und Pflanzenarten auftrumpfen.
Beispielsweise hört man in Berlin mehr Nachtigallengesang als in ganz Bayern. Und Zürich beheimatet eine beachtliche Kolonie von Alpenseglern. Die über und über mit Wildblumen bestückten Baumscheiden in Zürich sind jedes Jahr wieder ein Augenschmaus. Und auf dem Tempelhofer Feld, gleich neben meinem Zuhause in Berlin-Neukölln, gedeihen 13 Pflanzenarten, die entweder auf der roten Liste gefährdeter Arten oder auf der Vorwarnliste stehen.
Doch leider musste ich feststellen, dass die Berliner Verwaltung einen Lebensraum trotz der bereits im Jahr 2012 veröffentlichten Strategie zur Biologischen Vielfalt arg vernachlässigt hat. Und das kriegt nicht nur die Stadtnatur, sondern auch der Stadtmensch zu spüren.
Wollen wir noch schnell in den Fluss springen?
Feierabend! Nichts wie los zur nächsten Badestelle und ab ins kühle Nass, um sich danach bei einem gemütlichen Bierchen den Bauch von der Sommersonne trocknen lassen. Was während des Zürcher Sommers gang und gäbe ist, macht in Berlin niemand. Nicht etwa mangels Gewässer. Die Spree und der Landwehrkanal fliessen mitten durch die Stadt. Nein, die innerstädtischen Gewässer sollen in Berlin so stark verschmutzt sein, dass man nach einem Feierabendschwumm inklusive Bierchen Gefahr läuft, am nächsten Tag nicht nur mit einem dröhnenden Kater, sondern auch mit einer juckenden Krätze aufzuwachen. Die innerstädtischen Gewässer Berlins seien so verschmutzt, dass das Baden gar verboten sei. So jedenfalls die Erzählungen aus meinem Berliner Freundeskreis.
Da ich nicht richtig glauben wollte, dass eine sonst so naturaffine Stadt eine so schlechte Wasserqualität in ihren Gewässern duldet, habe ich bei der zuständigen Senatsverwaltung nachgefragt. Denn eine gute Wasserqualität ist nicht nur für den erfrischungsuchenden Stadtmenschen wichtig, sondern auch für eine vielfältige, aquatische Flora und Fauna. Die Antwort war ernüchternd:
Das Baden in der Innenstadtspree wie auch im Landwehrkanal ist sowohl wasserrechtlich als auch schifffahrtsrechtlich nicht erlaubt. Gründe hierfür sind einerseits gesundheitliche Aspekte (nicht badetaugliche Gewässerqualität der durch Berlin fließenden Flüsse und Kanäle), andererseits die Verkehrssicherheit auf den engen Wasserstraßen.
Die Innenstadtfließgewässer sind vielbefahrene (Bundes)Wasserstraßen mit Berufs‑, Ausflugs- und Freizeitverkehr, im Sommer fahren die Schiffe in einigen Abschnitten sogar im Minutentakt.
Selbst wenn es gelänge, die Gewässerqualität in den Innenstadtfließgewässern bedeutend und nachhaltig zu verbessern, bliebe immer noch die Verpflichtung, für Verkehrssicherheit zu sorgen.
Laut der Senatsverwaltung ist das Baden also nicht nur wegen des dreckigen Wassers verboten, sondern auch wegen des regen Schiffsverkehrs. Dass es aber nicht auf allen innerstädtischen Gewässern regelmässig zu Schiffsstaus kommt, weiss man spätestens nach einem Abend auf dem Elsensteg am Landwehrkanal. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird nämlich bis zum Sonnenuntergang lediglich ein Schiff unter dem Brückchen durchtuckern: Die Rudolf Kloos.
Viele Gewässer müssen künstlich belüftet werden — in Deutschland und in der Schweiz
Dieses Spezialschiff bläst Sauerstoff ins Wasser, um damit den Abbau von organischem Material wie Blättern, Hundekot, Pollen aber auch menschlichen Abfällen, die in den Kanal fallen, zu beschleunigen und damit die Wasserqualität zu verbessern. Doch trotz dieser künstlichen Beatmung erreicht der Landwehrkanal noch keine Wassergüte, die ein sorgenloses Plantschen zulassen würde. Und deshalb sitzt man in Berlin zwar gerne auf den Brücken über die Stadtgewässer, aber springt nicht rein. Ein Leben ohne Feierabendschwumm. Das kann man sich in Zürich kaum vorstellen. Zum Glück sind unsere Gewässer sauberer.
Doch allzu voreilig sollten sich die Schweizerinnen und Schweizer nun doch nicht auf die Schulter klopfen. Noch in den siebziger und achtziger Jahren waren die meisten Schweizer Seen stinkende Giftkloaken und niemand dachte daran, in ihnen ein erfrischendes Bad zu nehmen. Hauptschuldig daran war das Phosphat in den Waschmitteln. Deshalb wurde es vor 30 Jahren verboten, was schnell zu einer Verbesserung der Wasserqualität führte. Aber auch heute noch werden der Sempachersee, der Greifensee und viele andere kleinere Seen künstlich belüftet, um den organischen Stoffen, die nun vorwiegend aus der umliegenden Landwirtschaft kommen, Herr zu werden und eine für Tiere, Pflanzen und Menschen annehmbare Wasserqualität zu garantieren.
Der Zürichsee und die Limmat weisen aber auch ohne solche Massnahmen eine gute Wasserqualität auf. Auch mitten in der Stadt. So gut, dass es nicht nur den Stadtmenschen im kalten Nass gefällt, sondern auch dem auf Wasserverschmutzung sehr empfindlich reagierenden Süsswasserschwamm.
Natürlich hat es rund um Berlin krass hübsche Badeseen, an welche man am Wochenende wunderschöne Ausflüge machen kann. Nur ersetzen diese den direkten Sprung ins Wasser nach einem heissen Tag im Büro leider nicht. Wer einmal die Zürcher Badekultur erlebt hat, weiss, was einem bei nicht beschwimmbaren Stadtgewässern flöten geht. Die schlechte Wasserqualität der innerberlinerischen Gewässer ist jammerschade. Für die Menschen und die Natur. Dieser Punkt geht darum an Zürich.
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