Um meine Abfälle in die richtigen Recyclingkreisläufe zurückzuführen, musste ich in Zürich einiges an Energie aufbringen. Plastikflaschen und Dosen brachte ich regelmässig zu zwei verschiedenen Sammelstellen. Das Papier und den Karton musste ich abwechselnd jede zweite Woche akkurat gebündelt vor die Türe stellen. Und für meinen Biomüll unterhielt ich einen eigenen Wurmkomposter, weil man in der Limmatstadt die Biotonne in den meisten Siedlungen vergebens sucht.
Das kleine Recyclingparadies im Innenhof
In meinem neuen Zuhause in Berlin-Neukölln ist das ein wenig einfacher. Hier steht alles, was man für eine anständige Abfalltrennung braucht, in unserem Innenhof. Um Biomüll, Papier, Glas und Wertstoffe wie Metall, Plastik und Tetrapacks so zu entsorgen, dass daraus wieder etwas Neues hergestellt werden kann, muss ich lediglich ein paar Treppenstufen nach unten gehen. Zudem kann ich die Wertstofftonne nicht wie in der Schweiz nur mit PET und PE füttern, sondern gleich mit allen Plastikverpackungen. Restmüll, also nicht wiederverwertbaren Abfall, gibt es so gut wie keinen. Genial!
Leider scheint nicht allen Berlinern und Berlinerinnen klar zu sein, wie verwöhnt sie mit diesem Entsorgungssystem sind. Der Aufwand, um verantwortungsbewusst mit seinen Abfällen umzugehen, würde sich echt in Grenzen halten. Und trotzdem kriegen es viele nicht hin. Oft ist die Restmülltonne voll mit Verpackungen, und in der Biotonne tummeln sich die Plastiksäcke.
Deshalb sortieren die Leute von der Berliner Stadtreinigung (BSR) die Biotonne, das Papier und die Wertstoffsammlung nach, erklärt mir Sabine Thümler von der BSR. Die Restmülltonne werde jedoch nicht nochmals durchwühlt. Deren Inhalt wandere – genau wie die Abfälle aus den öffentlichen Abfallkübeln – direkt in die Müllverbrennung. Das Erdöl in Form von Plastik, das dort landet, geht dem Kreislauf der Wiederverwertung unwiderruflich verloren. Immerhin werde aus der Schlacke, die nach der Verbrennung übrig bleibt, das Metall zur Wiederverwertung herausgefiltert. Der Aufwand und die Kosten für all dieses Nachsortieren seien erheblich, meint Thümler. Mit dem Abfallunterricht für die kleinsten BerlinerInnen wolle man nun dafür sorgen, dass dies bald nicht mehr nötig ist.
Die PfandsammlerInnen leisten einen wichtigen Beitrag
Doch ganz alles lässt sich auch in den Berliner Innenhöfen nicht entsorgen: Pfandflaschen müssen zu den Verkaufsstellen zurückgebracht werden. So hat Faulheit in Deutschland einen ganzen Beschäftigungszweig entstehen lassen: das Pfandsammeln. Zwischen 8 und 25 Cent Pfand zahlt man für jede Flasche oder Dose. Wer auf diesen Betrag pfeift, lässt seine leere Bierflasche auf der Strasse stehen oder verschenkt sein über die Monate angesammeltes Leergut übers Internet.
Während ich in Zürich nach einem gemütlichen Abend am Oberen Letten jeweils mit einer Tasche voll leerer Bierdosen nach Hause oder an die nächste Party-Location radeln musste, wenn ich das Alu wiederverwertet sehen wollte, kann ich mein Leergut hier ruhigen Ökogewissens im Park stehen lassen. Der nächste Pfandsammler wird es sachgerecht für mich entsorgen. Die paar Cents, die ich dafür „bezahle“, sind es mir allemal wert. Sehr geil für mich!
Doch sehen das die PfandsammlerInnen genauso? Ich weiss es nicht, denn persönlich gefragt habe ich bisher noch niemanden. Einerseits werden sie wohl froh sein, dass es diese einfache und unbürokratische Möglichkeit gibt, sich etwas dazuzuverdienen. Anderseits arbeiten diese Menschen ohne Mindestlohn, Altersvorsorge oder Unfallversicherung. Und dies, obwohl sie eine für die Gesellschaft echt wichtige Arbeit erledigen. Sie bewahren nicht nur die Parks davor, in den leeren Bierflaschen zu ersticken. Nein, sie sorgen auch dafür, dass die Rohstoffe, die in den Flaschen und Dosen stecken, wiederverwertet werden. Ich für mich nehme die Arbeit der PfandsammlerInnen als geniale Dienstleistung wahr – für die sie viel mehr Wertschätzung und anständige Arbeitsbedingungen verdient hätten.
Eines ist nämlich sicher: Ohne die PfandsammlerInnen würden wohl die meisten fritz-kolas und Sternburger, die im Park oder am Kanalufer getrunken werden, im öffentlichen Abfall und somit in der Kehrichtverbrennungsanlage landen. Und weil es halt schon nicht jedermanns Ding ist, einen Beutel voll mit leeren Feldschlösschendosen ins Hive zu schleppen, geht an einem sonnigen Freitagabend in Zürich wohl einiges mehr an wertvollem Aluminium, Plastik und Glas verloren als in Berlin.
Eins zu null für Berlin
Wohl auch deshalb schneidet Deutschland im direkten Vergleich bezüglich Müll am Ende doch ein wenig besser ab als die Schweiz, wie eine OECD-Studie aus dem Jahr 2013 zeigt. Nicht nur, weil die Deutschen pro Kopf etwa 100kg weniger Abfall produzieren, sondern auch, weil der Anteil des Abfalls, der richtig rezykliert wird, um einiges höher liegt.
Eines muss man den Zürcherinnen und Zürchern aber zugutehalten: Dass die Mülltrennung trotz des komplizierten Entsorgungssystems so gut funktioniert, ist beeindruckend! Denn obwohl man seinen Abfall an vier verschiedene Orte bringen muss, lagen die Sammelquoten laut dem Bundesamt für Umweltschutz (BAFU) im Jahr 2015 für Papier, Glas, PET-Getränkeflaschen und Alu alle über 80 Prozent. Das mag an einer besseren Sensibilisierung, aber vielleicht auch einfach an den hohen Gebühren liegen, die Herr und Frau Zürcher für jeden vollen Abfallsack zu berappen haben.
Auf jeden Fall könnten meine zwei Lieblingsstädte hier echt noch etwas voneinander lernen. Denn wirklich genial wäre es, wenn sich die Ausstattung der Berliner Innenhöfe mit dem Zürcher Ehrgeiz, korrekt zu entsorgen, kombinieren liesse.
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