Mehr oder weniger die gesamte Flugbranche kam im Frühling 2020 wegen der Pandemie zum Erliegen. Um zu verhindern, dass Swiss und Co. plötzlich mit leeren Taschen dastehen, bewilligte das Schweizer Parlament damals einen Notkredit von 1.8 Milliarden Franken.
Das war rückblickend nicht nur problematisch, weil dadurch eine der klimaschädlichsten Branchen mit Steuergeldern überschüttet wurde, sondern vor allem auch deswegen, weil das Parlament diese Gelder auf Basis fragwürdiger Informationen gesprochen hatte. Auf drei Zahlen stützte sich das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) im Frühling 2020, um das Parlament von der Wichtigkeit der Flugbranche zu überzeugen und um für ein Ja zu den Unterstützungskrediten von 1.8 Milliarden zu werben. Unsere Recherchen zeigten damals: Alle drei Zahlen waren irgendetwas zwischen tendenziös, irreführend und falsch.
Nun stellt sich die Frage, ob das BAZL die Parlamentarier:innen absichtlich oder aus Versehen falsch informiert hatte und wie es ganz grundsätzlich dazu kommen konnte, dass diese Zahlen in der Botschaft landeten. Möchte man diesen Fragen auf den Grund gehen, ist die erste Anlaufstelle die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK).
Absicht oder Versehen
Die Eidgenössische Finanzkontrolle wird ihrem Namen gerecht: Denn alles, was sie macht, sind Kontrollen. Jedes Jahr legt sie einen mehrseitigen Katalog von Fragen fest, die es in der Bundesverwaltung zu überprüfen gilt. Ausschlaggebend dafür, was unter die Lupe genommen wird, ist laut der EFK eine Risikoanalyse. Anhand dieser Risikoanalyse entsteht dann das jährliche Prüfprogramm der EFK.
2021 umfasste dieses Programm etwa die „Prüfung der Sanierung von Duro-Geländewagen“, die „Prüfung der Aufsicht des Bundes über die Landkäufe im Projekt Rhonekorrektion“ oder die „Prüfung der Oberaufsicht über das Grundbuchwesen“. Hat sich die EFK auch die Prüfung der Covid-Kredite an die Flugbranche vorgenommen? Bereits Anfang 2021 haben wir der EFK diese Frage gestellt.
25. April 2021
Guten Tag
Vor bald einem Jahr veröffentlichten wir bei das Lamm einen Artikel, der aufzeigte, dass das Schweizer Parlament im Frühling 2020 die Corona-Kredite an die Flugbranche auf der Basis von tendenziösen, fragwürdigen und gar falschen Informationen bewilligt hat. Die Zahlen, welche das BAZL heranzog, um die Wichtigkeit der Flugbranche zu unterstreichen, waren allesamt sehr fragwürdig.
Nun wollte ich mal nachfragen, ob die EFK dem nachgegangen ist und herausgefunden hat, wie es dazu kommen konnte, dass das Parlament bei der Vergabe eines solch umstrittenen Kredits so schlecht informiert wurde?
Danke und freundliche Grüsse
Das Lamm
Die Antwort fällt kurz und knapp aus.
26. April 2021
Liebes Lamm
Die EFK hat keine Prüfung in diesem Bereich durchgeführt.
Mit freundlichen Grüssen,
Medienstelle des EFK
Auf die Frage, wieso man die Luftfahrt-Kreditvergabe nicht prüfe, verweist uns die EFK lediglich auf den jährlich festgelegten Prüfkatalog und schickt uns den Link zum Prüfprogramm 2021, wo die Luftfahrt-Kredite nicht aufgelistet sind. Der Fall scheint geklärt.
Doch hinter der Formulierung „keine Prüfung durchgeführt“ kann viel Unerwartetes stecken, wie wir ein paar Monate später herausfinden werden.
Keine Zweifel bei den Finanzkommissionen
Neben der EFK gibt es auch die Finanzkommissionen. Jedes Bundesdepartement hat, wenn es um die Finanzen geht, zwei zuständige Subkommissionen – eine ständerätliche und eine nationalrätliche. Sie haben im Bereich der Finanzen die Oberaufsicht über das jeweilige Departement. Zudem beraten diese Subkommissionen Botschaften im Finanzbereich vor. Für das UVEK und damit auch für das BAZL sind die Subkommissionen 3 zuständig. Vielleicht haben ja sie genauer untersucht, wieso die BAZL-Beamt:innen in die Botschaft an die Parlamentarier:innen falsche Zahlen eingearbeitet haben?
Auf die Frage, ob die zuständigen Subkommissionen die falschen Zahlen zur Flugbranche untersucht hätten, schreibt Stefan Koller, Sekretär der Finanzkommissionen, dann auch tatsächlich, dass eine Vorberatung stattgefunden hätte. „Grundsätzlich müssen sich parlamentarische Kommissionen auf die Angaben und Informationen in den Botschaften verlassen können. Diese werden aber im Rahmen der Diskussion durchaus kritisch hinterfragt und auf ihre Plausibilität überprüft“, so der Sekretär weiter.
Und: Die Finanzkommissionen versprechen, dass man die Sache nochmals mit dem BAZL durchleuchten werde. Die Diskussionen seien aber bereits damals intensiv gewesen, wie unter anderem dieser Medienmitteilung zu entnehmen sei. In der verlinkten Medienmitteilung suchen wir kritische Diskussionen um die fragwürdigen Zahlen in der Botschaft jedoch vergebens.
Vielmehr werden die falschen Infos widerspruchslos repetiert: Dass für rund 70 Prozent der Schweizer Unternehmen die Abwicklung von Luftfracht eine wichtige Grundvoraussetzung sei, ist auch hier zu lesen.
Anscheinend ist das Bild der grossen und mächtigen Flugbranche sowohl bei den Flugbeamt:innen als auch bei den Parlamentarier:innen immer noch so stark verinnerlicht, dass auch offensichtlich überrissene Zahlen als Argument problemlos durchrutschen. Denn weder Schreinereien, Bauunternehmen, Treuhandfirmen, Gärtnereien, Fitnesscenter, Bäckereien oder Elektrogeschäfte verschicken ihre Sachen per Flugzeug. Dass es schon rein intuitiv nicht sein kann, dass sieben von zehn Unternehmen grundlegend von der Luftfahrt abhängig sein sollen, hat bei den Finanzkommissionen aber niemanden stutzig gemacht.
Was uns jedoch stutzig macht: Laut derselben Medienmitteilung vom Mai 2020 wurde in der vorberatenden Sitzung der Finanzkommission festgelegt, dass die EFK durchaus eine Prüfung der Kredite durchführen soll. Wie passt das mit der Aussage der EFK zusammen, dass man keine Prüfung durchgeführt habe? Mit genau dieser Frage wenden wir uns deshalb ein paar Monate später nochmals an die Prüfbeamt:innen der EFK.
12. August 2021
Liebe EFK
Wir hatten bereits vor einigen Wochen Kontakt, als ich bei Ihnen nachgefragt hatte, ob die EFK die Vergabe der Corona-Kredite an die Flugbranche überprüfen werde. Bei meinen Recherchen bin ich nun auf dieses Dokument gestossen: https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-fk-n-s-2020–05-02.aspx. Es ist die Medienmitteilung über die Vorberatung der beiden Finanzkommissionen zu den Corona-Krediten an die Flugbranche.
Darin ist Folgendes zu lesen: „Schliesslich fand auch ein Antrag, der festschreiben wollte, dass Kontrollmechanismen durch die Eidgenössische Finanzkontrolle vorzusehen sind, keine Zustimmung (abgelehnt mit 13 zu 12 Stimmen). Das Finanzdepartement und die Finanzkontrolle hielten zuvor fest, der Bundesrat habe beschlossen, dass die EFK Kontrollen vornehmen soll.„
Sie hatten mir geschrieben, dass die EFK die Kreditvergabe an die Flugbranche nicht überprüfe. Wie geht das damit zusammen, dass der Bundesrat laut dieser Medienmitteilung beschlossen hatte, dass die Kredite von der EFK kontrolliert werden sollten?
Danke und freundliche Grüsse
Das Lamm
Die Antwort kommt zwei Tage später:
16. August 2021
Liebes Lamm
Die Situation hat sich nicht geändert: Wir haben noch keine Prüfungen in diesem Bereich durchgeführt.
Wir werden diese Prüfungen zu gegebener Zeit durchführen.
Mit freundlichen Grüßen,
EFK
Nachdem uns die EFK nun also zum zweiten Mal versichert hatte, dass sie zumindest bis zum Zeitpunkt des zweiten Antwortschreibens keine Prüfung der Covid-Kredite an die Flugbranche durchgeführt hat, schrieben wir das genau so auch in einem Artikel im Oktober 2021.
Im November 2021 meldet sich die EFK dann erneut bei uns. Mit einer ziemlichen Überraschung: Anders als in unserem Artikel beschrieben, führe die EFK durchaus eine Prüfung der Corona-Kredite an die Flugbranche durch. Die Prüfnummer sei 20524. Der Name: Prüfung der Covid-19-Massnahmen zur Unterstützung der Luftfahrt. Die Prüfung sei jedoch nicht im Prüfprogramm 2021 aufgeführt, sondern in jenem von 2020.
Der Grund hierfür sei, dass bereits 2020 beschlossen wurde, eine Prüfung durchzuführen. Doch auch im online aufgeschalteten Prüfprogramm 2020 suchen wir diese Prüfnummer vergebens. Weshalb dieses Programm nicht auf dem aktuellsten Stand sei und warum uns die EFK mehrmals schriftlich zugesichert habe, man führe keine entsprechende Prüfung durch, erklären die Prüfbeamt:innen schliesslich so:
16. Dezember 2021
Liebes Lamm,
Die Auskunft der EFK („keine Prüfung durchgeführt“) war sowohl im April als auch im August 2021 richtig.
Die Prüfung 20524 wurde zwar für 2020 geplant (daher die 20er-Nummer), dann aber erst im 2021 durchgeführt (September bis November).
Wie bereits erwähnt, prüfen wir Ihren Vorschlag einer elektronischen Aktualisierung unserer Jahresprogramme.
Für weitere Fragen oder Präzisierungen stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen
EFK
Den Auftrag für die Prüfung hat die EFK nämlich bereits im Mai 2020 erhalten. Dass hinter einem „keine Prüfung durchgeführt“ in Tat und Wahrheit ein „wir haben bereits seit Monaten eine Prüfung geplant, werden diese bald starten, aber jetzt gerade sind wir noch nicht dran“ steckt, ist aus unserer Sicht jedoch weder nachvollziehbar noch logisch. Auf die Frage hin, wann mit dem Prüfbericht zu rechnen sei, meint die EFK schliesslich, dass dies noch bis Ende des ersten Quartals 2022 dauern werde.
Ein erneutes Versehen
Auch von den Finanzkommissionen erhalten wir in der Zwischenzeit ein Feedback. Beide Subkommissionen liessen das BAZL zu unserem Artikel Stellung nehmen. Das BAZL gab zu, dass es bei der Erarbeitung der Botschaft zu einem Fehler gekommen sei.
„Der Fehler ist zweifelsohne auch dem grossen Zeitdruck geschuldet, welcher damals beim Schreiben der Botschaft bestand […]. Die Verwaltung, aber auch die Mitglieder des Parlaments mussten unter grösstem Druck alle diese Kredite behandeln. Das ist meines Erachtens bei der Beurteilung zu beachten“, so der Sekretär der Finanzkommissionen auf Anfrage von das Lamm.
Die verwendete Zahl sei aufgrund einer unzulässigen Verkürzung und einer Missachtung der Methodologie der Quelle entstanden, so der Sekretär weiter. Die beiden Subkommissionen hätten davon Kenntnis genommen, sehen aber keinen weiteren Handlungsbedarf, „weil auch die Verwaltung den Fehler erkannt und versichert hat, alles zu tun, damit sich dies nicht wiederholt“.
Gemäss den Finanzkommissionen ist das Ganze also aus Versehen passiert. Erneut. Denn bereits im Frühling 2020, also noch bevor das BAZL die Botschaft zu den Krediten an die Luftfahrt veröffentlicht hatte, konnte das Lamm nachweisen, dass das BAZL die durch Corona bedrohten Arbeitsplätze in der Flugbranche viel zu grosszügig berechnet hatte. Schon damals versprach die Verwaltung Besserung und liess uns wissen, dass man künftig klarer sein wolle bei der Kommunikation der Zahlen. Passiert ist das offensichtlich nicht.
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