Das Lamm: Frau Sharmahd, wissen Sie, wie es Ihrem Vater aktuell geht?
Gazelle Sharmahd: Wir haben leider keinen Kontakt zu meinem Vater. Im letzten Jahr durfte er meine Mutter nur zwei Mal anrufen. Das sind dann aber komplett überwachte Gespräche. Die Wärter*innen sitzen direkt neben ihm und kontrollieren, was er sagt. Wenn es etwas ist, das sie nicht wollen, wird das Gespräch direkt abgebrochen. Mit mir persönlich darf er seit eineinhalb Jahren nicht mehr sprechen. Mit meiner Mutter hat er das letzte Mal im Februar telefoniert. Durch diese Telefonate kriegen wir anhand kleiner Anekdoten und durch seine schwache Stimme mit, wie verwirrt und schwach er ist.
Er ist nun seit über 940 Tagen in Isolationshaft. Er darf nicht mit seinem Anwalt sprechen. Ihm wird kein Kontakt zur Botschaft ermöglicht. Ausser den Mitarbeiter*innen des iranischen Regimes hat meinen Vater seit zweieinhalb Jahren niemand gesehen. Deshalb kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob mein Vater überhaupt noch am Leben ist. Unter der Regierung des islamischen Regimes haben wir viele Fälle gesehen, bei denen es zu Todesurteilen kam und wo diese sofort ausgeführt wurden. Die Familie wurde erst später informiert.
Wie kam es zur Verhaftung ihres Vaters?
Mein Vater ist ein Oppositioneller des islamischen Regimes. Die iranischen Machthaber greifen die Menschen in der Opposition persönlich an. Im Falle meines Vaters gab es zuerst Propagandavideos in den Regimemedien, die ihn als Spion der CIA und Terrorist dargestellt haben. Auf die Propagandavideos folgten Morddrohungen. Mein Vater ist deutscher Staatsbürger, aber wir leben seit vielen Jahren in den USA.
2009 kam der iranische Geheimdienst in die USA, um ihn zu ermorden. Dieser Versuch konnte vom FBI gestoppt werden. Als das nicht geklappt hat, haben sie ihn versucht ins Ausland zu locken. Als das auch nicht funktioniert hat, haben sie ihn 2020 während der Pandemie entführt. Er war auf einer Geschäftsreise von Deutschland nach Indien unterwegs. Während eines Zwischenstopps in Dubai ist er verschwunden. Sie haben ihn in den Iran gebracht und dort sitzt er seither in Isolationshaft.
Der 67-jährige Jamshid Sharmahd wurde im Sommer 2020 vom iranischen Geheimdienst in Dubai festgenommen und in den Iran gebracht. Sharmahd wurde im Iran geboren, lebte aber seit den 1980er-Jahren in Deutschland. Neben der iranischen hat Sharmahd seit 1995 auch die deutsche Staatsbürgerschaft.
2003 zog der Softwareingenieur mit seiner Familie nach Kalifornien, wo er sich in der iranischen Exil-Oppositionsgruppe Tondar engagierte. Tondar lehnt die Islamische Republik ab und setzt sich für die Wiedereinführung einer Monarchie ein. Sharmahd wurde am 21. Februar 2023 wegen „Korruption auf Erden“ in Teheran zum Tod verurteilt. Seine Tochter Gazelle Sharmahd setzt sich für die Freilassung ihres Vaters ein.
Warum hat es das iranische Regime denn auf Ihren Vater abgesehen?
Was wir Iraner*innen in der Diaspora während der aktuellen Proteste machen, hat mein Vater Anfang der 2000er-Jahre gemacht: den Menschen vor Ort eine Stimme geben. Damals gab es weder Twitter noch Instagram, damals gab es Webseiten. Mein Vater hat als IT-Ingenieur eine sehr gute Webseite gebaut, wo Menschen aus dem Iran anonym und unzensiert berichten konnten, was dort wirklich passiert. Da die Presse sehr eingeschränkt ist, war das ein riesiger Dorn im Auge dieses diktatorischen Regimes. Sie haben versucht, die Webseite aus dem Weg zu räumen. Als das nicht geklappt hat, haben sie das Gleiche mit meinem Vater versucht.
Was bedeutet das Todesurteil für die Widerstandsbewegung?
Das Kidnapping meines Vaters ist eine Message an uns, an die Aktivist*innen, die jetzt laut sind, die den Menschen im Iran eine Stimme geben. Sie wollen uns zeigen, dass das, was meinem Vater passiert ist, auch uns passieren kann. Sie sagen uns damit: „Wir können euch aus dem Ausland entführen, hierherbringen, foltern, durch Schauprozesse ziehen, euren Namen in den Schmutz ziehen, euch wie Kriminelle darstellen, euch dann ermorden und es ist egal, welche Staatsbürgerschaft oder welchen Pass ihr habt. Niemand kann das stoppen.“ Das Schicksal meines Vaters ist eine Terrornachricht an uns Iraner*innen in der Diaspora. Sie wollen, dass wir leise sind.
Und warum passiert das gerade jetzt?
Das Regime agiert sehr strategisch. Mein Vater hat die Todesstrafe bekommen, nachdem das islamische Regime bei der Sicherheitskonferenz in München aus- und die Opposition eingeladen wurde. Das war für sie ein riesiger Schlag ins Gesicht. In Brüssel sind ein paar Tage davor Tausende von Menschen vor dem Europäischen Gerichtshof auf die Strasse gegangen und haben gefordert, dass die Revolutionsgarde auf die Terrorliste kommt. Das sind zwei wichtige Ereignisse, die die Diaspora ermöglicht hat. Deshalb haben sie einem Mitglied der Diaspora die Todesstrafe verhängt.
Was schätzen Sie, wie Ihr Vater mit seiner Situation umgeht?
Mein Vater ist eine sehr starke Person. In den schwierigsten Momenten in seinem Leben hat er immer versucht, stark zu bleiben, sich Mut zu machen, anderen Mut zu machen, immer nach einem Ausweg zu suchen. Er ist Diplomingenieur. Typisch für einen Ingenieur denkt er sehr lösungsorientiert. Ich glaube, das gibt ihm jetzt Kraft. In den Gesprächen, die ich im letzten Jahr mit ihm geführt habe, hat er uns Mut gemacht und Kraft gegeben.
Aber man darf nicht vergessen: Er ist fast 68 Jahre alt und hat Parkinson. Er ist schwer krank. Er kriegt seine Medikamente nicht und so lange Zeit in Isolationshaft zu sein, macht auch der stärksten Person zu schaffen. Deshalb ist es wichtig, dass wir zeitnah etwas bewirken. Selbst wenn sie ihn nicht umbringen würden, könnte er diese unglaublich unmenschliche Situation nicht mehr lange überstehen. Man sieht auf den Fotos der Schauprozesse, wie dünn er geworden ist und dass ihm die Zähne ausgeschlagen wurden.
Sie geben zurzeit viele Interviews, sind in den Sozialen Medien aktiv und setzen sich öffentlichkeitswirksam für Ihren Vater ein. Wie geht es Ihnen?
Meine Tage sind zurzeit sehr durcheinander. Ich bin im Krisenzustand. Ich habe keinen Alltag mehr. Ich habe kaum Zeit zu essen, zu duschen oder zu schlafen. Am Ende des Tages habe ich immer das Gefühl, dass ich noch nicht genug getan habe. Mir geht es nicht gut. Das ist die schwerste Zeit meines Lebens. Aber auch das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, dass ich gehört werde. Wir versuchen bereits seit zweieinhalb Jahren mehr Öffentlichkeit für den Fall meines Vaters zu schaffen. Seit 44 Jahren prangern wir als iranische Diaspora an, dass den Menschen im Iran geholfen werden muss.
Konnten Sie während des Kampfes um Ihren Vater etwas erreichen?
Jetzt haben wir endlich eine Stimme. Das ist erst mal positiv. Ausserdem gibt es uns Mut und Kraft zu sehen, wie die Menschen im Iran auf die Strasse gehen. Wenn ich sehe, dass sie weiter machen, obwohl sie wissen, dass sie erschossen, gefoltert, vergewaltigt oder an den Galgen gebracht werden können. Da riskieren wir im Vergleich nichts.
Ausserdem hat mir mein Vater das beigebracht: Egal wie viel Druck das Regime auf uns ausübt, wir können uns nicht von unserer Angst stoppen lassen. Wir müssen bei Unrecht hinschauen. Wenn sie uns einschüchtern, wenn sie uns entführen, dann überlegt man vielleicht mal, ob man aufhören sollte. Aber ganz im Gegenteil: Wir müssen weitermachen! Wir müssen zeigen, dass wir hinter den politischen Gefangenen stehen. Und wir müssen dafür sorgen, dass das niemanden mehr passieren wird. Das ist sehr wichtig für die Zukunft.
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