„Das Kidnap­ping meines Vaters ist eine Message an uns“

Der Deutsch-Iraner Jamshid Shar­mahd ist seit zwei­ein­halb Jahren in irani­scher Haft und wurde im Februar zum Tode verur­teilt. Seine Tochter Gazelle Shar­mahd kämpft für die Frei­las­sung ihres kranken Vaters. 
Jamshid Sharmahd und seine Tochter Gazelle Sharmahd vor der Entführung. (zVg. Gazelle Sharmahd)

Das Lamm: Frau Shar­mahd, wissen Sie, wie es Ihrem Vater aktuell geht?

Gazelle Shar­mahd: Wir haben leider keinen Kontakt zu meinem Vater. Im letzten Jahr durfte er meine Mutter nur zwei Mal anrufen. Das sind dann aber komplett über­wachte Gespräche. Die Wärter*innen sitzen direkt neben ihm und kontrol­lieren, was er sagt. Wenn es etwas ist, das sie nicht wollen, wird das Gespräch direkt abge­bro­chen. Mit mir persön­lich darf er seit einein­halb Jahren nicht mehr spre­chen. Mit meiner Mutter hat er das letzte Mal im Februar tele­fo­niert. Durch diese Tele­fo­nate kriegen wir anhand kleiner Anek­doten und durch seine schwache Stimme mit, wie verwirrt und schwach er ist.

Er ist nun seit über 940 Tagen in Isola­ti­ons­haft. Er darf nicht mit seinem Anwalt spre­chen. Ihm wird kein Kontakt zur Botschaft ermög­licht. Ausser den Mitarbeiter*innen des irani­schen Regimes hat meinen Vater seit zwei­ein­halb Jahren niemand gesehen. Deshalb kann ich nicht mit Sicher­heit sagen, ob mein Vater über­haupt noch am Leben ist. Unter der Regie­rung des isla­mi­schen Regimes haben wir viele Fälle gesehen, bei denen es zu Todes­ur­teilen kam und wo diese sofort ausge­führt wurden. Die Familie wurde erst später informiert.


Wie kam es zur Verhaf­tung ihres Vaters?

Mein Vater ist ein Oppo­si­tio­neller des isla­mi­schen Regimes. Die irani­schen Macht­haber greifen die Menschen in der Oppo­si­tion persön­lich an. Im Falle meines Vaters gab es zuerst Propa­gan­da­vi­deos in den Regi­me­me­dien, die ihn als Spion der CIA und Terro­rist darge­stellt haben. Auf die Propa­gan­da­vi­deos folgten Mord­dro­hungen. Mein Vater ist deut­scher Staats­bürger, aber wir leben seit vielen Jahren in den USA.

2009 kam der irani­sche Geheim­dienst in die USA, um ihn zu ermorden. Dieser Versuch konnte vom FBI gestoppt werden. Als das nicht geklappt hat, haben sie ihn versucht ins Ausland zu locken. Als das auch nicht funk­tio­niert hat, haben sie ihn 2020 während der Pandemie entführt. Er war auf einer Geschäfts­reise von Deutsch­land nach Indien unter­wegs. Während eines Zwischen­stopps in Dubai ist er verschwunden. Sie haben ihn in den Iran gebracht und dort sitzt er seither in Isolationshaft.

Der 67-jährige Jamshid Shar­mahd wurde im Sommer 2020 vom irani­schen Geheim­dienst in Dubai fest­ge­nommen und in den Iran gebracht. Shar­mahd wurde im Iran geboren, lebte aber seit den 1980er-Jahren in Deutsch­land. Neben der irani­schen hat Shar­mahd seit 1995 auch die deut­sche Staatsbürgerschaft.

2003 zog der Soft­ware­inge­nieur mit seiner Familie nach Kali­for­nien, wo er sich in der irani­schen Exil-Oppo­si­ti­ons­gruppe Tondar enga­gierte. Tondar lehnt die Isla­mi­sche Repu­blik ab und setzt sich für die Wieder­ein­füh­rung einer Monar­chie ein. Shar­mahd wurde am 21. Februar 2023 wegen „Korrup­tion auf Erden“ in Teheran zum Tod verur­teilt. Seine Tochter Gazelle Shar­mahd setzt sich für die Frei­las­sung ihres Vaters ein.

Warum hat es das irani­sche Regime denn auf Ihren Vater abgesehen?

Was wir Iraner*innen in der Diaspora während der aktu­ellen Proteste machen, hat mein Vater Anfang der 2000er-Jahre gemacht: den Menschen vor Ort eine Stimme geben. Damals gab es weder Twitter noch Insta­gram, damals gab es Webseiten. Mein Vater hat als IT-Inge­nieur eine sehr gute Webseite gebaut, wo Menschen aus dem Iran anonym und unzen­siert berichten konnten, was dort wirk­lich passiert. Da die Presse sehr einge­schränkt ist, war das ein riesiger Dorn im Auge dieses dikta­to­ri­schen Regimes. Sie haben versucht, die Webseite aus dem Weg zu räumen. Als das nicht geklappt hat, haben sie das Gleiche mit meinem Vater versucht.

Was bedeutet das Todes­ur­teil für die Widerstandsbewegung?

Das Kidnap­ping meines Vaters ist eine Message an uns, an die Aktivist*innen, die jetzt laut sind, die den Menschen im Iran eine Stimme geben. Sie wollen uns zeigen, dass das, was meinem Vater passiert ist, auch uns passieren kann. Sie sagen uns damit: „Wir können euch aus dem Ausland entführen, hier­her­bringen, foltern, durch Schau­pro­zesse ziehen, euren Namen in den Schmutz ziehen, euch wie Krimi­nelle darstellen, euch dann ermorden und es ist egal, welche Staats­bür­ger­schaft oder welchen Pass ihr habt. Niemand kann das stoppen.“ Das Schicksal meines Vaters ist eine Terror­nach­richt an uns Iraner*innen in der Diaspora. Sie wollen, dass wir leise sind.

Und warum passiert das gerade jetzt?

Das Regime agiert sehr stra­te­gisch. Mein Vater hat die Todes­strafe bekommen, nachdem das isla­mi­sche Regime bei der Sicher­heits­kon­fe­renz in München aus- und die Oppo­si­tion einge­laden wurde. Das war für sie ein riesiger Schlag ins Gesicht. In Brüssel sind ein paar Tage davor Tausende von Menschen vor dem Euro­päi­schen Gerichtshof auf die Strasse gegangen und haben gefor­dert, dass die Revo­lu­ti­ons­garde auf die Terror­liste kommt. Das sind zwei wich­tige Ereig­nisse, die die Diaspora ermög­licht hat. Deshalb haben sie einem Mitglied der Diaspora die Todes­strafe verhängt.

Was schätzen Sie, wie Ihr Vater mit seiner Situa­tion umgeht?

Mein Vater ist eine sehr starke Person. In den schwie­rig­sten Momenten in seinem Leben hat er immer versucht, stark zu bleiben, sich Mut zu machen, anderen Mut zu machen, immer nach einem Ausweg zu suchen. Er ist Diplom­in­ge­nieur. Typisch für einen Inge­nieur denkt er sehr lösungs­ori­en­tiert. Ich glaube, das gibt ihm jetzt Kraft. In den Gesprä­chen, die ich im letzten Jahr mit ihm geführt habe, hat er uns Mut gemacht und Kraft gegeben.

Aber man darf nicht vergessen: Er ist fast 68 Jahre alt und hat Parkinson. Er ist schwer krank. Er kriegt seine Medi­ka­mente nicht und so lange Zeit in Isola­ti­ons­haft zu sein, macht auch der stärk­sten Person zu schaffen. Deshalb ist es wichtig, dass wir zeitnah etwas bewirken. Selbst wenn sie ihn nicht umbringen würden, könnte er diese unglaub­lich unmensch­liche Situa­tion nicht mehr lange über­stehen. Man sieht auf den Fotos der Schau­pro­zesse, wie dünn er geworden ist und dass ihm die Zähne ausge­schlagen wurden.

Sie geben zurzeit viele Inter­views, sind in den Sozialen Medien aktiv und setzen sich öffent­lich­keits­wirksam für Ihren Vater ein. Wie geht es Ihnen?

Meine Tage sind zurzeit sehr durch­ein­ander. Ich bin im Krisen­zu­stand. Ich habe keinen Alltag mehr. Ich habe kaum Zeit zu essen, zu duschen oder zu schlafen. Am Ende des Tages habe ich immer das Gefühl, dass ich noch nicht genug getan habe. Mir geht es nicht gut. Das ist die schwerste Zeit meines Lebens. Aber auch das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, dass ich gehört werde. Wir versu­chen bereits seit zwei­ein­halb Jahren mehr Öffent­lich­keit für den Fall meines Vaters zu schaffen. Seit 44 Jahren pran­gern wir als irani­sche Diaspora an, dass den Menschen im Iran geholfen werden muss.

Konnten Sie während des Kampfes um Ihren Vater etwas erreichen?

Jetzt haben wir endlich eine Stimme. Das ist erst mal positiv. Ausserdem gibt es uns Mut und Kraft zu sehen, wie die Menschen im Iran auf die Strasse gehen. Wenn ich sehe, dass sie weiter machen, obwohl sie wissen, dass sie erschossen, gefol­tert, verge­wal­tigt oder an den Galgen gebracht werden können. Da riskieren wir im Vergleich nichts. 

Ausserdem hat mir mein Vater das beigebracht: Egal wie viel Druck das Regime auf uns ausübt, wir können uns nicht von unserer Angst stoppen lassen. Wir müssen bei Unrecht hinschauen. Wenn sie uns einschüch­tern, wenn sie uns entführen, dann über­legt man viel­leicht mal, ob man aufhören sollte. Aber ganz im Gegen­teil: Wir müssen weiter­ma­chen! Wir müssen zeigen, dass wir hinter den poli­ti­schen Gefan­genen stehen. Und wir müssen dafür sorgen, dass das niemanden mehr passieren wird. Das ist sehr wichtig für die Zukunft.


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