Das neue Medi­en­ge­setz: Dino­sau­rier auf der Intensivstation

Die Schweizer Medi­en­land­schaft hat ein Problem: Seit Jahren konzen­triert sich die Medi­en­macht in zwei bis drei grossen Konzernen. Daran ändert auch die neue Medi­en­för­de­rung nichts. Ein Kommentar. 
Zeitung auf einer Bank

Im Parla­ment wird derzeit über eine neue Medi­en­för­de­rung gespro­chen. Bislang wird vor allem die Zustel­lung von Print­me­dien geför­dert. Diese haben bereits im Früh­jahr dicke Subven­tionen erhalten, die nun ein weiteres Mal erhöht werden sollen – während die Finan­zie­rung für Online­me­dien weiterhin auf der Kippe steht.

Als ein „Wald­sterben in der Demo­kratie“ bezeich­nete die FAZ die Krise der Schweizer Medi­en­land­schaft Anfang Jahr. Mit der Coro­na­pan­demie hätten sich die Werbe­ein­nahmen noch­mals kräftig verrin­gert, während aber die Abonnent:innenzahl nach oben geschnellt seien. Das Problem, so die FAZ, sei aller­dings, dass Medi­en­kon­zerne viel zu lange auf Werbe­ein­nahmen statt Leser:innenbeiträge gesetzt hatten.

Als Konse­quenz sparten die grossen Konzerne, wo sie konnten, und riefen gleich­zeitig eifrig nach Hilfe. Letz­tere kam sofort. Der Bund griff den Tages­zei­tungen während der Pandemie mit mehreren Millionen Franken unter die Arme: Er betei­ligte sich an den Kosten der Zustel­lung für alle Titel mit einer Auflage von mehr als 40’000 Exemplaren.

Und alle schlugen sie zu. Auch die neoli­be­rale NZZ, welche ach so gerne Staats­sub­ven­tionen kriti­siert, nahm laut Recher­chen der WOZ zusammen mit der CH Media mehr als eine Million Franken in Anspruch. Nachdem sie kurz davor noch Divi­denden für das Jahr 2019 ausge­schüttet hatte. Zumin­dest war die Sofort­hilfe an die Voraus­set­zung geknüpft, dass dies für das Geschäfts­jahr 2020 nicht passieren dürfe.

Trotzdem fanden die findigen Medi­en­kon­zerne noch Spar­po­ten­zial – und zwar bei der Substanz: Die TX Group (ehemals Tamedia) legte vor Kurzem die Redak­tionen vom Bund und der Berner Zeitung zusammen. Berner Medi­en­viel­falt ade, ein weiterer Baum fällt.

Aber die Medi­en­branche ist keine Mono­kultur, und gerade die Jung­bäume streben auf: Die Repu­blik konnte zu Beginn des Jahres den Erfolg vermelden, endlich genü­gend Mitglieder zu haben, um sich selbst zu finan­zieren; das Lamm machte erst­mals in diesem Jahr gute Einnahmen durch Mitglie­der­bei­träge. In der West­schweiz sorgt das neue Online­me­dium Heidi.news gerade mit einer Recherche zu Natio­nal­rätin Isabelle Chevalley für Aufsehen. 

Von wessen Krise reden wir also? Es ist die Krise der alten Dino­sau­rier, die jahre­lang Stellen abbauten, kleine Zeitungen aufkauften und sich durch Werbung finan­zieren liessen. Sie müssen sich plötz­lich einge­stehen, dass ihr Modell nicht mehr funktioniert.

Leider haben aber genau jene Konzerne eine enorme poli­ti­sche Macht. Sie sitzen im Vorstand des Verbandes Schweizer Medien, dem grössten Dach­ver­band hiesiger Medi­en­häuser, und haben durch das Verhalten ihrer CEOs das Medi­en­för­de­rungs­ge­setz blockiert und seine parla­men­ta­ri­sche Weiter­be­hand­lung hinausgezögert, erzählt Camille Roseau. 

Roseau ist Co-Präsi­dentin des alter­na­tiven Verbandes Medien mit Zukunft, bei dem auch das Lamm Mitglied ist. Sie kriti­siert, dass insbe­son­dere ein Medi­en­kon­zern „die eigent­lich gesamt­ge­sell­schaft­lich rele­vante medi­en­po­li­ti­sche Debatte als Gele­gen­heit versteht, die eigenen Inter­essen vorwärts­zu­bringen: die TX Group“. 

Pietro Supino, CEO der Besitzerin des Tages­an­zeigers und der 20 Minuten, und Peter Wanner, CEO der CH Media, haben durch öffent­liche Äusse­rungen im Sommer 2020 eine Verab­schie­dung des neuen Medi­en­ge­setzes torpe­diert. Dies, nachdem die Gratis­me­dien beider Konzerne aus dem Förder­ge­setz ausge­schlossen werden sollten. Um nämlich von den dort defi­nierten Förder­mit­teln zu profi­tieren, müssen Medien sich zumin­dest teil­weise durch Leser:innenbeiträge finan­zieren. Was im Moment weder Watson noch die 20 Minuten tun. 

So wird das Medi­en­ge­setz weiter vertagt. Laut Aussagen von Bernard Maissen, Direktor des Bundes­amtes für Kommu­ni­ka­tion, sei es gut möglich, dass das Medi­en­hilfs­paket bei der heutigen Geschwin­dig­keit der Bera­tungen erst im Jahr 2023 in Kraft treten könnte. Also drei weitere Jahre der Durst­strecke für Onlinemedien. 

Und was macht der Bund? Er kuscht vor alten Dino­sau­riern und finan­ziert weiter jene Medi­en­häuser, die gerne von Markt­an­pas­sung reden, in feuchten Nächten vom Raub­tier­ka­pi­ta­lismus träumen und gleich­zeitig mehr Förder­bei­träge für sich einfor­dern. Nament­lich die Post­ta­xen­ver­bil­li­gung und die Auswei­tung indi­rekter Subven­tionen auf die Früh­zu­stel­lung von Tages­zei­tungen. Kriti­sche und viel­fäl­tige Medi­en­ar­beit geht im Ange­sicht der Inter­essen gewinn­ori­en­tierter Medi­en­kon­zerne den Bach ab. 

Während­dessen haben andere Zeitungen die harte Arbeit über­nommen. Die Repu­blik deckte in letzter Zeit mehrere Skan­dale auf und auch das kleine Lamm konnte in diesem Jahr zeigen, dass der Bund mit Zahlen spielte, um die Finan­zie­rung der Flug­zeug­branche zu rechtfertigen.

Und das mit einem Bruch­teil der Gelder, die anderen Konzernen zur Verfü­gung stehen. Das Lamm brauchte für seine gesamte jour­na­li­sti­sche Tätig­keit im Jahr 2019 gerade einmal 109’633 Franken, also ein Zehntel von dem, was die NZZ an Subven­tionen im Früh­jahr erhalten hat. Man stelle sich nur vor, was möglich wäre, wenn wir solche finan­zi­ellen Möglich­keiten hätten wie jene Blätter.

Dies haben mitt­ler­weile auch einzelne Parlamentarier:innen bemerkt und wollen nun erst­mals auch Online­jour­na­lismus unter­stützen. Dieser ist ein wich­tiges Stand­bein der Schweizer Demo­kratie geworden. Er schafft es, teil­weise voll­kommen ohne Werbung auszu­kommen, und setzt endlich wieder auf die Bezah­lung durch Leser:innen anstatt Konzerne. So sieht Unab­hän­gig­keit aus.

Auch Roseau sieht dies so: Längst würde ein breites Publikum Zeitungsinhalte in digi­taler Form lesen. Man solle aber Verbrei­tungs­formen nicht gegen­ein­ander ausspielen, sondern „im Grund­satz unab­hän­gigen Jour­na­lismus fördern“. Doch dafür braucht es eine Verfas­sungs­än­de­rung. Bis es dazu kommen kann, ist eine Förde­rung für Online­me­dien ein Muss.

 


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