Weiter wie gehabt – einfach mit erneu­er­baren Energien

Reicht ein massiver Ausbau erneu­er­barer Ener­gien aus, um der Klima­ka­ta­strophe zu begegnen? Gerade die Linke müsste sich mit der Frage ausein­an­der­setzen, wie die vorherr­schenden Produk­tions- und Konsum­mu­ster verän­dert werden können. 
Sind Photovoltaik-Anlagen, wie diese in Offingen, die Lösung? (Foto: Unsplash/Andreas Gücklhorn)

Anfang Mai hat der Natio­nalrat mit grosser Mehr­heit einer Motion des SP-Frak­ti­ons­prä­si­denten Roger Nord­mann und des GLP-Natio­nal­rats Martin Bäumle zuge­stimmt, welche den Bundesrat zur Prüfung der Förde­rung soge­nannter Wärme-Kraft-Kopp­lungs­an­lagen (WKK) aufruft. WKK-Anlagen sind dezen­trale Instal­la­tionen, die sowohl Wärme als auch Elek­tri­zität produ­zieren. Vor allem im Winter sollen sie zur Deckung der Strom­nach­frage dienen.

Ange­trieben werden diese WKK-Anlagen mit fossilen Ener­gien. Zwar könnten sie theo­re­tisch auch mit Biogas oder Biodiesel funk­tio­nieren, doch Ener­gie­mi­ni­ster Albert Rösti (SVP) stellte klar, dass solche Anlagen zumin­dest „in einer ersten Phase“ nicht klima­neu­tral betrieben würden.

Mit deut­li­cher Unter­stüt­zung der SP-Frak­tion und der GLP hat der Rat somit dem Bau weiterer fossiler Infra­struk­turen zugestimmt.

Drei grosse Hürden

Jetzt setzen auch Linke auf dreckigen Strom – so titelte die Sonn­tags­zei­tung Mitte April. Tatsäch­lich hat die SP damit jedoch gar keinen so radi­kalen Meinungs­um­schwung voll­zogen. Bereits im Februar letzten Jahres regte die Partei den Bundesrat dazu an, WKK-Anlagen als Ersatz für die geplanten Reser­ve­kraft­werke in Betracht zu ziehen. SP-Energiepolitiker*innen wie Eric Nuss­baumer und Roger Nord­mann spre­chen seit Jahren davon, dass einige Gaskraft­werke oder WKK-Anlagen nötig sein werden, um den Strom­be­darf zu decken.

Die Ausgangs­lage ist nämlich folgende: Bis aller­spä­te­stens 2050 sollte die Schweiz klima­neu­tral sein. Dafür braucht es viel Strom aus erneu­er­baren Ener­gien. Der notwen­dige Umbau der Strom­pro­duk­tion hat jedoch grosse Hürden zu nehmen.

Erstens gilt es den Atom­strom, der im Jahr 2021 insge­samt 28.9 Prozent der inlän­di­schen Strom­pro­duk­tion ausmachte, mit Erneu­er­baren zu ersetzen, wenn – wie vom Bund geplant – die bestehenden Atom­kraft­werke schritt­weise vom Netz genommen werden und keine Neuen gebaut werden.

Zwei­tens muss der erhöhte Strom­be­darf aufgrund der Elek­tri­fi­zie­rung gedeckt werden. Wird aus fossilen Ener­gien ausge­stiegen, steigt aufgrund neuer Gebäu­de­hei­zungen oder Elek­tro­autos die Strom­nach­frage. Ein Grund­la­gen­be­richt der Akade­mien der Natur­wis­sen­schaften (SCNAT) geht davon aus, dass sich die Schweizer Strom­nach­frage aufgrund von Elek­tri­fi­zie­rung und Digi­ta­li­sie­rung ohne Weiteres verdop­peln könnte.

Und drit­tens gilt es, diesen Strom so voll­ständig wie möglich im Inland zu produ­zieren. Dies steht unter anderem im Zusam­men­hang mit einem Entscheid der EU, der die Mitglieds­staaten bis 2025 dazu verpflichtet, 70 Prozent ihrer Strom­netz­ka­pa­zi­täten für den EU-internen Handel zu reser­vieren. EU-Länder könnten dadurch ihren Strom­ex­port in die Schweiz markant einschränken, zumal auch dort Strom­man­gel­lagen entstehen könnten.

Ein Problem ist das vor allem in den Winter­mo­naten, in denen die Schweiz in der Regel mehr Strom impor­tiert als expor­tiert. Im Winter­halb­jahr 2020/2021 wurden netto 1.8 Tera­watt­stunden impor­tiert, das entspricht gut fünf Prozent des Landes­ver­brauchs im selben Zeitraum.

Unter Berück­sich­ti­gung dieser Punkte wird die Befürch­tung eines Strom­man­gels im Winter medial und poli­tisch hoch­ge­kocht. Um die Versor­gungs­si­cher­heit zu gewähr­lei­sten, brauche es unter anderem kleine, schnell ein- und ausschalt­bare Anlagen, die – solange nicht ander­weitig möglich – mit fossilen Ener­gie­trä­gern ange­trieben werden.

Aber kann das wirk­lich die Lösung sein?

Tatsäch­lich könnte es auch ohne fossile Anlagen gehen, progno­sti­ziert die Wissen­schaft. Was die näch­sten Jahre betrifft, hat eine Studie der ZHAW berechnet, dass es zur Gewähr­lei­stung der Versor­gungs­si­cher­heit keine Gaskraft­werke braucht. Auch länger­fri­stig lässt sich eine voll­stän­dige Dekar­bo­ni­sie­rung des Ener­gie­sy­stems umsetzen, ohne die Ener­gie­si­cher­heit zu gefährden, sagen Forschende des Energy Science Center der ETH Zürich. Bei der Frage, welche Voraus­set­zungen es dafür braucht, scheint es auch in der Wissen­schaft unter­schied­liche Szena­rien zu geben.

Suffi­zienz als ener­gie­po­li­ti­scher Hebel

Solche haupt­säch­lich tech­ni­schen Debatten rücken jedoch gesell­schafts­po­li­ti­sche Fragen in den Hinter­grund: Wie viel Energie ist nötig, damit alle ein gutes Leben führen können? Muss der gesamte Indi­vi­du­al­ver­kehr elek­tri­fi­ziert werden? Wie viel beheizter Wohn­raum sollte einer Person zur Verfü­gung stehen? Welche Trans­port­wege für Güter sind ökolo­gisch vertretbar? Zu welcher Mobi­lität können Arbeitgeber*innen ihre Ange­stellten zwingen? Kann sich eine Gesell­schaft Privat­jets und Luxus­villen leisten?

Diese und ähnliche Fragen werden in poli­ti­schen Debatten in der Schweiz gröss­ten­teils vermieden – auch in linken Kreisen. Sehr häufig ist nur von Effi­zi­enz­stei­ge­rungen, also rein tech­ni­schen Lösungen, die Rede. So etwa in der Reso­lu­tion des SP-Partei­tags zur Strom­ver­sor­gungs­si­cher­heit von Anfang 2022.

Wenn wie bei der Ener­gie­spark­am­pagne des Bundes dann doch von einer Reduk­tion der Nach­frage die Rede ist, dann bleibt das meistes auf Appelle an Einzel­per­sonen beschränkt. Lieber die Leute dazu aufrufen kürzer zu duschen, statt darüber nach­denken, wie der Ener­gie­be­darf in der Indu­strie oder im Verkehrs­sektor nach­haltig gesenkt werden kann.

Doch genau diese struk­tu­relle Reduk­tion des Bedarfs wäre ein grosser ener­gie­po­li­ti­scher Hebel: Suffi­zienz wird das im Fach­jargon genannt. Studien dazu gibt es für die Schweiz nur wenige. Der Verein Nega­watt hat berechnet, dass sich mit Suffi­zi­enz­mass­nahmen bis 2050 in der Schweiz circa 20 Prozent des Endener­gie­ver­brauchs von 2020 einsparen liessen.

Was ist ein gutes Leben?

Noch radi­ka­lere Vorschläge macht eine Gruppe von Forscher*innen um die Lausanner Sozi­al­öko­login Julia Stein­berger. In einer Studie haben sie gezeigt, dass selbst bei einer Reduk­tion des globalen Ener­gie­ver­brauchs um 60 Prozent alle Menschen auf der Welt ein gutes Leben führen könnten.

Was heisst gut? Sie hätten genü­gend zu Essen, eine wohl­tem­pe­rierte Wohnung, könnten sich mit öffent­li­chen Verkehrs­mit­teln, nicht-moto­ri­sierten Fahr­zeugen und einer beschränkten Zahl von Privat­autos und Flug­zeugen fort­be­wegen. Für ener­gie­hung­rige Länder wie die Schweiz wäre die Reduk­tion noch deut­lich grösser.

Damit ist zwar noch nichts über konkrete poli­ti­sche Mass­nahmen gesagt, doch solche Gedan­ken­ex­pe­ri­mente regen dazu an, etablierte Vorstel­lungen von einem guten Leben für alle grund­le­gend zu hinterfragen.

Wer hingegen solchen Diskus­sionen aus dem Weg geht, vermit­telt den Eindruck, das Leben könne auch nach einer Dekar­bo­ni­sie­rung gröss­ten­teils weiter­gehen wie bisher. Aussagen wie jene von Eric Nuss­baumer, es werde keine Revo­lu­tion auf uns zukommen, klingen in diesem Zusam­men­hang eher nach einem besänf­ti­genden Wunschdenken.

Ähnlich liest es sich in Roger Nord­manns Buch „Sonne für den Klima­schutz. Ein Solar­plan für die Schweiz“ aus dem Jahr 2019: Der Umstieg auf Erneu­er­bare müsse „für alle ohne Einbussen beim Komfort geschehen, bezie­hungs­weise einen ange­mes­senen Lebens­stan­dard für jene schaffen, die ihn noch nicht haben“. Welcher Komfort damit gemeint ist und ob dabei auch jener der reich­sten Schweizer*innen zu schützen ist, beant­wortet Nord­mann in diesem Buch nicht.

Ein natio­naler Blick

Dahinter steckt wohl ein stra­te­gi­scher Entscheid. „Appelle an Suffi­zienz verpuffen, bringen wenig, sind nicht mehr­heits­fähig und für Poli­tiker voll­kommen un-sexy“, erklärt etwa der ehema­lige SP-Natio­nalrat und Ener­gie­ex­perte Rudolf Rech­steiner gegen­über das Lamm.

Für ihn ist Suffi­zienz eine durchaus rele­vante, aber letzt­end­lich private Entschei­dung. Auf der poli­ti­schen Ebene sei es hingegen „unter den heutigen Bedin­gungen grund­le­gend falsch“, den Strom­ver­brauch redu­zieren zu wollen. Das sei auch gar nicht nötig, da sowieso genü­gend Solar­strom verfügbar wäre und eine Reduk­tion des Strom­ver­brauchs dank Effi­zi­enz­mass­nahmen bereits einge­setzt habe. Als „einhei­mi­sches Öl“, das weder stinkt noch CO2 emit­tiert, bezeichnet Rech­steiner in seinem Buch „Die Ener­gie­wende im Warte­saal“ den Strom aus Photovoltaikanlagen.

So wird die Erzeu­gung von ausrei­chend erneu­er­barem Strom als rein tech­ni­sches Problem darge­stellt. Es wird unter­schlagen, dass auch die Instal­la­tion von Photo­vol­ta­ik­an­lagen und der Ausbau der Wasser­kraft­re­serven poli­ti­sche Abwä­gungen erfor­dern – etwa jene zwischen Land­schafts­schutz und Klimaschutz.

Vor allem geht vergessen, dass auch Produzent*innen von Erneu­er­baren Ener­gien von globalen Mate­ri­al­flüssen abhängig sind. Durch den globalen Ausbau von „sauberen“ Tech­no­lo­gien werde etwa die welt­weite Lithium-Nach­frage bis 2040 um das 40-fache ansteigen, progno­sti­ziert die Inter­na­tio­nale Ener­gie­agentur. Das führt bereits jetzt zu lokalen Umwelt­kon­flikten und geopo­li­ti­schen Span­nungen. Auch eine nach­hal­tige Ener­gie­pro­duk­tion kann auf neoko­lo­nialer Ausbeu­tung beruhen.

Mit ihrer neuen „natio­nalen Lithi­um­stra­tegie“ möchte zum Beispiel die chile­ni­sche Regie­rung ihre Kontrolle über die Lithium-Förde­rung ausbauen und öffent­lich-private Part­ner­schaften fördern. Gleich­zeitig gibt es in ganz Latein­ame­rika – wo 60 Prozent der welt­weiten Lithium-Vorkommen liegen – Wider­stände gegen die umwelt­zer­stö­re­ri­schen Folgen des Lithium-Abbaus. Ohne eine Trans­for­ma­tion der Produk­tions- und Konsum­mu­ster, werde auch eine dekar­bo­ni­sierte Wirt­schaft globale Ungleich­heiten und Umwelt­zer­stö­rung verur­sa­chen, meint Thea Riofrancos, Expertin für Ressour­cen­abbau in Lateinamerika.

Unan­ge­nehme Fragen

Die linken Befürworter*innen von WKK-Anlagen liegen inso­fern richtig, als dass vor allem ein massiver Ausbau erneu­er­barer Strom­pro­duk­tion mass­geb­lich ist. Selbst wenn dann noch einige WKK-Anlagen spora­disch in Betrieb stünden: Der gesamt­hafte CO2-Ausstoss würde dennoch radikal sinken.

Wir müssen uns jedoch die Frage stellen, was geschieht, wenn sich der geplante Ausbau der erneu­er­baren Ener­gie­pro­duk­tion aus poli­ti­schen oder tech­ni­schen Gründen verzö­gert, die dafür nötigen Handels­flüsse ins Stocken geraten oder auch die Anliegen von Umwelt­be­we­gungen im Globalen Süden, die gegen den Abbau seltener Metalle kämpfen, in die ener­gie­po­li­ti­schen Erwä­gungen mitein­be­zogen würden. 

Wenn sich die Hoff­nung auf einen Über­fluss an erneu­er­barem Strom als Illu­sion erweist, stellen sich unan­ge­nehmen Fragen, auch für die Linke. Diese müsste aufzeigen, dass zwar ein gutes Leben für alle auch bei Einhal­tung der plane­taren Grenzen möglich ist. Aber nur unter der Voraus­set­zung, dass wir die Art zu produ­zieren und zu konsu­mieren radikal verän­dern. Es ist zu bezwei­feln, ob jene dieser Aufgabe gewachsen sind, die lieber so tun, als könnte es gröss­ten­teils weiter­gehen wie gehabt – einfach mit erneu­er­baren Energien.


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