Die guten Neuigkeiten als Erstes: Die Stimmbevölkerung hat die beiden Mietrechtsvorlagen abgelehnt. Sie hätten Details im Mietrecht neu geregelt – etwa wann Eigentümer*innen die Untermiete ablehnen oder Eigenbedarf geltend machen dürfen.
Am letzten Sonntag hat die Stimmbevölkerung vor allem verhindert, dass Vermieter*innen noch mehr Kündigungsgründe kriegen und ihre Position vor Gericht insgesamt gestärkt wäre. Dass letzteres das Ziel war, hat SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann in der SRF-Arena selbst, fast stolz, eingeräumt: „Man hat versucht, eine Praxisänderung zugunsten des Eigentümers hinzukriegen.“
Der Teufel steckt dieses Mal aber nicht nur in den Details – dem Inhalt der beiden Vorlagen –, sondern auch im Kontext. Was die Bürgerlichen noch in der Pipeline haben, ist nichts weniger als ein gestaffelter Angriff auf die Rechte der Mieter*innen. Umso frecher ist, dass dieser Angriff dann geschieht, wenn die Schweizer Bevölkerung die Wohnungskrise mehr und mehr zu spüren bekommt.
Nur zwei von vielen Vorstössen
Die abgelehnten Vorlagen zur Untermiete und zum Eigenbedarf sind seit Jahren Thema im Parlament. Beide gehören einer Reihe von Vorstössen aus bürgerlichen Reihen an. Ursprünglich sollten die Mietrechtsvorstösse als Paket behandelt werden, doch das bürgerlich dominierte Parlament teilte sie auf. Das scheint strategisch darauf angelegt zu sein, ihre eigentliche Absicht zu verschleiern.
Voraussichtlich werden Anfang Dezember im Nationalrat zwei weitere Vorlagen behandelt: Eine, die die Anfechtung des Anfangsmietzinses einschränken soll, und eine, die beweisbare Kriterien für die Orts- und Quartierüblichkeit der Mieten schaffen will – Vermieter*innen könnten so selbst ausgewählte Vergleichsmieten anbringen, um den Mietzinses zu begründen.
Ein weiterer Vorstoss, der den Renditedeckel erhöhen sollte, hat sich erübrigt. Als Renditedeckel wird der maximale Profit, der mit Vermietung gemacht werden darf, bezeichnet. Lag der Renditedeckel ursprünglich nur 0.5 Prozent über dem Referenzzinssatz – der durchschnittliche Zinssatz aller Hypotheken in der Schweiz –, wurde er nun durch ein Bundesgerichtsurteil auf zwei Prozent angehoben. Damit können Vermieter*innen deutlich mehr, rechtlich legalen, Profit machen.
Mietzinse werden allerdings auch illegal erhöht – und das mit System. Mitte-Rechts im Parlament setzt sich dafür ein, dieses Vorgehen zu legalisieren. Denn hinter allen Vorstössen versteckt sich ein Schlagwort: die Marktmiete. Ein System, in dem sich Mietzinse am freien Markt ausrichten, wird von den Bürgerlichen wieder und wieder angestrebt – wenn auch vorsichtig.
Der Vorstoss zur Quartierüblichkeit ist ein Paradebeispiel dafür. In der Schweiz richtet sich die Mietzinsgestaltung, zumindest laut Gesetz, an der Kostenmiete aus – und nicht an den Mietpreisen anderswo im Quartier oder Ort. Diese Vorlage ist also ein direkter Angriff auf die Kostenmiete und somit auf einen wichtigen Pfeiler des Mieter*innenschutzes. Daraus noch mehr Profit schlagen zu wollen ist ebenso gefährlich wie frech.
Designfehler im System
Das Problem ist: Dieser Pfeiler des Mieter*innenschutzes bröckelt. Wer etwa in Zürich eine Wohnung sucht, merkt schnell, dass das mit dem Renditedeckel nicht ganz aufgehen kann.
Laut Mietpreiserhebung der Stadt Zürich liegt die durchschnittliche Nettomiete einer gemeinnützigen 2‑Zimmer-Wohnung bei 932 Franken. Nicht gemeinnützige, „überwiegend private“ 2‑Zimmer-Wohnungen kosten durchschnittlich 1‘578 Franken. Die Stadt schreibt dazu, dass bei den gemeinnützigen Wohnungen das Prinzip der Kostenmiete gilt. Das erstaunt: Schliesslich gilt die Kostenmiete per Gesetz für alle.
Die Stadt orientiert sich zwar strenger an der Kostenmiete als die Privaten – sie hat gar keine Gewinnabsicht – aber die Kostenmiete gilt trotz eines gewissen Spielraumes in der Mitzinsgestaltung für alle.
Die Mietpreiserhebung der Stadt Zürich zeigt auch, dass es eine Lücke zwischen den teuersten gemeinnützigen Wohnungen und den günstigsten nicht gemeinnützigen Wohnungen gibt: Bei ersteren kostet eine 2‑Zimmer-Wohnung 1165 Franken pro Monat, bei letzteren 1281 Franken. Wie kann das sein? Die Betriebskosten sind ja nicht automatisch viel höher, wenn eine Wohnung privat ist.
Der Grund: Effektiv – und illegalerweise – herrscht in Zürich bei den Privaten die Marktmiete. Anders können diese Preisunterschiede gar nicht zustande kommen. Und möglich ist das nur, weil niemand die Vermieter*innen kontrolliert. Die Renditen werden nämlich nicht automatisch überprüft, sondern nur in bestimmten Fällen durch die Schlichtungsbehörde.
Das Kontrollorgan sind also die Betroffenen selbst: die Mieter*innen. Sie müssen aber Geld, Wissen und ein Netzwerk haben, um sich gegen illegale Mietbedingungen vor Gericht zu wehren – ein krasser Designfehler im System.
Ein solcher Fehler ist besonders gravierend in einer Stadt wie Zürich, in der dieses gegenseitige Hochschaukeln der Mietzinse sozusagen zur vermieterischen Praxis zu gehören scheint. Dass die Mieter*innen das eigentliche Kontrollorgan sind, gilt aber schweizweit.
Die Wunschliste der Bürgerlichen
Mit den beiden – zwar gescheiterten – Mietrechtsvorlagen und der Anhebung des Renditedeckels haben die Bürgerlichen jedenfalls noch nicht genug.
Was das Parlament demnächst behandelt, ist besonders perfide. Die Anfechtung des Anfangsmietzinses soll eingeschränkt werden – obwohl oder gerade weil das einer von den wenigen Zeitpunkten ist, an dem die Mieter*innen die Rendite vor Gericht prüfen lassen können. Und die Marktmiete soll mit dem Vorstoss zur Orts- und Quartierüblichkeit faktisch legalisiert werden.
Diese Wunschliste an Mietrechtsvorstössen wird nicht dem Weihnachtsmann vorgelegt, sondern dem Parlament. Und in Bern gibt es eine bürgerliche Mehrheit, die den Inhalt dieser wohnpolitischen Wunschliste ideologisch unterstützt. Die Konsequenzen dieser Wohnpolitik wären: mehr Freiheit in der Mietzinsgestaltung, schlechtere Karten als Mieter*in vor Gericht, mehr potenzielle Mieter*innenwechsel. Und mehr Wechsel bedeuten letztendlich teurere Mieten.
Zwar wird die Stimmbevölkerung kaum den ganzen bürgerlichen Wunschkatalog annehmen. Aber hier geht es nicht darum, wie die Schweiz abstimmt, sondern wie realitätsfern die Mehrheit des Parlaments Politik betreibt.
Wohnpolitischer Status quo
Im Mai demonstrierten in Zürich Tausende gegen den Wohnungsmangel und die steigenden Mieten. In der ganzen Schweiz ist Wohnraum Mangelware, freie Wohnungen werden knapper: Im Juni 2021 standen schweizweit noch rund 71‘000 Wohnungen leer, heute sind es 20‘000 weniger. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt kriselt massiv – gerade von Armut betroffene Menschen spüren die Folgen besonders stark.
Es gibt durchaus Massnahmen gegen die steigenden Mieten. Die Stadt Zürich etwa plant, bis 2050 einen Drittel der Wohnungen auf dem Stadtgebiet gemeinnützig zu machen. Im bigger picture der Wohnpolitik haben solche staatlichen Massnahmen bis jetzt aber wenig Wirkung. Staatliche Regulierung fehlt weitgehend, und die Kontrolle der Mietpreise wird noch immer auf die Betroffenen selbst abgewälzt.
Der aktuelle Zustand ist das Ergebnis jahrzehntelanger neoliberaler Wohnpolitik. Das System belohnt Vermieter*innen, die Gesetze ignorieren, und lässt Mieter*innen allein. Wer Geld und Ressourcen hat, kann sich vielleicht zur Wehr setzen und für seine Rechte einstehen – automatisch passiert das aber nicht.
Die Kritik der Gegner*innen im letzten Abstimmungskampf ist wichtig, um zu illustrieren, um was es momentan geht: Mieter*innen einfacher rauswerfen zu können. Die Ablehnung der beiden Vorlagen am Sonntag ist ein wichtiger Schritt, doch sie reicht nicht aus.
Ebenso wichtig ist es, die Mieter*innen – mit 58 Prozent mehr als die Hälfte der Bevölkerung – zu informieren, wie die Vision von Mitte bis rechts, die die Parlamente dominiert, genau aussieht. Diese Vision, wie wir wohnen sollen, ist oft harmlos verpackt, aber dystopisch.
Es braucht Wissen, um die Teilstücke dieser Vision als solche zu erkennen. Dafür braucht es Vernetzung – was eigentlich eine gute Voraussetzung dafür ist, um Mieter*innen in ihrer Rolle als Kontrollorgan in Sachen Mietrecht zu stärken. Es gibt Möglichkeiten, um sich zu wehren – sei das der politische Weg – Petitionen, Initiativen und Referenden – oder der Gang vor die Schlichtungsbehörde. Und es könnte auch neues entwickelt werden, zum Beispiel ein Anfangsmietzinsmelder ähnlich zum Leerstandsmelder wäre allermindestens eine interessante Datensammlung. Auf jeden Fall: Das Kontrollorgan umfasst mehr als die Hälfte der Bevölkerung – und eine Mehrheit kann immer dafür sorgen, dass nicht alles beim Alten bleibt.
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