Der Angriff auf das Miet­recht geht weiter

Der Wohnungs­markt kriselt, und die Mieter*innen spüren die Folgen immer deut­li­cher. Umso drei­ster war das Vorla­ge­paket, das den Mieter*innenschutz schwä­chen wollte. Die abge­lehnten Vorlagen waren aber nur der Auftakt der bürger­li­chen Offen­sive zugun­sten der Eigentümer*innen.
Um den Status quo zu verändern, müssen sich die Mieter*innen kollektiv organisieren. (Bild: Edi Bouazza / Unsplash)

Die guten Neuig­keiten als Erstes: Die Stimm­be­völ­ke­rung hat die beiden Miet­rechts­vor­lagen abge­lehnt. Sie hätten Details im Miet­recht neu gere­gelt – etwa wann Eigentümer*innen die Unter­miete ablehnen oder Eigen­be­darf geltend machen dürfen.

Am letzten Sonntag hat die Stimm­be­völ­ke­rung vor allem verhin­dert, dass Vermieter*innen noch mehr Kündi­gungs­gründe kriegen und ihre Posi­tion vor Gericht insge­samt gestärkt wäre. Dass letz­teres das Ziel war, hat SVP-Natio­nal­rätin Barbara Stei­ne­mann in der SRF-Arena selbst, fast stolz, einge­räumt: „Man hat versucht, eine Praxis­än­de­rung zugun­sten des Eigen­tü­mers hinzukriegen.“

Der Teufel steckt dieses Mal aber nicht nur in den Details – dem Inhalt der beiden Vorlagen –, sondern auch im Kontext. Was die Bürger­li­chen noch in der Pipe­line haben, ist nichts weniger als ein gestaf­felter Angriff auf die Rechte der Mieter*innen. Umso frecher ist, dass dieser Angriff dann geschieht, wenn die Schweizer Bevöl­ke­rung die Wohnungs­krise mehr und mehr zu spüren bekommt.

Nur zwei von vielen Vorstössen

Die abge­lehnten Vorlagen zur Unter­miete und zum Eigen­be­darf sind seit Jahren Thema im Parla­ment. Beide gehören einer Reihe von Vorstössen aus bürger­li­chen Reihen an. Ursprüng­lich sollten die Miet­rechts­vor­stösse als Paket behan­delt werden, doch das bürger­lich domi­nierte Parla­ment teilte sie auf. Das scheint stra­te­gisch darauf ange­legt zu sein, ihre eigent­liche Absicht zu verschleiern.

Voraus­sicht­lich werden Anfang Dezember im Natio­nalrat zwei weitere Vorlagen behan­delt: Eine, die die Anfech­tung des Anfangs­miet­zinses einschränken soll, und eine, die beweis­bare Krite­rien für die Orts- und Quar­tier­üb­lich­keit der Mieten schaffen will – Vermieter*innen könnten so selbst ausge­wählte Vergleichs­mieten anbringen, um den Miet­zinses zu begründen.

Ein weiterer Vorstoss, der den Rendi­te­deckel erhöhen sollte, hat sich erüb­rigt. Als Rendi­te­deckel wird der maxi­male Profit, der mit Vermie­tung gemacht werden darf, bezeichnet. Lag der Rendi­te­deckel ursprüng­lich nur 0.5 Prozent über dem Refe­renz­zins­satz – der durch­schnitt­liche Zins­satz aller Hypo­theken in der Schweiz –, wurde er nun durch ein Bundes­ge­richts­ur­teil auf zwei Prozent ange­hoben. Damit können Vermieter*innen deut­lich mehr, recht­lich legalen, Profit machen. 

Wer in Zürich eine Wohnung sucht, merkt schnell, dass das mit dem Rendi­te­deckel nicht ganz aufgehen kann. 

Miet­zinse werden aller­dings auch illegal erhöht – und das mit System. Mitte-Rechts im Parla­ment setzt sich dafür ein, dieses Vorgehen zu lega­li­sieren. Denn hinter allen Vorstössen versteckt sich ein Schlag­wort: die Markt­miete. Ein System, in dem sich Miet­zinse am freien Markt ausrichten, wird von den Bürger­li­chen wieder und wieder ange­strebt – wenn auch vorsichtig. 

Der Vorstoss zur Quar­tier­üb­lich­keit ist ein Para­de­bei­spiel dafür. In der Schweiz richtet sich die Miet­zins­ge­stal­tung, zumin­dest laut Gesetz, an der Kosten­miete aus – und nicht an den Miet­preisen anderswo im Quar­tier oder Ort. Diese Vorlage ist also ein direkter Angriff auf die Kosten­miete und somit auf einen wich­tigen Pfeiler des Mieter*innenschutzes. Daraus noch mehr Profit schlagen zu wollen ist ebenso gefähr­lich wie frech.

Design­fehler im System

Das Problem ist: Dieser Pfeiler des Mieter*innenschutzes bröckelt. Wer etwa in Zürich eine Wohnung sucht, merkt schnell, dass das mit dem Rendi­te­deckel nicht ganz aufgehen kann. 

Laut Miet­preis­er­he­bung der Stadt Zürich liegt die durch­schnitt­liche Netto­miete einer gemein­nüt­zigen 2‑Zimmer-Wohnung bei 932 Franken. Nicht gemein­nüt­zige, „über­wie­gend private“ 2‑Zimmer-Wohnungen kosten durch­schnitt­lich 1‘578 Franken. Die Stadt schreibt dazu, dass bei den gemein­nüt­zigen Wohnungen das Prinzip der Kosten­miete gilt. Das erstaunt: Schliess­lich gilt die Kosten­miete per Gesetz für alle.

Die Stadt orien­tiert sich zwar strenger an der Kosten­miete als die Privaten – sie hat gar keine Gewinn­ab­sicht – aber die Kosten­miete gilt trotz eines gewissen Spiel­raumes in der Mitzins­ge­stal­tung für alle. 

In Zürich gehört dieses gegen­sei­tige Hoch­schau­keln der Miet­zinse zur vermie­te­ri­schen Praxis.

Die Miet­preis­er­he­bung der Stadt Zürich zeigt auch, dass es eine Lücke zwischen den teuer­sten gemein­nüt­zigen Wohnungen und den günstig­sten nicht gemein­nüt­zigen Wohnungen gibt: Bei ersteren kostet eine 2‑Zimmer-Wohnung 1165 Franken pro Monat, bei letz­teren 1281 Franken. Wie kann das sein? Die Betriebs­ko­sten sind ja nicht auto­ma­tisch viel höher, wenn eine Wohnung privat ist. 

Der Grund: Effektiv – und ille­ga­ler­weise – herrscht in Zürich bei den Privaten die Markt­miete. Anders können diese Preis­un­ter­schiede gar nicht zustande kommen. Und möglich ist das nur, weil niemand die Vermieter*innen kontrol­liert. Die Renditen werden nämlich nicht auto­ma­tisch über­prüft, sondern nur in bestimmten Fällen durch die Schlichtungsbehörde. 

Das Kontroll­organ sind also die Betrof­fenen selbst: die Mieter*innen. Sie müssen aber Geld, Wissen und ein Netz­werk haben, um sich gegen ille­gale Miet­be­din­gungen vor Gericht zu wehren – ein krasser Design­fehler im System.

Ein solcher Fehler ist beson­ders gravie­rend in einer Stadt wie Zürich, in der dieses gegen­sei­tige Hoch­schau­keln der Miet­zinse sozu­sagen zur vermie­te­ri­schen Praxis zu gehören scheint. Dass die Mieter*innen das eigent­liche Kontroll­organ sind, gilt aber schweizweit.

Die Wunsch­liste der Bürgerlichen

Mit den beiden – zwar geschei­terten – Miet­rechts­vor­lagen und der Anhe­bung des Rendi­te­deckels haben die Bürger­li­chen jeden­falls noch nicht genug. 

Was das Parla­ment demnächst behan­delt, ist beson­ders perfide. Die Anfech­tung des Anfangs­miet­zinses soll einge­schränkt werden – obwohl oder gerade weil das einer von den wenigen Zeit­punkten ist, an dem die Mieter*innen die Rendite vor Gericht prüfen lassen können. Und die Markt­miete soll mit dem Vorstoss zur Orts- und Quar­tier­üb­lich­keit faktisch lega­li­siert werden. 

Der aktu­elle Zustand ist das Ergebnis jahr­zehn­te­langer neoli­be­raler Wohnpolitik. 

Diese Wunsch­liste an Miet­rechts­vor­stössen wird nicht dem Weih­nachts­mann vorge­legt, sondern dem Parla­ment. Und in Bern gibt es eine bürger­liche Mehr­heit, die den Inhalt dieser wohn­po­li­ti­schen Wunsch­liste ideo­lo­gisch unter­stützt. Die Konse­quenzen dieser Wohn­po­litik wären: mehr Frei­heit in der Miet­zins­ge­stal­tung, schlech­tere Karten als Mieter*in vor Gericht, mehr poten­zi­elle Mieter*innenwechsel. Und mehr Wechsel bedeuten letzt­end­lich teurere Mieten. 

Zwar wird die Stimm­be­völ­ke­rung kaum den ganzen bürger­li­chen Wunsch­ka­talog annehmen. Aber hier geht es nicht darum, wie die Schweiz abstimmt, sondern wie reali­täts­fern die Mehr­heit des Parla­ments Politik betreibt. 

Wohn­po­li­ti­scher Status quo

Im Mai demon­strierten in Zürich Tausende gegen den Wohnungs­mangel und die stei­genden Mieten. In der ganzen Schweiz ist Wohn­raum Mangel­ware, freie Wohnungen werden knapper: Im Juni 2021 standen schweiz­weit noch rund 71‘000 Wohnungen leer, heute sind es 20‘000 weniger. Die Lage auf dem Wohnungs­markt kriselt massiv – gerade von Armut betrof­fene Menschen spüren die Folgen beson­ders stark.

Es gibt durchaus Mass­nahmen gegen die stei­genden Mieten. Die Stadt Zürich etwa plant, bis 2050 einen Drittel der Wohnungen auf dem Stadt­ge­biet gemein­nützig zu machen. Im bigger picture der Wohn­po­litik haben solche staat­li­chen Mass­nahmen bis jetzt aber wenig Wirkung. Staat­liche Regu­lie­rung fehlt weit­ge­hend, und die Kontrolle der Miet­preise wird noch immer auf die Betrof­fenen selbst abgewälzt. 

Der aktu­elle Zustand ist das Ergebnis jahr­zehn­te­langer neoli­be­raler Wohn­po­litik. Das System belohnt Vermieter*innen, die Gesetze igno­rieren, und lässt Mieter*innen allein. Wer Geld und Ressourcen hat, kann sich viel­leicht zur Wehr setzen und für seine Rechte einstehen – auto­ma­tisch passiert das aber nicht.

Die Kritik der Gegner*innen im letzten Abstim­mungs­kampf ist wichtig, um zu illu­strieren, um was es momentan geht: Mieter*innen einfa­cher raus­werfen zu können. Die Ableh­nung der beiden Vorlagen am Sonntag ist ein wich­tiger Schritt, doch sie reicht nicht aus.

Ebenso wichtig ist es, die Mieter*innen – mit 58 Prozent mehr als die Hälfte der Bevöl­ke­rung – zu infor­mieren, wie die Vision von Mitte bis rechts, die die Parla­mente domi­niert, genau aussieht. Diese Vision, wie wir wohnen sollen, ist oft harmlos verpackt, aber dystopisch. 

Es braucht Wissen, um die Teil­stücke dieser Vision als solche zu erkennen. Dafür braucht es Vernet­zung – was eigent­lich eine gute Voraus­set­zung dafür ist, um Mieter*innen in ihrer Rolle als Kontroll­organ in Sachen Miet­recht zu stärken. Es gibt Möglich­keiten, um sich zu wehren – sei das der poli­ti­sche Weg – Peti­tionen, Initia­tiven und Refe­renden – oder der Gang vor die Schlich­tungs­be­hörde. Und es könnte auch neues entwickelt werden, zum Beispiel ein Anfangs­miet­zins­melder ähnlich zum Leer­stands­melder wäre aller­min­de­stens eine inter­es­sante Daten­samm­lung. Auf jeden Fall: Das Kontroll­organ umfasst mehr als die Hälfte der Bevöl­ke­rung – und eine Mehr­heit kann immer dafür sorgen, dass nicht alles beim Alten bleibt.



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