Für den Tages-Anzeiger und die Süddeutsche Zeitung schreibt Grossbritannien-Korrespondentin Cathrin Kahlweit über die britische Abgeordnete Dawn Butler. Sie beschreibt in ihrem Text, wie die Politikerin seit Jahren wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert und bedroht wird. Während der Black-Lives-Matter-Proteste hat sich Butler öffentlich geäussert. Sie erhält seither täglich Gewalt- und Todesdrohungen.
Der Artikel ist umfassend, enthält Hintergrundinformationen zu Butlers Person und ihrem politischen Werdegang. Aber der Text über den Rassismus, den Dawn Butler erlebt, ist vor allem selbst ein Beispiel dafür, wie präsent und gegenwärtig der koloniale Blick in unseren Köpfen immer noch ist.
Butlers „lange Mähne“ und „markante Nase“
Cathrin Kahlweit bedient sich einer Vielzahl rassistischer Klischees. Schon im Lead nennt sie Butler als „Tochter jamaikanischer Einwanderer“ – und macht sie vorneweg gleich einmal zur Nicht-Engländerin. Darauf beschreibt die Autorin mehrmals das Aussehen der englischen Spitzenpolitikerin. Zur Sprache kommen als erstes Butlers Haare, die „zu winzigen Zöpfen geflochten“ sind, und anschliessend Butlers „lange Mähne“ und „markante Nase“.
Kahlweits Blick auf die Schwarze Politikerin widerspiegelt koloniale, „rassifizierende“ Narrative, denen sich weisse Menschen des Öfteren bedienen, wenn sie über BIPoC schreiben. Aussagen wie „trägt lange, zu winzigen Zöpfen geflochtene Locken“ reproduzieren die Sichtweise, dass ‚Weisssein‘ einer Norm entspricht. Und alles, was von diesem ‚Weisssein‘ abweicht, wird als ‚anders‘ dargestellt oder ‚exotisiert‘.
Auch die Metapher „lange Mähne“ für die Haare der Abgeordneten ist mehr als fehlplatziert. Solch animalisierende Attribute wurden nicht zuletzt verwendet, als Schwarze Menschen öffentlich ausgestellt und als ‚tierähnliche Wesen‘ vorgeführt wurden, um das Selbstbild der weissen als ‚hochentwickelt‘ gegenüber der Vorstellung von Schwarzen als ‚minderentwickelt‘ zu festigen – so auch in der Schweiz im 19. Jahrhundert.
Darauf zu hinterfragen, weshalb Butler in einem fast ausschliesslich weissen Parlament politisiert, verzichtet Kahlweit derweil. Und weil sich die Autorin beim Beschrieb der Politikerin selbst solcher Klischees bedient, wiegt die Tatsache, dass sie die Peiniger nicht anprangert, noch schwerer.
Dass Dawn Butler in Grossbritannien rassistisch diskriminiert wird, lässt sich nicht mit einer ‚Andersartigkeit‘ ihrerseits begründen. Aber der Text im Tages-Anzeiger scheint genau das zu versuchen.
„Rassismus als schlechte Erfahrung abgetan“
Butlers Mitstreiter im britischen Parlament beschreibt sie als ein „Parlament, in dem bis heute sehr viele weisse Männer aus gut situierten Familien mit Privatschulhintergrund sitzen“. Ein Beschrieb mit durchgehend positiven Attributen. Doch dass einzelne dieser Männer Butler im Fahrstuhl darauf hinweisen, dass „dieser Aufzug nicht für Putzfrauen ist“, kommt erst zwei Absätze später zur Sprache. Kahlweit beschreibt diese Vorfälle als „schlechte Erfahrungen“ Butlers. Auch hier: Anstatt das Verhalten der Täter zu thematisieren, wird der Rassismus in der Erfahrungswelt der Unterdrückten verortet.
Eigentliches Thema des Texts wäre, dass Schwarze Abgeordnete in England bis auf den Tod bedroht werden. Butler selbst trifft sich seit ihrer Exponierung an den Black-Lives-Matter-Protesten im Juni nur noch auf öffentlichen Plätzen mit Bürger*innen – aus Sicherheitsgründen. 2018 sei eine Feuerwerksrakete in ihr Wahlkreisbüro abgefeuert worden, aber für die englische Polizei „hätten die Bedrohungen nicht für Personenschutz gereicht“, wie Kahlweit im Text erwähnt. Wieso beschreibt der Artikel das Aussehen von Butler, statt ihren fehlenden Polizeischutz zu thematisieren? Das Wahlkreisbüro hat sie inzwischen geschlossen.
Stattdessen schreibt die Autorin zum Schluss noch über die „Bissigkeit“ der Politikerin und bedient damit das Klischee der „Angry Black Woman“. Ein sozialer Kontrollmechanismus, um Schwarze Frauen mundtot zu machen, wenn sie Missstände oder Diskriminierung anprangern. Zudem charakterisiert es Schwarze Frauen als schlecht gelaunt, feindselig und übermässig aggressiv.
Das Narrativ ist nicht zuletzt auch sexistisch: Würde Kahlweit auch so über einen Mann schreiben? Und sind es nicht primär Tiere, die beissen?
Sprache reproduziert Rassismus
Gerade von meinen weissen Berufskolleg*innen erwarte ich spätestens jetzt, da der BLM-Diskurs unüberhörbar ist, dass sie auf ihren Sprachgebrauch achten, wenn sie über BIPoC oder Rassismus schreiben. Oder dass sich die Redaktionen wenigstens ein darauf sensibilisiertes Lektorat anschaffen.
Diese Replik soll kein Schimpf von Journalistin zu Journalistin sein. Vielmehr soll sie aufzeigen, dass es mehr als ein paar #blackouttuesday-Instagram-Posts braucht, wenn wir Rassismus aus unserer Gesellschaft und unserem Leben verbannen wollen. Sie soll zeigen, wie präsent Rassismus in unserem Alltag und in unserer Sprache ist.
Sprache reproduziert Rassismus, und Medien kreieren Wirklichkeit. Wenn sich an unserer Wirklichkeit etwas ändern soll, dann braucht es auch mehr Diversität in den Medien. Wenigstens hat sich seit Neustem ein Teil der weissen Gemeinschaft dazu entschlossen, uns BIPoC zuzuhören. Das macht alle weissen Kolleg*innen, die jetzt noch so über uns schreiben, schlicht und einfach: zu Mittäter*innen.
Bei der Schreibweise habe ich mich auf das Glossar für diskriminierungssensible Sprache sowie auf das Glossar gegen Rassismus gestützt.
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