Am letzten Abstimmungssonntag hat die Schweizer Stimmbevölkerung Nein gesagt zur sogenannten Fair-Food-Initiative. Diese wollte den Bundesrat per Verfassungsartikel dazu verpflichten, fair produzierte Lebensmittel zu fördern. Bei einer Annahme der Initiative sollten unter anderem die regionale Produktion gestärkt und eingeführte Erzeugnisse aus dem fairen Handel begünstigt werden.
Dazu wird es nun aber nicht kommen. Die Initiative wurde mit 61.3% von der Stimmbevölkerung abgelehnt. Die Argumente der GegnerInnen hatten beim Stimmvolk offenbar mehr Wirkung gezeigt als die der InitiantInnen. Das überparteiliche Nein-Komitee schreibt in seinem Argumentarium, dass die Annahme der Initiative zu einer mühseligen Zollbürokratie führen würde, was für die KonsumentInnen weniger Auswahl und steigende Lebensmittelpreise bedeutete. Diese Angst vor teureren Lebensmitteln dürfte so einige dazu bewegt haben, ein Nein in die Urne zu legen.
Auch Bundesrat Schneider-Ammann zeigte nach der Abstimmung in einem Interview im „Echo der Zeit“ (Minute 8:58) Verständnis für die Entscheidung und das Portemonnaie von Herrn und Frau Schweizer. Diese hätten seiner Meinung nach bereits heute Lebensmittelpreise zu berappen, die im internationalen Vergleich am oberen Limit lägen. Rein intuitiv mag man das ja bejahen, stimmen tut die Aussage des Bundesrats aber nicht.
Im internationalen Vergleich geben wir richtig wenig aus für unser Essen
Die effektiven Kosten für unseren Warenkorb sind ziemlich sicher höher als in den meisten anderen Ländern. Aber wir verdienen in der Schweiz auch mehr als die meisten anderen Leute auf dieser Welt. Proportional zu unserem durchschnittlichen Einkommen liegen die Kosten für unsere Lebensmittel deshalb nicht am oberen Limit – sondern richtig tief.
Laut einer Erhebung des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2015 gibt der durchschnittliche Haushalt in der Schweiz 6.3% des Einkommens für Lebensmittel aus. In einem Artikel der NZZ, welcher sich auf Daten aus dem Jahr 2016 des Agricultural Research Service (ARS) stützt, eine Organisation des Landwirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten, machen die Ausgaben für Lebensmittel in der Schweizer auch lediglich 8.7% aller Ausgaben aus. Damit weissen wir nach den USA (6.3%), Singapur (6.7%) und Grossbritannien (8.1%) den viertniedrigsten Wert auf und heben uns stark von den Ländern am anderen Ende der Tabelle ab. Kamerun: 45.5%. Kenya: 52.2%. Nigeria: 58.9%.
Das Lamm hat den Landwirtschaftsminister gefragt, ob ihm klar sei, dass er hier ein bisschen einen Seich erzählt hat.
Guten Tag Herr Schneider-Ammann
Gestern Abend habe ich mir gespannt das „Echo der Zeit“ über den Abstimmungssonntag vom 23.9.2018 angehört. Darin ist auch ein Interview mit Ihnen. Im Interview erwähnen Sie, dass die Preise für Lebensmittel in der Schweiz kostenmässig bereits am oberen Limit seien im internationalen Quervergleich.
Aber das stimmt doch gar nicht. Die Schweizer Haushalte geben im internationalen Vergleich sogar extrem wenig aus für ihre Lebensmittel. Laut diesem NZZ-Artikel sind es in der Schweiz unter 10% des Einkommens, während in Nigeria über 50% des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben werden.
Das, was Sie da also im Interview sagen, ist ein bisschen ein Seich. Wieso sagen Sie so etwas?
Ich würde mich über eine kurze Antwort freuen.
Vielen Dank und freundliche Grüsse
Bereits am nächsten Tag erhalten wir eine Antwort von Schneider-Ammanns Kommunikationsabteilung.
Sehr geehrtes Lamm
Gerne beantworten wir Ihre Anfrage.
Bundesrat Johann Schneider-Ammann sagte im Beitrag wörtlich: „Das Schweizer Volk weiss (…), dass wir kostenmässig zwar am oberen Limit sind, im internationalen Quervergleich, aber uns doch die Nahrungsmittel, die wir so liebhaben, leisten können.“
Er sprach also von den effektiven Konsumentenpreisen von Lebensmitteln in der Schweiz im internationalen Vergleich – diese sind unbestritten sehr hoch – und nicht vom Anteil des Einkommens, der in der Schweiz durchschnittlich für Lebensmittel ausgegeben wird.
Die Aussage von Bundesrat Schneider-Ammann ist daher korrekt.
Freundliche Grüsse
Kommunikationschef WBF
Ja, da hat der Kommunikationschef natürlich recht. Die effektiven Kosten sind hoch. Aber diese Zahl ist einfach nicht relevant. Und nicht relevante Zahlen gehören nicht in eine der wichtigsten News-Sendungen der Schweiz. Vor allem nicht dann, wenn sie den ZuhörerInnen das pure Gegenteil von dem suggerieren, was den eigentlichen Tatsachen entspricht. Denn die Schweizer Ausgaben für Lebensmittel liegen im internationalen Vergleich nun mal nicht am oberen Limit, sondern am unteren Ende der Tabelle.
Wir hätten es uns leisten können
Verglichen mit fast allen anderen Ländern dieser Welt gibt man in der Schweiz einen unbestritten kleinen Teil seines Geldes für die Beseitigung seines Hungers aus. Ob dieser Betrag durch die Annahme der Fair-Food-Initiative tatsächlich gestiegen wäre oder nicht, ist schwer zu beurteilen. Dies wäre von der tatsächlichen Umsetzung der Initiative abhängig gewesen. Etwas anderes ist jedoch umso klarer: Wir könnten uns durchaus ein wenig mehr Fairness leisten. Vielleicht wäre das Abstimmungsresultat anders ausgefallen, wenn dies dem Wirtschaftsminister und dem Stimmvolk bewusst gewesen wäre.
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