Die Fair-Food-Initia­tive ist an der Urne geschei­tert. Viel­leicht weil einfach alle richtig schlecht infor­miert waren. Sogar Bundesrat Johann Schneider-Ammann

In einem Inter­view im „Echo der Zeit“ zeigte Bundesrat Schneider-Ammann Verständnis dafür, dass die Fair-Food-Initia­tive abge­lehnt wurde, da sich unsere Lebens­mit­tel­ko­sten im inter­na­tio­nalen Vergleich bereits heute am oberen Limit bewegten. Doch das stimmt gar nicht. Das Lamm hat nach­ge­fragt, wieso der Wirt­schafts­mi­ni­ster so einen Seich erzählt. 
Was soll Essen kosten? (Foto: Markus Spiske/Unsplash)

Am letzten Abstim­mungs­sonntag hat die Schweizer Stimm­be­völ­ke­rung Nein gesagt zur soge­nannten Fair-Food-Initia­tive. Diese wollte den Bundesrat per Verfas­sungs­ar­tikel dazu verpflichten, fair produ­zierte Lebens­mittel zu fördern. Bei einer Annahme der Initia­tive sollten unter anderem die regio­nale Produk­tion gestärkt und einge­führte Erzeug­nisse aus dem fairen Handel begün­stigt werden.

Dazu wird es nun aber nicht kommen. Die Initia­tive wurde mit 61.3% von der Stimm­be­völ­ke­rung abge­lehnt. Die Argu­mente der Gegne­rInnen hatten beim Stimm­volk offenbar mehr Wirkung gezeigt als die der Initi­an­tInnen. Das über­par­tei­liche Nein-Komitee schreibt in seinem Argu­men­ta­rium, dass die Annahme der Initia­tive zu einer mühse­ligen Zoll­bü­ro­kratie führen würde, was für die Konsu­men­tInnen weniger Auswahl und stei­gende Lebens­mit­tel­preise bedeu­tete. Diese Angst vor teureren Lebens­mit­teln dürfte so einige dazu bewegt haben, ein Nein in die Urne zu legen.

Auch Bundesrat Schneider-Ammann zeigte nach der Abstim­mung in einem Inter­view im „Echo der Zeit“ (Minute 8:58) Verständnis für die Entschei­dung und das Porte­mon­naie von Herrn und Frau Schweizer. Diese hätten seiner Meinung nach bereits heute Lebens­mit­tel­preise zu berappen, die im inter­na­tio­nalen Vergleich am oberen Limit lägen. Rein intuitiv mag man das ja bejahen, stimmen tut die Aussage des Bundes­rats aber nicht.

Im inter­na­tio­nalen Vergleich geben wir richtig wenig aus für unser Essen

Die effek­tiven Kosten für unseren Waren­korb sind ziem­lich sicher höher als in den meisten anderen Ländern. Aber wir verdienen in der Schweiz auch mehr als die meisten anderen Leute auf dieser Welt. Propor­tional zu unserem durch­schnitt­li­chen Einkommen liegen die Kosten für unsere Lebens­mittel deshalb nicht am oberen Limit – sondern richtig tief.

Laut einer Erhe­bung des Bundes­amts für Stati­stik aus dem Jahr 2015 gibt der durch­schnitt­liche Haus­halt in der Schweiz 6.3% des Einkom­mens für Lebens­mittel aus. In einem Artikel der NZZ, welcher sich auf Daten aus dem Jahr 2016 des Agri­cul­tural Rese­arch Service (ARS) stützt, eine Orga­ni­sa­tion des Land­wirt­schafts­mi­ni­ste­riums der Verei­nigten Staaten, machen die Ausgaben für Lebens­mittel in der Schweizer auch ledig­lich 8.7% aller Ausgaben aus. Damit weissen wir nach den USA (6.3%), Singapur (6.7%) und Gross­bri­tan­nien (8.1%) den viert­nied­rig­sten Wert auf und heben uns stark von den Ländern am anderen Ende der Tabelle ab. Kamerun: 45.5%. Kenya: 52.2%. Nigeria: 58.9%.

Das Lamm hat den Land­wirt­schafts­mi­ni­ster gefragt, ob ihm klar sei, dass er hier ein biss­chen einen Seich erzählt hat.

Guten Tag Herr Schneider-Ammann

Gestern Abend habe ich mir gespannt das „Echo der Zeit“ über den Abstim­mungs­sonntag vom 23.9.2018 ange­hört. Darin ist auch ein Inter­view mit Ihnen. Im Inter­view erwähnen Sie, dass die Preise für Lebens­mittel in der Schweiz kosten­mässig bereits am oberen Limit seien im inter­na­tio­nalen Quervergleich.

Aber das stimmt doch gar nicht. Die Schweizer Haus­halte geben im inter­na­tio­nalen Vergleich sogar extrem wenig aus für ihre Lebens­mittel. Laut diesem NZZ-Artikel sind es in der Schweiz unter 10% des Einkom­mens, während in Nigeria über 50% des Einkom­mens für Lebens­mittel ausge­geben werden.

Das, was Sie da also im Inter­view sagen, ist ein biss­chen ein Seich. Wieso sagen Sie so etwas?

Ich würde mich über eine kurze Antwort freuen.

Vielen Dank und freund­liche Grüsse

Bereits am näch­sten Tag erhalten wir eine Antwort von Schneider-Ammanns Kommunikationsabteilung.

Sehr geehrtes Lamm

Gerne beant­worten wir Ihre Anfrage.

Bundesrat Johann Schneider-Ammann sagte im Beitrag wört­lich: „Das Schweizer Volk weiss (…), dass wir kosten­mässig zwar am oberen Limit sind, im inter­na­tio­nalen Quer­ver­gleich, aber uns doch die Nahrungs­mittel, die wir so lieb­haben, leisten können.“

Er sprach also von den effek­tiven Konsu­men­ten­preisen von Lebens­mit­teln in der Schweiz im inter­na­tio­nalen Vergleich – diese sind unbe­stritten sehr hoch – und nicht vom Anteil des Einkom­mens, der in der Schweiz durch­schnitt­lich für Lebens­mittel ausge­geben wird.

Die Aussage von Bundesrat Schneider-Ammann ist daher korrekt.

Freund­liche Grüsse

Kommu­ni­ka­ti­ons­chef WBF

Ja, da hat der Kommu­ni­ka­ti­ons­chef natür­lich recht. Die effek­tiven Kosten sind hoch. Aber diese Zahl ist einfach nicht rele­vant. Und nicht rele­vante Zahlen gehören nicht in eine der wich­tig­sten News-Sendungen der Schweiz. Vor allem nicht dann, wenn sie den Zuhö­re­rInnen das pure Gegen­teil von dem sugge­rieren, was den eigent­li­chen Tatsa­chen entspricht. Denn die Schweizer Ausgaben für Lebens­mittel liegen im inter­na­tio­nalen Vergleich nun mal nicht am oberen Limit, sondern am unteren Ende der Tabelle.

Wir hätten es uns leisten können

Vergli­chen mit fast allen anderen Ländern dieser Welt gibt man in der Schweiz einen unbe­stritten kleinen Teil seines Geldes für die Besei­ti­gung seines Hungers aus. Ob dieser Betrag durch die Annahme der Fair-Food-Initia­tive tatsäch­lich gestiegen wäre oder nicht, ist schwer zu beur­teilen. Dies wäre von der tatsäch­li­chen Umset­zung der Initia­tive abhängig gewesen. Etwas anderes ist jedoch umso klarer: Wir könnten uns durchaus ein wenig mehr Fair­ness leisten. Viel­leicht wäre das Abstim­mungs­re­sultat anders ausge­fallen, wenn dies dem Wirt­schafts­mi­ni­ster und dem Stimm­volk bewusst gewesen wäre.


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