Die Fratzen des Faschismus in den USA

Statt Trump nur mit Hitler zu verglei­chen, braucht es einen Blick auf die eigene faschi­sti­sche Geschichte der USA – wo rassi­sti­scher Terror, staat­liche Willkür und kapi­ta­li­sti­sche Herr­schaft schon seit Langem zusammenwirken. 
Anstatt sich nur zu fragen, ob es Parallelen zwischen Hitler und Trump gibt, sollte der Blick auf die tiefen Wurzeln des Faschismus in den USA gerichtet werden. (Bild: Mikita Yo / Unsplash)

Ist Donald Trump ein Faschist? Seit seinem ersten Wahl­sieg 2016 wird die Frage hoch und runter disku­tiert. Gestan­dene Historiker*innen des Faschismus wie Jason Stanley, Timothy Snyder oder Robert Paxton bezeichnen den US-ameri­ka­ni­schen Präsi­denten mitt­ler­weile als Faschisten.

In den öffent­li­chen Diskus­sionen geht es bei dieser Frage meistens um einen Vergleich zwischen Trump und den faschi­sti­schen Regimes in Deutsch­land und Italien der Zwischen­kriegs­zeit. Punkt für Punkt werden die Reden und Poli­tiken Trumps mit jenen Musso­linis und Hitlers vergli­chen. Und letzt­lich zeigt sich – oh Wunder! – dass es sowohl Paral­lelen wie auch Unter­schiede gibt.

Faschismus in der „älte­sten Demo­kratie der Welt“

Das Problem an diesem „Faschis­mus­bingo“, wie es Anna Jikhareva und Daria Wild in der Wochen­zei­tung genannt haben, ist nicht nur, dass es einen häufig ratlos zurück­lässt. Man vergisst zudem, dass der Faschismus in den USA eine eigene, wenn auch mit dem faschi­sti­schen Italien und dem natio­nal­so­zia­li­sti­schen Deutsch­land verstrickte Geschichte hat. Es wird so getan, als ob die „älteste Demo­kratie der Welt“ bisher immun gegen­über faschi­sti­schen Bewe­gungen und Tendenzen gewesen wäre.

Aus der Analyse wird klar, dass die Grenzen zwischen libe­raler Demo­kratie und Faschismus durch­lässig sind. 

Was passiert, wenn wir nicht nur nach Analo­gien zwischen Trump und Hitler oder Musso­lini suchen, sondern auf die spezi­fi­sche Geschichte des US-ameri­ka­ni­schen Faschismus blicken? Was passiert, wenn wir denen zuhören, die in den USA seit Langem faschi­sti­sche Tendenzen analy­sieren und bekämpfen? Man kommt zur wich­tigen Erkenntnis, dass die gegen­wär­tige Faschi­sie­rung tief­grei­fende Wurzeln hat.

Diese These vertritt unter anderem der Philo­soph Alberto Toscano in seinen Arbeiten. Er stützt sich vor allem auf die Analysen anti­ras­si­sti­scher und anti­ko­lo­nialer Aktivist*innen und Theoretiker*innen, zum Beispiel aus dem Umfeld der Black Panther Party der 1960er und 1970er Jahre. Die Keime des Faschismus inner­halb der demo­kra­tisch-libe­ralen Gesell­schaft sahen sie in der massiven Poli­zei­re­pres­sion, der rassi­sti­schen und migra­ti­ons­feind­li­chen Hetze oder dem Gefängnissystem.

Nicht alle erfahren den Faschismus gleich

Die Black Panther Akti­vi­stin Kath­leen Cleaver zum Beispiel schrieb 1968: “Der Aufstieg des Faschismus in den Verei­nigten Staaten zeigt sich am deut­lich­sten in der Unter­drückung der Schwarzen Befrei­ungs­be­we­gung, in der landes­weiten poli­ti­schen Inhaf­tie­rung und Ermor­dung von Schwarzen Leader*innen, in der massiven Poli­zei­kon­zen­tra­tion in den Schwarzen Ghettos überall im Land.“

In den Reden und Schriften der Black Panthers hatte das manchmal etwas Plaka­tives. Es klang teil­weise so, als ob sich ein faschi­sti­sches Regime in den USA bereits etabliert hätte. Mit dem Faschismus-Begriff wollten die Aktivist*innen Aufmerk­sam­keit gene­rieren, teil­weise auf Kosten der begriff­li­chen Genauigkeit.

Die Black Panther Akti­vi­stin Angela Davis war damals wie heute vorsich­tiger. Für sie herrschte in den USA kein „ausge­wach­sener Faschismus“. In der „staat­li­chen Skla­verei“ der Gefäng­nisse oder den Zwangs­ste­ri­li­sie­rungen von Frauen of colour sah sie aber faschi­sti­sche Elemente. Sie unter­strich, dass das „Aufkommen des Faschismus kein isoliertes Ereignis – etwa ein plötz­li­cher Staats­streich – ist, sondern ein lang­wie­riger sozialer Prozess“.

Aus ihrer Analyse wird klar, dass die Grenzen zwischen libe­raler Demo­kratie und Faschismus durch­lässig sind. So braucht es nicht unbe­dingt die sofor­tige Aushe­be­lung der libe­ralen Verfas­sung, damit sich faschi­sti­sche Tendenzen ausbreiten können.

Die Allianz zwischen Rassismus und Kapital beruht auf einer porösen Grenze zwischen Staats­ge­walt und terro­ri­sti­scher White Supre­macy.

Vor allem erkannten diese Aktivist*innen und Theoretiker*innen, dass sich eine Faschi­sie­rung nicht gleich­förmig auf die Gesell­schaft ausbreitet.

Am eigenen Leib erfuhren sie, dass es zuerst jene trifft, die noch nie als voll­wer­tige Mitglieder eines weissen Amerikas ange­sehen wurden. Je nach Race, Gender oder Class gibt es „unter­schied­liche Erfah­rungen“ von Faschismus, wie Alberto Toscano zusammenfasst.

Die Allianz von Rassismus und Kapital

Auf ähnliche Schlüsse kamen Schwarze Aktivist*innen bereits zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts. Schon damals legten sie den Finger auf die Zusam­men­hänge zwischen Rassismus, kolo­nialer Unter­drückung und Faschismus. So sahen „radi­kale Schwarze Aktivist*innen den Aufstieg des Faschismus nicht nur voraus, sie bekämpften ihn, bevor er als Krise erkannt wurde“, spitzt der Histo­riker Robin Kelley zu. Ihr Wider­stand rich­tete sich gegen den US-ameri­ka­ni­schen Faschismus „in Form von Lynch­morden, einer Unter­drückung von Arbeiter*innenorganisationen und nahezu jeder Protest­form sowie eines Ausschlusses Schwarzer Bürger*innen von zivilen und demo­kra­ti­schen Rechten.“

In den 1930er Jahren sah der marxi­sti­sche und anti­ras­si­sti­sche Theo­re­tiker W.E.B. Du Bois im syste­ma­ti­schen rassi­sti­schen Terror eine Form des Faschismus. Dieser hatte sich seit dem Ende des Bürger­kriegs durch staat­liche Entrech­tung, rassi­sti­sche Mobs oder Orga­ni­sa­tionen wie den Ku Klux Klan ausge­breitet. In den 1920er Jahren hatte der Ku Klux Klan zwischen drei und sieben Millionen Mitglieder. Viele von ihnen – oder Personen mit engen Verbin­dungen zum Klan – beklei­deten öffent­liche Ämter: als gewählte Poli­tiker, Staats­an­ge­stellte, Anwälte oder Polizeichefs.

Laut Du Bois war dieser Terror entschei­dend dafür, dass die kapi­ta­li­sti­schen Verhält­nisse in den Südstaaten nach der Skla­ven­be­freiung von 1865 aufrecht­erhalten werden konnten. Die Allianz zwischen Rassismus und Kapital, die bis auf die Erobe­rung Amerikas im 16. Jahr­hun­dert zurück­geht, beruht also auf einer porösen Grenze zwischen Staats­ge­walt und terro­ri­sti­scher White Supre­macy.

Der Faschismus hat viele Gesichter

Aus diesen Perspek­tiven erscheint Faschismus als ein Prozess mit vielen Anfängen und Gesich­tern. Nazi­deutsch­land und der italie­ni­sche Faschismus müssen daher als die heraus­ra­gend­sten Beispiele für Faschismus „entthront“ werden, wie der Histo­riker Geoff Eley schon vor einigen Jahren betonte.

Wer sich fragt, wie lange die Dämme des US-ameri­ka­ni­schen Rechts­staates den Angriffen Trumps stand­halten werden, über­sieht etwas Entschei­dendes: Der auto­ri­täre Ausnah­me­zu­stand ist in Ansätzen bereits vorhanden.

Die entschei­dende Frage ist somit nicht, ob Trump ein neuer Hitler oder Musso­lini ist. Das hat Sylvie Laurent – Expertin für ameri­ka­ni­sche Geschichte – jüngst in einem Artikel für die fran­zö­si­sche Tages­zei­tung Libé­ra­tion fest­ge­halten. Unbe­streitbar sei jedoch, dass Trumps Poli­tiken und Reden „Elemente der Faschi­sie­rung“ enthalten, die tief in der ameri­ka­ni­schen Geschichte verwoben sind. 

Dazu zählt sie unter anderem eine euge­nisch geprägte Angst vor mora­li­schem und ethi­schem Verfall, die Anwen­dung poli­ti­scher Gewalt, struk­tu­rellen Rassismus sowie Hass gegen­über den sozialen Bewe­gungen und der kultu­rellen Linken. Auch der wach­sende Groll gegen­über dem Staat und den als schwach oder korrupt wahr­ge­nom­menen öffent­li­chen Insti­tu­tionen ist laut Laurent tief in der US-ameri­ka­ni­schen Geschichte verwurzelt.

Es hat schon begonnen

Wer sich anschlies­send fragt, wie lange die Dämme des US-ameri­ka­ni­schen Rechts­staates den Angriffen Trumps stand­halten werden, über­sieht etwas Entschei­dendes: Der auto­ri­täre Ausnah­me­zu­stand ist in Ansätzen bereits vorhanden.

Er zeigt sich zum Beispiel für die Migrant*innen an der mexi­ka­ni­schen Grenze, für die Papier­losen, die sich vor Depor­ta­tionen fürchten, für die Indi­genen Aktivist*innen, die rück­sichtslos von der Polizei nieder­ge­knüp­pelt werden und für die Bevöl­ke­rung Gazas, die mit US-ameri­ka­ni­scher Unter­stüt­zung geno­zi­daler Gewalt ausge­setzt ist.

Wer die Frage des US-ameri­ka­ni­schen Faschismus nicht von dieser Seite her angeht, schlä­fert sich mit endlosen Verglei­chen selbst ein. Der kann sich nur ungläubig die Augen reiben – nur um sie anschlies­send wieder zu verschliessen – , wenn Elon Musk mit einem Hitler­gruss die Geister der natio­nal­so­zia­li­sti­schen Vergan­gen­heit vor aller Öffent­lich­keit wiedererweckt.

Höchste Zeit also, die Augen zu öffnen und die Illu­sionen von der „älte­sten Demo­kratie der Welt“ fallen­zu­lassen. Ein Blick auf die anti­ras­si­sti­schen und anti­fa­schi­sti­schen Kämpfe und Theo­rien zeigt, woher die gegen­wär­tige Faschi­sie­rung kommt – und wie sie zu bekämpfen ist.


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