Mit gemässigten SVP-Politiker:innen verhält es sich ähnlich wie mit Yetis: Viele meinen, die sagenumwobene Gestalt gesehen zu haben, doch meist entpuppt sie sich schlussendlich doch nur als Projektion eigener Wünsche.
Erst kürzlich wiederholte sich dieses Phänomen in einem Artikel des Basler Onlinemagazins Bajour. Unter dem Titel „Thüring gegen die rechte Welt“ wird der SVP-Grossrat Joel Thüring als Stimme der Vernunft in einer sich radikalisierenden Volkspartei dargestellt. Er sei ein Exot, viele seiner Freund:innen seien links, er sei für die Impfung (OHA!) und er stelle sich – wie der Titel suggeriert – mutig gegen Rechts. Dafür sei er auf den sozialen Medien auch bereits als „Faschist“ beleidigt worden.
Zwar klingt auch leise Kritik im Artikel an: Thüring sei ein Hardliner, teile scharf aus, betreibe Hetze gegen rumänische Bettler:innen. Aber diese Kritik wird gleich im nächsten Satz untergraben, wenn sich Thüring von den „wissenschaftsfeindlichen Zertifikats- oder Impfgegner:innen“ abgrenzt und so als gemässigt positionieren kann.
Nun wirkt es vielleicht anmassend, einer Lokalredaktion in die Einschätzung eines Lokalpolitikers dreinzureden. Aber: Die Anti-Coronabewegung sprengt Kantonsgrenzen – und Thüring ist viel tiefer darin verstrickt, als uns der Artikel von Bajour glauben lässt.
Werbung mit den Freiheitstrychlern
Thüring ist Kolumnist bei der rechtsnationalen Schweizerzeit. Seine letzte Kolumne „R(h)einschrift“ veröffentlichte er vor einem Monat zum Thema Kriminalität in Städten. So weit, so erwartbar. In der gleichen Ausgabe verharmlost Herausgeber Ulrich Schlüer die gewalttätigen Ausschreitungen von zum Teil rechtsradikalen Massnahmengegner:innen auf dem Bundesplatz und verbreitet die Trump-Lüge, dass die „Antifa“ (sic!) die Demonstration eskaliert habe. Und nur zwei Seiten weiter schwurbelt der Thurgauer SVP-Kantonsrat Hermann Lei von einer „angeblich tödlichen Seuche“ und einem „angeblichen Impfschutz“. Vergleichen wir das mit Joel Thüring im O‑Ton bei Bajour: „Leute, die nicht an die Pandemie glauben, kann ich nicht ernst nehmen.“
Nun muss ein Kolumnist nicht jede Meinung mittragen, die im selben Medium veröffentlicht wird. Und vielleicht liest er die Zeitung, für die er schreibt, nicht einmal. Aber wer im Impressum einer Zeitung als regelmässiger Autor aufgeführt ist, trägt die Linie eines Mediums mit. Und im Fall der Schweizerzeit bedeutet das, sich hinter eine Publikation zu stellen, die keine Berührungsängste zur rechtsextremen Szene und zu Verschwörungstheoretiker:innen hat.
Bereits 2014 machte der Onlineblog schlemihl.org bekannt, dass die Schweizerzeit in ihrem Onlineshop rechtsextreme, antisemitische und islamophobe Bücher verkaufte. Den Onlineshop gibt es inzwischen nicht mehr. Dafür schaltet die Zeitung seit Jahren ein Werbebanner auf der Plattform patriot.ch, die als Knotenpunkte der Anti-Massnahmenbewegung funktioniert.
Wer schaltet dort sonst noch Werbebanner? Genau, die „Freiheitstrychler“, mit denen Thüring so wenig gemeinsam haben will. Und habe ich bereits erwähnt, dass Schweizerzeit-Verleger Ulrich Schlüer in den 80er- und 90er-Jahren Schriften veröffentlichte, die zugunsten der Apartheidregierung in Südafrika ausfielen? Dass das dem Stadtbasler SVPler, mit seinem Velo und seinen linken Freund:innen, alles unbekannt ist, wirkt undenkbar.
Halbherzige Distanzierung
Das Problem mit der Suche nach gemässigten SVP-Politiker:innen ist nicht nur, dass sie meistens erfolglos ist. Natürlich gibt es jene Lokalpolitiker:innen, mit denen sich auch Linke auf die Finanzierung des neuen Schulhauses oder die Sanierung der Kantonsstrasse einigen können. Und manchmal trifft man sich sogar auf ein Bier. Wenn die gleichen Exponent:innen aber am Wochenende Unterschriften für rassistische Initiativen sammeln und am Parteitag Leute in die Parteileitung wählen, die den Bundesrat einen Diktator nennen, ist die halbherzige Distanzierung vom rechten Rand nichts wert. Schlimmer: Sie verschleiert die simple Wahrheit, dass ein Politiker, der in einer radikal rechten Partei Karriere macht und dort – wie Joel Thüring – eine Führungsposition innehat, auch radikal rechts ist.
Das Bedürfnis, auch in der SVP noch vernünftige Exponent:innen zu finden, stammt wohl auch aus der unangenehmen Erkenntnis, dass in der Schweiz seit 1999 eine rechtspopulistische Partei das politische Geschehen dominiert. Aber es ist wie mit den Yetis: Man kann sich ihre Existenz wünschen. Die Realität hingegen kann man nur beschreiben und analysieren.
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