Die Konzern­ver­ant­wor­tungs-inita­tive kämpft gegen das „Switz­er­land first”-Denken

Das Edito­rial zur drei­tei­ligen Kurz­serie über die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive zeigt: Es ist im Kern eine Debatte um die Gewich­tung von univer­salen Menschen­rechten überall – und den natio­nalen Vorteilen durch den Wirt­schafts­li­be­ra­lismus am Standort Schweiz. 
Welchen Weg soll die Schweiz in Zukunft gehen? Die Konzernverantwortungsinitiative schlägt einen vor, auf dem Menschenrechte für alle von Schweizer Konzernen betroffenen Personen gelten.  Nicht alle sind damit einverstanden. (Foot: Nick Youngson )

In den vergan­genen Monaten bewegte sich der mediale Diskurs immer wieder nahe am Abgrund des Sag- und Frag­baren und schob gleich­zeitig die rote Linie immer weiter vor. Jour­na­li­stInnen von links bis rechts rieben sich die Augen und wunderten sich über Fragen, deren Antwort man eigent­lich kennen sollte. Darf man Menschen vor dem Ertrinken retten? Darf man Kinder von ihren Eltern trennen und in Käfige sperren? Darf man Menschen in Länder ausweisen, in denen sie mit ziem­li­cher Sicher­heit verfolgt und getötet werden?

Während um uns herum über die Ergeb­nisse des EU-Flücht­lings­gip­fels und über Trumps Grenz­po­litik debat­tiert und gestritten wurde, fanden ganz ähnliche Diskus­sionen auch in Bundes­bern statt, etwa im Hinblick auf Waffen­ex­porte in Bürger­kriegs­länder. Ist es poli­tisch vertretbar, im Namen der einhei­mi­schen Wirt­schaft Menschen­leben zur Dispo­si­tion zu stellen?

Die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive, die eine Umge­wich­tung zwischen poli­ti­schem und ökono­mi­schem Oppor­tu­nismus in der Privat­wirt­schaft und huma­ni­tärer Verant­wor­tung fordert, setzt im Grunde genau hier an. Konzern­ver­ant­wor­tung bedeutet, dass jeder in der Schweiz ansäs­sige Konzern eine Menschen­rechts­po­licy vorweisen muss, die universal und an allen Konzern- und Zulie­fer­stand­orten gültig ist. Wird diese verletzt, kann dagegen in der Schweiz geklagt werden.

Was ziem­lich intuitiv daher­kommt, stösst hier­zu­lande auf grossen Wider­stand inner­halb der Privat­wirt­schaft, deren poli­ti­scher Reprä­sen­tan­ten­garde und den neoli­be­ralen Götter­boten von NZZ bis Welt­woche. Die heftigen Gegen­re­ak­tionen zeigen: Es ist im Kern eine Debatte um die Gewich­tung von univer­salen Menschen­rechten überall – und den natio­nalen Vorteilen durch den Wirt­schafts­li­be­ra­lismus am Standort Schweiz. „Switz­er­land first” musste nicht erst in Anleh­nung an Trumps Ameri­ka­po­litik gedichtet werden – „Switz­er­land first” ist seit jeher die poli­ti­sche Gangart.

Die Debatte um die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive, das grosse Zittern bei jenen, die in perfekt forma­tierten PDFs seiten­lang ihre Umwelt- und Nach­hal­tig­keits­po­li­cies illu­strieren, hunderte Male hinstehen und sagen, dass sie nichts zu verstecken hätten, die Posi­tionen von Econo­mie­su­isse über Migros bis zu Glen­core und Handels­zei­tung werfen Fragen auf, welche dieje­nigen nach der konkreten Umsetz­bar­keit, nach den lang­samen poli­ti­schen Mühlen und nach der grund­le­genden Wirk­sam­keit poli­ti­scher Initia­tiven weit übersteigen.

Wenn Econo­mie­su­isse sagt, dass man „eine weitere Verrecht­li­chung ablehne, weil juri­sti­sche Ausein­an­der­set­zungen der falsche Weg seien, um nach­hal­tige Fort­schritte im Schutz von Mensch und Umwelt zu errei­chen”, dann müssen wir uns als Gesell­schaft ein paar Fragen stellen. Etwa, wieso es legitim ist, über demo­kra­tisch gestützte und rechts­kon­forme Mittel und Wege zu streiten, mit denen Menschen­leben geschützt werden können, und warum wir solche zyni­schen State­ments als Teil der Debatte hinnehmen. Wir sollten uns auch fragen, warum nicht schon lange für die lücken­lose Einhal­tung von Menschen­rechten gesorgt wurde, wenn es, wie das „falsch” im Zitat impli­ziert, auch „rich­tige” Wege geben muss?

Das wirt­schaft­liche Neusprech von Econo­mie­su­isse und Co. und die martia­li­sche Sprache der Gegne­rInnen sind unter anderem Gegen­stand des ersten Arti­kels dieser Kurz­serie, der einen poin­tierten Über­blick über die Debatte verschaffen soll. Beson­ders von der Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive betroffen sind Mega­kon­zerne wie der Zuger Rohstoff­gi­gant Glen­core. Doch könnte die Konzern­in­itia­tive als poli­ti­sches Instru­ment über­haupt gegen den Multi ankommen?Glencore steht schon seit Jahren schadlos im Kreuz­feuer von NGOs und Menschen­recht­le­rInnen, wie der zweite Text aufzeigt.

Die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive tangiert aber nicht nur multi­na­tio­nale Giganten, sondern auch Schweizer KMUs aus dem Hoch­ri­si­ko­be­reich. Der Diaman­ten­händler Rolf Zibung bewegt sich mit seinen Geschäften in diesem Hoch­ri­si­ko­be­reich. Warum er dennoch auf Eigen­ver­ant­wor­tung setzt statt auf gesetz­liche Regu­la­tion, hat er Simon Muster im Gespräch verraten. Daraus entstand das Porträt eines schil­lernden Geschäfts­manns zwischen Buddhismus und Blut­dia­manten – der letzte Teil dieser Miniserie.


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