Die perfekte Waffe des Faschismus

KI-Bild­ge­ne­rie­rung verstärkt Klischees und repro­du­ziert sie massen­weise. Sie ist das Ende der Einzig­ar­tig­keit von Kunst – und macht sie gerade deshalb zur perfekten Waffe faschi­sti­scher Propaganda. 
Klischeehaft, gleichgeschalten, reproduzierbar: KI stilisiert Motive zu Stereotypen. Hier hat der Grafiker die KI mit seinem eigenen Stil gefüttert. (Bild: Luca Mondgenast / ChatGPT)

Am 18. März 2025 verhaf­tete die US-ameri­ka­ni­sche Depor­ta­ti­ons­truppe ICE Virginia Basora-Gonzales. Eine mutmass­liche Fentanyl-Dealerin, die angeb­lich aus der Domi­ni­ka­ni­schen Repu­blik stammte. Bei ihrer Verhaf­tung brach die Frau in Tränen aus.

Das Weisse Haus veröf­fent­lichte zunächst ein Foto der weinenden Frau in Hand­schellen auf Twitter. Noch am selben Tag veröf­fent­lichte das Weisse Haus kommen­tarlos einen weiteren Tweet: ein KI-gene­riertes Bild im Arts­tyle des japa­ni­schen Anima­ti­ons­stu­dios Ghibli. Darauf zu sehen: eine Karri­katur der weinenden Virginia Basora-Gonzales. Ein ICE-Agent legt ihr mit strenger Miene Hand­schellen an.

Durch die KI wird Basora-Gonzales zum Feind­bild einer krimi­nellen, drogen­ab­hän­gigen Auslän­derin stilisiert.

Diese entsetz­liche Kombi­na­tion ist an Zynismus kaum zu über­trumpfen. Nicht nur, weil ein offi­zi­eller Social-Media-Account der US-Regie­rung solch perfor­mativ-sadi­sti­sche Züge annimmt, sondern auch, weil sie ihren Hass im Stil des huma­ni­stisch ausge­rich­teten Film­stu­dios Ghibli ausdrücken.

Screenshot eines Twitter-Posts vom Weissen Haus zur Verhaftung Virginia Basora-Gonzales.
Screen­shot eines Twitter-Posts vom Weissen Haus zur Verhaf­tung Virginia Basora-Gonzales.

Maskott­chen des Faschismus

Die rechten Online-Bubbles feierten den Tweet mehr­heit­lich, das demo­kra­ti­sche Estab­lish­ment kriti­sierte den Sadismus (nicht aber die Depor­ta­tion, versteht sich). Ob kritisch oder begei­stert – etwas hatten fast alle Reak­tionen auf den Tweet gemeinsam: Niemand sah darin Virginia Barora-Gonzales. Auf dem echten Bild ihrer Verhaf­tung ist sie noch immer ein Mensch, auch wenn sie dabei entwür­digt wird. Auf dem KI-gene­rierten Bild wird sie zu einem Schatten ihrer selbst, ein animierter Stereotyp einer Person, der man das Mensch­sein nimmt. Sie ist nichts mehr als das Feind­bild einer krimi­nellen, drogen­ab­hän­gigen Auslän­derin, sie wird zu einem Maskott­chen des faschi­sti­schen Terrors in den USA.

Wer sich gegen faschi­sti­sche Kontrolle auflehnt, gilt es um jeden Preis zu vernichten, verstecken oder zu instrumentalisieren.

Wie jeder Faschismus leidet auch der in den USA an einem extremen Kontroll­zwang. Er ist eine Herr­schafts­form, die darauf abzielt, jedes Indi­vi­duum einem totalen Ganzen zu unter­werfen. Dieses totale Ganze ist Teil der Grund­logik von Faschismus. Im Fall der USA wird es durch eine fiktive Vorstel­lung einer weissen und patri­ar­chal geprägten Rasse reprä­sen­tiert. In dieser Logik versteht sich das Indi­vi­duum nicht mehr als auto­nomes Wesen, sondern als Teil des Ganzen.

Wer sich gegen diese Kontrolle auflehnt oder ihr einzig durch seine Existenz – etwa als Person mit Behin­de­rung, als queerer Mensch oder Migrant*in – wider­spricht, gilt es um jeden Preis zu vernichten, verstecken oder instrumentalisieren.

Es gibt da aber etwas, das sich weder zerstören noch kontrol­lieren lässt: und zwar die Kunst.

Wie Repro­duk­tion die Aura zerstört

Für Faschist*innen war der Umgang mit Kunst schon immer schwierig. Sie ist zu allge­gen­wärtig, um sie zu verbieten. Sie ist abhängig von auto­nomen Indi­vi­duen, die sie erschaffen und betrachten. Inner­halb der faschi­sti­schen Kontrolle lässt sie sich dadurch nur schwer instrumentalisieren.

Und doch ist sie eine enorm mäch­tige Waffe der Propaganda.

Schon 1935 fragte sich der exil­deut­sche Marxist Walter Benjamin, wie es Faschist*innen gelingt, die Kunst zu instru­men­ta­li­sieren. Er führt dafür den Begriff der Aura ein. Die Aura beschreibt laut Benjamin eine beson­dere Ausstrah­lung, die einem Kunst­werk inne­wohnt – geprägt durch seine Einma­lig­keit, Echt­heit und Unnah­bar­keit. Sie entsteht durch die Einma­lig­keit des Werks, seine Geschichte, seinen Ort in Raum und Zeit – durch das, was keine Kopie haben kann. Die Erfah­rung der Aura ist ein beson­derer ästhe­ti­scher Moment, in dem das Kunst­werk etwas Persön­li­ches für die Betrach­tenden wird.

KI-Bild­ge­ne­rie­rung ist nichts anderes als eine kalte Repro­duk­tion einer gigan­ti­schen Festplatte. 

Sobald Kunst massen­haft repro­du­ziert wird, verliert sie diese Aura. Sie wird austauschbar, anonym, zu einer Ware. Nach Benjamin bewegt der Verlust an Aura unsere Wahr­neh­mung von einer indi­vi­du­ellen Erfah­rung zur Gleichförmigkeit.

KI: Das Ende der Aura

Waren zur Zeit Benja­mins Foto­grafie und Film die neuen Tech­no­lo­gien der Repro­du­zier­bar­keit, sind es heute KI-Algo­rithmen. Diese kann man als oberste Form der Repro­duk­tion verstehen. Die Bilder, die sie gene­rieren, werden mit kompli­zierten Mustern aus unüber­schau­baren Daten­sätzen zusam­men­ge­schu­stert. Sie haben keinen physi­schen Körper und durch Abwe­sen­heit einer*eines Künstler*in auch keinen Bezug zu den Betrach­tenden. Also kann kein Dialog zwischen Schaffer*in und Betrachter*in, keine Inter­pre­ta­tion des Werkes, stattfinden.

Da die Daten­sätze der Bild­ge­ne­rie­rung von aus bereits existie­renden und von gesell­schaft­lich hege­mo­nialen Vorstel­lungen geprägt sind, folgen sie zwangs­läufig tradierten Vorur­teilen. Die Logik des Algo­rithmus verstärkt das Muster der Stero­ty­pi­sie­rung extra, weil Wieder­erkenn­bar­keit gegen­über der Abwei­chung gewinnt. So entsteht eine gleich­för­mige, normie­rende Bildsprache.

Die Massen werden mobi­li­siert, bestehende Macht­ver­hält­nisse bleiben aber erhalten. 

KI-Bild­ge­ne­rie­rung ist nichts anderes als eine mathe­ma­ti­sche und kalte Repro­duk­tion einer gigan­ti­schen Fest­platte. Damit ist sie das endgül­tige Ende der Aura.

An sich ist die Repro­du­zier­bar­keit der Kunst nichts Schlechtes. Im Gegen­teil: Sie kann ein Mittel zur Demo­kra­ti­sie­rung und zur Poli­ti­sie­rung der Kunst sein. Letzt­lich kann sie sogar Menschen befreien. Der Buch­druck, der Lite­ratur für viele zugäng­lich machte, oder die Filme aus dem Hause Ghibli, die Millionen von Menschen bewegen konnten, sind Beweise dafür.

Wie Politik ästhe­ti­siert wird

Faschist*innen aber nutzen die Repro­duk­tion nicht zur Befreiung, sondern zur Ästhe­ti­sie­rung der Politik. Statt die durch Massen­pro­duk­tion entste­henden Möglich­keiten für mehr Teil­habe zu nutzen, orga­ni­sieren sie die Massen, ohne ihre Forde­rung an Teil­habe der Produk­ti­ons­mittel zu erfüllen. Also ohne den Menschen echte Mitbe­stim­mung zu geben.

Faschist*innen ersetzen die verlo­rene Aura durch neue Rituale: Führer­kult, Massen­auf­mär­sche, Mili­tär­pa­raden oder grös­sen­wahn­sin­nige Archi­tektur. Alles wird sorg­fältig insze­niert, um ein über­wäl­ti­gendes Gemein­schafts­ge­fühl zu erzeugen. Die Massen werden mobi­li­siert, bestehende Macht­ver­hält­nisse bleiben aber erhalten. Politik wird ästhe­ti­siert. Das heisst: Sie wird selbst zur Kunst­form, zum Spek­takel, das gleich­zeitig faszi­niert und diszipliniert.

Dabei helfen gerade die neuen, auraarmen Formen der Repro­duk­tion beson­ders gut: Sie schaffen Distanz zum Subjekt und spie­geln das faschi­sti­sche Gesell­schafts­mo­dell wider. So wurden etwa die natio­nal­so­zia­li­sti­schen Aufmär­sche im dritten Reich durch die Filme von Leni Riefen­stahl massen­haft verbreitet. Sie entfal­teten eine enorme propa­gan­di­sti­sche Wirkung – heute ist es die KI.

Neofa­schi­sti­sche Grup­pie­rungen wie die AfD, die Repu­bli­ka­ni­sche Partei Amerikas oder der fran­zö­si­sche RN haben das Poten­zial der KI-Bild­ge­ne­rie­rung teil­weise bereits im Früh­jahr 2023 für sich entdeckt. 

Wir müssen davon ausgehen, dass Faschist*innen diese Tech­no­logie in Zukunft noch mehr verwenden werden. Immerhin ist sie eine perfek­tio­nierte Waffe der faschi­sti­schen Propa­ganda: ohne Aufwand, effi­zient und gleichschaltend. 

Aufhalten oder igno­rieren können wir, die uns als anti­fa­schi­stisch verstehen, diese Entwick­lung nicht. Doch wir können und sollten uns darauf vorbereiten.


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