Die Inszenierung als historischer Tag ist restlos geglückt: Am 12. Dezember 2015 verabschiedeten die 196 Mitglieder der Klimarahmenkonvention der Vereinigten Nationen das Pariser Klimaabkommen. John Kerry, damals in der Funktion als US-Aussenminister, hatte seine Enkelin auf dem Schoss, als er das Abkommen unterschrieb. Schliesslich gehe es hier um die nächste Generation. Leonardo DiCaprio hielt eine leidenschaftliche und eindringliche Rede, die gleichzeitig auch als Aufhänger für seinen Film „Before the Flood“ wiederverwendet wurde.
Doris Leuthard wies gekonnt zweisprachig darauf hin, dass die Schweiz bereits seit Jahren viele Massnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen umgesetzt habe. „So konnten wir unsere Emissionen trotz Wirtschaftswachstum und steigender Bevölkerungszahl senken“, sagte die Umweltministerin. „Der Flug um die Welt mit dem Solarflugzeug ‚Solar Impulse‘ der Schweizer Pioniere Piccard und Borschberg zeigt, dass wir die Technologie für einen Wandel bereits heute haben.“
Das war vor drei Jahren. Das neue CO2-Gesetz, welches der Nationalrat diesen Dezember zeitgleich zur UN-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz diskutierte, sollte konkretisieren, wie die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens in der Schweiz umgesetzt werden. Wie bereits in Paris zählte sich die Schweiz auch in Kattowitz zur Koalition der Hochambitionierten. Die vorgesehenen Massnahmen sollten ein erster Schritt sein, damit die Schweiz ihre Emissionen gegenüber dem Stand von 1990 halbieren kann. Die SVP wollte erst gar nicht auf die Vorlage eintreten. Die Schweiz verursache nur knapp ein Promille der weltweiten Emissionen, meinte etwa Hans-Jörg Knecht. „Von einem Promille-Anteil noch die Hälfte zu reduzieren, bringt wenig.“ Der Nationalrat trat trotzdem auf die Vorlage ein, nur um sie kurze Zeit später unter der Führung der SVP und der FDP massiv zu verwässern. So hat der Nationalrat ein Inlandziel für die Reduktion von CO2-Emissionen abgelehnt. Auch von einer wichtigen Abgabe auf den stark subventionierten Flugverkehr wollte das Parlament nichts wissen.
Am Ende scheiterte das CO2-Gesetz ganz: Die Ratslinke stimmte zusammen mit der von Beginn weg unkooperativen SVP gegen das verwässerte Gesetz – das epische Scheitern einer 10-stündigen Debatte. Beinahe gleichzeitig beschloss die UN-Klimakonferenz ihr neues Regelwerk für die Umsetzung des Pariser Abkommens. Nicht Teil der Vereinbarung: strikte Regeln für den Emissionshandel. Diese hätten garantieren sollen, dass die Gelder, die in ausländische Klimaprojekte investiert werden, möglichst effektiv eingesetzt und korrekt angerechnet werden. Gerade für die Schweiz, die laut FDP und SVP ihren CO2-Haushalt im Ausland kompensieren sollte („Klimanationalismus bringt nichts“, Christian Wasserfallen, FDP), wäre eine solche Regelung wichtig gewesen. Aber sie scheiterte unter anderem an Brasilien. Wie die hiesigen KlimasaboteurInnen stellte sich auch die Regierung von Jair Bolsonaro alleine aus wirtschaftlichem Interesse gegen strengere Vorschriften.
Für ein Land, das sich gerne mit Höchstplätzen in internationalen Rankings brüstet, ist das Scheitern eines CO2-Gesetzes ein bemerkenswertes Armutszeugnis. Die Bildungs- und Technologienation Schweiz sabotiert bereits die erste Etappe einer neuen, globalen Klimapolitik, die 2015 in einem nie dagewesenen Kompromiss eingeläutet wurde; in der Klimapolitik wird die Musterschülerin Schweiz zum Problemkind.
1. Pro-Kopf-Emissionen
Schaut man sich die Länderliste der CO2-Emissionen pro Kopf an, sieht es auf den ersten Blick gut aus für die Schweiz: Die meisten Industrienationen haben einen höheren Pro-Kopf-Ausstoss. Laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) verursachen Herr und Frau Schweizer momentan pro Jahr 5.8 Tonnen CO2-Emissionen pro Person. Damit das Klima aber nicht aus den Fugen gerät, dürfte es maximal eine Tonne CO2 pro Person sein. Ein kurzer Blick auf das Ranking zeigt: Es gibt Länder, die dieses Ziel heute schon erreicht haben. Zum Beispiel Pakistan, das mit rund 0.93 Tonnen CO2-Emissionen auf Platz 146 rangiert.
Die Schweiz ist aber wie alle anderen Industriestaaten meilenweit von einem angemessenen Klimagasausstoss entfernt. Nur weil Länder des globalen Südens, wie etwa Burundi (0.04 Tonnen pro Person), Ruanda (0.06 Tonnen pro Person) oder Malawi (0.06 Tonnen pro Person), die Richtgrösse von einer Tonne pro Kopf massiv unterschreiten, befindet sich der globale Schnitt trotz der nach oben ausreissenden Industriestaaten bei 4.5 Tonnen. Dieses fast schon neo-kolonialistische Verhältnis ist aber weder aus menschlicher noch aus ökologischer Sicht längerfristig haltbar.
2. Emissionen im Ausland
Aber die Schweiz sei mindestens im europäischen Vergleich nicht so schlecht, hört man es schon beschwichtigend aus der rechten Nationalratshälfte rufen. Viele Länder rund um die Schweiz haben tatsächlich einen Pro-Kopf-Ausstoss, der deutlich über den 5.8 Tonnen liegt. Zum Beispiel: die Niederlande (Platz 26: 9.8 Tonnen pro Person), Deutschland (Platz 36: 9.4 Tonnen pro Person) oder Österreich (Platz 43: 7.35 Tonnen pro Jahr). Die Schweiz, ein europäischer Klassenprimus?
Nicht ganz. Rechnet man nämlich alle Emissionen, die in anderen Ländern durch die Produktion von Konsumgütern für den Schweizer Verbrauch anfallen zu den im Inland anfallenden 5.8 Tonnen dazu, erhöhen sich die Emissionen nochmals enorm. Inklusive der Emissionen, welche die Schweiz ins Ausland verlagert hat, erhöht sich der Ausstoss auf 12 Tonnen pro Person und Jahr. Zwar verursachen alle europäischen Länder jenseits ihrer Landesgrenzen CO2-Emissionen, aber die Schweiz schwingt hier oben auf und verursacht im Ausland gleich nochmals so viele Emissionen wie im Inland. Kompensiert werden müssen diese jedoch nicht von der Schweiz. Ganz nach dem Motto: nicht hier, nicht mein Bier.
3. Eine Nation von VielfliegerInnen
Auch in einem anderen Punkt ist die Schweiz das schwarze Schaf in der europäischen Staatengemeinde: im Fliegen. Und fliegen sprengt das eigene CO2-Budget von maximal einer Tonne pro Person schnell. Zürich-Dakar retour: 1.2 Tonnen. Die Anzahl Fluggäste pro EinwohnerIn liegt in der Schweiz laut Eurostat bei 6.03; der europäische Schnitt dagegen bei bescheidenen 1.9. Wenn dieser kontinentale Vergleich noch nicht erschreckend genug ist, dann vielleicht der globale: Laut dem WWF Schweiz haben nur gerade 5 % der Menschen je ein Flugzeug von innen gesehen
Wenn die Fluglobby das Fliegen damit herunterspielt, dass der Flugverkehr weltweit nur 2 % der CO2-Emissionen ausmacht, dann ist das nur die eine Seite der Medaille. Denn diese 2 % sind nicht Zeichen dafür, dass der Flugverkehr wenig Emissionen produziert, sondern lediglich, dass die Industrienationen auch hier ‚Glück haben‘, dass andere Länder ihre schlechte Klimabilanz aufbessern. In der Schweiz liegt der Anteil der Fliegerei am Klimaeffekt nämlich bei 20 %. Auch hier sind es wahrscheinlich die BewohnerInnen von Burundi, Ruanda und Co., welche den Schweizer Flugdrang mit ihrem erzwungenen Verzicht quersubventionieren.
4. Schmutziges Geld
Der Schweizer Finanzplatz gilt für viele als Garant für den hiesigen Wohlstand und gehört zur Schweiz wie die Löcher in den Emmentaler. Gleichzeitig wird er aber auch für viele Missstände verantwortlich gemacht: Abzocker-Entschädigungen, Finanzkrisen, Nahrungspreis-Schwankungen. Wohl aber die wenigsten würden die Schweizer Nationalbank (SNB) und andere Finanzinstitute in einen Zusammenhang mit dem Klimawandel bringen. Tatsächlich hat aber eine Studie von 73 Organisationen von Greenpeace über den Konsumentenschutz bis hin zu Hilfswerken Anfang Jahr gezeigt, dass die SNB mit ihren Anlagen einen CO2-Ausstoss mitverantwortet, der grösser ist als der gesamte Ausstoss der Schweiz im Jahr 2016. Konkret setzt sich der Fussabdruck der SNB durch ihre Investitionen in Unternehmen zusammen, die mit Kohle, Erdöl und Erdgas ihr Geld verdienen.
Das deckt sich mit den Erkenntnissen einer Studie des BAFU und des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen, an welcher 80 Versicherungen und Pensionskassen freiwillig teilnahmen. Beide Studien kommen zum Schluss: Wenn der Schweizer Finanzplatz nicht zügig beginnt, sein Kapital nachhaltiger zu investieren, dann unterstützen die Schweizer Finanzströme eine Klimaerwärmung von bis zu 6 Grad Celsius (zur Erinnerung: Der neuste Klimabericht des UN-Klimarates fasst eine Erhöhung von lediglich 1.5 Grad Celsius ins Auge).
Während die Schweiz international in der Koalition der Hochambitionierten das Vorbild mimt, untergräbt die nationale Politik jeden noch so kleinen Schritt nach vorne. Die Klimapolitik der Schweiz ist vieles, aber bestimmt nicht hochambitioniert und vorbildlich. Eine konsequente Umsetzung des Pariser Klimaabkommens wäre dringend angezeigt – und ein bisschen Demut.
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